Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.
Liebesschwüre …

Die rote Wintersonne strahlt auch über den Stadtsee von Lobstein, der im Winter als Eislaufbahn hergerichtet ist und nicht nur von den Bewohnern des kleinen Landstädtchens, sondern auch von den Gutsbesitzern der ganzen Umgegend fleißig benützt wird.

Wald umgibt ihn an drei Seiten, und das Eis ist spiegelblank, besonders heuer, wo bis jetzt – Mitte Januar – fast noch kein Schnee gefallen ist, aber andauernd starker Frost herrscht.

Lebhaft, unter ziemlich lautem Treiben, Gelächter und Geschrei flitzen die Paare über die glatte Fläche, bilden Ketten und Figuren oder biegen einzeln in die verschiedenen Buchten ab, die der See bildet.

Eben lenkt Irene Schlomm mit ihrem Partner, Prinz Kelim, nach einer tief in den Wald eingeschnittenen Bucht zu, die fast menschenleer vor ihnen liegt.

Frau Irene blickt verstimmt drein. Und kaum ist man außer Hörweite der übrigen Gesellschaft, so sagt sie finster: »Was soll das Spiel mit Edine, Sascha? Glauben Sie, ich sei blind, daß ich nicht merke, wie Sie beständig um sie kreisen und in ihre Nähe zu kommen trachten? Und bei Tisch warfen Sie ihr wiederholt verstohlene Blicke zu, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen! Glauben Sie im Ernst, daß ich mir das gefallen lasse? Ich bin es nicht gewohnt, um einer andern willen vernachlässigt zu werden …«

»Aber teuerste Irene, ich begreife Sie wirklich nicht … eifersüchtig auf Ihre beste Freundin?«

»Eifersüchtig – o nein … Das wäre unter meiner Würde. Ich will nur wissen, was dies Spiel bezweckt? Wenn Edine Ihnen besser gefällt als ich, brauchen Sie es nur zu sagen. Ich werde Ihren Verlust zu verschmerzen und mich gewiß zu trösten wissen!«

»Wie grausam Sie sind, Irene! Sie wissen doch sehr genau, daß Sie für mich die schönste Frau … nein, die einzige Frau der Welt überhaupt sind, und daß ich keine andere liebe als Sie!«

» Gesagt haben Sie mir dies allerdings schon wiederholt, aber …«

»Baronesse Edine ist doch Braut!«

»Was sie nicht hindert, mit Ihnen und anderen zu kokettieren! Und verlobt ist nicht verheiratet … übrigens gibt es ja im modernen Leben überhaupt keine trennenden Schranken zwischen Menschen, die ernstlich zueinander streben. Mit diesen Entschuldigungen dürfen Sie mir also nicht kommen.«

»Es sollen durchaus keine Entschuldigungen sein, deren es wirklich nicht bedarf. Denn wenn ich so tat, als flöße Baronesse Edine mir Interesse ein, so geschah das doch einzig um Ihretwillen, Irene!«

»Ah …?«

»Sie sind verheiratet, und man klatscht bereits über uns, wie Sie wissen und mir selbst lachend erzählt haben! Da wollte ich die Aufmerksamkeit der lieben Nächsten ein wenig von uns ablenken.«

»Sehr gütig! Aber was liegt daran, wenn man über uns klatscht? Sie wissen sehr genau, daß ich mir nicht das mindeste daraus mache! Ich habe immer getan, was ich wollte, und mich nie darum gekümmert, was andere dazu sagen.«

»Ein großzügiger Standpunkt, den ich bewundere! Indes, Ihr Gatte …«

»Mein Mann denkt für seine Person ebenso großzügig und hätte daher nicht das mindeste Recht, mir etwas vorzuwerfen! Übrigens tue ich ja nichts Unrechtes. Sich den Hof machen und ein wenig anschwärmen zu lassen, ist doch das Recht jeder noch jungen und leidlich hübschen Frau … oder nicht?«

Sie lächelt ihren Partner kokett an, und in ihren großen blauen Augen springt ein lockender Funke auf, der das leicht empfängliche Herz des Russen heißer schlagen läßt.

Brennend versenkt sich sein Blick in den ihren, umfaßt bewundernd ihre volle und doch geschmeidige Gestalt, die etwas von einem schönen Raubtier an sich hat, sobald sie innerlich aus ihrer trägen Ruhe aufgescheucht ist …

Ja, sie ist schön … schöner und verführerischer als alle Frauen, die er kennt. Sie zu besitzen, müßte Götterwonne sein …

»Irene,« raunt er schweratmend, ohne den Blick von ihr zu wenden, »ich liebe dich wahnsinnig, weißt du das nicht? Und welche Qualen ich beständig leide, dich an Mann und Kinder gebunden zu wissen … an diesen Seifenfabrikanten, der dich nicht zu schätzen weiß … der deiner so unwürdig ist … dich mit jeder Schürze betrügt …«

Sie sind am Ende der langen Bucht angelangt und ganz allein. Reifgeschmückte Nadelbäume überschatten sie, langsam schleifen sie hin und her, trotz der Winterkälte beengt sie eine heiße, schwüle Stimmung …

Unter seinem noch immer auf ihr ruhenden Blick hat auch ihr Herz rascher zu schlagen begonnen, und die blauen Augen haben sich dunkel, fast schwarz gefärbt.

