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Ein Igel hatte einst seine Wohnung neben einer Dattelpalme aufgeschlagen, auf welcher ein Holztauber sich mit seiner Täubin ein Nest gemacht hatte, und ein Leben in Hülle und Fülle führte. Da sprach der Igel bei sich: »Der Tauber frißt von den Früchten der Dattel, während ich keinen Weg zu ihnen finde. Doch muß ich eine List ins Werk setzen.« Hierauf grub der Igel am Fuß der Palme ein Loch als Wohnung für sich und sein Weibchen. Neben dem Loch aber machte er sich noch eine Moschee, und zog sich in dieselbe zurück und trug Frömmigkeit, Gottesdienst und Weltentsagung zur Schau. Als ihn nun der Tauber so ergeben in Gottesdienst und Gebet sah, wurde er durch seine große Askese gerührt, so daß er ihn fragte: »Wie viele Jahre lebst du schon in dieser Weise?« Der Igel antwortete: »Seit dreißig Jahren.« »Und was ist deine Speise?« »Was von der Palme fällt.« »Was ist deine Kleidung?« »Stacheln,« antwortete der Igel, »deren Rauheit mir zu Nutz und Frommen gereicht.« »Warum aber,« fragte der Tauber, »hast du gerade diesen Ort zu deiner Wohnung erwählt?« Der Igel antwortete: »Ich erwählte ihn vor allen andern, um den Irrenden zurecht zu weisen und den Thoren zu belehren.« Da sagte der Tauber: »Ich hatte dich für anders gehalten, doch jetzt verlangt mich nach deinem Wandel.« Der Igel erwiderte ihm jedoch: »Ich fürchte, deine Worte sind das Gegenteil von deinem Thun, und gleichst du so dem Bauer, welcher zur Saatzeit das Säen bleiben ließ, indem er bei sich sprach: »Ich fürchte, die Saatzeit ist schon vorüber und ich werfe mein Geld fort, wenn ich jetzt das Säen überhaste.« Als dann aber die Erntezeit kam, und er das Volk die Ernte einbringen sah, empfand er Reue über das, was ihm durch seine Säumigkeit verloren gegangen war, und er starb vor Kummer und Leid.« Da sagte der Tauber: »Und was muß ich thun, daß ich mich aus den Banden der Welt löse und mich ganz dem Dienste meines Herrn hingebe?« Der Igel antwortete: »Fang' an dich fürs Jenseits vorzubereiten und dich mit wenig Speise zu begnügen.« Nun fragte ihn der Tauber: »Wie kann ich das zuwege bringen, wo ich ein Vogel bin und nicht von der Palme fortkann, auf welcher meine Nahrung wächst? Und vermöchte ich's auch, so weiß ich doch keinen andern Ort, wo ich mich niederlassen könnte.« Da entgegnete ihm der Igel: »Du vermagst doch dir mit deinem Weibchen von den Früchten der Palme Mundvorrat zu schütteln und in einem Nest unter der Palme zu wohnen, um hier Gott um die rechte Leitung zu bitten. Hierauf wende dich zu den abgeschüttelten Früchten, schaff' sie alle fort und speichere sie dir als Vorrat auf für die Zeit, wo es keine Früchte giebt. Bist du dann mit ihnen fertig geworden und dauert dir die Zeit lang, so üb' Entsagung.« Als der Tauber diesen Rat vernommen hatte, sagte er: »Gott lohne dir's mit Gutem, daß du mich an das Jenseits erinnert und auf den rechten Weg gewiesen hast.« Alsdann plackten sich der Tauber und seine Täubin damit ab, die Früchte abzuschlagen, bis nichts mehr an der Palme hängen geblieben war, während der Igel Futter fand und erfreut seine Wohnung mit den Früchten anfüllte und sie als Vorrat aufspeicherte, indem er bei sich sprach: »Wenn der Tauber und seine Täubin ihrer Vorräte bedürfen, werden sie dieselben von mir fordern und werden nach meinen Früchten Verlangen bekommen. Wenn sie dann im Vertrauen auf meine Frömmigkeit und Askese, und infolge meiner guten Ratschläge und Ermahnungen, mir nahe kommen, so will ich sie packen und fressen, damit mir dieser Ort allein gehört und ich an all den abfallenden Früchten der Palme genug zum Leben habe.« Nachdem nun der Tauber und die Täubin alle Datteln herunter geworfen hatten, kamen sie von der Palme herunter und fanden, daß der Igel bereits alle Datteln in seine Höhle geschafft hatte. Da sagte der Tauber zu ihm: »Guter Igel und Prediger trefflichen Rates, wir finden keine Spur von den Datteln und wissen keine andere Frucht, von der wir leben könnten.« Der Igel antwortete ihm: »Vielleicht haben die Winde sie fortgeweht; im Abwenden aber von der Nahrung zum Ernährer liegt das wahre Heil, denn der, welcher die Mundwinkel gespalten hat, wird sie nicht ohne Speise lassen.« In solcher Weise ließ er nicht nach ihnen geistliche Ermahnungen zu erteilen und vor ihnen Frömmigkeit, mit schönen Worten verbrämt, zur Schau zu tragen, bis sie ihm Vertrauen schenkten, an ihn herantraten und durch die Thür seines Baues eintraten, ohne irgend etwas von seinem Falsch zu befürchten, als er mit einem Male an die Thür sprang und mit den Reißzähnen knirschte. Wie nun der Tauber ihn diese Treulosigkeit offenbaren sah, sagte er zu ihm: »Was hat die Nacht mit dem gestrigen Tage zu thun! Weißt du nicht, daß die Unterdrückten einen Helfer zur Seite haben? Hüte dich daher vor Falsch und Trug, daß es dir nicht wie den beiden Gaunern mit dem Kaufmann ergeht.« Da fragte der Igel: »Wie war das?« und der Tauber erzählte: