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Selbst die freieste Frau, die Künstlerin, verfällt dem ungerechten Sexualkodex des Mannes. »Die moderne Bühne«, sagt Lothar Eisen in einem Aufsatz über die Entartung der Moral weiblicher Bühnenangestellter (Geschlecht und Gesellschaft): »Die moderne Bühne ist die beste Gelegenheit zur Schaustellung sekundärsexueller Qualitäten, die eine hübsche Frau zieren und wird von den meisten begabten und allen unbegabten Priesterinnen Thalias als offener Liebesmarkt gewertet. Die Mehrzahl der Theaterelevinnen haben die brotlose Kunst des gesprochenen Wortes gewählt, weil sie sich als emanzipierte Weiber fühlten, die das männliche Recht auf sexuelle Freiheit für sich adoptiert haben. Gewiß stehen den Frauen ebensogut wie den Männern die gleichen sexuellen Rechte zu, wenn sie von ihnen nicht – mißverstanden werden.
Das aber ist bei den jungen hübschen Mädchen, die sich für einen Künstlerberuf entdeckt haben und sich nach ihrer Phantasie so recht und voll »ausleben« möchten, leider fast immer der Fall. Das Ende ist ein Skandal, wie er sich in Rußland (in der Zarenzeit) zugetragen hatte, wo die Hofschauspielerin Pantschina von zwei Artillerieoffizieren auf dem Bahnhof öffentlich mit unsittlichen Anträgen verfolgt wurde. – Wir kennen den eigenartigen Vertrag, den der tüchtige Nürnberger Direktor St. einmal einer Provinzschauspielerin unterbreitet hat. – Er erinnerte dem Sinne nach an das Reglement eines Bordells, nur daß der Paragraph, der zur Prostitution auffordert, recht diplomatisch hinter einem Dutzend engherziger Vorschriften verborgen blieb ...«
Der Autor steht auf dem Standpunkt, daß nicht die Direktoren, sondern die Schauspielerinnen für die Prostitution verantwortlich sind, die auf vielen Bühnen – (und in vielen Filmateliers!) – herrscht. Er glaubt, daß Talent sich ohne Zugeständnis durchsetzt. – Manchmal – vielleicht! – Meistens – nicht. Denn was ist Talent? Eine Angelegenheit, die zunächst oft genug subjektiver Auffassung unterliegt. Gerade die Künstlerin, die den göttlichen Funken in sich fühlt und sieht, daß Unverstand und Übelwollen sie umgibt, muß sich meist erst die Atmosphäre schaffen, in der ihr Talent anerkannt wird. Und diese Atmosphäre ist erotisch geladen. Man hat die Greta Garbo, die in dem obigen Zusammenhang nicht genannt sein soll, am Anfang ihrer amerikanischen Laufbahn eine plumpe Kuh genannt. Nicht jede Garbo versteht es, ohne Konzessionen die Dummheit der Prominenten zu überwinden. Die meisten gehen den Weg nach Canossa, um zur Bühne zu gelangen. Und nach Canossa ging König Heinrich bekanntlich im Hemd – – –
Die Beziehungen des Theaters zur Prostitution im Altertum beginnen bereits mit jener Zeit, als Tertullian die Bühne ein »privatum constistorium impudicitiae« nennen durfte, dessen größte Anziehungskraft der Atelanenspieler, der Mimiker in Weiberkleidung und die Pantomime an sich waren.
Die Zeit des Euripides war schon vorüber. Das Theater war eine Vergnügungsanstalt geworden, halb Bühne, halb Zirkus, halb Varieté. Man ging nicht mehr dorthin, um sich zu läutern und zu erbauen, sondern um sich zu ergötzen und an wertlosen und auf den Sinnenkitzel berechneten Komödien zu erfreuen. Wirklich sittliche Komödiendichter kamen nicht mehr in Mode. Mit diesem künstlerischen Tiefstande des Theaters ging eine gesellschaftliche Verachtung der darstellenden Künstler Hand in Hand. Deshalb war aber die »gute Gesellschaft« keineswegs moralischer.
