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Tausend und eine Nacht. Band V
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Hundertundsiebenundachtzigste Nacht.

Schließlich sagte der Eunuch zu Kamar es-Samân: »Befreie mich aus dem Brunnen, mein Herr, und ich will dir die Wahrheit mitteilen.« Da zog er den Eunuchen aus dem Brunnen heraus, der infolge des vielen Untertauchens, der großen Kälte, der Menge Schläge und der üblen Behandlung bewußtlos war und wie das Rohr im Sturmwind zitterte, die Zähne krampfhaft zusammenpreßte und von Wasser triefte. Als er sich aber wieder auf der Oberfläche der Erde sah, sagte er zu Kamar es-Samân: »Mein Herr, laß mich fortgehen, daß ich mir die Kleider ausziehen, sie auspressen, in der Sonne ausbreiten und mir andere anziehen kann. Ich will dann schnell wiederkommen, dir berichten, wie es sich mit diesem Mädchen verhält, und dir ihre Geschichte erzählen.« Kamar es-Samân antwortete ihm: »Bei Gott, du nichtsnutziger Sklave, hättest du nicht den Tod vor Augen gehabt, so hättest du nicht die Wahrheit bekannt; geh fort, erledige dein Begehren und kehre schnell zu mir zurück, daß du mir die Geschichte des Mädchens, und was es mit ihm auf sich hat, erzählst.« Infolgedessen lief der Sklave hinaus und eilte, noch immer an seinem Entkommen zweifelnd, geradeswegs zum König Schahrimân, dem Vater Kamar es-Samâns, neben dessen Seite er den Wesir fand, die sich beide über Kamar es-Samân besprachen. Gerade, als der König zum Wesir sagte: »Ich habe die ganze Nacht über nicht geschlafen, da sich mein Herz um meinen Sohn Kamar es-Samân beunruhigte, und ich fürchte, daß ihm etwas in diesem alten Turm zugestoßen ist, zumal da es überhaupt nicht angebracht war, ihn einzusperren,« und als der Wesir ihm erwiderte: »Sei unbesorgt um ihn, bei Gott, es wird ihm nichts zustoßen; laß ihn nur einen ganzen Monat im Gefängnis, bis sich sein Gemüt beruhigt,« trat der Eunuch in seinem unglücklichen Zustand ein und sagte zum König: »Unser Herr und Sultan, dein Sohn ist verrückt geworden und hat mich in dieser Weise behandelt und zu mir gesagt: Ein Mädchen schlief bei mir die Nacht über und ist dann verschwunden; gieb Antwort, wo dieses Mädchen geblieben ist. Ich weiß aber nicht, was es mit diesem Mädchen auf sich hat.«

Als der Sultan Schahrimân dies in betreff seines Sohnes vernahm, schrie er: »Ach, mein Sohn!« und ergrimmte heftig wider den Wesir, der die Ursache hiervon war, und sagte zu ihm: »Geh und stelle fest, wie es mit meinem Sohne Kamar es-Samân steht.« Da ging der Wesir, in seiner Furcht vor dem König über seine Säume stolpernd, hinaus und begab sich mit dem Eunuchen zum Turm. Die Sonne war aber bereits aufgegangen.

Als er bei Kamar es-Samân eintrat, fand er ihn auf dem Polster sitzend und den Koran recitierend. Ihn begrüßend und sich an seine Seite setzend, sagte er zu ihm: »Mein Herr, dieser nichtsnutzige Sklave teilte uns etwas mit, was uns beunruhigte und uns erschreckte, und worüber der König sich erzürnte.« Da fragte ihn Kamar es-Samân: »Was hat er euch denn von mir gesagt, Wesir, daß mein Vater sich hierüber aufregte? In Wahrheit hat er doch nur mich aufgeregt.« Der Wesir versetzte darauf: »Siehe, der Eunuch kam in abscheulichem Zustande zu uns und sprach ein Wort zu uns, wovor Gott dich behüten möge, und log uns etwas vor, was sich nicht zu sagen schickt. Gott hüte deine Jugend, deinen trefflichen Verstand und deine beredte Zunge, und fern sei es von dir, daß irgend etwas schimpfliches von dir geschehen sollte.« Da fragte ihn Kamar es-Samân: »Was hat dieser nichtsnutzige Sklave gesagt?« und der Wesir erwiderte ihm: »Siehe, er meldete uns, du seiest verrückt geworden und hättest zu ihm gesagt, die vergangene Nacht über wäre ein Mädchen bei dir gewesen. Hast du dies wirklich zu dem Eunuchen gesagt?«

Als Kamar es-Samân diese Worte vernahm, ergrimmte er gewaltig und sagte zum Wesir: »Nun ist es mir klar, daß ihr den Eunuchen angewiesen habt, sich also zu verhalten, –

Hundertundachtundachtzigste Nacht.

und daß ihr ihm verboten habt, mir über das Mädchen, das die Nacht über bei mir schlief, Auskunft zu geben; du aber, Wesir, bist vernünftiger als der Eunuch, sag mir daher auf der Stelle, wo das hübsche Mädchen, das heute Nacht an meiner Brust ruhte, hingekommen ist. Ihr seid's, die ihr sie zu mir geschickt und ihr befohlen habt, die Nacht an meiner Brust zu verbringen, so daß ich mit ihr bis zum Morgen schlief. Als ich nun aber erwachte, fand ich sie nicht; wo ist sie jetzt?« Der Wesir entgegnete ihm: »Mein Herr Kamar es-Samân, Gottes Name sei schirmend um dich! Bei Gott, wir haben heute Nacht niemand zu dir geschickt; du hast allein geschlafen, die Thür war verriegelt, und der Eunuch schlief hinter der Thür. Weder ein Mädchen noch sonst jemand ist zu dir gekommen, nimm doch wieder Verstand an, mein Herr, und rege dich nicht weiter auf.« Kamar es-Samân, der über seine Worte ergrimmte, versetzte: »Wesir, dieses Mädchen ist mein Schatz; sie, die ich heute Nacht umarmte, ist hübsch und hat schwarze Augen und rote Wangen.« Der Wesir fragte ihn nun, verwundert über seine Worte: »Hast du wirklich dieses Mädchen heute Nacht mit deinem Auge wachend oder nur im Schlaf gesehen?« Da erwiderte Kamar es-Samân: »Unseliger Scheich, glaubst du etwa, ich habe sie mit meinem Ohr gesehen? Selbstverständlich habe ich sie mit wachem Auge gesehen, habe sie mit meiner Hand umgekehrt und habe eine volle halbe Nacht wach neben ihr gesessen und mich an ihrer Schönheit und Anmut, ihrer zarten und graziösen Gestalt geweidet. Nur hattet ihr sie angewiesen, nicht mit mir zu reden und sich schlafend zu stellen; bis zum Morgen schlief ich mit ihr, als ich dann aber aus dem Schlaf erwachte, fand ich sie nicht mehr.«

Der Wesir erwiderte ihm hierauf: »Mein Herr Kamar es-Samân, vielleicht hast du dies im Schlaf gesehen, und es sind Traumgesichte gewesen oder Phantasien infolge von Speisen, die du aßest, und die nicht zusammenpaßten, oder gar Versuchungen der gemeinen Satane.« Kamar es-Samân entgegnete ihm jedoch: »Unseliger Scheich, willst du mich etwa auch verspotten und zu mir sagen: »Vielleicht sind's Traumgesichte,« wo der Eunuch mir schon die Wahrheit über dieses Mädchen eingestand und mir soeben sagte: »Ich werde zurückkehren und dir ihre Geschichte erzählen?« Darauf sprang Kamar es-Samân auf, trat an den Wesir heran, packte seinen langen Bart, wickelte ihn um seine Hand, zerrte ihn dann von dem Polster herunter und warf ihn zu Boden, so daß der Wesir infolge des starken Rupfens an seinem Bart sein Leben lassen zu müssen glaubte.

Hierauf versetzte Kamar es-Samân dem Wesir so lange Fußtritte und Fausthiebe in den Nacken, bis er ihn halbtot geschlagen hatte, und der Wesir bei sich sprach: »Wenn sich der Sklave, der Eunuch, von diesem verrückten Knaben durch eine Lüge befreit hat, so steht es mir noch eher an, mich gleichfalls durch eine Lüge zu retten, wenn er mich nicht umbringen soll. Ich will ihm jetzt etwas vorlügen und mich aus seinen Händen befreien, denn er ist verrückt, und an seiner Verrücktheit ist kein Zweifel.« Hierauf wendete sich der Wesir zu Kamar es-Samân und sagte zu ihm: »Mein Herr, nichts für ungut, siehe, dein Vater hat mich geheißen, dir nichts von dem Mädchen zu sagen; jetzt aber bin ich schwach und erschöpft von den Schlägen, da ich ein alter Mann bin und nicht Kraft genug habe, Schläge zu ertragen. Halt deshalb ein wenig ein, daß ich dir die Geschichte mit dem Mädchen erzählen kann.« Als Kamar es-Samân diese Worte von ihm vernahm, hielt er mir Schlägen ein und sagte zu ihm: »Weshalb sagst du mir erst jetzt nach den Schlägen und der schimpflichen Behandlung etwas von dem Mädchen? Steh auf, unseliger Scheich, und gieb mir von ihr Auskunft.« Da sagte der Wesir: »Fragst du mich nach jenem Mädchen mit dem hübschen Gesicht und der trefflichen Gestalt?« Kamar es-Samân antwortete: »Gewiß, erzähle mir, Wesir, wer sie zu mir gebracht hat und sie bei mir schlafen ließ, und wo sie jetzt ist, daß ich selber zu ihr gehen kann. Wenn mein Vater, der König Schahrimân, mir dies angethan hat und mich mit diesem hübschen Mädchen in betreff der Heirat auf die Probe gestellt hat, so willige ich ein mich mit ihr zu vermählen. Denn alles dies hat er doch nur gethan und hat mich auf dieses Mädchen erst versessen gemacht und sie dann von mir fortgenommen und verschlossen, weil ich mich zu heiraten weigerte. Jetzt willige ich in die Heirat ein und noch einmal, ich willige in die Heirat ein. Teile dies, o Wesir, meinem Vater mit und gieb ihm den Rat, mich mit diesem Mädchen zu verheiraten, denn ich will keine andere, und mein Herz liebt sie allein. Mach dich auf, lauf zu meinem Vater, rate ihm die Heirat zu beschleunigen und komm bald, sofort wieder zurück.« Der Wesir, der es kaum hatte erwarten können, von Kamar es-Samân loszukommen, machte sich nun sofort aus dem Turm und lief geradeswegs zum König Schahrimân.

Hundertundneunundachtzigste Nacht.

Als er bei ihm eintrat, fragte ihn der König: »Wesir, was sehe ich dich so aufgeregt und wessen Bosheit hat dir so übel mitgespielt, daß du entsetzt zu mir kommst?« Da erwiderte ihm der Wesir: »Ich habe dir eine frohe Botschaft zu bringen.« »Welche?« fragte der König. »Daß dein Sohn Kamar es-Samân verrückt geworden ist,« versetzte der Wesir. Als der König diese Worte des Wesirs vernahm, wurde der lichte Tag in seinem Angesicht Finsternis, und er sagte zu ihm: »Wesir, erkläre mir, worin sich seine Verrücktheit zeigt.« Der Wesir antwortete: »Ich höre und gehorche,« und erzählte ihm darauf, was sein Sohn gethan hatte. Da entgegnete ihm der König: »Wesir, ich habe auch eine frohe Botschaft für dich; für deine frohe Botschaft von der Verrücktheit meines Sohnes will ich dir den Kopf abschlagen und dir meine Gunst entziehen, unseligster der Wesire du, und schändlichster Emir, denn, wisse, du hast meines Sohnes Verrücktheit durch deinen unglücklichen Rat, den du mir in betreff seiner gabst, verschuldet. Bei Gott, wenn irgend ein Unheil oder etwas wie Verrücktheit meinen Sohn befallen hat, so nagele ich dich an die Palastkuppel und gebe dir das Elend zu kosten.« Darauf sprang der König auf die Füße und begab sich, den Wesir mit sich nehmend, in den Turm, in welchem Kamar es-Samân eingesperrt war. Sobald sie bei ihm eintraten, erhob sich Kamar es-Samân auf seine Füße vor seinem Vater und stand schnell von dem Polster auf, auf welchem er gesessen hatte, um seines Vaters Hand zu küssen. Alsdann trat er zurück, schlug sein Haupt vor seinem Vater nieder und stand vor seinem Vater geraume Zeit mit auf dem Rücken verschränkten Händen. Hierauf hob er wieder sein Haupt zu seinem Vater empor und sprach, während ihm die Thränen aus den Augen liefen und über die Wangen strömten, das Dichterwort:

»Hab ich zuvor mich gegen dich versündigt,
Und hab ich etwas Unziemliches begangen,
So bereue ich nun mein Vergehen, und deine Verzeihung
Wird umfassen den Frevler, der um Vergebung bittend naht.«

Nach diesen seinen Worten erhob sich der König, umarmte seinen Sohn Kamar es-Samân, küßte ihn zwischen die Augen und ließ ihn an seiner Seite auf dem Polster Platz nehmen. Dann wendete er sich mit zornigem Auge zum Wesir und fuhr ihn an: »Du Hund von Wesir, wie kannst du mir sagen, daß es um meinen Sohn Kamar es-Samân so und so steht, und mein Herz über ihn in Schrecken setzen?« Hierauf wendete er sich wieder zu seinem Sohn und fragte ihn: »Wie heißt der heutige Tag?« Kamar es-Samân antwortete: »Mein Vater, heute ist der Sabbath und morgen ist der erste Tag, dann der zweite, dann der dritte, dann der vierte, dann der fünfte und dann der Versammlungstag.Die Wochentage sind hier in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben. Der Freitag ist der Feiertag der Moslems. Da rief der König: »O mein Sohn, ach Kamar es-Samân, Gott sei gelobt, daß du gesund bist! Wie heißt nun aber der Monat, in dem wir jetzt stehen, auf Arabisch?« Kamar es-Samân antwortete: »Er heißt Zul-Kaade, dann folgt Zul-Hidschdsche, dann kommt der Moharrem, dann Safar, dann der erste Rebîa, dann der zweite Rebîa, dann der erste Dschumâda, dann der zweite Dschumâda, dann Redscheb, dann Schaabân, dann Ramadân und schließlich Schawwâl.«Das Arabische Jahr ist bekanntlich ein Mondjahr von 354 Tagen, so daß 33 Sonnenjahre gleich 34 Mondjahren sind. Das Neujahr beginnt mit dem Moharrem. Der Zul-Hidschdsche ist der Monat der Pilgerfahrt, Ramadân der Fastenmonat.

