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Weiter wird erzählt, daß auf einem Berge ein Hirt lebte, ein frommer, verständiger und keuscher Mann, der seine Herde hütete und von der Milch und Wolle derselben lebte. Der Berg aber, auf welchem der Hirt hauste, war reich an Wald, Weide und wildem Getier, doch konnten die Raubtiere weder dem Hirten noch seiner Herde etwas zuleide thun, so daß er, ungestört und ohne sich irgendwie um die Dinge der Welt zu sorgen, sein einziges Glück in der Verehrung Gottes fand. Da traf es sich einmal, daß er sehr krank wurde, so daß er sich infolgedessen in eine Höhle im Berge legte, während seine Herde wie gewöhnlich den Tag über auf die Weide ging und des Nachts in die Höhle einkehrte. Gott aber wollte den Hirten versuchen und seinen Gehorsam und seine Standhaftigkeit erproben und schickte deshalb einen Engel in der Gestalt eines schönen Weibes zu ihm. Als nun der Engel bei ihm eintrat und sich vor ihn setzte, erschauerte er bei seinem Anblick am ganzen Leibe, und rief ihm zu: »Weib, was hat dich hierher geladen, wo du nichts von mir zu wünschen hast, und wo es zwischen uns beiden nichts giebt, was deinen Besuch erforderlich machte?« Der Engel antwortete ihm: »Mensch, siehst du nicht meine Schönheit und Holdseligkeit und atmest du nicht meinen süßen Duft? Weißt du nicht, daß die Männer der Weiber bedürfen? Was ist's, das dich von mir abschreckt, wo ich deine Nähe erwählt habe, wo ich mich nach deiner Gemeinschaft sehne und wo ich zu dir kam, um dir zu gehorchen und dir nichts zu versagen? Ist doch keiner uns nahe, den wir zu fürchten hätten, und ich möchte, so lange du auf diesem Berge lebst, bei dir bleiben und dir Gesellschaft leisten. Ich biete mich dir an, weil du weiblicher Dienste bedarfst, und weil dich die Fleischesgemeinschaft mit mir von deiner Krankheit heilen und dir wieder deine Gesundheit geben wird; dann wirst du es bereuen, so lange Jahre deines Lebens die Frauen gemieden zu haben. Nimm meinen Rat an, ich rate dir gut, und nahe dich mir.« Der Hirt entgegnete ihr jedoch: »Gehe hinaus von mir, falsches, treuloses Weib, ich traue dir nicht, und will dir nicht nahen; ich bedarf weder deiner Nähe noch deiner Liebe. Wer hier dich begehrt, entsagt dem Jenseits, und wer das Jenseits begehrt, entsagt dir, dieweil du die Ersten und Letzten verführt hast. Gott, der Erhabene, hat ein Auge auf seine Diener, und wehe dem, der durch deinen Umgang heimgesucht ist!« Da sagte der Engel zu ihm: »O du vom Wahren Abschweifender und vom rechten Weg Abirrender, heb' dein Angesicht zu mir, schau' meine Reize und pack' meine Nähe als gute Beute, wie es manch ein Weiser vor dir gethan hat, die erfahrener und einsichtiger als du waren und trotzdem den Weibesgenuß nicht mit dem Fuße zurückstießen wie du, sondern nach der Fleischesgemeinschaft der Weiber, der du entsagt hast, begehrten und sich ihnen naheten, ohne daß es ihrem Glauben oder ihren irdischen Dingen Schaden brachte. Gieb daher deine Sprödigkeit auf und du sollst den Ausgang preisen.« Aber der Hirt versetzte: »Was du zu mir sprichst, verabscheue ich, und was du mir zeigst, dem entsag' ich, weil du voll Falsch und Treulosigkeit bist und weder Treu noch Glauben besitzt. Wieviel Gemeinheit hast du unter deiner Schönheit verborgen und wieviel Reine hast du verführt, deren Ausgang Reue und Trauer war! Hebe dich daher von mir, du, die du dich der Verführung anderer geweiht hast!« Alsdann warf er seinen härenen Mantel übers Gesicht, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, und betete eifrig zu seinem Herrn, worauf der Engel ihn, nachdem er seine lautere Frömmigkeit geschaut hatte, verließ und wieder gen Himmel fuhr.
