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Kultopferung

Wir wollen nicht sagen, daß es genau wieder so kommt, wie es war. Aber um die furchtbare Grausamkeit aufzuzeigen, der das Weib seit Jahrtausenden preisgegeben war, müssen wir zurücksehen in jene altersgraue Urzeit, in der den Göttern Menschenopfer gebracht wurden.

Am liebsten opferte man Frauen, Jungfrauen. Seit jenem tierhaften Herrscher auf Kreta, dem jährlich eine königliche Jungfrau als Tribut dargebracht wurde, seit den symbolischen Hochzeiten zwischen Drachen und Fürstentöchtern, seit Gudruns Sklaverei wurden immer und immer wieder Frauen geopfert, in allen Weltteilen, in allen Ländern. Der große Flaubert hat in dem Roman »Salambo« ein schauriges Bild von den Opferungen in Karthago entworfen. Istar, der Gewaltigen, Süßen und Dämonischen, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, warf man nackte, blütenweiße Mädchenkörper vor, warf die armen Opfer lebend in den glühenden Rachen des überlebensgroßen Götterbildes. Zu Zeiten, in denen das Vaterland in Gefahr war, mußten sogar die edelsten Familien auf Befehl der Regierung ihre Erstgeborenen in den Feuerrachen Derketos geben.

»Aus den Tieropfern bildeten sich die Menschenopfer,« schreibt Rudolf Quantner in »Die Leibes- und Lebensstrafen«: »Wie man die Tiere nicht nur opferte, um den Zorn der Götter wegen eines Verbrechens zu versöhnen, sondern auch prophylaktisch, um die Götter durch das ›Geschenk‹ für ein geplantes Unternehmen günstig zu stimmen, so hielt man es, als man den Mörder nicht mehr aus Scheu vor Menschenblut schonte oder ihn am Leben ließ, um die Kraft des Einzelnen für die Gesamtheit zu erhalten, auch mit den Menschenopfern. Man wählte zu solchen Opfern das Edelste, die Kinder der Könige selbst oder mit Vorliebe keusche Jungfrauen. Der König der Moabiter opferte seinen Thronfolger. König Agamemnon wollte der Diana seine Tochter Iphigenie darbringen. Die Karthager schlachteten ihre Kinder dem Kronos ab.«

Will man die furchtbare Tragik dieser »Frauenopfer« ganz begreifen, so lese man die Dramen der Äschylos'schen Eumeniden (nach dem Handbuch der Literaturwissenschaft, herausgegeben von Professor Dr. Oskar Walzel), ersten und zweiten Teil. Kultopferungen und Blutrache sind ihr Inhalt.

Man schrieb das Jahr 458. Troja ist gefallen. Der Auszug der Achaier wider Troja liegt weit zurück. Wir haben in der ersten Tragödie erfahren: wie dem königlichen Brüderpaar Agamemnon und Menelaus in Argos ein Vogelzeichen erschien, zwei Adler, die eine trächtige Häsin verzehrten, und wie Kalchas es gedeutet auf endlichen Erfolg, aber auch folgenschweren Zorn der Artemis, zu Groll und Tücke und Gattenmord werde es führen. In Aulis haben die beiden Könige Kalchas' Offenbarung vernommen, daß Artemis die Opferung Iphigeniens fordert. Der Vater entschloß sich, sie wurde geschlachtet!

siehe Bildunterschrift

Verzückung
R. Kirchner

Kalchas' dunkle Prophezeiung vom unheilvoll bis zum Gattenhaß und Gattenmord weiterwirkenden Groll der Artemis läßt unheimliche Ahnung aufsteigen und das Bild der vom Vater geopferten Tochter, mit dem wir entlassen werden, weicht nicht mehr aus unserer Vorstellung.

Klytämestra tritt aus dem Palast und verkündet Trojas Fall.

