Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Kolonialstil und Edison

Der kluge und geistreiche Robert Herrick behauptet in einem seiner Bücher, die Künste rangieren im Bewußtsein des heutigen Durchschnittsamerikaners irgendwo zwischen Putzmacherei und Theologie. Amerika hat noch weniger als Europa den Platz für den Künstler gefunden, den Platz, der ihm gebührt, und, ginge nicht alles um Geld, ihm auch angewiesen sein müßte. So ist der Künstler des modernen Amerikas, vor allem der bildende, der Maler, der Bildhauer, in noch erhöhtem Maße als drüben in Europa ein richtiger Schmarotzer und Herumlungerer an den Tafeln und vor den Türen der Reichen, bis er selber ein Reicher geworden ist, nur lungert dann eben die Kunst auf der Straße.

Der amerikanische Kunstmogwab läßt sich und seine Familie lieber in Europa malen als in Amerika, und man muß es sagen, daß François Flameng, de la Gandara, Kaulbach und leider auch Sargent es in der Konterfeiung von Satin, rasierten Kinnen, Diamanten und ähnlichen Utensilien zu bemerkenswerter Vollendung gebracht haben.

Da Amerika es bei seinem Raubbau an Energien noch zu keinem ergiebigen Nährboden für eigene Kunst gebracht hat, so trifft man in den großen europäischen Kunstzentren überall junge erbitterte Amerikaner, die blaß vor Wut werden, wenn man das Wort Amerika vor ihnen ausspricht. In den Ausstellungen moderner amerikanischer Bilder hängen darum Alibis an den Wänden und keine Kunstwerke. Der hat bei Julian in Paris gelernt, der ist bei den Dachauern in die Schule gegangen. Zur Mehrzahl der heute gemalten Bilder lassen sich im Katalog 420 in Klammern die Namen Turner, Raffaelli, Israels und Fantin Latour setzen, so wie man zu den Gestrigen, den Dannat und John W. Alexander getrost Whistler, zu Mary Cassatt Manet schreiben kann. Sogar die alten Meister der amerikanischen Galerien, der Maler George und Martha Washingtons, Gilbert Stuart, ist ganz in Romneyschen Tönen befangen, John Singleton Copley offenkundig ein Zeitgenosse und Nachahmer Reynolds.

Etwas urwüchsig Farbiges, grell und breit Hingestrichenes könnte man als amerikanische Note in der Malerei ansprechen und dann wäre Winslow Homer der Maler Amerikas. Seine Bilder, die einem schier unauslöschlich im Gedächtnis haften, wie der Neger auf dem Wrack und der Pilot vor der Schiffsglocke, erweisen sich wohl bei näherem Zusehen als bunte Illustrationen. Der größte lebende Illustrator (nicht nur Amerikas!), der außerordentliche Maxfield Parrish, setzt diese Tradition im Buch und in der Zeitschrift fort, findet aber in großen Fresken, wie der andre große Illustrator Edwin Abbey, wieder den Weg ins Bildhaftdekorative glücklich zurück. Unter den Jungen sind mir Robert Henri, ein impressionistischer Menschenschilderer, und zwei starke und virtuose Koloristen, Frieseke und W. Cameron, aufgefallen. –

Über den großen öffentlichen und privaten Kunstsammlungen Amerikas aber schwebt der Geist Wilhelm Bodes und Wilhelm Valentiners. Die Kunsthalle in Chicago zeigt wohl noch in ihrer wilden Unausgeglichenheit etwas von der urwüchsigen Ratlosigkeit des amerikanischen Geschmacks, der heute für Villegas schwärmt und sich morgen den schiefsten Greco, den es gibt, aufschwatzen läßt. Im Metropolitan-Museum in Newyork aber waltet schon europäische Übersicht und erzieherische Organisationskunst, der weder die edelsteinfrohe Sammelwut von Morgan mehr viel anhaben kann, noch die schon früher erwähnte sympathische sentimentale Naivität des in Europa herumreisenden 421 Americanos, der dem ersten Kunstinstitut seines Vaterlandes Luzerner Löwen und bemalte thüringische Pfeifenköpfe hinterläßt.

 

Jetzt hab ich mich auch an das Stadtbild schon einigermaßen gewöhnt. Madison Square ist, mit dem gelben Schneehimmel hinter den schneeweißen Bäumen vor den elfenbeinfarbigen Riesenhäusern, fast schön zu nennen, und die downtown tut meinen Augen auch nicht mehr so weh wie vor fünf Monaten, als ich mit dem »Kaiser Wilhelm der Große« direkt aus Europa auf sie losfuhr.