In der Nähe des Hirten lag aber ein Flecken, in welchem ein frommer Mann wohnte, der nichts von dem Hirten wußte. Dieser hörte eines Nachts im Traume eine Stimme, welche ihm zurief: »Nahe bei dir wohnt an der und der Stelle ein gottergebener Mann; such' ihn auf und gehorche seinem Befehl.« Am nächsten Morgen in der Frühe machte er sich zu ihm auf den Weg, und setzte sich, als ihm die Hitze drückend wurde, in den Schatten eines Baumes, neben welchem eine Quelle rieselte, um sich zu erholen. Als er nun dort saß, kamen wilde Tiere und Vögel zur Quelle, um daraus zu trinken, doch flohen sie wieder, als sie den frommen Mann dort sitzen sahen. Da sprach er bei sich: »Ich ruhe mich hier nur aus, um die Tiere und Vögel zu plagen,« und stand auf, indem er sich schalt: »Fürwahr, mein Sitzen hier hat an dem heutigen Tage diesen Wesen Abbruch gethan! Wie soll ich mich nun bei meinem Schöpfer entschuldigen, der diese Vögel und Tiere doch auch geschaffen hat? Ich habe sie von ihrem Wasser und ihrer Weide verscheucht, und weh mir! wie werde ich nun vor meinem Herrn erröten, wenn er die ungehörnten Schafe an den gehörnten rächt!« Dann sprach er, während ihm die Thränen von den Lidern liefen, die Verse:
Bei Gott, wenn die Geschöpfe wüßten, wozu sie erschaffen sind,
Sie würden nicht sorglos sein und dem Schlaf sich überlassen.
Erst kommt der Tod, dann die Auferstehung und dann die Versammlung,
Der Tadel im Gericht und der Verdammnis furchtbare Schrecken.
Sei's, daß wir verbieten oder befehlen, wir gleichen doch alle
Den Höhlengefährten,Es sind die Siebenschläfer gemeint, sieben christliche Jünglinge aus Ephesus, welche nach der Legende sich vor der Verfolgung des Kaisers Dezius in eine Höhle flüchteten und dort 309 Jahre schliefen. Vergleiche Sure 18. Die Höhle. dieweil die meisten von uns schlafen.
Dann weinte er darüber, daß er unter dem Baum bei der Quelle gesessen und die Vögel und Tiere am Trinken verhindert hätte, und machte sich eilig fort, bis er zum Hirten kam, und bei ihm eintrat und ihn begrüßte. Der Hirt erwiderte ihm den Salâm, umarmte ihn weinend und fragte ihn: »Was hat dich an diesen Ort geführt, den bisher noch kein Mensch betreten hat?« Der fromme Mann antwortete: »Ich schaute jemand im Traume, welcher mir deinen Ort beschrieb und mir befahl zu dir zu wandern und dich zu begrüßen. Nun bin ich, gehorsam dem Befehle, zu dir gekommen.« Da küßte ihn der Hirt, glücklich über seine Gesellschaft, und sie lebten nun zusammen auf dem Berge und beteten zu Gott in jener Höhle in reinster Frömmigkeit und nährten sich von dem Fleisch und der Milch ihrer Herde, ledig an Gut und Kindern, bis die Gewißheit zu ihnen kam; und das ist das Ende ihrer Geschichte.«
Da sagte der König: »O Schehersad, du hast mich mein Reich für ein eitles Ding ansehen und die Hinrichtung so vieler Frauen und Mädchen bereuen gelehrt, doch weißt du noch eine Geschichte von den Vögeln?« Schehersad antwortete: »Jawohl.«