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Auch Prostitution ist Notzucht. Männer prostituieren sich nur selten. Die männliche Prostitution ist, gemessen an der weiblichen, überhaupt kaum erwähnenswert.

Prostitution beginnt schon bei der erzwungenen Heirat und endet bei der Hafendirne, bei jenen Unglücklichen, von denen 1880 in London East ein halbes Dutzend Jack, dem Aufschlitzer, zum Opfer fielen, der sie bestialisch hingeschlachtet hat.

Raubehe, Kaufehe – lange Zeit hindurch auch ein Teil der bürgerlichen Ehen – waren verkappte Prostitution. Zu Zeiten, als das Maß elterlicher Gewalt jede Vernunft überstieg, mußten die Töchter nicht nach ihrer, sondern nach der Eltern Wahl heiraten. Es besteht kein großer Unterschied zwischen der zur ehelichen Prostitution gezwungenen Frau und der Prostituierten, die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit auf die Straße getrieben hat, noch weniger Unterschied freilich zwischen Dirne und dem »ehrbaren« Weib, das nach Geld und Gut geheiratet hat.

Die Prostitution ist eine permanente Notzucht, die dadurch nicht gemildert wird, daß man sie mit Geld aufwiegt. Alle Versuche, die Prostitution auszurotten, scheitern an der naturbedingten Hörigkeit des Weibes. Man hat sie auch in Rußland nicht ausgerottet. Ob man im Namen des Kapitalismus oder der Partei das Weib zu einer unnatürlichen Sexualeinstellung zwingt, ist gleichgültig. Die Behauptungen, die Prostitution sei in Rußland abgeschafft, sind leicht zu widerlegen. Denn es handelt sich dort nur um formale Unterschiede gegenüber den Zuständen in Westeuropa. Dr. Alfons Goldschmiedt wollte in seinem Buch »Moskau 1920« diese Tatsache in Abrede stellen. Aber unbewußt unterstrich er sie:

»Die Liebe hat in Rußland nicht aufgehört. Sie ist ewig wie die Dummheit (!). Aber die Kommunisierung der Weiber durch Prostitution hat aufgehört. Damit hat die käufliche Liebe noch nicht ihr Leben gelassen. So schnell geht das nicht. Immer noch wird in Rußland, wird in Moskau Liebe gekauft und verkauft. Aber es ist ein Abbau aller käuflichen Liebe. (?) Man hat die Gewerbsdirnen beseitigt. Die verschlichenen Gewerbsdirnen, besonders die verheirateten Gewerbsdirnen, kann man in drei Jahren nicht beseitigen. Es ist noch schwere Not in Moskau, und schwere Not bricht den Stolz des Weibes. So gibt es immer noch eine soziale Liebesfäulnis. Frauen klagten mir in Moskau darüber. Sie lobten laut und innig die große Beseitigungstat der Sowjetregierung, und sie wünschten eine schnelle Linderung der Lebensnot, damit die soziale Liebesfäulnis verschwände.

Gäbe es noch eine Kommunisierung der Weiber wie einst, so würde man sie auf dem Boulevard merken. Denn auf dem Theaterplatz und auf dem Boulevard Moskaus verkauften sich die kommunisierten Weiber. Das ist vorbei. Wenn man alle Taten der Sowjetregierung verurteilen und hassen will, diese Tat muß selbst der liberale Humanitätsdusler loben. Sie verdirbt ihm zwar das Geschäft, aber sie steht auf seinem Programm. Der Frauenhandel hat aufgehört, die Lustsklaverei stirbt ab, der Stolz des Weibes kommt auf. Ich sage nur, was ich sah ...«

Gewiß: 1920! – Aber wie ich eingangs schon gezeigt habe: Die Notzucht hat in Rußland nur die Form gewechselt. Es gibt kein Schema in der Liebe. Wer Liebe gleichstellt mit Dummheit und beide ewig findet, der beweist ja, daß die Liebe eben unsterblich ist, bleibt, und daß Menschengehirne wohl in den Betrieb des Sexus eingreifen, ihn aber nimmer nach ihren Plänen leiten können. Das Weib soll und muß frei sein. Das Weib in Rußland ist aber nicht frei. Diese meine Feststellung ist frei von politischer Tendenz. Sie muß, der Wahrheit zu Ehren, gemacht werden. Eine Gesellschaftsordnung, die die Frau dem Kollektiv unterordnet, begeht den gleichen Fehler wie jene, die es als Freiwild betrachtet.

