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An der Tatsache der gänzlich verschiedenen äußeren und inneren Einstellung des Weibes zum Sexualproblem gegenüber dem Manne, deutlicher: an den Naturgesetzen werden wir und wird das mehr nach dem Männlichkeitsprinzip hinneigende Weib nichts ändern können, wenn wir Majorität als das Normale anerkennen wollen.
Das wellenartige Auf- und Abfluten der Stimmung der Frau während der Periode kennt jeder Mann, ebenso weiß er um die gesteigerte Reizbarkeit und Unausgeglichenheit der Frau, und daß sie Hemmungen leichter erliegt. Mehr als die Hälfte aller weiblichen Selbstmorde fallen in die Zeit der Menstruation (nach Weinberg). – Trotzdem behaupten die Erneuerer der Menschheit, diese Tatsachen seien zu überwinden, wenn sie nicht überhaupt leugnen, was nicht in ihr System paßt!
Und die Schwangerschaft? Nemilow (auch Mathilde von Kemnitz in »Erotische Wiedergeburt« und »Das Weib und seine Bestimmung«) weisen nach, daß die Schwangere nicht über ihre normalen Kräfte verfügt, weil schon die Drüsentätigkeit im Körper eine ganz andere ist. Und nach der Geburt? Das Weib ist an das Kind gebunden mit (zuerst) physischen Fäden, später mit tausend psychischen. Der Mann ist frei, für ihn gibt es nur die von ihm anerkannte gewollte Bindung. Aber das Opfer der Frau ist für sie kein erzwungenes, sondern ein erwünschtes. Erotische Schwingungen von geheimnisvollem Ausmaß erfüllen sie und drängen sie (die Normale) zu lieben, zu opfern, sich selbst aufzugeben. An diesen Tatsachen (und auch an Nemilow) hat Maria Krische in der Broschüre »Die geschlechtliche Belastung (!) der Frau und ihre geschlechtlichen Auswirkungen« temperamentvoll Kritik geübt, ohne die Tatsache des Hörigkeitsverhältnisses der Frau in rein sexueller Hinsicht auch nur im geringsten widerlegen zu können. Sie schließt mit den Worten:
»Ich habe oft beobachtet, daß man in Frauenkreisen skeptisch wird, sobald man von der sexuellen Belastung der Frau spricht, nicht mit Unrecht, denn derartige Betrachtungen haben zu oft dahin geführt, der Frau die Flügel noch mehr zu beschneiden und sie von gesellschaftlicher Arbeit fernzuhalten. Gar zu leicht kann in der Frau das Gefühl geweckt werden, daß sie nur zur Mutterschaft auf der Welt ist, und ein Mißtrauen wird in ihr geweckt gegenüber ihren Fähigkeiten auf anderen Gebieten. Dieses berechtigte Bedenken darf uns aber nicht von einem Durchforschen der Probleme fernhalten. Es darf uns nicht hindern zu sehen, was ist, weil wir sonst unsere Kräfte nicht in der richtigen Weise zur Entlastung der Frau einsetzen. Selbst Männer von der fortschrittlichen Denkungsart Nemilows sehen noch durch die Brille der Männerkultur.
Die Losung für uns ist, demgegenüber mit offenen Augen Stellung zu nehmen mit dem Bewußtsein, daß die Befreiung der Frau schließlich nur das Werk der Frau selbst sein kann.«
Dies ist grundfalsch. Denn die heutige Bewegung, der Frau sexuelle Freiheit zu verschaffen, sie von der »Belastung« der Vergangenheit in sexueller Beziehung zu erlösen, ist das Werk der Männer, längst nicht mehr der (heute schon rückschrittlichen) »Emanzipation«. Und es ist erstaunlich, daß die Frauen noch nicht begriffen haben, warum der Mann für die rücksichtslose Befreiung des Weibes von ethischen und gesellschaftlichen Bindungen eintritt. Darum nämlich, weil ihm der Vorteil zufällt, ihm allein. Nicht Menstruation und nicht Schwangerschaft können wir aufheben. Aber das jederzeit mit allen Vorbeugungsmitteln ausgerüstete Weib ist ja die willenloseste Sklavin des männlichen Sexus, dieses Weib ermöglicht ihm, dem Mann, ohne moralische Hemmungen und ohne gesellschaftliche Folgen seinem Triebe zu frönen, und die Folgen sind Ehescheu und Verantwortungslosigkeit auf beiden Seiten.
Das freie Weib wird schwanger und der Paragraph 218 verbietet ihm bei schweren Leibesstrafen, die Frucht abzutreiben.
