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»Und alte liebe Schatten steigen auf«: Württemberg als Reiseland! Denn »das malerische und romantische« Württemberg, wie man vor hundert Jahren geschrieben hätte, ist köstlich, so köstlich wie Tirol, so köstlich wie Österreich. Wo man nur nach Württemberg hineinkommt, überall ist es entzückend. Man geht zum Beispiel von Memmingen aus und fängt an, zu Fuß zu wandern »durch die Wälder, durch die Auen«, wie es im »Freischütz« heißt: da ist Rot an der Rot, das vornehme Stift, und schon ist man im württembergischen Pfaffenwinkel, der so anziehend ist wie unser bayerischer. Da ist, mit einem Chorgestühl, fast so schön wie das Ottobeurer, Ochsenhausen; Steinhausen, wo Dominikus Zimmermann zum ersten Male den schwebenden Baugedanken der »Wies« skizziert hat; Schussenried, wo er das Kloster gebaut hat mit der hellen, eleganten Bibliothek; Weingarten mit seiner fürstlichen Schauseite und der herrlichen Orgel; da ist Ravensburg, das türmereiche; das alte, echt schwäbische Biberach, wo Wieland zu Haus ist. Von selber treibt's einen wieder südlich an den Bodensee, nach Friedrichshafen, wofern man nicht vorzieht, die schöne Straße von Weingarten nach Kißlegg abzugehen, zwischen lauter Apfelbäumen, und auf einmal kehrt man durch ein buntes Tor in Wangen ein, »das freundliche Städtchen«, und hat das Gefühl, Mörike habe ihm das Gedicht auf den Leib geschrieben.
Eduard Mörike begleitet uns in Württemberg auf Schritt und Tritt. Mörike ist ein Zustand des Gemüts, der uns umfängt an der Grenze und mit sanfter Unwiderstehlichkeit selbst an der industrialisierten Hauptstrecke von Geislingen bis Stuttgart nicht losläßt: daß auch Fabriken schön, behaglich in der Landschaft stehen können, haben wir erst in diesem gesegneten Gau erlebt. Ulm – man kann nie dran vorbeifahren, man muß aussteigen, und war's nur, um geschwind zwischen zwei Zügen einen Kaffee zu trinken angesichts des Münsters. Dann aber gleich weiter nach Blaubeuren, die lange, lange Straße vom Bahnhof hinein, bis man wieder vor dem holden Wunder des Marienaltarschreins steht, und wieder sieht man ihn zum ersten Male, und denkt an alle Lieblichkeiten von Heinrich Seuse, und wieder geht man links um die Ecke und ist erstaunt, daß nicht im heißen Schweigen der mittäglichen Zauberstunde die schöne Lau aus dem Blautopf taucht. Dann aber kommt, nicht ganz leicht erreichbar, aber beglückend wie ein mozartisches Lied, eingebettet zwischen unendlichen Wäldern, ein verschollener Traum aus abgelebten Zeiten, das betörende Urach, jenes Urach, wo Mörike den Grafen Schack auf eine Aussichtsbank führt, und der Graf Schack, der frisch von Teneriffa kommt, wird auf einmal ganz still, und dann sind sie zusammen hinunter gegangen zur Amanduskirche und zum Stift, wo der Brunnen rauscht zwischen den alten Linden, und die Kanarischen Inseln waren versunken in dem Lenzwunder von Urach.