»Irene … wenn auch du mich liebtest … und bereit wärest, dich scheiden zu lassen …?« stammelt Sascha Kelim leise, im Augenblick nur erfüllt von dem verzehrenden Wunsch, das schöne Weib zu besitzen.

Irene antwortet nicht. Aber sie schließt für einen Augenblick wie geblendet die Augen …

Prinzessin!

Sie war eines kleinen Fabrikbeamten Tochter und hatte als Mädchen nur Sorgen und Sparen daheim kennengelernt, bis ihre Schönheit das Kennerauge des Fabrikherrn auf sie lenkte.

Sie besann sich keinen Augenblick, des viel älteren Mannes Frau zu werden. Reichtum, ein behagliches Leben und der Verkehr mit feinen, besonders adeligen Menschen war immer ihr Traum gewesen.

Dann hatte sie sich das Leben in ihrem Sinn eingerichtet und litt nur manchmal unter dem demütigenden Gefühl, daß die meist aus alten, erbgesessenen Familien bestehenden Nachbarn sie nicht für voll nahmen und sie selbst nicht genügend gelernt hatte, die unter ihnen herrschenden Sitten und Gepflogenheiten sich völlig zu eigen zu machen.

Sie empfand das bei jeder Gesellschaft, die man besuchte oder gab. Aber sie wappnete sich gegen diese Erkenntnis mit dem Trotz der Emporgekommenen: Ich bin reich genug, um mir alles erlauben zu können! Umgehen kann mich die Gesellschaft ja doch nicht, dazu bietet Wolfeck allen zu viele Annehmlichkeiten …

Nun hat zum zweitenmal ein Kennerauge ihre Schönheit entdeckt, und es bietet sich ihr die Möglichkeit, Prinzessin werden zu können. Daß Kelims Neigung so stark sei, hat Irene selbst nie zu hoffen gewagt.

Selbstverständlich wird sie sich keinen Augenblick besinnen, die Chance auszunützen. Nicht der leiseste Gedanke an Mann und Kinder beschwert ihren Sinn. Nur die Frage, wird Schlomm in die Scheidung willigen und das Aufsehen nicht scheuen?

»Irene …? Würdest du dich mir zuliebe scheiden lassen wollen?« flüstert Kelim.

»Ja!«

»Und deine Kinder?«

»Lasse ich selbstverständlich Hans. Aber du mußt mir Zeit lassen. Übers Knie brechen läßt sich so etwas nicht, sonst zieht man den kürzeren. Ich will nicht als der schuldige Teil dastehen, sondern eine günstige Gelegenheit abwarten, Hans als diesen hinzustellen. Seine häufigen Untreuen werden mir das leicht ermöglichen. Er muß dann auf alle meine Bedingungen eingehen.«

»Und bekomme ich nun endlich einen Kuß – unsern Verlobungskuß?« drängt Kelim, dem alles andere ziemlich gleichgültig ist, heiß und verliebt.

Irene sieht sich rasch nach allen Seiten um. Man muß nun doppelt vorsichtig sein, damit niemand vorzeitig Wind von der Sache bekommt. Alle würden ihr ihr Glück ja neiden und es zu vereiteln trachten. Jetzt, wo so Wichtiges auf dem Spiel steht, ist es Frau Irene plötzlich gar nicht mehr gleichgültig, was die Leute von ihr reden …

Aber es ist weit und breit niemand zu sehen. Nur Bäume sind um sie, und die verraten nichts. So reckt sie sich ein wenig auf und bietet ihre roten Lippen dem Russen dar …

Er begnügt sich nicht mit dem einen Kuß. Wieder und wieder preßt er wütende Küsse auf ihren Mund, ihre Wangen, ihre Augen – bis sie ihm lachend aber energisch wehrt.

»Genug – genug – du bist ja toll …«

»Toll durch – dich

»Laß uns jetzt vernünftig sein und wieder manierlich zu den anderen zurückkehren. Und wenn du Edine weiter den Hof machen willst – so habe ich jetzt nichts mehr dagegen.«

Aber Edine Werndl kümmert sich nicht mehr viel um Sascha, mit dem sie nur kokettiert hat, um Frau Irene, ihre »beste Freundin«, zu ärgern. Jetzt beachtet sie kaum, daß er wieder an ihrer Seite läuft, so vertieft ist sie in eine höchst eifrige Unterhaltung mit ihrem Partner, einem hübschen blonden krausköpfigen, rotbäckigen jungen Herrn.

Baronesse Edine, die mit ihrer Mutter, der verwitweten Baronin Werndl, bei Verwandten auf Schloß Haugenbichl in der Nähe Lobsteins lebt, ist eine auffallende, interessante Erscheinung, die nirgends übersehen werden kann.