Als der König diese Antwort vernahm, freute er sich mächtig und fuhr den Wesir an, indem er ihm ins Gesicht spie: »Unseliger Scheich, wie kannst du behaupten, daß mein Sohn Kamar es-Samân verrückt geworden ist, wo die Sache so steht, daß du allein den Verstand verloren hast?« Der Wesir schüttelte hierzu den Kopf und wollte reden, doch überlegte er sich's und wartete noch ein wenig, um zu sehen, was da kommen würde. Nun fragte der König seinen Sohn: »Mein Sohn, was bedeuten die Worte, die der Eunuch und der Wesir sprachen, du hättest zu ihnen gesagt: Heute Nacht schlief ein hübsches Mädchen bei mir; was hat es mit diesem Mädchen auf sich?« Da lachte Kamar es-Samân über seines Vaters Worte und erwiderte ihm: »Wisse, ich habe nicht mehr Kraft genug den Spott zu ertragen; füget mir doch nicht noch mehr zu und sprecht kein Wort mehr, denn von alledem, was ihr mir zugefügt habt, habe ich schon die Geduld verloren. Wisse, mein Vater, ich willige in die Heirat ein, doch nur unter der Bedingung, daß du mich mit jenem Mädchen verheiratest, welches heute Nacht bei mir schlief. Ich weiß bestimmt, du bist's, der sie zu mir geschickt hat, um mein Verlangen nach ihr zu wecken, und hast dann noch vor dem Morgen nach ihr geschickt und sie von mir genommen.« Als der König dies vernahm, rief er: »Der Name Gottes sei schirmend um dich, mein Sohn, Gott bewahre deinen Verstand vor Verrücktheit!

Hundertundneunzigste Nacht.

Was ist das für ein Mädchen, das ich heute Nacht zu dir geschickt haben soll und dann vor Tagesanbruch wieder von dir holen ließ? Bei Gott, mein Sohn, ich weiß nichts hiervon und ich beschwöre dich bei Gott, ob dies wüste Träume oder Phantasien eines verdorbenen Magens sind, denn, siehe, du brachtest die Nacht, von der Heirat gequält und durch die Erwähnung derselben beunruhigt, zu. Gott verdamme die Heirat und ihre Stunde, und verdamme den, der sie anriet! Kein Zweifel, dein Gemüt war von der Heirat verdüstert, so daß du im Traum ein Mädchen dich umarmen sahst und nun fest glaubst, du hättest es im Wachen gesehen. Alles dies, mein Sohn, sind wüste Träume.« Kamar es-Samân entgegnete ihm jedoch: »Laß diese Reden und schwöre mir bei Gott, dem Schöpfer, dem Allwissenden, dem, der die Stolzen stürzte und die Chosroen vernichtete, daß du nichts von dem Mädchen und ihrem Aufenthalt weißt.« Da schwur ihm der König: »Bei dem erhabenen Gott, dem Gott Moses und Abrahams, ich weiß nichts hiervon, und gewiß sind's wüste Träume, die du geträumt hast.« Hierauf entgegnete Kamar es-Samân seinem Vater: »Ich will dir ein Gleichnis vorlegen, welches dir klarmachen soll, daß ich dies im Wachen sah.

Hundertundeinundneunzigste Nacht.

Ich frage dich, ist es wohl schon jemand vorgekommen, daß er sich im Traum kämpfen sah, und daß er nach heißem Kampf aus dem Schlaf erwachte und in seiner Hand ein blutbesudeltes Schwert fand?« Sein Vater antwortete ihm: »Nein, bei Gott, mein Sohn, so etwas ist noch nicht vorgekommen.« Da sagte Kamar es-Samân zu ihm: »Nun will ich dir erzählen, was sich mir ereignet hat. Mir war es heute Nacht, als ob ich um Mitternacht aus meinem Schlaf erwachte und ein schlafendes Mädchen neben mir fand, dessen Wuchs wie mein Wuchs und dessen Gestalt wie meine Gestalt war. Ich umarmte sie, faßte sie mit meiner Hand an, nahm ihren Siegelring und steckte ihn an meinen Finger und zog dann meinen Siegelring ab und steckte ihn an ihren Finger. Ich hielt mich jedoch von ihr zurück aus Scham vor dir, da ich glaubte, du hättest sie hergeschickt und dich irgendwo versteckt, um zu sehen, was ich thun würde. Ich schämte mich deshalb, sie vor dir auf den Mund zu küssen und kam auf den Gedanken, daß du mich mit ihr auf die Probe stellen wolltest, um in mir Verlangen nach dem Heiraten zu erwecken. Als ich aber zu Beginn des Morgens erwachte, fand ich keine Spur von dem Mädchen, erfuhr auch nichts von ihr und hatte dann mit dem Eunuchen und dem Wesir die bekannten Vorfälle.

Wie kann dieses nun Trug sein, wo die Sache mit dem Siegelring sich in Wirklichkeit so verhält? Ohne den Siegelring würde ich auch glauben, daß es ein Traum war, aber hier ist ihr Siegelring noch jetzt an meinem kleinen Finger; schau ihn dir nur an, o König, wie wertvoll er ist.« Hierauf überreichte Kamar es-Samân seinem Vater den Siegelring, und er nahm ihn und drehte ihn um und um und wendete sich dann zu seinem Sohne und sagte: »Mit diesem Ring hat es eine ganz besondere und wichtige Bedeutung, und dein Erlebnis heute Nacht mit dem Mädchen ist eine dunkle Geschichte, und ich weiß nicht, von wannen dieser Besuch zu uns kam. An alledem ist aber nur der Wesir schuld, und ich beschwöre dich bei Gott, mein Sohn, fasse dich in Geduld, vielleicht zerstreut Gott dir diesen Kummer und bringt dir große Freude, wie der Dichter sagt:

Vielleicht, ach, wendet das Schicksal den Zügel nun
Und bringt mir Gutes im Neid der Zeit.
Vielleicht wird mein Hoffen beglückt und erfüllt mein Begehr,
Und nach all dem Schlimmen naht wieder das Glück.