Neulich in Salzburg, als wir im hohen Chor der Franziskanerkirche standen, klopfte leis eine Erinnerung an etwas ähnlich strebend lichtvoll Gotisches–wo war es doch? Neuötting? Sankt Martin in Landshut? Sankt Jakob in Straubing? Nein, es mußte etwas anderes sein, plötzlich stand es da: die Kreuzkirche in Schwäbisch-Gmünd, und wir gedachten der Hallenkirchen von Nördlingen und Dinkelsbühl, und auf einmal schob sich eine zweite württembergische Hallenkirche vors innere Auge, die von Schwäbisch-Hall. Dieses Hall ist so über alle Maßen schön, wie es sich stufenförmig am Steilhang aufbaut überm schäumenden Lauf des Kocher, daß man beinah Gefahr läuft, gegen Rothenburg ob der Tauber ungerecht zu werden – die Einzelheiten sind in Hall durchwegs bedeutender, es ist räumiger, freier, nur das Gesamtbild von Rothenburg schlägt alles. Beim Weiterfahren sehen wir wiederum königlich auf grünem Bergkegel die klösterliche Festung Komburg mit ihren getürmten Ringmauern, die ehemalige Benediktinerabtei, an der acht Jahrhunderte gebaut haben.
Welche der beiden Zisterzienserabteien ist edler, Bebenhausen oder Maulbronn? Wie wundervoll sich diese mächtigen Klosteranlagen in ihre grünen Täler schmiegen! Ich denke des Frühlingstags in Maulbronn, es war ein wenig frisch, die steinernen Räume eiskalt, dreimal haben wir sie durchwandelt, dazwischen jeweils geschwind eine Tasse Tee zum Wärmen: das Paradies, den Laienspeisesaal, das Herrenrefektorium, den Kapitelsaal, den Kreuzgang mit der Höllentreppe und dem zierlichen Brunnenhaus. Die Tage zuvor, in Stuttgart, waren es seltsam genug gleichfalls klösterliche, ja kirchliche Empfindungen, mit denen wir die herrlichen Räume des Hauptbahnhofs immer wieder abgingen: ein Gefühl wie in Santa Croce in Florenz –Raum! Raum! welch großartige Verhältnisse! Jahre sind seitdem vergangen, aber unvergeßlich ist mir der Eindruck: ein paar Tage zuvor hatte uns aus dem Cafe einer bayerischen Kleinstadt übelste Jazzmusik vertrieben, hier, in diesem modernen Stuttgart, am Sonntagnachmittag im Olgabau, kein Tisch war frei, saßen die Leute und lauschten mäuschenstill dem Cafe-Konzert, nur ganz gute Musik–in Stuttgart haben wir unseren Glauben an die Deutschen damals wiedergefunden. Was soll man von Stuttgart sagen? Was kann man von Stuttgart anderes sagen, als: Geht hin! Seht es euch selbst an, dies lebensvolle Ineinsklingen von Altem und Neuem, es hat alle Reize einer ganz modernen Großstadt, und zugleich Hunderte von malerischen Winkeln, vor allem aber: welche Lage! Welch entzückende Lage indem prächtigen Talkessel zwischen lauter Rebenhängen und Obstgärten! Und nun sollt' ich, möcht' ich noch von Tübingen reden, aber was hat es für einen Sinn, von diesem kostbaren Universitätsstädtle zu reden? Am gescheitesten ist, man geht in eine kleine Weinstube, – Württemberg ist das Dorado der kleinen Weinstuben – und stößt mit sich selbst oder einem Freund an. »Tübingen!« Ja, die Weinstuben! Da ist der »Vatikan« in Wangen, das »Lämmle« und die »Ofengabel« in Ulm, die »Obere Stub« in Stuttgart, – nein, ich höre lieber auf, nur soviel sei verraten: wer harmlose, leichte Landweine schätzt, kommt nirgends so auf seine Rechnung wie in Württemberg.