siehe Bildunterschrift

Bordell im Krieg
»Neue Revue«

Die Kunst hat das Hörigkeitsverhältnis des Weibes mit sicherem Instinkt begriffen. Man sehe sich die Werke eines Félicien Rops an. Welche Tragödie der Frau in der schauerlichsten Groteske. Alles Teuflische in der Kunst ist ein Sang von Martyrium und Vergewaltigung der Frau. Alle Künstler der Erde und aller Zeiten teilen sich in diese Berichterstattung: Kubin und Goya, Cranach und Ensor, Holbein und Brueghel d. Ä., Daumier und Barlach, Beardsley und Hogarth und Wiertz. Balzac, Gautier, Barbey d'Aurévilly, diese Dichter des Teuflischen – alle lassen das Weib leiden, bei allen stürzt sich der Mann über sein Opfer, bei Huysmans, bei Meyrink und Baudelaire, bei Villiers de l'Isle Adam, bei Gogol, Ewers und Dostojewski. Da ist Max Klingers »Vampir«. Ein hilfloses Weib, rührend schön in seiner Todesart, ewig widerstandslos, preisgegeben dem Grauen, Unbegreiflichen. Ein scheußliches Geschöpf, männlich im Trieb, wesenlos in Gestalt, schaurig, diabolisch, gemein, saugt das Blut des Weibes, auf dem schwachen Körper liegend, sich eingrabend in den zarten Flaum des Leibes. Oder die »Russische Bettlerin« von Barlach: Opfer der Unwissenheit, wüstesten Lasters Genossin, aufgequollen von Wollust und Tierheit und doch Unterlegene, blühende Unschuld einst, unreinstes Gefäß der Schande jetzt. Im Hexensabbat von Hans Baldung Grien: Das Weib ist Objekt wüstesten Aberglaubens. Sexus ist verdreht in religiös mystischen Wahnsinn. Trägerin allen Übels ist das Weib, voll Unheil, das primär doch der Mann in diesen Leib schüttet, Angeklagte, wo sie Klägerin sein müßte, verdammt um der mißverstandenen libido willen. Immer Verführerin, wobei vergessen wird, daß der Mann erst Verführung schafft – menschlich, künstlerisch, teuflisch, himmlisch – wie ihr wollt. Nach genossener Lust schüttelt der Mann das Weib ab als Mutter, als Hexe, als Buhldirne, als ungleich seiner göttlichen Bestimmung. Tausend Flüche für seinen Sexualtrieb stößt er über die Hilflose, die immer mit dem Teufel im Bunde ist, mit jenem Teufel, der schließlich immer in den im Manne kreisenden Hormonen zu suchen und zu finden ist. Das galante Jahrhundert verstand das Weib schon besser. Da ist es – bei Watteau und allen Malern seines Zeitalters – immer der Mann, der seine Stärke als Schwäche gesteht. Mit bedauerlichem Achselzucken zwar. Vorher Zeus mit Goldregen und himmlischen Eingebungen, nachher ein unpfändbarer Schuldner. – Aber auch da: das Weib hat seine Schuldigkeit getan, es möge gehen.

siehe Bildunterschrift

Sklavinnen auf einer Plantage

Die Beurteilung der Prostitution durch den Mann zeigt die Minderwertigkeitsstellung, in die das Weib gedrückt wird. Darum berührt es besonders angenehm, bei einem Psychiater von der Bedeutung Molls vollkommen gerechte Einstellung zu dem Problem zu finden. Dr. Albert Moll sagt in seinem aufschlußreichen Werk »Polizei und Sitte«: »Es gibt auch Staaten, wo die Prostituierten nur den allgemeinen Gesetzen unterliegen, die den öffentlichen Anstand und die Gesundheit schützen. Ausnahmegesetze bestehen für sie nicht. Endlich sei erwähnt, daß gelegentlich die gewerbsmäßige Prostitution überhaupt mit Strafe bedroht war. Ich weiß aber keinen Staat, in dem das heute noch durchgeführt ist.

Wenn so oft angenommen wird, daß die wirtschaftliche Notlage die Prostituierten zu ihrem Beruf geführt habe, so ist das insofern ein Irrtum, als die Erfahrung zeigt, daß wenigstens nicht die äußerste Notlage die Hauptursache ist. Sie spielt eine Rolle, aber eine viel geringere, als die meisten annehmen. Wir tun gut, bei der Prostitution mehrere Gruppen zu unterscheiden. Die einen sind die, die der Notlage, meistens in akuter verzweifelter Stimmung, zum Opfer fallen. Viele Mädchen, die nach der Geburt eines unehelichen Kindes sich plötzlich aller Mittel entblößt sehen, von Angehörigen verlassen, vom Vater des Kindes verleugnet, aus der Stellung ausgeschieden, zur Erhaltung eines zweiten Wesens verpflichtet, fallen sehr schnell der Prostitution anheim. Aber häufiger als diese äußere Not, ist das Bedürfnis der Frau maßgebend, etwas über den untersten Lebensstandard zu verdienen. Der Wunsch, sich zu putzen und sich zu schmücken, ist ein natürlicher Trieb der Frau, und wenn auch Moralapostel dies noch so sehr tadeln mögen, so vergesse man nicht, daß es eine Zerstörung des Weibtums bedeuten würde, dem Mädchen das Bedürfnis zur Verschönerung seiner Erscheinung zu nehmen. Diese Erscheinung kann nicht bloß moralisch gewertet werden, weil sie eben in des Weibes Natur liegt. Wenn auch nicht die äußerste Not in den meisten Fällen vorgelegen hat, so kann doch nicht geleugnet werden, daß wirtschaftliche Schwäche einen wesentlichen Teil der Schuld in den meisten Fällen trägt. Oft, wenn ich über die Verworfenheit der Mädchen sprechen hörte und Salondamen aus reichen Häusern wohl sittlich entrüstet sah, habe ich ihnen erwidert, daß, wenn das Mädchen in diesem Hause geboren wäre, d. h. in guten Verhältnissen, es sicherlich nicht zur Prostitution gekommen wäre.