Mein Sohn, ich habe mich jetzt überzeugt, daß du nicht verrückt bist, doch kann dir Gott allein deine Geschichte entschleiern.« Kamar es-Samân erwiderte seinem Vater darauf: »Um Gott, mein Vater, laß für mich nach jenem Mädchen Nachforschungen anstellen und sie schnell herbringen, sonst muß ich vor Kummer sterben.« Dann wendete er sich, von Weh übermannt, zu seinem Vater und sprach die beiden Verse:

»War Trug euer Versprechen, mich mit einem Besuch zu beglücken
So ruht in meinem Arm oder besucht mich im Schlafe nur.
Wie kann, erwiderten sie, die Traumgestalt eines Jünglings Auge besuchen,
Von dem der Schlaf verbannt und verscheucht ist?«

Hierauf wendete sich Kamar es-Samân demütig und zerknirscht zu seinem Vater und sagteNach der Breslauer Ausgabe bis zum Schluß der Nacht.: »O mein Vater, ich kann es keine Stunde mehr aushalten.« Da schlug der König seine Hände zusammen und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen. Ich weiß mir in dieser Sache nicht aus noch ein.« Dann faßte er seinen Sohn bei der Hand und führte ihn in den Palast, wo sich Kamar es-Samân aufs Krankenbett legte, während sein Vater sich ihm zu Häupten setzte, über seinen Sohn trauerte und weinte und ihn weder bei Tag noch bei Nacht verließ, –

Hundertundzweiundneunzigste Nacht.

bis der Wesir schließlich zum König sagte: »O König der Zeit, wie lange willst du dich noch bei deinem Sohn Kamar es-Samân von deinen Truppen abschließen? Dadurch, daß du dich vor den Großen des Reiches abschließest, kann dir sehr leicht der Staat in Unordnung geraten; dem Weisen aber liegt es ob, sobald verschiedene Krankheiten seinen Körper plagen, mit der Pflege der schlimmsten zu beginnen. Mein Rat geht demnach dahin, daß du deinen Sohn von diesem Ort in den Pavillon innerhalb des am Meer gelegenen Serâjs hinüberschaffen lässest und dich dort bei deinem Sohne abschließest, daß du aber zwei Tage in der Woche, jeden Donnerstag und Montag, für die Prozession und den Diwan bestimmst, so daß an diesen beiden Tagen die Emire, Wesire, Kämmerlinge, Vicekönige, die Granden und Reichswürdenträger, und alle die Kriegsmannen und Unterthanen vor dir erscheinen, um dir ihre Anliegen vorzutragen, und du ihre Bedürfnisse erledigst und unter ihnen richtest. Nimm und gieb, gebiete und verbiete, und den ganzen Rest der Woche magst du dann bei deinem Sohne Kamar es-Samân zubringen und in dieser Weise leben, bis Gott dir und ihm Trost sendet. Sei nicht, o König, zu sicher vor den Wechselfällen der Zeit und den Unfällen des Geschicks, denn der Weise ist dauernd auf der Hut. Wie schön lautet das Dichterwort:

So lange die Tage gut waren, dachtest du gut von den Tagen
Und bangtest nicht vor dem Unheil des Schicksals.
Der stille Frieden deiner Nächte hat dich betrogen,
Wie in sternenheller Nacht oft plötzliches Dunkel entsteht
O ihr Menschen all, wem die Zeit sich huldreich erweist
Der sei auf der Hut!«

Als der Sultan diese Worte von seinem Wesir vernahm, sah er ein, daß der Rat gut und förderlich war. Seine Worte machten daher auf ihn Eindruck, und besorgt, daß ihm das Reich in Unordnung geraten könnte, sprang er zur selbigen Zeit und Stunde auf und befahl, seinen Sohn nach dem Pavillon in dem am Meer gelegenen Serâj hinüberschaffen zu lassen. Der Weg zu diesem Schlosse führte über einen mitten ins Meer gebauten zwanzig Ellen breiten Steindamm und von allen Seiten des Schlosses gingen Fenster aufs Meer hinaus. Der Fußboden des Schlosses war mit buntem Marmor getäfelt und die Decke war mit allerlei Farben auf das glänzendste angestrichen und mit Gold und Lazur bemalt. Nachdem sie nun hier für Kamar es-Samân seidene Teppiche ausgebreitet, die Wände mit Brokaten bekleidet und lange edelsteinbesetzte Vorhänge angebracht hatten, bezog Kamar es-Samân den Pavillon, der infolge seiner heftigen Verliebtheit die Nacht meist wachend zubrachte und in seinem Herzenskummer gelbe Farbe bekommen hatte und abgemagert war. Sein Vater aber, der König Schahrimân, setzte sich ihm zu Häupten und trauerte über ihn, doch erlaubte er jeden Montag und Donnerstag allen Emiren, Wesiren, Kämmerlingen, Großen des Reiches und den übrigen Kriegern und Unterthanen, wer immer nur wollte, ihn hier im Pavillon zu besuchen, so daß sie vor ihm erschienen, ihre verschiedenen Dienste verrichteten und bis zum Abend bei ihm blieben, worauf sie wieder ihres Weges gingen, und der König sich zu seinem Sohne Kamar es-Samân zurückzog und Nacht und Tag bei ihm blieb, bis eine geraume Zeit darüber verstrichen war.

Was nun aber die Königin Budûr anlangt, die Tochter des Königs El-Ghajûr, des Herrn der Inseln und der sieben Schlösser, so waren, nachdem die Dschinn sie wieder zurückgetragen und auf ihr Lager gebettet hatten, nur noch drei Stunden von der Nacht übriggeblieben. Wie nun das Morgenrot aufstieg, und sie aus dem Schlaf erwachte, setzte sie sich aufrecht und wendete sich nach rechts und links; da sie jedoch ihren Schatz, der an ihrem Busen geruht hatte, nicht erblickte, erbebte ihr Herz; ihr Verstand verließ sie, und sie stieß einen lauten Schrei aus, so daß alle ihre Sklavinnen, die Ammen und Aufseherinnen erwachten und bei ihr eintraten. Die Oberin trat dann vor und fragte sie: »Meine Herrin, was ist dir zugestoßen?« Da entgegnete sie ihr: »Unglücksalte, wo ist mein Schatz, der hübsche Jüngling, der heute Nacht an meiner Brust ruhte? Sag mir, wohin er gegangen ist?« Als die Aufseherin diese Worte von ihr vernahm, ward der lichte Tag in ihrem Angesichte Finsternis, und sie sagte, in großer Furcht vor ihrem Zorn: »Meine Herrin Budûr, was sollen diese abscheulichen Worte?« Die Herrin Budûr erwiderte ihr jedoch: »Wehe dir, Unglücksalte, wo ist mein Geliebter, der hübsche Jüngling, mit dem schönen Gesicht, den schwarzen Augen und zusammengewachsenen Brauen, der die Nacht über vom Abend bis kurz vor Anbruch der Morgenröte bei mir zubrachte?« Da sagte die Aufseherin: »Bei Gott, ich habe weder einen Jüngling noch sonst wen gesehen; um Gott, meine Herrin, treibe nicht solchen das Maß überschreitenden Scherz, der uns das Leben kosten kann. Wenn dieser Scherz deinem Vater zu Ohren kommt, wer wird uns dann aus seiner Hand erretten?«

Hundertunddreiundneunzigste Nacht.