Das bringt mich auf die Frage: Wie reist man in Württemberg? Nach all meinen Erfahrungen kann ich nur versichern: vortrefflich! Unterkunft, Bedienung, Küche, Keller – man kann sich's nicht netter wünschen. Wir Oberbayern haben gewiß schöne Dörfer mit blitzblank sauberen Häusern, aber die württembergischen können sich damit messen. Eins haben sie sogar voraus: die sorgsam gepflegten Obstbäume. Besagte Obstbäume liefern, nebenbei, ein Getränk, das »Saft« heißt (mit langem a) und an heißen Tagen äußerst angenehm ist, daß einem oft die Wahl weh tut: Saft oder Wein? Der Kenner entscheidet sich in diesem Falle für beides. Lob des Pfälzer Weins (1930)
Die Mahnung: »Deutscher, trink deutschen Wein«, entbehrt, so nötig sie leider ist, nicht einer gewissen Komik. Es ist, als müßte man einem Eidgenossen erst zureden, Schweizer Käse zu essen, einem Südtiroler, Kalvilläpfel oder Meraner Trauben zu genießen, oder einem Kubaner, Henry Clays zu rauchen. Wie oft, wenn wir unten in Rom beim Frascati saßen, bekamen wir ein richtiges Heimweh nach dem bescheidensten Schoppen unserer Pfalz! Und wie oft andererseits, wenn wir zu Hause über Nacht das letzte Glas eines guten Pfälzers aus Vergeßlichkeit hatten halbvoll im Zimmer stehen lassen – vorausgesetzt natürlich, daß nicht geraucht wurde, was ein Verständiger einem deutschen Weine niemals antun wird–, wie oft war nicht am andern Morgen unsere Bude erfüllt von einem zarten und südlichen Duft wie von Rosen und Reseden! Weintrinken ist die schönste und tiefsinnigste aller Erfahrungswissenschaften, von welcher gilt, was Robert Schumann von der Musik sagt: »Es ist des Lernens kein Ende.« Wenn heute Pope auferstünde, würde er nicht mehr eingebildet schreiben: The proper of mankind is man (Des Menschen schönstes Studium ist der Mensch), sondern bescheidener und sachlicher: The proper study of mankind is wine (Des Menschen schönstes Studium ist der Wein). Unter den Weinen, besonders den Pfälzern, gibt es viel mehr und reicher abgestufte Charaktere als unter den Menschen. Wohl hat der nordische Mensch den Wein veredelt, aber um wieviel mehr noch der Wein den nordischen Menschen! Nehmt heute den Wein aus unserer Gesittung weg, und ihr habt eine Musik ohne Mozart. Jene schwärmerische Ausgeglichenheit der Seele, die sich noch im dionysischen Schwunge des apollinischen Adels bewußt bleibt, ist in unseren nordischen Breiten überhaupt nur zu erringen durch andächtige Würdigung der edelsten aller Himmelsgaben. Aber wie jeder Deutsche aus Sondershausen ist, so ist auch jeder deutsche Wein ein Individuum, etwas Einmaliges und Einziges, und vollends jeder Pfälzer ein ausgeprägter Charakterkopf. Wie herrlich sind allein schon die Namen! Was steckt an jahrhundertalter Volksdichtung in ihnen, an Mutterwitz, an geschichtlichen Erinnerungen ! Ruppertsberger Linsenbusch – klingt es nicht wie ein Lied aus dem Wunderhorn? Mußbacher Bischofsweg, Ungsteiner Nußriegel, Hardter Mandelring, Deidesheimer Herrgottsacker, Diedesfelder Johanniskirchel, Ruppertsberger Taubenrausch, Gimmeldinger Meerspinne, Zeller Schwarzer Herrgott, Hambacher Kaiserstuhl, Förster Ungeheuer, Weisenheimer Vogelfang, Wachenheimer Fuchsmantel, Forster Musenhang, Deidesheimer Klostergarten, Dürkheimer Nonnengarten, Forster Jesuitengarten, Dürkheimer Rittergarten, Ruppertsberger Reiterpfad, Wachenheimer Luginsland, Herxhelmer Himmelreich –es ist ein Klang darin, zugleich mittelalterlich und märchenjung, fromm und weltlich, wie aus Gottfried Kellers »Leuten von Seldwyla« (»Dietegen«!), oder als sänge David in den »Meistersingern«: »Der Weine Tön' und Weisen, gar viel an Nam' und Zahl, die roten und die weißen, wer die kannte allzumal!« »Das sind erst die Namen«, fahrt David fort, »nun lernt sie trinken!« Uns überkommt das schmerzliche Gefühl von Lenaus Don Juan angesichts der unermeßlichen Menge schöner Mädchen und Frauen: das sind nur die Namen – jetzt kommen erst die Jahrgänge, die Wachstümer – ein Menschenleben reicht nicht hin, alle kennenzulernen. Mit einem Gesühl von Wehmut schlürft man den letzten Schluck Wachenheimer Goldbächel oder Forster Kirchenstück: das Leben ist kurz, die Kunst ist lang, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig, zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag, lebwohl, lebwohl, nie werd ich dich wieder trinken, es ist ein Abschied für immer . ..
