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Es war in vielem eine andere Zeit als heute, das Ende des 18. und die Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber die Frauen waren auch nur Frauen, man nannte Liebe Liebe, und das Wort Erotik bedeutete nur etwas anderes. Im übrigen ändern sich immer nur die Formen, aber die Form bleibt, und jeder Revolution, jedem Zeitalter ist eine Restauration gefolgt, ob es sich nun um politische Erscheinungen oder sittliche Grundsätze handelte. Das ist der Lauf der Welt, vielleicht ein biologisches Gesetz.
Die Romantik kannte eine Charlotte Stieglitz, eine Dichtersgattin, die in den Tod ging, um durch diese gewaltige Erschütterung der Seele des geliebten Gatten den ewigen Hauch der künstlerischen Inspiration einzuflößen. Sie ist umsonst gestorben, diese Romantikerin. Es war die Zeit, als die liebenden Frauen Stickereien, für den Geliebten bestimmt, mit ihrem Blute färbten. Kleist nahm Henriette Wozel mit in den Freitod – diese fremde Frau, ihm nur verbunden durch das Wesen der Romantik.
Solch eine romantische Natur war Karoline von Linsingen, von der hier die Rede sein soll, als Beispiel einer Hörigkeit, die ebenso ideal wie überspannt, ebenso göttlich wie menschlich war, erhaben, und doch bis an die Grenze des Lächerlichen ging.
Sehr wenige Menschen wußten damals – Ende des 18. Jahrhunderts – um die außergewöhnliche Liebesgeschichte der hannoveraner Generalstochter. Heute ist diese Legende der Liebe in Vergessenheit geraten. Und doch hatte Karoline von Linsingen Aussicht, einmal die englische Königskrone zu tragen. Ihr selten dramatisches Leben ist charakteristisch wie keine andere Begebenheit für ihre Welt und das damalige Deutschland. Eine der erschütterndsten Episoden im Zeitalter der Romantik.
General von Linsingen, der um 1790 als Chef des 12. Hann. Infanterie-Regiments in Hannover lebte, wurde von der englischen Königin Sophie Charlotte, die er als Mecklenburg-Strelitzsche Prinzessin Georg III. von England zugeführt hatte, ganz besonders ausgezeichnet.
Die englische Königin sandte ihm ihren drittgeborenen Sohn William, den Herzog von Clarenze, zu längerem Aufenthalt nach Hannover. Unter dem Jubel der Bevölkerung reitet der strahlende Jüngling im April 1790 in Hannover ein.
Am Eingang des Hauses Linsingen erwartet ihn Karoline, die zweite Tochter des Generals, eine Zweiundzwanzigjährige – schön, stolz, nicht groß von Wuchs, doch selten anmutig und mädchenhaft. Die beiden Menschen sehen sich in die Augen und fühlen, daß sie für einander geschaffen sind.
Was nun folgt, ist ein Drama, das kein Dichter ersinnen könnte. Das Leben schrieb diesen Roman, der als Idylle beginnt und lautlos menschlich verklingt. Aber die Ereignisse zwischen Anfang und Ende sind so ungewöhnlich und tragisch, daß dieses Liebespaar zu den seltsamsten Erscheinungen der Geschichte gerechnet werden muß. Freiherr von Reichenbach, der Karolines Memoiren herausgab, charakterisierte die Heldin mit folgender Einführung:
»Wenn Karoline auch nicht mit einem königlichen Prinzen durch zarte Bande vereinigt gewesen wäre, sie hätte immer noch Anspruch auf ein hochgradiges Interesse, sie erschiene immer noch als eine höchst eigentümliche Persönlichkeit: ihre Gedichte, Klopstockisch-überschwänglich, ihre Briefe, geistvoll, aber sentimental, an die Wertherperiode gemahnend, ihre seltsamen Krankheiten, somnambulen Zustände und Scheintod, der tragische Gegensatz ihrer empfindsamen Natur zu einer rauhen Wirklichkeit, der Kampf einer gestimmten Seele gegen die widerstrebende Welt, freiwillige Entsagung und trauriger Untergang – das alles gibt überreichliches Material zu einer hochbedeutenden Kulturstudie.« Nun kommt noch hinzu, daß es ein Königssohn war, auf dessen Haupte später die Krone von England schimmerte, der sie liebte und sich heimlich mit ihr vermählte – sie dann verließ und in den Armen einer Schauspielerin sich zu entschädigen suchte für das verlorene Glück, während sie in edelster Selbstverleugnung auf ihre Rechte verzichtete in der Meinung, dem Prinzen im Wege zu sein. Sie verfiel in Starrkrampf und wäre beinahe lebendig begraben worden. Es ist ein tief erschütterndes Lebensbild, wie es sich so leicht nicht wieder der Betrachtung darbietet, reich an hell schimmernden Lichtern, aber auch an tiefen Schatten.