In Österreich war es der Paragraph 144, der jetzt, im neuen Strafgesetz, 253 geworden ist. Damit etwas geändert ist. Schon der Versuch einer Mutter, sich von einer Frucht zu befreien, die ihr Schande bringt, und die zum Leben geworden, bloß Not und Schande erwartet – also schon der Versuch eines corriger la fortune ist strafbar. Es ist dem Richter anheimgestellt, in »besonders leichten Fällen« Milde walten zu lassen. Und was sind »besonders leichte Fälle«? Dies zu beurteilen, ist auch dem Ermessen des Richters überlassen. »Das öffnet der Willkür Tür und Tor,« schreibt H. L. in der »Wiener Stunde« (29. 7. 27.).
»Wir haben in diesem Punkte immer die Auffassung vertreten, daß über Tod und Leben eines Kindes in allererster Linie die Mutter zu entscheiden hat, und daß Strafe nur dann am Platze ist, wenn Leichtfertigkeit, Unmenschlichkeit und andere triftige Ursachen zu strenger Beurteilung des Falles vorliegen.«
Das neue Deutsche Strafgesetz ist nicht fortschrittlicher. Da ist unter dem Abschnitt »Tötung« die Ankündigung von Abtreibungsmitteln eingereiht. Der Entwurf war der Meinung, daß die Strafandrohung gegen die Abtreibung noch nicht »zu einer wirksamen Bekämpfung des Unwesens (!) der Abtreibung ausreicht«. Aber dann finden wir einige Verbesserungen, die uns mit vielen Härten des verbesserten Strafrechts versöhnen können. Wer sich gegenüber einer Frau, die aus Geistesschwäche oder aus einem anderen Grunde zum Widerstand nicht fähig ist, Intimitäten erlaubt, bekommt Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Der Richter setzt dieses Verbrechen der Schändung gleich. Und er hat Recht. Es ist noch nicht lange her, da ist in Berlin ein Fall passiert, der, wäre dieser Entwurf schon Gesetz gewesen, die beiden »Helden« ins Gefängnis gebracht hätte. Sie gehörten eigentlich ins Zuchthaus. Sind nicht besser als Lustmörder. Sie sind Sexualbestien. Zwei »Reisende« trafen die geisteskranke Frau eines kleinen Beamten auf der Straße. Nahmen die Hilflose mit in ein Hotel und mißbrauchten sie die ganze Nacht. Die Unglückliche kam durch dieses Verbrechen in »gesegnete Umstände«. Und da fand sich kein Helfer, der das arme Geschöpf von einer Frucht befreit hätte, die aus Unheil entstanden und nur zu Unheil geboren werden konnte. Vielleicht hat sich auf den öffentlichen Hilferuf des bedauernswerten Ehemanns noch Einsicht und Güte vereint, um die Frau von den Folgen dieses Verbrechens zu befreien – ich weiß es nicht. Aber die beiden Unholde gehen straffrei aus. Man kennt sie nicht – aber man hätte sie von »rechts wegen« suchen und jagen müssen, wie man eben Sexualbestien jagen muß, bis man sie findet. Es ist begrüßenswert, daß das neue Gesetz hier eingreift. Ebenso ist der Passus zu billigen, der von der Strafbarkeit eines Chefs handelt, der in nahe Beziehungen zu einer Angestellten tritt, falls dies unter Mißbrauch einer durch Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründeten Abhängigkeit geschieht.
Ein unabhängiges, soziales Blatt hat in diesem Paragraphen eine Quelle von Erpressungsaffären gesehen. Möglich, daß auch Erpresserinnen sich den Paragraphen zu Nutze machen werden. Dieser Nachteil steht aber in keinem Verhältnis zu dem Fortschritt, den der Gedankengang des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Schutzes der Angestellten gegen Ausnützung wirtschaftlicher Notlage in der Liebe darstellt.
Denn es gibt eine Sklaverei der Liebe unter wirtschaftlichem Druck auch da, wo kein Gesetzgeber der Welt eingreifen kann, weil der Zusammenhang zwischen Hingabe und Abhängigkeit geleugnet oder gar nicht erkannt wird. Diese, durch wirtschaftliche oder soziale Ungleichheit vollzogene »Schändung«, die sich als »Verhältnis« von Chef und Angestellte legitimiert, ist fast immer Zwangsliebe auf Seite der Angestellten. Nur die wirtschaftlich unabhängige Frau ist in der Lage, frei zu wählen. Das »Verhältnis« ist oft genug der Vorhof zur Hölle: Zur Prostitution.
