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Uh, Sie kennen Paris. Nicht wahr? Sie kannten Berlin mit seinen wundervollen Sammlungen, ehe Sie nach Rom gingen. Nicht wahr? Sie werden Rothenburg aufsuchen, ehe Sie nach San Gimignano pilgern? Werden Nürnberg, das alte Augsburg, Hildesheim mit Andacht sehen? Sie wissen ebenso, daß die großen Galerien Europas weder Uffizi noch Pitti heißen, sondern das Britische Museum, das Reichsmuseum, die Eremitage, der Prado. Viele Deutsche nämlich wissen das nicht, gehen ohne inneres Bedürfnis nach Italien und sind enttäuscht. Wenn Engländer und gar Engländerinnen zu den Präraphaeliten wallfahren, so ist dies begreiflich. Minder verständlich ist, wenn Berliner und Berlinerinnen, die frisch von Liebermann, Slevogt, Corinth, Leistikow, meinetwegen auch Menzel, sogar Anton von Werner kommen, für Botticelli eine Schwärmerei heucheln, die sie nie und nimmer empfinden. Zu verstehen ist, daß Philologen und Kunsthistoriker nach Italien reisen: es ist ihr Metier. Aber erklären Sie mir doch, warum alle diese braven Richter, diese behaglichkeitsbedürftigen Rentner, diese überarbeiteten Bankdirektoren sich innerlich murrend von Stadt zu Stadt, von Museum zu Museum, von Kirche zu Kirche schleppen lassen: wenn sie ihr Pilsner unbedingt anderswo trinken müssen, warum gehen sie nicht nach Pilsen? Kaufleute, die in die kostenlos geöffneten Galerien Deutschlands nie einen Fuß setzen, entpuppen sich hier unten als Kunstenthusiasten und opfern geduldig eine Lira nach der anderen. Sie rennen in die Museen und bringen die Nase nicht aus ihrem Reisebuch. Die ganz Schlauen lesen vor jedem Bilde, das im Baedeker zwei Sterne hat, zuerst das Attest Baedekers und dann die Gebrauchsanweisung des Schubringschen Cicerone, womöglich so laut, daß auch alle anderen Gäste der Tribuna von der um vier Mark erworbenen Begeisterungsquelle profitieren.
Was wir durch den Krieg in bezug auf Heer und Flotte, Finanzwesen, Landwirtschaft und Industrie gelernt haben, sollen wir auch in bezug auf Reifen lernen: Kenntnis unseres eigenen Reichtums. Es wird uns ein Bedürfnis sein, unser herrliches Vaterland besser und immer besser kennen zu lernen. Wir Süddeutschen wollen den alten Drang nach Süden zurückdämmen und erst einmal Mittel- und Norddeutschland bereisen. Die Norddeutschen sollen uns in dem Punkt vorbildlich sein: sie kennen unser Land unendlich besser als wir das ihre. Haben wir uns nicht in den letzten Jahren, als Langewiesche mit seinen Sammlungen Deutsche Dome, Deutsche Plastik, Deutscher Barock, als Piper mit der Schönen Deutschen Stadt herausrückte, geradezu geschämt, was wir alles nicht kannten, und uns gelobt, endlich nicht mehr in die Ferne zu schweifen, wo das Gute, das Beste wirklich so nahe liegt? Ist uns nicht das Herz aufgegangen, als Langewiesche mitten im Krieg die Großen Deutschen Bürgerbauten herausbrachte, als Karlingers Alt-Bayern und Bayrisch-Schwaben uns Südbayern förmlich mit der Nase auf die Schönheiten stieß, die wir an Ort und Stelle haben, vor den Toren in allernächster Nähe?