Agamemnon zieht ein, ein Bild sieghafter Macht. Die Auffahrt der Wagen mit dem Sieger und seiner Beute, Kassandra, begleitet der Chor mit feierlich langen Anapästen. Voll königlicher Würde begrüßt Agamemnon die heimatlichen Götter und die Vertreter seines Volkes. Da rauscht Klytämestra aus dem geöffneten Tor in heuchlerischer Ehrfurcht mit überströmender Schmeichelei. Kühl ablehnend erwidert er. Ein frostiges Wiedersehen. Sie heißt ihre Mägde Purpurdecken ausbreiten, köstlich genug, Götter zu kleiden, und läßt nicht nach, bis er nach langem Weigern wenigstens barfuß über die Pracht sein Vaterhaus betritt.

Noch einmal tritt Klytämestra heraus, Kassandra zu holen. Vergeblich. Sie bleibt regungslos auf dem Wagen. Endlich entringt sich ein Schrei ihrer Brust. Prophetenwahnsinn schüttelt sie. In kurzen Strophen stößt sie hervor, was der Gott ihr offenbart. Von Blut sieht sie Agamemnons Haus triefen, sie sieht die Greueltaten seines Vaters am eigenen Bruder, sieht eine neue Bluttat drinnen werden, sieht Klytämestra dem Gatten Netz und Mordbeil bereiten im Bade, ihn zu erschlagen und sie selbst, die versklavte Königstochter. Doch kommen wird ein Rächer, wird ein Weib und ein Mann an dieser Stätte niederstrecken. Für die Prophetin kein Entrinnen. Die Seherbinde reißt sie aus dem Haar. Nun ist sie zum Opfer bereit. So tritt sie auf die Pforte des Palastes zu, die ihr den Hades öffnet. Doch schaudernd bebt sie wie vor Blutdunst zurück, als ihr Syriens Wohlgerüche daraus entgegenschweben. Aber es muß sein: sie tritt ein. – Alsbald tönen Agamemnons Todesschreie. Das Tor springt auf: hoch aufgerichtet steht Klytämestra da, blutbespritzt, das Mordbeil in der Hand, vor ihr an der Badewanne im Netz verstrickt Agamemnons Leiche und daneben die tote Kassandra. Klytämestra rühmt sich ihrer Tat und verteidigt sie als gerechte Sühne für die Opferung ihrer Tochter, als Rache am Kebsweib. Da kommt, von Bewaffneten gefolgt, Aigisthos, ihr Buhle. Agamemnons Vetter, der seine Brüder zu rächen sie gewonnen und den Mord beraten hat. Er ergreift die Herrschaft. So schließt der erste Teil.

siehe Bildunterschrift

Morgenstunde
F. v. Bayros

Jahre sind vergangen. Orest, von Pylades begleitet, opfert am Grabe des Vaters, eben aus Phokis, wohin den Knaben schon vor Agamemnons Tod die Mutter gesandt hat, heimlich zurückgekehrt. Sie treten beiseite, als er Elektra, seine Schwester, und den Chor der Weiber aus dem Hause kommen sieht. Ihr Gesang erzählt, daß Klytämestra durch einen gräßlichen Traum erschreckt, dem ermordeten Gatten versöhnende Opfer sendet. Doch Elektra gießt sie lieber aus mit einem Gebet an den Vater, den Rächer zu senden. Da sieht sie Fußspur und Locke, rät auf Orest. Er tritt hervor, sie erkennt ihn. Apollon, der Gott von Delphi, hat ihm die Rache an der eigenen Mutter befohlen. Nun singen in mächtigem Wechselsang die Geschwister und der Chor dem schmählich Gemordeten das Grablied. Doch bald mischt sich die Sehnsucht nach der Rache ein. Zurück bebt Orest. Da peitschen sie ihn auf mit Schilderung der Schmach, die die Mörder auch noch der Leiche getan. Mit inbrünstigem Gebet erflehen sie den Beistand des Toten. Nun erfragt Orest den Grund für Klytämestras Grabspenden und hört, sie glaubte im Traum einen Drachen geboren zu haben, der aus ihrer Brust Milch und Blut gesogen. Er deutet das auf sich und auf Gelingen der Rache. Kurz wird ein Plan verabredet. Elektra geht ins Haus, Orest tritt von Pylades geleitet ins Haus und berichtet unerkannt der Mutter seinen eigenen Tod. Sie läßt ihn in die Fremdenwohnung führen und den Aigisthos vom Lande herbeirufen. Orests alte Amme, die diesen Auftrag erhalten, jammert in beweglicher Klage nach Art alter Dienerinnen um ihren Pflegling, dem sie so oft die Windeln getrocknet. Leicht läßt sie sich bestimmen, entgegen dem Befehl, Aigisthos allein ohne seine Trabanten zu holen. Zum äußersten ist die Erwartung gespannt. Um Gelingen fleht der Chor.