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Ich möchte dieses Werk mit der ewigen Erkenntnis schließen, die ich in meinem Roman: »Mie« – dem Roman eines hemmungslosen Weibes – niedergelegt habe:
*
Mie, die Dirne suchte die Liebe.
Blumenbüsche standen in den Gärten. Die Wälder auf den Höhen rings um München waren dunkelgelb und schwarz und rostbraun, dazwischen aber lagen violette Schatten, und es war ein letztes Verglühen von goldenen Lichtern über den Häusern und Kirchen.
In der weichen Luft zitterten die Altweiberfäden. Der Wind trug sie in die engen Gassen des Viertels rund um den Dom, in die breiten Straßen der Innenstadt, in die Gäßchen der Vorstädte.
Durch Mie's offenes Fenster kam die Sehnsucht. Eine unnennbare Sehnsucht, eine Sehnsucht voll erdrückender, schwellender, knospender, feuergeäderter Schönheit.
Mie saß in ihrem Bett und staunte und fühlte ihr Herz bis zum Halse klopfen.
Sie hielt das Bildnis des verlorenen, fernen Geliebten in den Händen.
Das Weib in ihr regte die Schwingen.
Nicht das Weibchen.
Nicht die Sphynx, die sich in den Abgrund stürzt, nachdem Orest ihr Geheimnis entschleiert.
Nicht die Lustzeugerin.
Das Weib dehnte weit die Flügel der Seele und reckte den Leib, der schwanger ging in der Sehnsucht.
Das Weib stand auf und hob die Arme weit zum Sonnenlicht und betete zu dem blauen Firmament und der heiligen Schale des Gestirns, die überquoll in heißer Luft.
Das Weib betete zur Ewigkeit und schluchzte in geheimen Empfängnisqualen und kasteite sich in jauchzender Erniedrigung.
Das Weib erkannte seine Bestimmung und schritt über die Teppiche, die so viele Seufzer von Weibchen getrunken.
Das Weib schritt über die Teppiche und kleidete sich in schimmernde Gewänder zu einem unbekannten Fest und legte weder Schminke noch Puder auf das Antlitz.
Dieses Weib fuhr in den prangenden Garten des Paradieses zu Adam. Es fuhr mit schwellenden Brüsten und zuckenden Lippen, denn es sah den Baum der Erkenntnis vor sich.
Nicht den, der die Sünde barg.
Den, der die Erlösung in hundert reifen Früchten aufspringen ließ. Aber sie erkannte sie nicht.
Sie wußte nur, daß sie wie Eva die Liebe suchte.
Aber sie wußte nicht, was ihr darum werden würde und welcher Art ihre Liebe war.
Mie wanderte und wanderte in warmer Helligkeit. Die Berge sahen fragend und erstaunt auf sie nieder. Sie trugen tiefgrüne Gewänder und schwarze Samtbänder, denn sie feierten noch späte Liebesfeste mit dem sommerlich reiffarbigen Himmel.
Das Firmament war blau und violett, rot und grüngelb.
Im Westen hing eine phosphorgelbe Decke mit scharlachroten Fransen, die auf die weißen Bergzinnen niedertropften.
Denn es wollte Abend werden.
Mie ging immerzu geradeaus. Sie kam durch eine kleine Dorfgasse und sah verwundert auf die steinbeworfenen Häuser, die roh und ungelenk, aber massiv und bauernstark da standen und Sonnenbäder nahmen.
In einem Wirtshaus sangen die Bauern. Als sie der Frau ansichtig wurden, die in einem malvenfarbenen Kleide dahinschritt, dessen Rotviolett mit dem Abendhimmel zusammenzufließen schien, verstummten sie und staunten.
Nun begegnete ihr niemand mehr. Sie gewann wieder die Landstraße und ging längs der Wälder dahin. Ungewohnt solcher Märsche fühlte sie sich müde.
Aber es war eine süße, beseligende Mattigkeit, die ihre Glieder durchströmte. Vielleicht war die Bergluft daran schuld, oder es war die Erwartung des Wiedersehens, die ihr Herz schneller pochen ließ und ihre Adern mit herber Lust erfüllte.
Die Einsamkeit um sie her, die Stille und die gewaltige keusche Schönheit der Landschaft zwangen sie zum Nachdenken.
Nie hatten ihre Gedanken eine bestimmte Richtung genommen wie heute. Mie dachte über ihr Leben nach. Sie begriff nicht, wie sie so lange ohne Sinn und Zweck hatte vegetieren können. Niemand hatte ihr in der Jugend das Leben erklärt. Niemand hatte sie darauf hingewiesen, daß das Leben erst einen Grundton erhalten muß, soll es sich harmonisch in das Sein eines Menschen geben. Sobald sie zu denken angefangen, hatte sie sich instinktiv mit der Liebe beschäftigt. Sie bildet neben dem Hunger den eigentlich regierenden Trieb im Leben der Vorstadt. Die stete Vereinigung von Hunger und Liebe hatte Mie diese Begriffe bald verschmelzen lassen.