Mit welch neuen Augen werden wir ins Salzkammergut reisen und in die Wachau, nach Tirol und Vorarlberg, Steiermark und Kärnten, in die Karawanken, die Hohe Tatra, zu den Deutschen Siebenbürgens und nach Budapest! Viele Deutsche werden nach Antwerpen und Löwen pilgern, nach Brüssel und Brügge, Warschau, Riga, Dorpat. Und viele, die alle möglichen und unmöglichen toskanischen und umbrischen Nester kennen, werden endlich einmal Wien besuchen und Prag! Es wäre eine unverantwortliche Dummheit, wollten wir die ungeheure Macht geringschätzen, die wir durch unser Bedürfnis nach Reise und Sommerfrische ausüben. Wir wollen und werden diese Macht ausnützen. Freund und Feind soll sie gründlich spüren. Es handelt sich nicht um lumpige Tausende, es handelt sich alljährlich um Millionen. Es ist für uns eine Lebensfrage, ob die Brücke, die das deutsche Heer geschlagen hat, als Völkerbrücke bleiben werde. Das läßt sich nicht improvisieren, das muß gründlich organisiert und generalisiert werden. Wozu die Not uns zwang, das wollen wir beibehalten. Wir wollen nicht mehr in den ausgefahrenen Bahnen des Fremdenverkehrs, sondern als Pioniere künftiger Blüte, als Mitschaffende kommender Ernten reisen; wollen einmal sehen, ob es der deutschen Faust nicht gelingt, mit einem Ruck den Weichenhebel des Reiseverkehrs herumzuwerfen: wir bestimmen, auf welchem Gleis der große Fremdenzug fährt, denn wir sind es, die ihn füllen. Wir haben uns allzulang nach aller Welt gerichtet. Nun wird sich alle Welt ein wenig nach uns richten müssen. Organisierter Besuch auf der einen Seite ist unmöglich ohne organisiertes Meiden auf der anderen. Es gibt viele Morgen auf dem Balkan, wo ein deutscher Gasthof stehen könnte. Da ist noch Neuland für wagemutige Leute, es ist noch Geld zu verdienen, und es wird verdient, haben wir nur keine Sorge! Wir müßten unsere deutschen Kellner nicht kennen!
Vor allem aber wollen wir im schönsten Lande der Welt reisen: in Deutschland. Wir haben ja alle Deutschland nicht gekannt. Wir kennen es erst seit dem Krieg, fangen an, es einigermaßen kennen zu lernen, begreifen, daß es unsere vornehmste Aufgabe sein muß, es immer besser, tiefer, inniger kennen zu lernen. Wir waren zu kosmopolitisch geworden. Da kam der Krieg und umschloß uns mit einer Mauer von Schützengräben und einer Mauer von Haß. Wir sahen uns auf unser Land angewiesen, denn es gab kein anderes Land mehr für den verhaßten Deutschen. Wir waren im schönsten Zug gewesen, uns zu vergeuden, leichtsinnig, gutmütig und widerstandslos, wie Söhne aus altem gutem Hause. Jetzt war es das Haus, das uns zurückrief, das uns zu eng geschienen war, so daß wir seiner Schönheit nicht achteten, und nicht mehr die rührende Sprache seiner ehrwürdigen Mauern verstehen wollten, und die Sprache des Stroms, der feierlich vorbeiwallte und alles dessen, was sich in ihm spiegelt, Baum und Schlot, ragende Burg und ragender Kran, dampfender Wald und rauchende Essenstadt, und Schiffe, Schiffe von jeder Art und Größe und jeder Bestimmung.
Darum wird uns Deutschland auf unseren Zukunftsreisen nicht nur Gegenstand müßiggängerischen und oberflächlichen Genießens sein, sondern ernster und liebevoller Betrachtung.
Wenn wir aber je in nicht deutschem Lande reisen, harrt unser eine strenge Aufgabe: Verbreitung der deutschen Sprache. Wir müssen mit jener zuversichtlichen Rücksichtslosigkeit deutsch sprechen, mit welcher der Engländer auf der ganzen Welt englisch spricht. Denn es ist des Angehörigen eines Weltvolks unwürdig, fremde Idiome zu radebrechen. Jeder Satz, den wir aus Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit oder Eitelkeit der fremden Sprache nachgeben, stärkt fremdes Volkstum und schwächt das Deutsche. Es wird uns nicht mehr gestattet sein, verantwortungslos auf fremder Erde herumzuschlendern, sondern in jedem Augenblick müssen wir unser Volk vertreten und seine Farbe bekennen. C'est des Allemands que l'Europe apprit a négliger la langue allemande, schrieb der Franzose Rivarol 1783. Es ist bisher zu wenig deutsch gesprochen worden auf der Welt, von den Deutschen selbst. Wie wär's, wenn wir versuchten, das Deutsche zur Weltsprache zu machen? Die Welt hat seit dem August 1914 ein wenig angefangen, deutsch zu lernen. Die Welt wird es noch ganz ordentlich lernen, wenn nur wir, die Deutschen, gute Lehrmeister sind. Also!
Wenn es schon wertvoll ist, die Kulturen fremder Himmelsstriche zu studieren, so gibt es für einen Deutschen keinen größeren, keinen unendlicheren, keinen notwendigeren Gegenstand des Erkennens und der Liebe, als alles Deutsche.