siehe Bildunterschrift

Das Wecken
Felicien Rops

Freudig eilt Aigisthos herbei. Zu Orest ins Haus gewiesen, erliegt er seinen Streichen. Ein Diener stürzt hervor und ans Frauengemach: »Die Toten morden die Lebendigen!« Klytämestra versteht's, ruft nach dem Mordbeil. Aber schon tritt ihr Orestes gegenüber. Da weist sie ihm die Brust, die ihn genährt. Der Sohn bebt zurück. – Doch Pylades mahnt ihn an Apolls Befehl. Nun führt er die Mutter, die vergeblich sein kindliches Gefühl noch einmal anruft und ihre Tat verteidigt, ins Haus, wo er ihren Buhlen erschlagen hat. Ihr Traum wird Wahrheit, die Rache vollendet.

Da tut sich uns das Bild auf, das Kassandra prophezeite: an derselben Stelle, wo sie und Agamemnon lagen, liegen nun die Leichen ihrer Mörder. Zwischen ihnen steht Orest wie einst Klytämestra und rühmt sich seiner Tat und verteidigt sie als gerechte Rache. Doch Zweifel steigen ihm auf. Seine Sinne verwirren sich. Noch einmal verkündet er sein Recht zum Morde und Apolls Befehl. Da meint er gräßliche Weiber wie Gorgonen schlangengegürtet aus dem Blute der Mutter aufsteigen zu sehen. Ihn duldet es nicht länger.

Fort stürzt er zu Apollon zu Delphi. – –

Also erst Kultopferung der eigenen Tochter, dann (auf Befehl Apolls) Kultopferung der eigenen Mutter!

Immer hat man das Weib unter den grausamsten Folterungen dem Kult geopfert, hat es geschlachtet, lebend eingemauert. Man hat zu allen Zeiten Priesterinnen gezwungen, das Leben zu verleugnen, man hat sie mit sinnloser Wut bestraft, wenn sie gegen die Gesetze des Kultus verstoßen haben.

Ich verzichte, weitere Schilderungen der Martern einzuflechten, die man gegen »Hexen« anwandte. Die Vestalinnen im alten Rom, die Priesterinnen der Vesta, denen lebenslängliche Keuschheit Pflicht war, wurden, wenn sie ihr Gelübde verletzten, lebendig auf dem Campus sceleratus eingemauert. Johann Christoph Salbach hat uns eine solche »Strafvollstreckung« geschildert:

»Es war ein tief Gewölbe unter der Erde gemachet, da oben an eine Thüre war, daß ein Mensch hineingehen mochte. Innwendig war eine kleine Lagerstatt, da eine brennende Lampe und etwas Speise war hingestellet. Die geschwächte Nonne ward dann in einem beheben, und mit dickem Leder zugemachten Karren über den Markt zu besagter Hölen geführet, daß man ihr Wimmern und Weinen nicht hören, noch zu Mitleiden beweget werden möchte. Wenn sie dann dahin kommen, ward sie mit einer Leither hinabgelassen, und die Thür alsobald zugemacht. Die Ursache solches Todes war, weil sie dafür gehalten, es gezieme sich nicht, daß man sie mit Feuer verbrenne, weil sie das heilige Feuer nicht mit mehrer Heiligkeit bewahret. Und hielten nicht weniger dafür, es schickte sich übel, sie dem Scharffrichter unter die Hand zu geben, die zuvor so heilige Dienste gethan hatte.«

Die Vestalin Minucia wurde nur deshalb eingemauert, weil sie prächtige Kleider liebte. Unter dem Kaiser Caracalla wurden allein vier Vestalinnen eingemauert, weil sie – nicht die Konkubinen dieses gekrönten Wüstlings hatten werden wollen. –


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