Sie lernte in der Liebe nichts weiter als einen Hunger und in dem Hunger einen Teil der Liebe begreifen. Denn da die Liebe, die Mie sah, und mit der sie sehr früh vertraut wurde – schliefen doch Vater und Mutter und zwei Brüder mit Mie in einem Zimmer – nichts weiter war als ein roher Trieb, eine leidenschaftliche Geste, ein Naturbegehren, so erschien sie Mie schließlich ebenso nichtswürdig wie das Hungergefühl, aber, wohl oder übel, ebenso notwendig. Sie lernte früh zwischen Mann und Weib unterscheiden und die Überlegenheit des einen Geschlechts in ihrer Art erfassen.
Aber da war seit kurzem etwas in ihr aufgewacht und immer stärker geworden. Eine neue, hohe Sehnsucht. Seit der Flucht ihres Geliebten. Diese Sehnsucht war über alle Dämme der Vernunft geflutet.
Es muß also noch eine andere Liebe geben, dachte Mie schließlich, eine Liebe, an der nicht nur der Mann, sondern auch die Frau teilnimmt, ja, mit ganzer Seele teilnimmt, eine Liebe, die ihr Wesen völlig ausfüllt und Seligkeiten einer himmlischen Hoffnung in sie gießt.
Ganz gewiß, es gab solch eine Liebe.
Mie fühlte es immer mehr, aber sie fand den Weg nicht.
Sie trug immer ein Buch mit sich, und nachts lag es unter ihrem Kopfkissen. Es war von dem Franzosen Michelet geschrieben. Folgende Sätze hatte Mie mit einem Stift angestrichen, und sie las immer und immer wieder:
»Die Bestimmung der Frau auf Erden, ihr augenscheinlicher Beruf ist die Liebe.
Ich behaupte, daß sie als Frau nicht selig werden kann, außer wenn sie den Mann glücklich macht ...
Sie muß lieben ... das ist ihre heilige Pflicht ...«
Ja, es gab eine Liebe, die verschieden von »Hunger« und »Geschlecht« war.
Es war nun fast ganz dunkel.
Aber weit hinten am Himmel klaffte eine purpurrote Untiefe ... Und auf der Höhe des Hanges, wo ein Haus lag, stand eine Frau.
Sie trug ein Kind auf dem Arm. Da die Luft schon kühl war, hatte sie einen gestrickten weißen Schal um die Schultern gelegt und zu gleicher Zeit das Kind damit umhüllt.
So floß das weiße, heilige Leuchten der Unschuld über ihren Leib und das Kind und ließ beide Eins werden.
Im Hintergrund aber flammte der Himmel.
So stand die Bauernfrau wie die Mutter des Erlösers, wie eine Vision Bellinis.
Und es war, als müßten in jedem Augenblick aus dem brennenden Vorhang des Himmels die Engel treten, der Mutter zu huldigen.
Da fielen alle Schlacken von Mie's Seele. Da tat ihr Schoß sich auf wie die Erde unter dem schweren Pflug. Da wurden ihre Augen weit, und ihre Hände griffen in Qual und Weh an die unreine Brust.
Da fiel sie auf ein Knie, das schimmernde Kleid schleifte in der Scholle.
Denn in diesem Augenblick kam ihr die Erlösung, die ihre Verdammnis war.
Sie begriff, wonach ihre Sehnsucht gerufen hatte alle die verschwendete Zeit her.
Wonach ihr Herz dürstete.
Warum sie solche Qual litt, und was das Leben eines Weibes war und bedeutete.
Der heilige Schein der Glorie der Mutter drang in ihre Seele und setzte sie in Flammen.
Mie sank völlig zu Boden und bohrte die feinen Hände in die harte Scholle und seufzte:
»Mutter!«
Sie dachte nicht an den Schoß, der sie geboren. Sie dachte an den eigenen der unfruchtbar war und bleiben würde, weil die Liebe ihr den Segen verweigerte.
Ein Schrei ging in ihr auf, fiel in die Tiefe ihres Leibes wie in einen Schacht und erlosch.
Das war der Schrei des ungezeugten Kindes, das in ihrem Schoß war, das nie geboren werden würde, die Seele der Eizelle, um die ihre Sehnsucht nun verzweifelte. –
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