Die Königin Budûr erklärte jedoch von neuem: »Heute Nacht war ein Jüngling bei mir, dessen Gesicht schöner war als das aller andern Menschen;« worauf die Aufseherin ihr erwiderte: »Gott schütze deinen Verstand, heute Nacht war niemand bei dir.« Wie nun Budûr jetzt auf ihre Hand blickte und dort Kamar es-Samâns Siegelring an ihrem kleinen Finger erblickte, während der ihrige verschwunden war, sagte sie zur Aufseherin: »Wehe dir, Betrügerin, willst du mir etwas vorlügen und sagen, daß niemand bei mir war, und mir noch bei Gott falsch schwören?« Die Aufseherin entgegnete ihr: »Bei Gott, ich lüge dir nichts vor und schwöre nicht falsch.« Da zog die Herrin Budûr ergrimmt über sie ein Schwert, das sie bei sich hatte, und schlug die Aufseherin damit nieder, so daß der Eunuch und die Sklavinnen und Beischläferinnen schreiend zu ihrem Vater liefen und ihm den Zustand seiner Tochter vermeldeten. Der König begab sich sofort zu seiner Tochter, der Herrin Budûr, und fragte sie: »Meine Tochter, was fehlt dir?« Budûr erwiderte: »Mein Vater, wo ist der Jüngling, der heute Nacht an meiner Seite schlief?« Dabei flog ihr der Verstand aus dem Kopfe, und, nach rechts und links sich umwendend, zerriß sie ihr Kleid bis zum Saume.

Als ihr Vater dies Gebaren von ihr sah, befahl er den Sklavinnen und Eunuchen, sie zu ergreifen, worauf dieselben Hand an sie legten, sie fesselten, eine eiserne Kette um ihrem Hals legten und sie an das Schloßfenster banden, während ihrem Vater beim Anblick dessen, was seine Tochter betroffen hatte, die Welt eng wurde, da er sie liebte und er sich ihren Zustand sehr zu Herzen nahm. Alsdann ließ er die Sterndeuter, die Weisen und die Talismankundigen kommen und sagte zu ihnen: »Wer meine Tochter von ihrer Krankheit heilt, den vermähle ich mit ihr und gebe ihm mein halbes Königreich; wer sie aber nicht heilt, dem schlage ich den Kopf ab und lasse denselben auf dem Thor meines Schlosses aufpflanzen.« Und so geschah es denn, daß er jedem, der zu ihr ging und sie nicht zu heilen vermochte, den Kopf abschlagen und denselben auf dem Thor seines Schlosses aufpflanzen ließ, bis er schließlich um ihretwillen vierzig Köpfe hatte abschlagen lassen, so daß, obwohl er alle Weisen herbeiforderte, sich alles Volk von ihr zurückzog, da keiner der Weisen sie zu heilen imstande war.

Während nun ihr Fall alle Gelehrten und die Talismankundigen in Verlegenheit brachte, wuchs die Leidenschaft und die Sehnsucht der Herrin Budûr; von Verliebtheit und Liebestollheit elend gemacht, klagte sie weinend die Verse:

»Meine Sehnsucht nach dir, o mein Mond, ist mein Widersacher,
Und Erinnerung an dich ist im Dunkel der Nacht mein Tischgenoß.
In meinen Nächten tobt mir im Herzen eine lodernde Flamme,
Deren Glut dem Feuer im Höllenpfuhle gleicht.
Von namenloser Leidenschaft und Glut werd ich gepeinigt,
Und die Folterqualen, die ich von ihnen erdulde, offenbaren mein Leid.«

Dann sprach sie noch folgende Verse:

»Meinen Salâm auf meinen Geliebten, wo immer er weilt,
Denn, siehe, nach meinem Geliebten steht einzig mein Herz.
Meinen Salâm auf dich, doch keinen Scheidesalâm,
Nein, einen Salâm, der immer voller ertönt;
Denn, siehe, dich lieb ich und ich lieb deine Stätte,
Doch mein Herz ist fern von dem, wonach mich verlangt.«

Nachdem die Herrin Budûr diese Verse gesprochen hatte, weinte sie so lange, bis ihre Augen krank wurden und ihre Wangen welkten, und verharrte drei Jahre lang in diesem Zustande.

Nun hatte aber die Herrin Budûr einen Milchbruder, Namens Marsawân, der sie inniger als ein Bruder liebte aber während dieser ganzen Zeit abwesend auf Reisen zu den fernsten Ländern gewesen war. Als derselbe wieder heimkehrte, besuchte er seine Mutter und erkundigte sich bei ihr nach seiner Schwester, der Herrin Budûr, worauf seine Mutter zu ihm sagte: »Ach, mein Sohn, deine Schwester ist verrückt geworden; drei Jahre sind schon darüber verstrichen, und sie trägt eine eiserne Kette um ihren Hals, und keiner der Ärzte vermochte sie zu heilen.« Als Marsawân dies vernahm, sagte er: »Ich muß sie unbedingt besuchen; vielleicht erkenne ich ihre Krankheit und bin imstande sie zu heilen.« Seine Mutter erwiderte ihm darauf: »Du sollst sie gewiß besuchen, doch gedulde dich bis morgen, damit ich eine List für dich ersinnen kann.« Darauf begab sich seine Mutter zum Schloß der Herrin Budûr, suchte dort den Eunuchen, welcher mit der Bewachung der Thür betraut war, auf und sagte zu ihm, indem sie ihm ein Geschenk überreichte: »Ich habe eine Tochter, welche mit der Herrin Budûr erzogen wurde, und die ich bereits verheiratet habe. Dieselbe ist sehr betrübt über das Unheil, das die Herrin Budûr befallen hat, und ich erhoffe nun von deiner Güte, daß du meiner Tochter gestattest, die Herrin Budûr für eine Stunde zu besuchen, worauf sie wieder fortgehen wird, von wannen sie gekommen ist, ohne daß jemand etwas von ihr weiß.« Der Eunuch erwiderte ihr darauf: »Das ist nur zur Nacht möglich, nachdem der Sultan hier gewesen ist und seine Tochter besucht hat. Ist er wieder fortgegangen, so komm mit deiner Tochter herein.« Da küßte die Alte dem Eunuchen die Hand und ging wieder heim. Als aber der Abend anbrach, erhob sie sich zur selbigen Zeit und Stunde, nahm ihren Sohn Marsawân, legte ihm Frauenkleider an und begab sich mit ihm, seine Hand in die ihrige legend, zum Schloß, woselbst sich der Eunuch bei ihrem Anblick erhob und zu ihr sagte: »Tritt ein, doch bleib nicht zu lange.«