Weise Natur! Unergründliche, ausgleichende, weise Natur! Sie hat es so eingerichtet, daß auf jedes der drei großen Weingebiete – Rheinpfalz, Rheingau, Rheinhessen – annähernd die gleiche Bodenfläche trifft, als wollten sie uns mahnen, niemals eins gegen das andere auszuspielen, sondern alle mit gleicher Liebe zu umarmen. Und dennoch, der Pfälzer Wein hat vor den beiden Brüdern das nur ihm eigentümliche Temperament voraus, das vom holden Leichtsinn des Jünglings bis zum feurigen Ungestüm des Mannes reicht, das Blühende, Duftige, Verschwärmte bis zur edelsüßen schweren Reife. Andererseits: wie entgegenkommend ist der Pfälzer unserer bescheidenen Börse! Der bescheidenste Schoppenwein schon, wenn er nur naturrein ist, vinum de vite, »als wie ich von der Mutter kam«, wie es im Volkslied heißt, wie füllt er Seele und Magen mit der Sonne der vierzig wolkenlosen Tage, deren er nach alter Volksweisheit zum Garkochen bedarf!, wie unmerklich steigt die Kurve geistreichen Frohsinns, den er schenkt!, und wie hell, wie arbeitsvergnügt erwacht man am nächsten Morgen, rein der Magen, klar der Kopf, frisch und sauber, mit dem berühmten leisen Apfelgeschmack der Mund!
Es ist ein unerhörtes Kreszendo an Feuer und Wohlgeschmack, von der elsässischen Grenze an, wo gleich der rote Schweigener die Honneurs der Begrüßung macht, über Gleiszellen mit seinem lieblichen Muskateller, dem feurigen Birkweiler Kastanienbuscher, Gleisweiler, das ganz in Weinberge und Edelkastanien eingebettet liegt, Burrweiler, Diedesfeld, Edenkoben,Maikammer-Alsterweiler, Sankt Martin –, um nur die bekanntesten herauszugreifen. Aber jetzt geht's erst los: Hambach, Neustadt, Gimmeldingen, Königsbach; und nun die großen Lagen von Ruppertsberg, Deidesheim, Forst mit ihren Rieslinggewächsen, Wachenheim, Dürkheim, Herxheim, Weisenheim, Ungstein, Freinsheim, Kallstadt, Grünstadt, und die Rebhänge des Nordens, mit denen die Via triumphalis des Pfälzer Weins anmutig ins Hessische hinüberleitet: Introite, nam et hic vinum est!
Der Pfalzwein hat lange gebraucht, bis er in seinem Wert erkannt wurde. Er ließ es sich nicht anfechten, daß die großen Jahre, die auf der weißmarmornen Tafel des Dürkheimer Rathauses mit goldenen Lettern prangen, vorwiegend im Lande blieben: 1811, 1834, 1846, der Doppeltreffer 1858/59, 1862,1865 – erst 1893 brach den Bann, 1900 fand schon erwartungsvolle Kenner, 1911 war ein Ereignis ersten Ranges, 1921 hieb in dieselbe Kerbe. Der Ruhm des Pfälzer Weins ist in alle Welt gedrungen, die ursprünglich nicht allzu große Gemeinde der Stillen im Lande, die von jeher wußten, was sie am Pfälzer hatten, ist von Jahrgang zu Jahrgang zu einer begeisterten Gemeinschaft wählerischer Zecher angewachsen, die nicht höher schwören als auf einen edlen Tropfen Pfälzer.