»Wenn irgendein Komödiant,« besagt die apostolische Konstitution, »sei es nun ein Weib oder ein Mann, ein Zirkuskutscher, ein Gladiator, ein Läufer, ein Theaterdirektor, ein Athlet, ein Chronist, eine Harfenspielerin, ein Lyraschläger, ein Seiltänzer oder sonst jemand, in den Schoß der Kirche aufgenommen werden will, so muß er auf sein Gewerbe verzichten, oder er bleibt von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen.«
Der Zirkus war bereits unter den Kaisern ein Tummelplatz der Prostitution, die er vermittelte und förderte. Vor allem waren die »Frühlingsfeste« geeignet, durch ihre Ausartungen das Laster zu unterstützen, so wie einstmals die orgiastischen Bacchuszüge in dem republikanischen Rom. Das Gesetz erlaubte den öffentlichen Prostituierten, im Gegensatze zu den allgemein geltenden Vorschriften, am Tage auszugehen, wenn der Zirkus eröffnet wurde. Die Art, wie das Laster ausgeübt wurde, hatte nichts mehr von der ästhetisierenden freien Sinnenbetätigung der Hellenischen Kultur an sich. Unter den Sitzreihen, auf denen sich die Menge der Zuschauer drängte, richteten die Bordellhalter Zellen und Zelte ein, und während in der Arena die Tiere sich zerfleischten, befriedigten die Meretrices die Lüste der Zuschauer. »Der Minerva baut man einen Altar in den Gymnasien, der Venus in den Theatern,« sagt Salvianus. Und weiter: »Jede Art von Schamlosigkeit wird in den Theatern betrieben, jede Art von Lastern in den Ringschulen.«
Als Kuppler dienten den Dirnen die Theaterdiener, die ständig hin und her liefen und neben Früchten und Wasser den Gästen die lebende Ware anboten. Mit vollem Rechte nennt deshalb Tertullian den Zirkus die consistoria libidinum publicarum, die Pflegestätte öffentlichen Lasters.
Die klassische Bühne war »modern«, »naturalistisch«, geworden. Man suchte das »Leben« zu schildern. Das heißt, man brachte die alltägliche Gemeinheit auf die Bretter. Das Milieu war das tägliche Leben. Die Handlung drehte sich fast stets um den Ehebruch, war mit starken Spässen gewürzt und durch zweifelhafte Komplikationen interessant gemacht.
Der Hausfreund war eine stehende Figur. Natürlich auch der betrogene Ehemann. Es war eine Richtung, die, mit der Geste der Wahrheit prahlend, die Korruption der Gesellschaft mit zynischer Übertreibung einem Publikum darbot, das eben darum das größte Gefallen an diesen Leistungen fand, weil es den Stoff dazu lieferte oder sich Anleitung zur Nachahmung aus ihnen zog. (Wie heute bei uns!) Allmählich wurde die Kurtisane eine ständige Besucherin des Theaters. Ihr folgte die gewerbsmäßige Kupplerin, und so gemischt war schon das Publikum, das im übrigen sich aus den besten Kreisen zusammensetzte, daß diese Zustände nicht einmal mehr auffielen. Schließlich genügte auch die Ehebruchskomödie den leckeren Sinnen der römischen Gesellschaft nicht mehr. Es folgte die Pantomime, szenische Aufführungen, in denen bald mimisch dargestellt wurde, bald Gesänge eingeschaltet wurden, hauptsächlich aber Tänze eingeschoben waren, die mit der Kunst früherer Zeiten nichts mehr gemein hatten. Zur Charakterisierung dieser Pantomimen sei das Plakat eines syrakusischen Theaterdirektors wiedergegeben:
»Mitbürger!
Ariadne wird in der heutigen Pantomime in ihr Brautgemach eintreten, Bacchus, der mit den Göttern gezecht hat, wird sie dort überraschen, und es werden auch die Intimitäten der Hochzeitsnacht vorgeführt werden.«
Um den Zusammenhang des mittelalterlichen Theaters mit der Prostitution zu begreifen, vergegenwärtige man sich zunächst den Schauplatz selbst, das Theater: ein enger Saal, notdürftig beleuchtet, in dem das Publikum kunterbunt, Männer und Frauen, eng aneinandergepreßt, untergebracht war. Dazu die stellenweise sehr volkstümliche Sprache der im Stücke auftretenden Nebenpersonen, ihre freien Bilder und anzüglichen Worte. Das konnte nicht ohne erregenden Einfluß auf Leute bleiben, denen dies alles vollständig neu war, die jedes anzügliche Wort mit doppelter Aufmerksamkeit aufnahmen.
Eine zarte Behandlung der Sexualität kannten die Verfasser solcher Mysterienspiele nicht. Sie schrieben nie über die Liebe, sondern stets über die Sinnlichkeit. Dazu kam die übertriebene Mimik der Darsteller, die sich an unzüchtigen Gebärden zu übertreffen suchten, um das Publikum zum Beifall hinzureißen. (Der Geschmack des heutigen Publikums war, wie man sieht, schon im Altertum nicht anders beschaffen.) Die Teufelsdarsteller erlaubten sich jede Schamlosigkeit, weil sie eben Teufel waren, die Engel tanzten die verwegensten Szenen, weil sie eben als Engel unfehlbar waren. Die weiblichen Rollen wurden von hübschen jungen Burschen dargestellt, die für Entartete wieder besonders interessant waren. Überhaupt ergibt sich aus dem Widersinne einer unzüchtigen Gebärde rein weiblicher Natur, dargestellt durch einen Mann, schon das Laster oder wenigstens der Anreiz dazu. So kam es, daß die finsteren und verschwiegenen Ecken des Theaters der Ausübung der Prostitution selbst noch unter Ludwig XIV. dienten.