Als nun die Alte mit ihrem Sohn Marsawân eingetreten war, und dieser die Herrin Budûr in ihrem Zustande erblickte, begrüßte er sie, nachdem ihm seine Mutter die Frauenkleider abgenommen hatte; dann holte er die Bücher, die er bei sich hatte, hervor und zündete eine Kerze an. Sobald ihn aber die Herrin Budûr anschaute, erkannte sie ihn und sagte zu ihm: »Mein Bruder, du warst auf Reisen, und es blieben die Nachrichten von dir aus.« Da entgegnete er ihr: »Es ist wahr, doch hat mich Gott wohlbehalten heimgeführt. Nun wäre ich gern wieder auf Reisen gegangen, wenn mich nicht die schlimmen Nachrichten von dir zurückgehalten hätten, und mein Herz um dich entbrannt wäre. Ich kam deshalb zu dir, ob ich nicht deine Krankheit erkennen könnte und sie zu heilen vermöchte.« Budûr fragte ihn hierauf: »Glaubst du wirklich, mein Bruder, daß das, was mich befallen hat, Wahnsinn ist?« Alsdann machte sie ihm eine Andeutung indem sie folgende Verse vortrug:

»Sie sagten: Die Liebe hat dich verrückt gemacht, und ich sagte:
Des Lebens Süße ist nur für die Verrückten.
Ja, verrückt bin ich, doch bringt mir ihn, um den ich verrückt ward,
Und tadelt mich nicht, wenn er meine Verrücktheit heilt.«

Da erkannte Marsawân, daß sie liebte, und sagte zu ihr: »Erzähle mir deine Geschichte und was vorgefallen ist. Vielleicht zeigt mir Gott ein Mittel, wodurch ich dich erlösen kann.«

Hundertundvierundneunzigste Nacht.

Die Herrin Budûr erwiderte ihm nun: »Mein Bruder, vernimm meine Geschichte. Ich erwachte eines Nachts aus dem Schlaf in dem letzten Drittel der Nacht, und richtete mich auf; da sah ich an meiner Seite den schönsten Jüngling, den es giebt, den die Zunge zu beschreiben nicht imstande ist, gleichend einem Zweige des Bân oder einem Bambusrohr. Ich vermeinte, mein Vater hätte ihm das befohlen, um mich mit ihm auf die Probe zu stellen, da er mich, nachdem sich die Könige bei ihm um mich beworben hatten, verheiraten wollte, und ich mich dessen geweigert hatte. Dieser Gedanke war es auch, der mich abhielt ihn zu wecken, da ich fürchtete, daß, wenn ich ihn umarmte, er es meinem Vater mitteilen würde. Am Morgen fand ich dann seinen Siegelring an Stelle des meinigen an meiner Hand. Das ist meine Geschichte. Seit jener Stunde aber, da ich ihn sah, hängt mein Herz an ihm, mein Bruder, und wegen meiner großen Liebe und Sehnsucht kostete ich nimmer die Speise des Schlafes und hab ich kein andres Geschäft als Ströme von Thränen zu vergießen und Nacht und Tag in Versen mein Leid zu klagen. Schau nun, mein Bruder, wie du mir in meinem Leid helfen kannst.«

Marsawân senkte hierauf verwundert sein Haupt eine Weile zu Boden, da er nicht wußte, was er thun sollte. Dann aber hob er wieder das Haupt und sagte: »Alles, was dir widerfahren ist, ist wahr; wohl ermüdet die Geschichte mit diesem Jüngling meine Gedanken, doch will ich alle Länder durchziehen und nach deinem Heilmittel suchen, vielleicht läßt Gott dich durch meine Hand gesund werden. Fasse dich nur in Geduld und ängstige dich nicht.« Hierauf verabschiedete sich Marsawân von ihr, und verließ sie, indem er ihr von Gott Standhaftigkeit erflehte. Nachdem er dann im Hause seiner Mutter die Nacht zugebracht hatte, machte er sich reisefertig und begab sich auf den Weg, indem er unablässig von Stadt zu Stadt und von Insel zu Insel einen vollen Monat lang reiste, bis er zu einer Stadt, Namens Et-Tîrab gelangte und Erkundigungen bei den Leuten einzog, um möglichenfalls das Heilmittel für die Königin Budûr zu finden. So oft er bisher in eine Stadt gekommen oder an einer Stadt vorübergezogen war, hatte er gehört, daß die Königin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr verrückt geworden wäre; als er nun aber nach der Stadt Et-Tîrab kam, vernahm er, daß Kamar es-Samân, der Sohn des Königs Schahrimân, krank sei, und daß er geistesgestört und verrückt geworden wäre.

Als Marsawân dies vernahm, fragte er einige von den Leuten jener Stadt nach Kamar es-Samâns Land und seiner Residenz, und man sagte ihm: »Das sind die Inseln Châlidân, die von uns einen vollen Monatsweg zu Wasser oder sechs Monate zu Land entfernt liegen.« Da stieg Marsawân in ein Schiff, welches gerade zur Reise nach den Inseln Chalidân gerüstet war, und segelte mit günstigem Winde einen Monat lang, bis schon die Stadt vor ihnen sichtbar wurde. Als sie aber nahe an sie herangekommen waren, und ihnen nichts mehr übrig blieb als an den Strand zu gelangen, brach ein Sturm gegen sie los und warf die Segelstange um, so daß die Segel ins Meer fielen, und das Schiff mit seinem ganzen Inhalt umgekehrt wurde.

Hundertundfünfundneunzigste Nacht.

Während nun jeder mit sich selber zu thun hatte, wurde Marsawân von der mächtigen Brandung fortgerissen und unter das Schloß des Königs geworfen, in welchem sich Kamar es-Samân befand, als grade nach dem verhängten Geschick die Emire und Wesire bei ihm zur Dienstleistung versammelt waren, und der König Schahrimân mit dem Haupte seines Sohnes Kamar es-Samân, der seit zwei Tagen weder gegessen noch getrunken oder gesprochen hatte, in seinem Schoße dasaß, während ein Eunuch ihm die Fliegen wehrte; der Wesir aber stand zu Füßen Kamar es-Samâns nahe bei dem Fenster, welches aufs Meer ging, und sah, als er seinen Blick erhob, Marsawân, wie er gerade dem Ertrinken nahe war und den letzten Schnaufer that. Im Herzen von Mitleid zu ihm ergriffen, trat er an den Sultan heran, richtete sein Haupt gegen ihn und sprach: »Ich bitte dich um Erlaubnis auf den Schloßhof zu gehen und das Thor zu öffnen, daß ich einen Menschen errette, der gerade dem Ertrinken im Meere nahe ist, und so seine Drangsal in Freude verwandle. Vielleicht befreit Gott hierdurch deinen Sohn von seinem Leid.« Der Sultan antwortete ihm hierauf: »An allem Elend meines Sohnes trägst du allein die Schuld. Wenn du aber diesen Ertrinkenden herausziehst, und er dann sieht, in welchem Zustande wir uns befinden, und meinen Sohn in seinem Zustande schaut, so kann er leichtlich seine Schadenfreude darüber haben. Doch schwöre ich dir bei Gott, kommt dieser Ertrinkende herauf und sieht er meinen Sohn und geht dann fort und teilt unser Geheimnis irgend jemand mit, so lasse ich dir deinen Kopf zuvor abschlagen, weil du, Wesir, an allem, was uns von Anfang bis zu Ende betroffen hat, die Schuld trägst. Thue nun, was dir gut dünkt.« Der Wesir erhob sich nun, öffnete das Thor des Schloßhofes und stieg zwanzig Schritte den Damm hinab, wo er dann ans Meer trat und Marsawân dem Tode nahe fand. Die Hand nach ihm ausstreckend, packte er ihn an seinem Haupthaar, zog ihn besinnungslos, den Leib ganz voll Wasser und mit hervorgequollenen Augen, heraus, und wartete, bis er wieder zu sich gekommen war. Dann zog er ihm seine Kleider aus, zog ihm andere Sachen an und band ihm den Turban von einem seiner Burschen um.