Groß, rank und schlank, jeder Zoll moderne Linie, hat ihr auf alle Arten des Sports trainierter Körper eher etwas Jungenhaftes als etwas Weibliches.

Aber er ist sehr ebenmäßig gebaut. Und das von rotblondem Lockenhaar umgebene luftgebräunte Gesicht, aus dem zwei runde hellblaue Augen blicken, hat fast klassisch schöne Linien.

Ihre Mutter gleicht ihr sehr und sieht kaum ein paar Jahre älter als Edine aus. Sie ist eine geborene Engländerin und ist den Sitten und Gebräuchen ihres Heimatlandes immer treu geblieben. Auch die Tochter wurde nach englischen Grundsätzen erzogen, und der fremdländische Hauch, der beide Damen umgibt, verleiht ihnen hier in dem ländlichen Gebirgswinkel noch ganz besonderen Reiz.

Beider Damen Lebensinhalt ist Sport, ihre einzige Beschäftigung – Training. Sie leben in nicht gerade glänzenden Verhältnissen und haben nach dem schon vor Jahren erfolgten Tod des Barons bei dem Landrat Werndl auf Haugenbichl, einem Bruder des Verstorbenen, Unterschlupf gesucht und gefunden, obwohl sie in ihrem Innern die Deutschen etwas verachten.

Viel lieber hätten sie bei den englischen Verwandten der Baronin in London, sehr reichen, einflußreichen Leuten, ihre Zelte aufgeschlagen, aber diese verhielten sich ablehnend und laden Baronin Werndl mit ihrer Tochter höchstens ab und zu für ein paar Wochen in ihr Landhaus Rosehill ein …

Seit gestern aber ist der junge John Fielders, ein leiblicher Neffe der Baronin, aus Rosehill zu mehrtägigem Besuch bei den Damen in Haugenbichl eingetroffen. Er ist der junge rotbäckige Mann, mit dem Edine sich eben so eifrig unterhält.

Baronin Werndl wirft einen Blick auf ihre winzige goldene Armbanduhr, macht sich erschrocken von ihrem Partner los und steuert in eleganter Kurve auf Tochter und Neffen zu.

»Darling, es ist höchste Zeit, daß wir heimkehren! Du weißt, Onkel Rolf hat heute seine Bridgegesellschaft. Um halb fünf beginnt das Spiel, und wir müssen uns noch umkleiden.«

»Ach, wie langweilig! Wir unterhielten uns eben so gut über Kitzbühel, und John hat einen glänzenden Plan entworfen …«

»Wir können abends darüber sprechen, my dear. Jetzt müssen wir wirklich fort. Laß uns unseren Freunden Adieu sagen. Auf Wiedersehen, Durchlaucht …« sie schüttelt dem Russen flüchtig die Hand.

Irene v. Schlomm gleitet an die Gruppe heran.

»Was, Sie wollen schon fort, Baronin?«

»Wir müssen leider. Bridgespiel bei meinem Schwager. Zuspätkommen bei Todesstrafe verboten – die Deutschen sind so komisch in puncto Pünktlichkeit … Sie wissen!«

»Sehe ich Sie morgen zum Tee bei mir, Baronin? Ich bat eben auch die anderen Herrschaften, mir armen Strohwitwe morgen Gesellschaft zu leisten. Natürlich müssen Sie Mr. Fielders mitbringen. Mein Stiefsohn wird sich ja so freuen, ihn kennenzulernen, und überhaupt – ich glaube, er hat Edine vierzehn Tage lang nicht gesehen …«

Edine tauscht einen raschen Blick mit ihrer Mutter. »Lehn' ab!« steht darin. Worauf die gefällige Mutter sich mit untröstlicher Miene zu antworten beeilt: »Morgen? Ach, wie nett wäre das! Natürlich würde ich mit der größten Freude annehmen, aber Sie wissen doch, liebste Frau v. Schlomm, daß mein Neffe nur für wenige Tage hier ist, und unglücklicherweise machten wir schon Programm für den morgigen Sonntag …«

»Ja, liebste Irene, sei nicht böse, aber wir wollen John morgen die Tropfsteingrotte am Pichlhang – die einzige Sehenswürdigkeit dieser langweiligen Gegend – zeigen. Mama hat bereits das Auto bestellt. Gelt, du nimmst es daher nicht übel, wenn wir nicht kommen?«

»Von Übelnehmen kann absolut nicht die Rede sein, aber es tut mir sehr leid. Und was wird Ronald sagen?« fügt sie – nur Edine verständlich – hinzu.

Baronesse Edine zuckt leicht die Achseln.

»Gott, ich kann doch wirklich nicht dafür, daß es sich gerade so unglücklich trifft … richte ihm einen Gruß aus …«

Andere Bekannte kommen heran und unterbrechen das Gespräch. Man verabschiedet sich allerseits von den Haugenbichler Damen und ihrem Gast, und diese eilen dem Ufer des Sees zu.


 << zurück weiter >>