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Leben einer Verbrecherin

Ein Fall fast unglaublicher Hörigkeit – unglaublich auch in psychologischer Hinsicht – ist der jener

Gabrielle Fenayrou

Im September 1881 wurde Louis Aubert, 30 Jahre alt, Besitzer einer Apotheke am Boulvard Malherbes 36. Landläufig intelligent und fleißig, brachte er die Apotheke zu Ansehen. Am 18. Mai 1882, am Himmelfahrtstage, verschwand Aubert, nachdem er geäußert hatte: »Ich gehe zu einem Rendez-vous.«

Seine Schwester benachrichtigte die Polizei. Da die Geschäftslage glänzend war, konnte das Verschwinden des Aubert nicht mit finanziellen Schwierigkeiten zusammenhängen. Seine Schwester sagte aus:

»Aubert war der Liebhaber der Gattin seines früheren Brotgebers, des Ex-Apothekers Fenayrou. Ich vermute, daß Fenayrou meinen Bruder aus Eifersucht getötet hat!«

Die polizeilichen Untersuchungen ergaben eine heftige Szene im Hause Fenayrou, Gabrielle Fenayrou war zu ihrer Mutter geflüchtet.

Am 29. Mai fand man in der Seine die Leiche eines Mannes. Der Körper war beschwert, der Mund mit einem Tuch verstopft. Der Arzt stellte fest: »Der Unbekannte trägt zahlreiche Kopfwunden, die von Hammerschlägen herrühren. In der Herzgegend befinden sich drei Wunden, verursacht durch ein spitzes Instrument. Der Körper hat zehn Tage im Wasser gelegen.«

Die Schwester erkannte an den Zähnen ihren Bruder.

Herr Fenayrou sagte aus:

»Meine Frau war vielleicht ein wenig vertraulich mit Aubert gewesen, aber bis zum Ehebruch ist es nie gekommen. Sonst – gewiß – sonst hätte ich Aubert ermordet. Meine Verwundungen? Wie? An Daumen und Zeigefinger? Ach, die rühren von einem schnellen Absprung von der Straßenbahn her.«

Er bot sein Alibi an.

Frau Gabrielle Fenayrou wiederholte diese Aussagen wie eine gelernte Lektion. Über ihre Beziehungen zu Aubert sagte sie: »Ja, ich bin seine Geliebte gewesen, aber mein Mann wußte und weiß nichts davon.«

Der Bruder des Mannes, Lucien Fenayrou, 35 Jahre alt, war am Himmelfahrtstage mit Bruder und Schwägerin zusammen.

Auf dem Wege zum Gericht legte nun Gabrielle Fenayrou ganz plötzlich ein vollständiges Geständnis ab: Ihr Mann habe von ihren Beziehungen zu Aubert erfahren. Er habe sie gezwungen, sie könne selbst nicht sagen, auf welche Weise, ihr behilflich zu sein, Aubert zu ermorden. Sie wurde seine Helferin. Ihr Mann mietete unter falschem Namen ein Häuschen in Chatou und bereitete alles vor. Sie selbst führte ihm Aubert zu. Am 18. Mai abends wurde der Liebhaber grausam ermordet. Lucien Fenayrou habe geholfen, die Leiche in die Seine zu werfen.

Lokaltermin. Herr Fenayrou, immer verstörter, erzählte zuletzt genau den Hergang. Gabrielle hatte bei dem Mord Hilfe geleistet. Sie hatte geholfen, den Körper des Ermordeten zu beschweren. Sie hatte während der Tat ihrem Liebhaber das Tuch in den Mund gestopft, und gemeinsam mit dem Bruder Fenayrous hatte sie den Toten in die Seine geworfen. Zu Hause half sie, die Kleider des Ermordeten zu verbrennen.

Das Ehepaar Fenayrou wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, der Bruder freigesprochen.

Gabrielle Fenayrou, eine sanfte, gute und stille Frau, galt als sehr fromm. Sie hatte früh geheiratet. An der Ermordung ihres Geliebten nahm sie ohne sonderliche Erregung teil. Der Ehemann, den sie betrogen, besaß eine dämonische Gewalt über sie. Warum? Man wußte es nicht. Man weiß es auch heute nicht. Man kann hundert Erklärungen dafür finden. Aber die Tatsache selbst bleibt darum so seltsam wie möglich.

Ein Martyrium der Hörigkeit.


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