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XV.
Ronald kehrt zurück

Landrats samt Schwägerin und Nichte treten bald danach die Heimfahrt nach Haugenbichl an, und Frau v. Hergel, die dem Prinzen einen Platz in ihrem von ihr selbst gelenkten Auto angeboten hat, schließt sich ihnen an. Ein Signal, das auch die anderen Gäste zum Aufbruch veranlaßt, um so mehr, als es bereits zu dämmern beginnt.

Irene zieht sich in ihr Wohnzimmer zurück und sucht dort ihren Lieblingsplatz – das Sofa – auf. Ihre Gedanken sind noch immer bei der Szene mit Sascha und ihrem eifersüchtigen Verdacht.

Sie ist noch lange nicht beruhigt. Wie – wenn sie doch recht hätte und die ganze Szene von ihm nur heraufbeschworen wäre, um dem Schwur auszuweichen, den sie von ihm verlangt hat?

Elisabeth unternimmt mit den Kindern noch einen kleinen Abendspaziergang im Park. Der Abendstern strahlt hell glänzend nieder, und hinter dem nahen Wald steigt eben der Mond herauf. Feierlicher Friede liegt über Bergen und Fluren.

Trotzdem kann Elisabeth eine geheime innere Unruhe nicht loswerden.

Was mochte Prinz Kelim nur mit seinen Worten, daß sie »einem andern« mehr Gunst erweise als ihm, gemeint haben?

Und sein Blick dabei sprach noch viel mehr aus als die Worte …

Es ist ihr ganz unverständlich. Sollte sie es denn je an der nötigen Beherrschung Ronald gegenüber haben fehlen lassen, daß andere ihr vom Gesicht ablesen konnten, was sie fühlte?

Elisabeth hält es für ausgeschlossen, ebenso daß sie Ronald je anders begegnet wäre als einem Hausgenossen, oder gar ihm irgendwelche »Gunst« erwiesen habe …

Ärgerlich beschließt sie endlich, gar nicht mehr an die Sache zu denken. Dieser Prinz war ja ein Narr – und ein gefährlicher noch dazu, dem man nicht genug aus dem Wege gehen konnte.

Als sie sich dann mit den Kindern der Vorderseite des Schlosses nähert – es ist inzwischen völlig dunkel geworden –, verhält sie plötzlich betroffen den Schritt: Aus Ronalds Zimmern strahlt heller Lichtschein, und die lange geschlossenen Fenster stehen weit offen.

Er ist also zurückgekehrt aus Wien!

In der Diele stehen sie dann wenige Minuten später einander nach zweiwöchentlicher Trennung zum erstenmal wieder gegenüber.

Ronald, der bereits umgekleidet ist und die kurze Zeit bis zum Abendessen benutzt, um in einer Ecke die während seiner Abwesenheit erschienenen Exemplare des Lobsteiner Lokalblättchens durchzusehen, erhebt sich bei Elisabeths Eintritt sofort, um sie und die Kinder zu begrüßen.

Es geschieht in einer ruhigen, herzlich brüderlichen Art, und auch aus seinen Augen, die vor seiner Abreise einen unsteten, gequälten Blick hatten, strahlt ein ruhiges, reines Licht.

Ronalds Hoffnung hat sich erfüllt – fern von Wolfeck hat er sich wieder völlig in die Gewalt bekommen.

Auch Elisabeth hat Zeit gehabt, ihr stürmisches Herz zur Ruhe zu bringen, Schmerz und Liebe darin einzusargen und mit undurchdringlichen Mauern zu umgeben.

So vermögen beide, obwohl nichts in ihren Gefühlen sich geändert hat, einander doch unbefangen, fast fröhlich zu begegnen …

Die Kinder helfen unbewußt dazu.

Stürmisch umringen sie den »großen Bruder« und überstürzen sich in Berichten über alles ihnen wichtig Erscheinende, das sich während seiner Abwesenheit begeben hat.

Kinderwichtigkeiten – daß Ruby, die Jagdhündin, Junge bekommen, daß der Förster ein junges Reh gefangen habe, dessen Mutter verendete, und das er nun aufziehen wolle, daß die Mamsell sich einen Kanarienvogel angeschafft habe, der wunderbar singe, und so weiter.

Ronald nimmt alle diese Neuigkeiten mit Geduld und scheinbar großem Interesse entgegen, bis der Gong zum Abendessen ruft, worauf Elisabeth mit ihren Zöglingen sich verabschiedet und Ronald sich nach dem Speisezimmer begibt.

Er findet dort nur seinen Vater vor. Frau Irene hat sich mit Kopfschmerzen entschuldigen lassen …

»Hoffentlich fehlt Mama nichts Ernstes?« fragt Ronald, nachdem man eine Weile von Geschäften gesprochen.

»Nein. Ich war vorhin bei ihr und las ihr die Zeitung vor. Es sind nur ihre Nerven, die ihr ja immer zu schaffen machen, wenn sie sich ärgert.«

»Hatte sie denn Ärger? Mir scheint, Mama ist viel zu – phlegmatisch, als daß sie sich über irgend etwas ärgern könnte!«

»Das kommt darauf an, was es ist. Im allgemeinen ist ihr ja so ziemlich alles gleichgültig. Wo aber ihre eigene Person in Frage kommt, kann sie dafür desto leidenschaftlicher reagieren und gibt sich dann meist unbeherrscht den jeweiligen Eindrücken hin. In letzter Zeit war es meist Prinz Kelim, der ihren Unwillen erregte …«

»Dieser Mensch ist also noch immer persona grata bei ihr?« bemerkt Ronald stirnrunzelnd.