Hundertundsechsundneunzigste Nacht.

Nachdem er in solcher Weise Marsawân beigestanden hatte, sagte er zu ihm: »Wisse, ich habe dich vor dem Ertrinken gerettet, sei du deshalb nicht Anlaß zu meinem Tode und dem deinigen. Da fragte ihn Marsawân: »Wieso?« und der Wesir erwiderte ihm: »Weil du jetzt hinaufkommen und zwischen Emiren und Wesiren hindurchschreiten wirst, die alle um Kamar es-Samâns, des Sohnes des Sultans, willen schweigen und kein Wort reden.« Als Marsawân den Namen Kamar es-Samâns erwähnen hörte, erinnerte er sich seiner, da er von ihm zuvor hatte reden hören, doch fragte er: »Wer ist Kamar es-Samân?« Der Wesir erwiderte: »Er ist der Sohn des Sultans Schahrimân; er ist krank und liegt zu Bett, ohne daß er am Tage Ruhe findet und die Nacht vom Tage unterscheiden kann. Vor Magerkeit ist er dem Abscheiden nahe und sieht wie ein Toter aus. Sein Tag vergeht in feuriger Glut und seine Nacht in Foltersqual, so daß wir an seinem Leben verzweifeln und seines Todes gewiß sind. Hüte dich also ihn lange anzublicken und schau nirgends hin als allein auf die Stelle, auf welche du deinen Fuß setzest, sonst verlieren wir beide, du und ich, unser Leben.« Da sagte Marsawân zum Wesir: »Um Gott, teile mir die Ursache dieser Krankheit des Jünglings, den du mir soeben beschriebst, mit.« Der Wesir entgegnete ihm darauf: »Ich weiß keine andere Ursache, als daß sein Vater ihn vor drei Jahren verheiraten wollte, er sich aber weigerte. Am andern Morgen behauptete er dann, er hätte zur Nacht an seiner Seite ein Mädchen von ausnehmender, sinnbethörender und unbeschreiblicher Schönheit und Anmut an seiner Seite schlafen gesehen und erzählte uns, er hätte ihren Siegelring von ihrem Finger abgezogen und selber angesteckt und ihr den seinigen angesteckt, ohne daß wir das Mysteriöse dieser Geschichte zu begreifen vermochten. Um Gott, mein Sohn, komm nun hinauf mit mir ins Schloß, doch blicke nicht auf den Prinzen und geh hernach deines Weges, denn des Sultans Herz ist voll Zorn wider mich.« Als Marsawân dies vernahm, sprach er bei sich: »Bei Gott, das ist's, was ich suchte!« Alsdann folgte er dem Wesir, bis er zum Schloß hinaufgestiegen war, wo sich der Wesir zu Kamar es-Samâns Füßen niederließ, während Marsawân nichts eiligeres zu thun hatte, als daß er geradeswegs vorwärts schritt, bis er vor Kamar es-Samân stand und ihn betrachtete, so daß der Wesir in seiner Haut starb und, mit einem Blick auf Marsawân, diesem einen Wink gab, seines Weges zu gehen; Marsawân kehrte sich jedoch nicht an ihn, sondern betrachtete Kamar es-Samân und rief, als er erkannte, daß er gefunden hatte, was er suchte:

Hundertundsiebenundneunzigste Nacht.

»Preis sei Gott, welcher seinen Wuchs gleich ihrem Wuchs, seine Farbe gleich ihrer Farbe und seine Wange gleich ihrer Wange erschaffen hat!« Da öffnete Kamar es-Samân die Augen und lauschte gespannt. Als aber Marsawân sah, daß er auf die Worte, die ihm entgegentönten, lauschte, sprach er folgende Verse:

»Ich schaue dich aufgeregt und voll Ängsten und hör deine Lieder,
Die alle der Schönheit Preis verkünden.
Hat dich die Liebe versehrt oder bist du von Pfeilen verwundet?
Denn also nur ist Verwundeter Treiben und Thun.
Auf! reiche mir Becher voll Wein und singe mir Lieder,
Künde Suleimâs Preis, besing Er-Rabâb und Tanam.Mädchennamen. Suleimâ, Klein-Selma; Er-Rabâb, die weiße Wolke oder die Stockgeige (ein- oder zweiseitig).
Ihre Gewänder beneid ich an ihren schmiegsamen Gliedern,
Wenn sie mit ihnen den zarten Leib sich verhüllt.
Auch die Becher beneid ich all um den Kuß ihrer Lippen,
Führt sie den Wein an den schwellenden Mund.
Glaubt doch nicht, daß eines Schwertes Schneide mich traf,
Augen schnellten mir Pfeile ins Herz.
Als wir einander trafen, fand ich gefärbt ihre Finger,
Als wären getaucht sie in Drachenblut.
Da sprach sie und warf mir ins Herz ein flammendes Feuer,
Sprach wie einer, der seine Liebe nicht birgt:
Nur langsam, nicht hab ich mir festlich die Finger gefärbt,
Halte mich nicht voll Falsch und voll Trug.
Damals, als ich dich schlummernd sah, an dem Tage der Trennung.
Während mir Hand und Arm und Gelenk entblößt war,
Weint ich blutige Thränen und wischte die rinnenden Tropfen
Ab mit der Hand, da wurden die Finger so blutigrot.
Hätt' ich vor ihr geweint in meiner Liebe zu ihr,
Hätt' ich die Seele geheilt, bevor mir die Reue kam.
Sie aber weinte zuvor, und ihr Weinen nur weckte mir Thränen,
Und so sprech ich: Dem Frühern gebührt der Preis.Diese und die drei vorhergehenden Reihen sind zwei vielcitierte arabische Verse.
Ach, tadelt mich nicht um meiner Liebe zu ihr,
Bei der Liebe schwör ich, schwer leid ich um sie.
Ich wein um ein Mädchen, des Antlitz die Schönheit geschmückt hat,
Wie in Arabien und Persien kein schöneres lebt.
Lokmâns Weisheit ziert sie und Josephs Gestalt,
Davids Gesang und MirjamsDie Jungfrau Maria. keusches Gemüt;
Ich aber traure wie Jakob und seufze wie Jonas,
Bin wie Hiob geplagt und wie Adam vertrieben.
Tötet sie nicht, ob die Liebe zu ihr mich auch tötet,
Fragt sie nur, wie mein Blut ihr erlaubt war.«

Als Marsawân dieses Lied vorgetragen hatte, kehrte in Kamar es-Samâns Herz Ruhe und Frieden ein.