Der Übergang zur Posse war leicht gefunden. Eine Truppe, die den Namen »les Enfants sans-souci« führte, brachte sog. »sotties« zur Aufführung, und zwar im Freien, meistens auf den Marktplätzen. Zwei oder drei verkleidete Gaukler spielten eine Liebes- oder Ehegeschichte, ausgedrückt durch Worte, Gesten und Pantomimen, und sie fanden so viel Beifall, daß in kurzer Zeit die Mysterienspiele mit der Posse verschmolzen wurden, so daß eine Kunstgattung entstand, die an tragikomischer Verrücktheit nichts zu wünschen übrig ließ. In diesem Zustande blieb das Pariser Theater bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. »Diese Vorführungen«, schreibt Pierre Dufour, »wirkten langsam auf die öffentliche Moral, sie veränderten unmerkbar die Reinheit der Seelen, indem sie anhaltend den Schlamm des gesellschaftlichen Lebens aufwühlten.«
Gegen 1512 waren die »Enfants sans-souci« mit Vertreibung bedroht, und sie mußten ihre Vorstellungen aufgeben, bis ihr Genosse Clemont Marot die Gunst des Königs für sie gewann. Man kennt nicht den Grund jener Ungnade, doch es ist wahrscheinlich, daß die kühnen Gesellen sich sehr satirische Anspielungen auf die Königin Anna von Bretagne erlaubt hatten. Zweifellos tat bei dieser Gelegenheit Ludwig XII. die Äußerung, er fordere, daß die Ehre der Frauen beachtet werde, und er werde es jeden bereuen lassen, der dem entgegen zu handeln wage. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Klagen, die man damals vorbrachte, um das Theater der »Enfants sans-souci« schließen zu lassen, einen Brauch zeitigten, der bereits im 16. Jahrhundert existierte und sich bis auf unsere Tage fortgepflanzt hat: »Die Vorlegung der Manuskripte der aufzuführenden Stücke an die Polizei zur Genehmigung.« Immerhin wußten die Darsteller der Zensur ein Schnippchen zu schlagen, und die Reden von Tabarin, die Lieder von Gauthier-Garguille, der Prolog von Bruscambille sind sicherlich nie den Polizeiorganen unterbreitet worden.
Wie die Stücke, so waren die Schauspielerinnen, so war die Achtung, die man vor ihnen empfand. Unter Heinrich III. traten zum erstenmal weibliche Schauspielerinnen auf. Das künstlerische und moralische Niveau, auf dem sie standen, wird durch ihre Lebensweise charakterisiert. Sie waren meist die gemeinsamen Frauen aller ihrer Kollegen. Mit diesem Beispiel ging eine italienische Truppe voran, die durch Heinrich III. von Venedig nach Paris berufen wurde. Unter Heinrich IV. langte auch eine spanische dort an. Diese beiden Theater machten sich gegenseitig Konkurrenz im Spiel und im Skandal. Die italienische Truppe machte sich bemerkenswert, indem ihr von Zeit zu Zeit durch die Polizei wegen sittlicher Ungehörigkeiten die Vorstellungen sistiert wurden, ein Verbot, das der König ebenso regelmäßig wieder aufhob. Die spanische Truppe erregte Aufsehen durch einen Prozeß, in dessen Verlauf zwei Mitglieder gerädert wurden, weil sie eine junge Schauspielerin, die ihre gemeinsame Konkubine war, erdolcht hatten. Das war das Debüt der weiblichen Schauspielkunst.
Madame Pompadour führte das Theater am Hofe Ludwig XV. offiziell ein, und von diesem Zeitpunkte an beginnt die Geschichte des »Königlichen Hoftheaters«. Es ging damals mit Riesenschritten der größten sozialen Umwälzung entgegen, die die Weltgeschichte kennt, der großen französischen Revolution. Alle öffentlichen Stücke tragen bereits den Stempel sozialer Satire, ja, viele von ihnen, wie »le Triumphe de la raison publique« von Pigale, haben rein revolutionären Charakter. Die Freiheit in der sogenannten Kunst ging noch etwas weiter in der Darstellung dessen, was die Dichter boten. Wie La Metrie erzählt, existierte im Palais Royal ein öffentliches Theater, wo ein sogenannter Wilder und eine Wilde, völlig nackt, vor zahlreichem Publikum allabendlich ihre Hochzeit hielten. Es stellte sich später heraus, daß der »Wilde« aus St. Antoine stammte und die Schauspielerin zu den öffentlichen Prostituierten zählte.