Sie schwand dahin, aber nicht ohne eine, wohl unvergängliche Erinnerung zurückzulassen: die Geschichte ihrer Liebe und ihrer Leiden, eine Geschichte, wie sie erschütternder niemals erlebt und wie sie rührender niemals erzählt worden ist.
Caroline, eine noch immer schöne, aber in ihrem Leid unheimliche, vom Tode gezeichnete Frau, schrieb in glühenden Briefen die Geschichte ihres Lebens, ihrer Liebe. Zwei Kinder, Zeugen einer dunklen, unbegreiflichen Ehe, des trostlosen Abschlusses eines wildbewegten Schicksals, teilten ihr Leben. Sie schrieb den letzten Brief an ihren fernen Bruder Ernst:
»Da das Schicksal mich immer auf der empfindlichsten Stelle trifft, so fürchte ich wohl nicht mit Unrecht, daß das Glück, mit den teuren geliebten Geschöpfen zu leben, mir wohl nicht zu teil werden wird, und ich muß schweigend dulden, will auch hier gern opfern – bleibt mir doch die Ruhe im Grabe.
Da ich alles abschlage, so darf ich mir ja wohl erlauben, Dir noch einen – den letzten Auftrag an William (den Prinzen) zu geben. – Sag ihm: daß ich – so wie ich es ihm unter glühenden Küssen – heilig versprochen habe – nie im Leben und im Sterben vergesse, was er am 8. November an meinem Bett zu mir gesagt hat. Ich habe mein Gelübde nicht gebrochen, das ich tat – auch er nicht – das weiß ich. – Du fragst, was er mir gesagt hat. – O, Ernst, wer vermag die Laute auszusprechen, mit welcher sich getrennte Liebe beim Wiedersehen grüßt! – Auch das sag ihm, daß so lange menschliche Empfindung und Kraft der Erinnerung in meiner Seele ist, die glücklichste Zeit, wo ich nichts hatte, nichts wünschte als seine Liebe, mir als ein heiliger Morgen besserer Welten vorschweben wird. Ich werde im Leben und im Tode die Freuden meiner Liebe in ihrer lieblichen Gestalt als Unterpfand und weissagende Ahnung ihrer Erneuerung festhalten. –
Aber genug, und vielleicht schon zuviel! – Guter Gott! verzeih diese heiße Liebe – die Du in dieses Herz legtest – dem, o gewiß, gewiß, treuen Weibe eines Andern. – Ach, welche scharfen Dornen zerreißen dies Herz! Sieht William die Züge dieser Hand wieder, auf ein an ihn gerichtetes Blatt, dann hat dieses Herz aufgehört zu schlagen – und zu leiden – dann bin ich dort oben – rein und entsündigt!«
Des frohen Zutrauns! ach, der Beruhigung,
Daß meine Seele, Gott! mit Dir reden darf!
Daß sich mein Mund vor Dir darf öffnen,
Töne des Menschen herabzustammeln!
Ich wag's und rede! Aber Du weißt es ja,
Schon lange weißt Du, was mein Gebein verzehrt,
Was in mein Herz tief hingegossen,
Meinen Gedanken ein ewiges Bild ist!
Ein stiller Schauer Deiner Allgegenwart
Erschüttert, Gott! mich. Sanfter erbebt mein Herz
In meiner Brust. Ich fühl', ich fühl' es,
Daß Du auch hier, wo ich weine, Gott! bist.