Josef Hofmiller
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Josef Hofmiller

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Seeon, Baumburg, Rabenden

(1921)

Das kleine Dorf Rabenden liegt etwa zwei Stunden landeinwärts von Seebruck, dem nördlichsten Uferorte des Chiemsees, und ungefähr ebensoweit westlich von der netten Stadt Trostberg. Wer von Mühlberg nach Trostberg fährt und zu Fuß weiterwandert, über Altenmarkt, Baumburg, Rabenden, Seeon, den ganzen westlichen Teil des Chiemsees entlang, immer die Berge vor Augen, bis zum Winkel Schafwaschen-Rimsting, erhält landschaftlich immer schönere Eindrücke. Künstlerisch bleibt der edelste doch wohl die kleine Dorfkirche von Rabenden mit ihrem berühmten Altar.

Die alte romanische Basilika von Seeon liegt reizend mit ihrem Stufenaufgang zwischen niedrigen Häuschen und Schloß, dahinter der schlichte Kirchengiebel: Portal, Madonnenstatue und Fenster übereinander, und die zwei alten achteckigen Türme mit ihren Hauben, die an den Turm von Frauenchiemsee erinnern. Aber innen ist sie ein geschichtlich anziehendes, aber künstlerisch unerfreuliches Gemisch: spielerische spätgotische Gewölbe, an einer Wand eine blasse Spur mittelalterlicher Fresken, eine gotische Flachkuppel, wenigstens fürs Auge, alles barockisiert, die Farben nicht ohne Reiz, braune Rokokobeichtstühle, hilflose moderne Altäre, der übliche miserable Fabrik-Kreuzweg, zopfige Orgelbrüstung, die romanischen Säulen viereckig übermörtelt (an einer Stelle freigelegt), barock übermalt, weiß überkalkt. Am einheitlichsten wirkt der romanische Vorraum mit vorzüglichen Grabplatten aus Salzburger Marmor, wie allerorten im Rupertigau, wahre Meisterwerke darunter – wer sammelt sie, wer gibt sie heraus?

Nicht minder anziehend liegt die frühere Augustinerstiftskirche von Baumburg, weithin sichtbar und herrschend auf grüner Höhe über der Vereinigung des Tales der Traun mit dem der Alz. Der Raum ist weit und heiter, die barocken Schmuckstücke muß man nicht zu nah auf Stoff und Gestaltung hin ansehen, sondern sich des hellen, hohen Innern freuen und das Unzulängliche hinaus denken, die hölzernen Altäre, die Stucksäulen, die gestikulierenden weißen Heiligen. Was bleibt, ist immer noch bedeutend genug: die farbenfeinen Barockfresken des Gewölbes, der sinnvoll ausgesparte weiße Grundton der Wände, die rosageäderten Pilaster, die gelben Gurten, die eingezogenen Streben, das gute Verhältnis zwischen der Breite der Bögen im Schiff und der etwas größeren vorne, die Logen-Oratorien rechts und links – alles handwerklich tüchtig und gescheit, viel Verstand, der Instinkt geworden ist, gute Tradition noch im Oberflächlichsten. Ein malerisches Ding ist auch der kurze Kreuzgang auf der Südseite: rotmarmorne Grabplatten wiederum an heller Wand, Wappen, Köpfe, ein Ritter in voller Rüstung, darüber die weißen Kreuzgewölbe, dazwischen eine braune Tür, ein paar Blattpflanzen bringen ein wenig Grün hinein – alles hell und reinlich im nachmittägigen Licht; nicht zu vergessen des kapellenartigen Vorbaues aus Haustein: ein halbrundes Tempelchen für sich, von zierlichen Verhältnissen, Portal, je drei Säulen auf beiden Seiten vortretend, durch kleine Voluten mit der Halbkuppeltrommel verkröpft, klug und sicher der gegiebelten Stirnwand vorgesetzt.

