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Eines darf man nicht vergessen, wenn man die amerikanischen Riesenbetriebe beobachtet. Das Gesunde, das in die Zukunft hinüber Weisende und das hinüber gerettet werden wird aus ihnen in jene Zukunft, in der die freie Notwendigkeit den Speedboss abgelöst haben wird. In der es keinen Lohn und keine Konkurrenz geben wird, nur eine der Natur entsprechende Kooperation vernünftiger Wesen, eines einzigen Volkes von Arbeitenden unter dem ungeheuren Dom der menschlichen Gesellschaft. Die Organisation, von der Sklaverei befreit, ist dieses Gesunde, das in die Zukunft weist.
Wenn das Mitleid, die Revolte verstummt, steht man voll Ehrfurcht und Staunen vor den gewaltigen Werken, die die Gesetze der Natur in ihren Gefügen nachbilden, auf das Maß, die Bedürfnisse des Menschen reduzieren, einen Mikrokosmos darstellen von höchster Zweckmäßigkeit, wie sie dem Gehirn eines Platon, Fourier, Napoleon nicht vollendeter hätten entspringen können.
Ich fühle mich von solchem Staunen erfüllt, wenn ich an das Warenhaus von Sears, Roebuck & Co. in Chicago denke, meinen Besuch in diesem kleinen, vollendeten Weltuhrwerk zu schildern anfangen will, das eine der mustergültigsten Organisationen des heutigen Amerikas in sich schließt.
In einem nordwestlichen Vorort Chicagos stehen die 319 fünf Riesengebäude, eine Stadt für sich, sie ist von hübschen Gartenanlagen, Springbrunnenbassins, Klubhäusern, Hotels der Angestellten umgeben und eingerahmt.
Sears Roebuck arbeiten nur mit den Vereinigten Staaten; nicht mit Kanada und nicht mit Südamerika. Sie haben nirgends Filialen, keine Vertreter, keine reisenden Kommis. Sie arbeiten nicht mit Kredit, sondern machen Kassengeschäfte. Mit ihren Kunden kommen sie gar nicht in Berührung, alles wird brieflich erledigt.
In der strengen Geschäftsperiode vom September bis Mai beschäftigen sie 9000–9500 Menschen, in der flaueren 7500. Jetzt, Ende November, wird ein Katalog vorbereitet, der die nach Weihnachten nachlassende Kauflust des Publikums aufstacheln soll. Sears Roebuck haben soeben, wie die Zeitungen melden, die größte Briefmarkenbestellung beim Staat gemacht, die eine Privatfirma jemals gemacht hat, fünf Millionen 5-Cent-Marken für diesen Katalog, der »flier« genannt ist. Zweimal im Jahr, nach Weihnachten und Mitte Juli, werden solche »fliers« versendet, einmal im Jahr der große Katalog, ein Kompendium von allem, was man haben kann, mit Ausnahme von lebendem Vieh, frischem Gemüse und Obst. (Man kann bei S. R. ein ganzes Einfamilienhaus bestellen unter anderem. Man gibt die Maße an, die Zahl der Räume, ein Waggon bringt das ganze Blockhaus, bis zum letzten Nagel, es braucht bloß an Ort und Stelle zusammengesetzt zu werden.) In den großen Katalog sind Stoffmuster eingeklebt. Ich werde in den Saal geführt, in dem das ganze Jahr durch Maschinen Stoffe zu diesem Zweck zerschneiden – diese »cut samples« kosten Sears Roebuck jährlich 100 000 Dollar.
Die Verteilung der Bureauräume, der Lagerräume, der »shutes«, d. h. Gefälle, polierten Rutschbahnen, über die die Waren kilometerweit zum Bahnhof im Erdgeschoß hinunterschießen, die Gruppierung der Arbeit ist das in seiner Zweckmäßigkeit Elementarste, das ich je gesehen habe.
