Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Den Hudson hinauf

Dienstag, morgens um neun, an einem Juli-Morgen, den Gott in einer feinen Laune geschaffen hat, fahre ich fort von Newyork, mit einem paar Tausend anderer entzückter und geräuschvoller Erdenmenschen den Hudson hinauf, in dem lustigsten Schiff, auf dem ich je gefahren bin, dem »Hendrik Hudson«, einem weiß und goldenen Palast, der munter seinen Weg vorwärts tutet. Auf allen Decken ist Leben und gute Laune. Die Leute, die ihren Tagesausflug machen, haben Proviant mit, jeder und jede; eine bunte Zeitschrift, eine Schachtel mit Candy, einen Sack Obst. Unten im Salon spielt eine italienische Musikkapelle ein national-amerikanisches Tanzlied, das von einem polnischen Juden komponiert ist und das die Amerikaner lebhaft beklatschen und immer wieder zu hören verlangen. Oben auf dem Sonnendeck geht die Luft scharf, wie auf dem Meer.

Ich stehe hinten auf dem obersten Deck und blicke zurück auf die enorme Stadt, in die ich erst in drei oder vier Monaten zurückkehren werde. Auf Newyork zurückblickend streife ich mit den Blicken noch einmal die Konturen der hohen Häuser hinauf und hinunter und habe nichts Neues mehr dazu zu sagen. Ich besitze einen Maßstab, der zeigt mir Menschen und Dingen gegenüber an, was gut und schlecht, schön und häßlich ist an ihnen. Aber jetzt, wo es gilt, die hohen Häuser zu messen, klappe ich meinen Maßstab zusammen und habe keine Verwendung für ihn.

Auf Newyork zurückblickend sage ich mir: die hohen Häuser dort hinten sind weiter nichts als der simple, kalte, steingewordene Übermut der Bourgeoisie unserer Tage. Eine kalte, hundekalte Arroganz, die nicht im entferntesten verwandt ist mit dem sympathischen, glühenden Wagemut der großen Abenteurer oder auch nur der armen Brotgewinner und Lebensriskierer in ihren Caissons drunten. Sondern es ist ein gut 64 auskalkulierter Übermut, der, auf Felsen gebaut, sich in den Felsen eingekrallt hat und nicht weichen wird, außer es kommt einmal ein Erdbeben und putzt die ganze Insel weg aus der Bai.

Der »Hendrik Hudson« gleitet, gleitet, Lärm und Fröhlichkeit auf all seinen fünf Rücken tragend, den breiten Strom hinauf, der ebenso wie er, den Namen eines Kühnen und Rastlosen der Erde trägt. Die Palisaden erscheinen, und unter den Palisaden, die große rote Felsenwände sind, ist Wald, vom Felsen bis an den Rand des Wassers hinunter. Und am Rand von Wald und Strom, ganz unten am Wasser stehen Zelte, Leinwandzelte, eine Unmenge von Zelten. Mit freiem Auge kann man Menschen sehen, die vor diesen Zelten sitzen, im Sommermorgen, nackt in Kanus vom Ufer abstoßen und mit kurzem Indianerruder, manche im Boot stehend, dahinpaddeln; andre laufen bis an die Hüften im Wasser herum, andre schwimmen ganz und gar.

Manche von diesen Zelten tragen Fahnen, die lustig im Winde flattern. Auf einer und der andren ist ein indianischer schön klingender Name zu lesen. Stundenweit, viele Meilen den Hudson hinauf, stehen diese Sommerzelte, »camps«. Manche in Gruppen, besonders auf den kleinen Waldlichtungen am Ufer, manche zu zweit, zu dritt. Oft kann man in diese Zelte hineinsehen. Man sieht Eisenbetten, Stühle, ein Herdfeuer, ein Grammophon, einen Koffer, eine Küche mit Gerät. Einige von diesen Zelten sind hübsch, mit Ornamenten, meist Indianerornamenten, bemalt, und wenn die gutmütigen und fröhlichen Menschen hier auf dem Schiff ein hübsches Zelt sehen, dann schreien und winken sie beifallsfreudig zu den Zeltbewohnern hinüber, die dann mit Armschwenken, Handtuch- und Flaggensignalen und Indianerrufen antworten vom Ufer.

Vor einem der Zelte sitzt ein riesiger Kerl, in zottigen Hosen, den gebräunten Oberkörper bloß. Der schießt, wie wir vorüberfahren, aus seinem Revolver ein 65 Freudengeknatter in die Luft los. Er freut sich, er fühlt sich wohl. Er wohnt ganz allein in seinem Zelt, wie ich sehe, sein Zelt steht ganz allein da, links und rechts ist Wald, Strom, Felsen, weit und breit nichts als Wald, kein anderes Zelt, nichts. Da sitzt er am Hudson vor seinem Wigwam, raucht seine kurze Pfeife, fischt und brät sich seinen Fisch, läßt sich träumen, wenn's ihm so zumute ist, schießt aus seinem Revolver in die Luft, wenn das große Schiff vorüberfährt, und freut sich, freut sich, wie gesagt.

Ich schaue mir ihn an, diesen Einsiedler am Julivormittag. Wer ist dieser kühne Lederstrumpf, dieser getreue Natty Bumpo, dieser scharfe Adlerflügel, dieser gefährliche Mohikaner?

Es ist einer von den zehntausend Angestellten im Singer-Building, der hier seinen Urlaub verlebt, einer von den abgerackerten, übermüdeten, zu Tode gehetzten, verhasteten und herumgejagten Bewohnern der Wolkenkratzerstadt dort weit hinten, und er fühlt hier für ein paar Tage, was es heißt, ein Mensch zu sein.

 


 


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