Haus im Kolonialstil

Aber das Schönste, was ich in Amerika von Architektur sah, habe ich in der Chestnut-Street des alten Städtchens Salem, Massachusetts, gefunden. Hier sind einige trauliche Häuschen im Kolonialstil erhalten. Dieser Stil stellt eine anmutige Mischung von Queen Ann und Griechenland vor. Breite dunkelrote Menschenheime aus angestrichenen Ziegeln, mit weiten Fenstern und flachen Dächern, vor der Schwelle ein kleiner halbkreisförmiger Portikus aus weiß angestrichenen schlanken korinthischen Holzsäulen – das Ganze zeigt die richtige puritanische Ehrfurcht vor dem Familienleben auf, die seine Erbauer 422 beseelt hat. Nirgends kommt einem der Geist der Pilgerväter, der Mayfloweridealisten so voll zum Bewußtsein wie hier, vor diesen streng, religiös, warm und sicher hingebauten Häusern mit ihrem wunderschönen Doppelklang Dunkelrot und Weiß: Herdfeuer und Priestergewand. Gastfreundlich tut sich die Pforte auf, und eine weite Diele empfängt den Besucher. Im tiefen Kamin liegen schwere Scheite, hochlehnige, dünnbeinige Stühle stehen vereinzelt auf dem spiegelnden Fußboden, in dem Reflexe von Kupfer und Messinggerät schimmern. Dieser Stil ist, seit die reichen Snobs des Landes in Europa herumlaufen, so gut wie verschwunden aus dem Stadtbild. So wie sie wahllos alles zusammenkaufen, was ihnen grad angepriesen wird, so bauen sie sich auch ihre steinernen Wohnkasten zu einem Sammelsurium von romanischer, gotischer Stilart, Früh- und noch lieber Spätrenaissance, Barock, Art nouveau und Neumünchnerisch aus. Auf den »1000 Inseln« im St.-Lawrence-Strom kann man Chateaux aus der Touraine, zehnmal kleiner natürlich, als diese Stilart es verträgt, Tiroler Schlösser, unter die doch Felsenkegel gehörten, und allerhand imitiertes Versailles sehen. In der fünften Avenue von Newyork und den großen Protzenstraßen von Chicago, San Franzisko, Seattle haben sich alle Überladenheiten zusammengefunden, nur das alte Boston und die relativ neue Stadt Denver zeigen Stil und Geschmack in ihren guten Vierteln.

Chestnut-Street No. 23, Salem, Massachusets

423 In Boston und verstreut an manchen Orten, Albany z. B., sieht man Anklänge an den Kolonialstil, und dann hat man das in Amerika so seltene und kostbare Gefühl, Tradition begegnet zu sein. Die griechischen Elemente aber haben sich in die offiziellen Bauten verzogen. Nach Washington und in die Regierungsstädte der Staaten, wo sie sich in der Form ungeheurer, schwerer Parthenons, Pantheons und Poseidonstempeln über den Gummi kauenden und spuckenden Funktionären erheben.

Das Kapitol, Washington D. C.

Allerorten ist in diesen Gebäuden eine unerhörte Verschwendung von kostbarem Material zu sehen: Bibliotheken, Regierungspaläste und Bankgebäude strotzen von Marmor und Bronze. Baudenkmäler aber von wirklicher Vollendung sind außer in Washington spärlich anzutreffen. Eines ist die große öffentliche Bibliothek in Newyork, ein andres die wunderschöne Bostoner Bibliothek, von der Hand Puvis de Chavannes, Sargents und Edwin Abbeys mit Meisterfresken ausgemalt, ein drittes das wirklich einzig in der Welt dastehende Stationsgebäude der Pennsylvaniabahn in Newyork, ein Wunderwerk an Zweckmäßigkeit und das repräsentative Baudenkmal des zwanzigsten Jahrhunderts. –

Newyorker Station der Pennsylvaniabahn

 

Wie aber ist es mit den Heimstätten der großen Menge, des »Überflusses«, bestellt? Da sind die zehn- und mehrstöckigen Appartementhäuser, abscheuliche Siebe mit engem winkeligen, luftlosen und niedrigen Zimmergewimmel innen und – besonders in den ärmeren Vierteln – dem grauenhaften Zickzack der eisernen Feuerleitern von Stockwerk zu Stockwerk hinab an der Außenfront. Da sind die endlosen Straßen mit ihren Holzbuden – »framehouses«, aus billigem Material hergestellt, deren Anstrich aber ein Heidengeld verschlingt, gut heizbare Häuser, die aber in fünf Minuten bis auf den Keller niedergebrannt sind, wenn ein Funken aus dem Ofen auf den Teppich hinüberspringt. Brennt erst eines von diesen Häusern, so ist bei wehendem Wind bald die ganze Straße weg. In kleinen Städten mit mangelhafter Feuerwehreinrichtung begegnet man oft und oft solchen verkohlten Straßen, Zeichen schaurigster Verwüstung.