320 Am Morgen um 9 kommen im Durchschnitt 35 000 Briefe mit Bestellungen an; die meisten enthalten »gemischte Bestellungen«, Bestellungen von 5–10 Gegenständen, in einem Gesamtwert von durchschnittlich 9 Dollar. (Ein Minimum gibt es nicht.) Da jede Ware ihren Katalogpreis hat und Sears Roebuck nicht mit Kredit arbeiten, sind den Bestellungen schon die eingezahlten Postanweisungen beigelegt. (Weniger Expreß-Co.-Anweisungen, weniger Schecke auf Banken.)
Um 4 Uhr nachmittags sind diese Bestellungen bereits ausgeführt, und 50–60 Waggone schießen aus dem Bahnhof im Erdgeschoß, bis oben angefüllt mit den wohlverpackten Kisten und Paketen, nach allen Richtungen in das Land Amerika hinaus. –
In den Bureaus klingt es von Metall. In Kupferröhren schießen Kapseln mit Briefen, Rechnungen, Frachtzetteln über die Köpfe der neuntausend auf Schreib-, Rechen-, Buchungsmaschinen klappernden Beamtinnen und Beamten weg. Das System dieser Röhren repräsentiert eine Gesamtlänge von 18 engl. Meilen.
In einem Saal sitzt ein Heer von Mädchen, das nichts anderes zu tun hat, als die eingetroffenen Briefe mit farbigen Stempeln zu versehen. Jeder Stempel zeigt eine Bahnlinie an. Da die Bahnen in den Staaten Privatgesellschaften sind und ihre Frachtbestimmungen die äußersten Varianten aufweisen, passiert jede Bestellung die Kontrolle dieses Saales, in dem wohl die komplizierteste Arbeit verrichtet wird.
Draußen aber, welche furchtbare Arbeitsteilung. Mädchen, die den ganzen Tag Hunderttausende von Briefmarken auf hunderttausend Katalogumschläge kleben. Die dünnen Bogen fliegen wie Flügel eines Ventilators unter ihren Fingern davon. Bei den Druckmaschinen, wo die Teile des Katalogs geheftet werden, hat ein Mensch mit Sinnen, Nerven und Gehirn sein Leben lang darauf zu achten, daß ein gelber Bogen über einen blauen komme und nicht unter ihn. Das Gefühl bäumt sich, wenn man an Tischen vorübergeht, vor denen 321 menschliche Wesen nur darum sitzen, weil noch keine Maschine erfunden ist, die ihre Arbeit verrichtet. Dabei sind diese Wesen in ihrer Erniedrigung noch glücklicher, als sie es in dem Moment sein werden, da diese Maschine erfunden sein wird und sie ihr Brot verlieren.
Wie weit weg ist der Mensch von den wundervollen Organisationen des Bienenstaates, des Termitenbaus, des Ameisenhügels gelangt! Vergegenwärtige dir den Abstand des primitiven, aber seinem Impulse folgenden Tieres zu dem denkenden, aber aus Not fremdem Befehl gehorchenden Menschenwesen. Bedenke, welche Summe von Aufschwung, Pfeilkraft der Seele zur Idee verkümmert, zerrieben wird durch die genialste Organisation, die das triumphierende Menschengehirn ausgedacht und in die Tat umgesetzt hat. Bedenke, daß diese Hörigmachung des Menschengeistes Tag für Tag vorwärtsschreitet, daß jeder Kopf, der mit der gottähnlichen Gewalt des Organisierens belehnt wurde von der Natur, an der Entgötterung des Menschengeschlechtes arbeitet, eben kraft der Gabe, die ihm geworden ist vor Hunderttausenden!
Was sind die Greuel des Krieges gegen diese »Segnungen« der Friedenszeit, in der sich der Handel ausdehnen darf?
Lange gehe ich noch in der Stadt, mit dem Metallklang aus den Häusern von Sears Roebuck im Ohr herum. Über dem Blutgeruch und Leimdunst, über dem Kohlenstaub und dem Michigannebel schwebt dieser Metallklang wie Sphärenharmonie, trostlos und kalt wie diese ganze moderne Welt es ist, mit ihrer Zivilisation, grimmigsten Feindin des Menschengeschlechtes! –