Auch psychische Minderwertigkeit spielt eine Rolle. Sie wirkt chronisch etwa so, wie akute Verzweiflung des sich vereinsamt fühlenden und sich in Not befindenden Mädchens. Viele Prostituierte sind Psychopathen, viele Schwachsinnige, viele haltlos, viele an Entartungshysterie leidend.

Sobald die Schule nicht mehr ihre zwingende Zucht ausübt und die Mädchen in das Leben hinaustreten, verlieren sie den Halt. Beim besten Willen können die Eltern auf ein solches minderwertiges Geschöpf nicht den Einfluß ausüben, der notwendig ist. Sie kommen in die Fabrik, in den Laden, ins Büro und hören dort oft genug von ihren Altersgenossinnen wahre und erdichtete Abenteuer. Gerade diese psychopathischen Mädchen sind widerstandsunfähig gegen solche Verführung. Kommen sie gar mit einer früheren Schulkameradin zusammen, die vielleicht schon der Prostitution anheimgefallen ist, so sind sie mit größter Wahrscheinlichkeit verloren. Denn die sogenannte Freundin ist eine der gefährlichsten Verführerinnen. Sie erzählt, wenn sie bereits Prostituierte ist, wie schnell man Geld verdienen kann, wie leicht man in der Lage ist, sich schön und elegant zu kleiden, Juwelen zu kaufen. Sind solche Eindrücke schon für jedes junge Mädchen gefährlich, wieviel mehr für eine Psychopathin. Sehr gefährlich ist auch die Kupplerin; sie ist eine ältere Frau, die die Schwächen des Mädchens auszunutzen weiß und ihr allerlei Schönes vorgaukelt, was sie, wenn sie nur nicht so prüde wäre, alles leicht gewinnen könne. Die Kupplerin war einerseits wegen der Dankbarkeit des Motivs, andererseits wegen des gewaltigen Einflusses, den sie auf das Mädchen ausübt, von jeher ein beliebter Gegenstand für Künstler. Sie ist es bis in die neueste Zeit geblieben.

siehe Bildunterschrift

Balmusette
Scheurich

Das ist aber eben der Hörigkeitsbeweis, Beweis der physischen Hörigkeit des Weibes: es wird Sklavin des Mannes, verfällt dem elendsten Beruf, den es gibt, während der Mann niemals (normaler Weise) »so tief sinken kann«. Daß es immer und immer der Mann ist, der das Märchen von der Minderwertigkeit und Sündhaftigkeit des Weibes erfindet, um das praktisch für sich auszuwerten, gibt Moll (im Gegensatz zu vielen anderen Autoren) in klugen Worten zu:

»Das Märchen von der besonderen Verworfenheit Prostituierter soll man nicht immer wieder erzählen. Es führt nur zur Verkennung der wahren Ursachen. Die Prostituierten sind im Durchschnitt weder besser als die anderen Frauen und Mädchen, noch schlechter. Manche prostituiert sich, um ihre Angehörigen zu unterstützen, eine andere, um das uneheliche Kind erhalten zu können. Die schlechten Eigenschaften, die wir bei Prostituierten so oft sehen, ihre Verlogenheit, oft auch später das Zusammenarbeiten mit Verbrechern, sind eine Folge der angeborenen Entartung oder des Lebens, das allmählich die zunächst ehrliche Prostituierte umwandelt, teils eine Folge beider Faktoren. Kann man einem Mädchen, das sich für Geld Männern hingeben wollte, verdenken, daß sie unehrlich wird, wenn sie sich mehrfach von den Männern betrogen fühlt? Das Mädchen muß allmählich zum Verbrechertum Beziehungen aufnehmen, da sie sich von der Gesellschaft ebenso geächtet fühlt wie der Verbrecher. Das Mädchen muß, die Heuchelei der Menschen erkennend, allmählich die Männer verachten lernen, die in ihren Armen die schönste, genußreichste Stunde verlebt haben, und von denen sie nachher verleugnet wird.«


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