Doch passen diese leichten, luftigen Wohnhäuser ebenso zum Charakter des Amerikaners, wie die grauenhaften, von den knapp an den Fenstern des ersten Stockes vorbeilaufenden Hochbahnen entstellten Geschäftsstraßen, in denen er acht bis zehn Stunden des Tages angestrengt arbeitet. Im englischen Toronto drüben bin ich mir des Kontrastes, wie erinnerlich, am sichersten bewußt geworden. Niemand denkt daran, die Chance dem friedlichen Behagen zu opfern. Niemand denkt daran, sich im Heute allzu sicher einzurichten. Das Haus ist nichts weiter als ein leichtes Gepäckstück im Wandertornister des Amerikaners von heute, der auf keine einzige Möglichkeit verzichten will, die ihm sein großer Kontinent in Fülle bietet. Der Umwandlung der ökonomischen Formen der heutigen Weltordnung wird Seßhaftigkeit und Treue zum Heim kein Hindernis in den Weg stellen. –

 

Immerhin möchte man auch im luftigsten Provisorium nicht gern verbrennen.

Drüben in East-Orange, New Jersey, zeigt mir der alte Hexenmeister, der phänomenalste Mensch der heutigen Welt, Thomas Alwa Edison, das zierliche Modell eines Einfamilienhauses, aus Edison-Beton gegossen; es steht da auf einem Postament in seiner schönen weiten Bibliothekshalle. Mit den hellen, wunderbar lachenden Augen des Genies erklärt mir der große Alte die Vorzüge der Bauweise, die aber vielleicht auch die schwersten Nachteile für den Bewohner vorstellen. Klipp klapp ist so ein Haus gegossen. In zwei Tagen kann es fix und fertig dastehen, und kosten tut es einen Pappenstiel. Mit dem Sand, den man aus dem Keller auf dem zukünftigen Standort des Hauses herausscharrt, vermengt man an Ort und Stelle eine geringe Quantität von Zement aus den Edison-New-Village-Gruben, gießt die Masse über den Eisenrost, und mit Dynamit wird fortan nichts mehr wegzusprengen sein aus den so gegossenen Platten, die jetzt nur noch aufgerichtet und zusammengesetzt werden müssen.

Edisons Modell

Edison zeigt mir auch das erste aus Zement gegossene Möbelstück, das aus seinem Gehirn in die Fabrik da hinter der Bibliothek gegangen ist und nun als Urahne sämtlicher Zementmöbel der Zukunft auf dem Teppich vor uns steht. Es ist ein Phonographen-Schränkchen mit dünnen Wänden, Leisten, Schubfächern, alles aus Zement. Es ist grau mit gegossenen goldbemalten Rokokoornamenten – heiliger van de Velde! – Die Transportprobe hat es nicht gut bestanden. Man hat es in einer Kiste nach Chicago und zurück befördert und die obere Zementleiste über dem Schubfach hängt schlapp und in winzige Stückchen zersprungen über dem Drahtrost in seinem Inneren.

Hinten in der Fabrik zeigt mir der Assistent ein gegossenes Rokokofauteuil aus Beton, hellblau mit goldenen Ornamenten angestrichen. Die Gußform eines Boule-Möbels. Zeichnungen zu einem Tisch, einem Bettgestell. Drüben in den geheimen Laboratorien experimentieren die Chemiker der Edison-Werke an der neuen 427 Lacktünche, an neuen Modellen. . . . Ein Fauteuil wird, wenn erst die Massenherstellung begonnen haben wird, ganze drei Mark kosten, eine komplette Zimmereinrichtung wird man schon für vierzig Mark erstehen können. . . .

Bei der Rückfahrt nach der Wolkenkratzermetropole streckt ein Mitreisender die Hand zum Fenster des Zuges hinaus; dort wächst ein kleiner Ort grau aus dem grauen Schneeboden der Ebene hervor. Es ist eine Ansiedlung von Arbeitern aus der nächsten Stadt. Die Häuser sind gegossen, Edison-Beton, grau, grau. Es wird dunkel; in der Ferne schießt ein glitzernder Zug über eine Brücke aus Beton dahin. Ich sehe es noch, das helle Genieauge des Alten, des Turmhohen über dem Gewimmel unserer übervölkerten Zeit. Er hat mir ein Heftchen mitgegeben, in dem Zahlen stehen, Zahlen, Berichte und Versprechen. Und am Schluß der Satz: die Zeit sei nicht mehr fern, in der auch der Ärmste unter uns sein eigenes Haus besitzen wird, ein Haus, das die Jahrhunderte überdauern und dabei ein ebenso sicheres Tauschobjekt bleiben wird, wie es heute eine Schuldverschreibung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika ist. . . .

 


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