Aber Rabenden übertrifft doch alles. Von außen eine Dorfkirche, wie man sie im Chiem- und Rupertigau aus den dunkelgrünen Nagelfluhblöcken dutzendweise findet. Auf dem grünen Rasen des Friedhofes über vierzig alte schmiedeiserne Grabkreuze in Reihen: ein ungewohntes Bild für den, der oberbayerische Friedhöfe kennt, wo Protzigkeit der Besteller und Geschmacklosigkeit der Handwerker meist nur alberne steinerne Hoffart zuwege bringen. Außerhalb des Gottesdienstes ist die Kirche zugesperrt: es ist in den letzten Jahren arg viel gestohlen worden aus unseren Landkirchen; aber der Bauer am Friedhofseingang läßt gern aufsperren. Das Innere ist äußerst schlicht; Grundriß, Größe, Verhältnisse annähernd wie in Blutenburg: Hochaltar, zwei auf den Seiten. Aber der Hochaltar, Salzburger Schule um 1570, ist einer der schönsten nicht nur Altbayerns. Von Renaissance ist in Südbayern auf dem Lande nicht allzuviel zu spüren; die Berührung beider Welten, der gotischen und des neuen Stils, ist gelegentlich köstlich fein, wie im Wolfdietrich-Sakramentshaus der nahen Wallfahrtskirche von Feichten. Aber im allgemeinen folgt auf unsere späte Gotik meist unvermittelt das Barock. Die Schnitzereien dieses so späten Altares sind prachtvoll; die Figuren so gut wie die Blutenburger, das Maß- und Rankenwerk fast so fein wie das vom Moosburger Kastulusaltar. Der Altar ist ein Schrein, der über einer Predelle steht, mit vier Flügeln, zwei starren und zwei beweglichen, seitlich rückklappbaren Türen und einem hohen geschnitzten Aufsatz mit Jesus, Maria und Johannes. Wenn er geschlossen ist, zeigen die unbeweglichen Flügel rechts und links je zwei Heilige, und die geschlossenen Schreintüren außen die vier großen Kirchenväter, wie auf der Rückseite des um 50 Jahre früheren Törring-Altars, der in St. Koloman ob Tengling am Tachinger See steht. Die Predelle weist rechts und links je einen Engel, der das Wappen der beiden Stifter hält: des Propstes von Brannenburg und des Pfarrherrn von Truchtlaching. Den Schrein selbst füllen drei hervorragend gut geschnitzte stehende Figuren auf Postamenten, über ihnen die zierlichsten spätgotischen Baldachine: Jakobus in der Mitte mit Pilgerstab und Muschelhut zwischen Simon und Judas Thaddäus. Die inneren Schranktüren zeigen je zwei Tafelbilder übereinander: Geburt und Tod Mariens, Geburt Christi und Anbetung der Könige. Auf der Rückseite ist das Weltgericht gemalt: in der Mitte der Heiland mit den posaunenden Engeln, links die Seligen, rechts der Höllenrachen. Ich habe mich schon öfter gefragt, ob spätgotische Altäre mit so kunstvoll bemalter Rückseite nicht auf Zapfen drehbar waren, so daß auf Allerseelen die Seiten vertauscht werden konnten. Bemerkenswert ist auch der Seitenaltar rechts, aus derselben Zeit und Schule, der den hl. Eustach darstellt, und der wandermüde Jakobus in der Ruhe an der Wand daneben. Unter ihm ist eine römische Gedenkplatte eingelassen, die die Duumvirn Pomponius Constans und Markus Ursinius ihrem kaiserlichen Gebieter Alexander Severus gewidmet haben, im Jahre 229, an der Nordgrenze des großen Römerreiches. Es ist noch mehr Antikes in der Gegend, oft an den weltabgeschiedensten Orten, wie in der kleinen Kirche von Freutsmoos, jenseits der Alz.

Der schöne Altar ist im allgemeinen gut erhalten; das Waschblau der gemalten Hintergründe hat das 19. Jahrhundert auf seinem kunstverständigen Gewissen. Das Verweilen in diesem einsamen Dorfgotteshaus tut sonderbar wohl. Gute Gotik, auch die späteste, ist immer sachlich, rechtschaffen und eigenartig; sie blendet nicht und macht nichts vor; dabei hat sie eine so andächtige Liebe zum unscheinbarsten, oft unsichtbaren Detail, so viel handwerkliche Treue und Charakter, daß das brillanteste Barock daneben nicht aufkommt. Aus dem unscheinbaren Kirchlein geht man erquickt hinaus wie nach einem Bad.


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