Hundertundachtundneunzigste Nacht.

Seine Zunge im Munde rührend, gab er dem Sultan einen Wink mit der Hand und sagte: »Laß diesen Jüngling an meiner Seite sitzen.« Als der Sultan dies von seinem Sohne Kamar es-Samân vernahm, freute er sich mächtig, nachdem er bereits auf den Jüngling erzürnt geworden war und in seiner Seele erwogen hatte, ihm den Kopf abschlagen zu lassen. Er erhob sich, ließ Marsawân an der Seite seines Sohnes sich setzen, und fragte ihn freundlich: »Von welchem Lande kommst du?« Marsawân antwortete: »Von den inneren Inseln aus dem Lande des Königs El-Ghajûr, des Herrn der Inseln, der Meere und der sieben Schlösser,« worauf der König Schahrimân erwiderte: »Vielleicht wird mein Sohn Kamar es-Samân durch deine Hände getröstet.« Hierauf neigte sich Marsawân zu Kamar es-Samân und flüsterte ihm ins Ohr: »Festige dein Herz, sei guten Mutes und kühlen Auges und frage nicht, wie es jenem Mädchen um deinetwillen ergeht, um dessentwillen du dich so elend befindest. Du verbargst dein Leid und wurdest krank, sie aber offenbarte es und wurde verrückt; es ergeht ihr jetzt sehr schlimm, sie ist eingesperrt und trägt eine eiserne Nackenfessel. Aber, so Gott will, werdet ihr beide durch meine Hand geheilt werden.« Als Kamar es-Samân diese Worte vernahm, kehrte wieder das Leben in ihn zurück. Wieder zu sich kommend, gab er dem König einen Wink ihn aufzurichten, und der König freute sich über die Maßen und setzte seinen Sohn aufrecht hin. Nachdem er dann alle Wesire und Emire entlassen hatte, lehnte er Kamar es-Samân zwischen zwei Kissen und befahl das Schloß mit Saffran zu parfümieren und die Stadt zu schmücken. Hierauf sagte er zu Marsawân: »Bei Gott, mein Sohn, du hast ein Glücksgesicht,« und erwies ihm die höchsten Ehren und verlangte Speisen für ihn. Als man dieselben ihm vortrug, aß er, und Kamar es-Samân aß mit ihm; dann verbrachte er bei ihm die Nacht, und der König verbrachte in seiner Freude über seines Sohnes Genesung ebenfalls die Nacht bei ihnen.

Hundertundneunundneunzigste Nacht.

Am andern Morgen erzählte Marsawân dem Prinzen die ganze Geschichte und sagte zu ihm: »Wisse, ich kenne das Mädchen, mit welchem du zusammen geschlafen hast; sie heißt die Herrin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr.« Alsdann berichtete er ihm alles, was sich mit der Herrin Budûr von Anfang bis zu Ende zugetragen hatte, und erzählte ihm, wie sie ihn über alle Maßen liebte, und sagte: »Alles, was sich dir mit deinem Vater zugetragen hat, ist auch zwischen ihr und ihrem Vater vorgefallen. Du bist zweifellos ihr Geliebter und sie ist deine Geliebte. Stärke daher dein Herz und nimm deine Kraft zusammen, ich selber will dich zu ihr bringen, will euch beide vereinigen und an euch handeln, wie ein Dichter sagt:

Wenn sich der Schatz mit dem Schätzchen entzweit hat,
Und das Schätzchen sein böses Schmollen nicht läßt,
So will ich die beiden doch wieder vereinen
Wie der Zapfen die Schneiden der Schere zusammenhält.

In dieser Weise ließ Marsawân nicht nach Kamar es-Samân Mut zuzusprechen, bis er wieder aß und trank, und Kraft bekam und von seiner Krankheit genas, während Marsawân mit ihm plauderte, ihm Gesellschaft leistete, ihn tröstete und ihm Verse vortrug, bis er ins WarmbadDas Zeichen der Genesung. ging. Aus Freude hierüber ließ sein Vater die Stadt schmücken, –

Zweihundertste Nacht.

verlieh Ehrenkleider, verteilte Almosen und ließ die Gefangenen los. Nun aber sagte Marsawân zu Kamar es-Samân: »Wisse, ich bin nur von der Herrin Budûr hierhergekommen, um sie aus ihrer elenden Lage zu befreien. Wir müssen daher auf eine List sinnen, wie wir zu ihr gelangen können, da dein Vater sich von dir nicht zu trennen vermag. Bitte daher deinen Vater morgen um Erlaubnis auf die Jagd in die Steppe auszureiten, nimm einen Reisesack voll Geld mit dir, setz dich auf ein edles Roß, nimm ein Handpferd mit, wie ich das Gleiche thun werde, und sprich zu deinem Vater: »Ich will mich in der Steppe auf der Jagd belustigen und mir das offene Land ansehen und eine Nacht dort zubringen; du aber laß dein Herz sich nicht beunruhigen.« Erfreut über Marsawâns Vorschlag, begab sich Kamar es-Samân zu seinem Vater und bat ihn um Erlaubnis auf die Jagd auszuziehen, indem er die Worte, die Marsawân ihm geraten hatte, sprach. Sein Vater erteilte ihm die Erlaubnis, doch sagte er: »Bleibe nicht länger als eine Nacht aus und sei morgen wieder hier, denn du weißt, daß mir das Leben ohne dich keine Freude macht, und daß ich noch jetzt nicht glauben kann, dich von deiner Krankheit genesen zu sehen.« Darauf sprach der König Schahrimân zu seinem Sohn die beiden Verse:

»Wenn ich auch lebte in aller Wonnen Fülle
Und nennete mein die Welt und das Reich der Chosroen,
Leichter als einer Mücke Flügel sollt es mir wiegen,
Schaute mein Auge nicht seine Lust an deiner Gestalt.«

Alsdann rüstete der König Schahrimân seinen Sohn Kamar es-Samân und Marsawân aus und befahl sechs Pferde, ein Dromedar fürs Geld und ein Kamel zum Tragen des Wassers und der Reisekost für sie bereit zu halten, worauf Kamar es-Samân, nachdem er sich alles Dienstgefolge verboten hatte, von seinem Vater Abschied nahm, der ihn ans Herz drückte und zu ihm sagte: »Ich beschwöre dich bei Gott, bleibe nicht länger als eine Nacht von mir fort; der Schlaf soll mir in ihr verwehrt sein.« Hierauf schritten Kamar es-Samân und Marsawân hinaus, setzten sich auf ihre Pferde und nahmen mit dem Dromedar, welches das Geld trug, und dem Kamel, das mit dem Wasser und dem Proviant beladen war, den Weg ins offene Feld.


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