Casanova erzählte eine Anekdote, die ein Streiflicht auf jene Zustände wirft, die – ich wage nicht, es zu verneinen – heute kaum anders sind. Casanova wurde von einem Freunde bei der berühmtesten Sängerin der Oper, Mitglied der Kgl. Akademie für Musik, Mademoiselle Le Tel, eingeführt. Die Dame hatte drei reizende Kinder, und zwischen Casanova und Mademoiselle Le Tel entspann sich folgender Dialog:
Mademoiselle Le Tel: »Ich bete meine Kinder an.«
Casanova: »Sie verdienen es durch ihre Schönheit, obgleich ein jedes einen anderen Geschmack hat.«
Mademoiselle LeTel: »Das glaube ich gern! Der älteste Sohn ist der Sohn des Herzogs von Anneci, der zweite der des Grafen von Egmont, der jüngste verdankt sein Dasein Maisonrouge, der eben die Romainville geheiratet hat.«
Casanova: »Ach, entschuldigen Sie, ich dachte, Sie wären die Mutter der Kinder.«
Mademoiselle Le Tel: »Darin haben Sie sich auch nicht getäuscht. Ich bin es wirklich.«
Diese Dame zählte zu den berühmtesten Vertreterinnen der Bühne. Die gesuchtesten Pariser Dirnen waren Damen vom Theater. Die Opernsängerin La Guerre war jene Dame, für die der Herzog von Bouillon in drei Monaten 800 000 Livres verschwendet hatte. Die Schauspielerin La Prairie war die Geliebte des Prinzen von Soubise, dem sie sich stets nackt zeigen mußte. Mademoiselle Du Thé war Choristin der Oper, Geliebte eines Herzogs und endete als Besitzerin eines Bordells. Die Schauspielerin Dubois von der Comédie Française hat sogar einen Katalog ihrer Liebhaber angefertigt.
Eine der interessantesten Figuren jener Zeit war Louise Contat, die durch Beaumarchais in die Höhe gehoben wurde. »Allerdings,« sagt Hermann Wendel, »allerdings halfen ihr nicht Schönheit und Begabung allein, sondern auch die eindeutigen Beziehungen, deren keine Schauspielerin entraten konnte. Zum Amüsement der feudalen Oberschicht gehörten neben dem Tempel Thaliens seine Priesterinnen. Aus den weiblichen Mitgliedern der verschiedenen Bühnen ergänzte der hohe Adel Frankreichs seine Harems. Gegen so ehrwürdig überlieferten Brauch sich nicht sperrend, begann die Contat die Reihe ihrer Liebhaber mit einem märchenhaft reichen und zugleich persönlich angenehmen Träger eines stolzen Namens, dem Sohn des Kanzlers von Frankreich. Der zweite war schon der leibliche Bruder des Königs, der junge stürmische Graf von Artois. Nachher kam Louis Comte de Narbonne, der, von Eingeweihten als Sohn Ludwigs XV. bezeichnet, 1791 das Kriegsministerium übernehmen sollte. Er wiederum hatte zum Nachfolger einen noch flaumbärtigen Offizier, Marquis de Girardin, und dazwischen gab es lose Liaisons und lockere Alkovenabenteuer genug.
Aber nicht nur mit den Granden Frankreichs war die Contat auf du und du. Da sie eines Tages im modischen englischen Kabriolett einen alten Stutzer auf der Straße fast umfuhr, entpuppte er sich als Bruder des Fridericus Rex, Prinz Heinrich.
In der Revolution ging die Contat, die in Bourbonenbetten geschlafen hatte, als Maitresse an einen Konventsabgeordneten über, der im Doppelsinn des Wortes der Schlächter Legendre hieß. Aber noch ehe er 1797 starb, kam die Contat auf ihren ursprünglichen Geschmack zurück und legte sich einen dekorativen und dummen Herrn von Adel zu, einen gewissen Paul Desforges de Parny, ehemaligen Pagen des Grafen de Artois und Rittmeister a. D. Gleichwohl ging es abwärts mit ihr. Nie gewohnt zu rechnen, verstrickte sie sich in Schulden. Sie erlosch am 9. März 1813.
Nicht lange vorher hatte Napoleon im Kreml der Zaren das berühmte Dekret über die Reorganisation der Comédie-Française diktiert. Mittendrin unterbrach er sich und sah seinen Flügeladjutanten Graf de Narbonne spitzbübisch an: ›Comédie-Française ... da fällt mir die dicke Contat ein ... Mit der haben Sie doch auch einmal etwas gehabt?‹ Der General lächelte pflichtschuldig. Im Hintergrund schwelten die Trümmer von Moskau.«