»Jawohl. Du weißt doch, daß sie mit ihm flirtet. Aber seit einiger Zeit macht er ihr nicht mehr so eifrig den Hof wie bisher, und das ärgert Irene gewaltig, denn sie fühlt sich tief getroffen in ihrer Eitelkeit … das Schlimmste für Frauen ihres Schlages!«

Ronald hört mit Staunen zu.

Wie ruhig und selbstverständlich sein Vater darüber spricht, daß seine Frau mit einem andern flirtet! Ihn selbst hätte so etwas rasend gemacht … erfüllte ihn für den Vater nur zu oft mit zornigem Groll gegen die Stiefmutter.

Ob es Gleichgültigkeit oder Schwäche ist, daß er das so ruhig mit ansieht? denkt Ronald. Ob er sich der Gefahr, die in diesem Spiel liegt, gar nicht bewußt ist und nicht der Mißdeutungen, denen er selbst sich dadurch aussetzt? Inzwischen fährt Hans v. Schlomm gelassen fort: »Auch heute war es – soviel ich aus Mamas Reden entnahm – der Prinz, der sie in Harnisch brachte. Sie scheint eine. Szene mit ihm gehabt zu haben wegen der Benedikt …«

»Wegen … Fräulein Benedikt? Wieso – was hat diese mit Kelim zu schaffen?« unterbricht ihn Ronald aufhorchend.

»Gar nichts! Fräulein Benedikt hat einen viel zu guten Geschmack und ist auch ein zu ernstes, anständiges Mädchen, als daß ein Mensch, wie dieser windige Russe, Eindruck auf sie machen könnte.«

»Davon bin ich überzeugt und begreife nicht, wie Mama beider Namen überhaupt in Verbindung bringen kann!«

»Die ganze Sache ist ja auch gar nicht der Rede wert. Fräulein Benedikt erzählte unseren und den Werndlschen Kindern – Landrats waren nämlich heute zu Besuch da – eine Geschichte. Der Prinz sollte im Auftrage der Landrätin, die um ihre Knaben besorgt war, Fräulein Benedikt veranlassen, mit den Kindern in Sehweite auf der Terrasse zu spielen. Dabei hat er dann den Schluß der Geschichte mit angehört – das ist alles. Aber Mama bildet sich steif und fest ein, der Prinz sei nur geblieben, weil er in Fräulein Benedikt verliebt sei, und sie kokettiere mit ihm, weil sie ihn erobern wolle.«

»Unsinn!«

»Das sagte ich Mama auch, aber sie war nicht zu beruhigen und blieb dabei, zwischen den beiden habe sich ein Liebesverhältnis angesponnen, das sie nicht dulde und dem sie ein rasches Ende machen werde, indem sie der Benedikt einfach kündigen werde.«

»Was du hoffentlich nicht dulden wirst, Papa, denn nie könntest du eine bessere Hüterin für die Kinder finden!«

»Gewiß, dessen bin ich mir längst bewußt, und hier ist auch die Grenze, wo ich Mamas Wünschen entgegentreten muß. Ich erklärte ihr dies bereits. Fräulein Benedikt darf den Kindern unter keinen Umständen genommen werden – am wenigsten um einer Laune willen!«

»Sehr richtig!«

Eine Pause tritt in ihrem Gespräch ein. Ronald blickt nachdenklich vor sich hin. Das Gehörte beschäftigt ihn doch mehr, als er merken lassen will. So vollkommen beruhigt er über seiner Stiefmutter Verdacht gegen Elisabeth ist – weiß er doch, wem deren Herz gehört –, so wenig ist er es in bezug auf den Prinzen.

Dieser Don Juan, der gegen Frauenreize nie blind war, kann ja wirklich ein Auge auf Elisabeth geworfen haben …?

Jedenfalls wird es gut sein, ihm künftig doch etwas auf die Finger zu sehen. Die Stiefmutter ist zweifellos in den Prinzen verliebt – viel ernstlicher, als Papa in seiner Harmlosigkeit annimmt – und Augen der Liebe blicken scharf …

Dann denkt Ronald wieder an den Vater, dessen Verhalten ihm unverständlich, ja geradezu geheimnisvoll erscheint. Er ist voll Güte und Aufmerksamkeit gegen die Frau, deren ganzes Denken sich um einen andern Mann dreht … er sucht sie zu beruhigen und zu trösten, wenn sie sich über diesen aufregt … Wie läßt sich dies erklären?

Altersschwäche?

Aber so alt ist ja Papa noch gar nicht!

Im Geschäft stellt er seinen Mann wie in den besten Jahren. Ronald staunt oft heimlich draußen in der Fabrik über seine Umsicht und Leistungsfähigkeit …

Auch Gleichgültigkeit kann es nicht gut sein, denn dann würde er sich gar nicht um Irene kümmern – wie es früher der Fall gewesen.

Aber er kümmert sich im Gegenteil jetzt mehr denn je zuvor um sie …

Es ist das erstemal, daß Ronald ernstlich über diese Dinge nachdenkt, das erstemal allerdings auch, daß der Vater mit ihm über seine zweite Frau spricht – nicht als Vater zum Sohn, sondern offen und vertraulich als Mann zum Mann oder Freund zum Freund …

Ob ich es daraufhin wage, ihm zu sagen, was mir schon lange am Herzen liegt? denkt Ronald zuletzt.


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