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Auf dem Schloßboden, wo der Brandmeister Branntwein und Bier verkaufte, war ein langer, schmalschultriger Kunde die Treppe hinabgestoßen worden, und der leere Zinnkrug wurde ihm nachgeschleudert, so daß er ihm zwischen die Stiefel rollte. Seine Kammgarnstrümpfe waren gestopft und schmutzig. Das Halstuch hatte er bis über den Mund und die unrasierten Backen hinaufgebunden, und er stand immerwährend mit den Händen in den Taschen seiner Rockschöße.
»Weist den verrückten Ekeroth hinaus!« sagte der Brandmeister. »Er hat Tabakpriemchen ins Bier gepustet und Peter Maler mit einer Stopfnadel gestochen, und er ist voller Bosheit durch und durch. Dann schlagt den Klapptisch zusammen: Es ist Befehl gegeben, die Schloßtore zu schließen, denn es ist jetzt bald zu Ende mit dem Leben der Königlichen Majestät.«
Einer der Kammerdiener war Karls alter, treuer Diener Haakon. Er hatte ein friedliches Gesicht und ging so krummbeinig in seinen steifen Kleidern, daß es aussah, als sei er eben vom Pferd gestiegen. Er hob den Krug auf und steckte ihn freundlich unter Ekeroths Arm.
»Ich werde dem Herrn Konstabler folgen,« sagte er, »oder dem Herrn Leutnant, oder wie man nun sagen soll.«
»Lars Ekeroth ist Kapitän bei der Kriegsflotte der gnädigen Majestät,« antwortete Ekeroth, »und reise- und sprachkundig ist er auch. Hier auf dem Schloßboden weiß man zwischen Volk und Volk zu unterscheiden. Ich werde eine Anzeige und Klage einreichen, das werde ich. Habe ich Euch nicht gesagt, daß es bald Feuer vom Himmel regnen und jede Sparre in diesem Hause lichterloh brennen wird? Käufliche Ratgeber, ungerechte Urteile, Fluch und Jammer sind unser täglich Brot geworden, und des Herrn Zorn lastet schwer über dem Land.«
»Herr Leutnant ... oder ... Kapitän brauchen nicht noch Reden zu führen über schlimmere Unglücke, als die uns Gott bereits zu tragen gegeben hat. Auf den Hügeln ringsum hat die Feuersbrunst gewütet, und seit zehn Jahren haben wir Mißernte und Hungersnot. Eine Tonne Roggen kostet schon zwölf Reichstaler Silber. Bald wird das Futter selbst im Stall des Königlichen Hauses mangeln, und die Fahrzeuge mit dem verschriebenen Getreide liegen draußen festgefroren zwischen den Schären.«
Ekeroth ging neben ihm die Treppe hinab und sah sich um, ohne die kleinen, unruhigen Augen auf einen bestimmten Gegenstand zu heften. Mitunter blieb er stehen und nickte und sprach halblaut vor sich hin.
Durch die Luken schimmerten der Burghof in der Tiefe und die überbaute Treppe mit ihren Obelisken und die Wachen, die im Trompetergang hin und her schritten. Hinter den schneeigen Türmen und Dächern bewegten sich kleine schwarze Menschengruppen auf dem gefrorenen Mälarsee zwischen »Kungsholmslandet« und »Söder«, und der Märzabend schien quer durch einen der Säle des linken Schloßflügels, so daß es aussah, als sei der Kronleuchter angezündet worden. »Ja, ja,« murmelte Ekeroth, »das wird alles brennen, alles, alles, – – all das, was unsere Schande, all das, was unsere Größe gewesen ist. Ich habe »glänzende Männer« am Himmel gesehen, und wenn ich des Nachts mit meiner Pfeife sitze, sehe ich im Tabakrauch wunderliche Planeten, die mir deuten, daß die alte Weltordnung gestört ist. In Ungarn und Deutschland regnet es Schwärme von arabischen Heuschrecken. Die feuerspeienden Berge sprühen glühende Steine. Schon vor zwei Jahren hatten wir im Februar fingerhohes Gras im Tiergarten und hörten die Frühlingsvögel singen, aber im Mai fuhren wir Schlitten. Im August hingen die Kornähren bereift, aber im September pflückte ich Erdbeeren auf Essingen. In solchen Zeiten geschieht es, daß Gott der Herr die Augen der Auserwählten öffnet, auf daß sie sehen, was verborgen ist.«
»Um Gottes willen, redet nicht so!« stammelte Haakon.
»Sieht er seine Gesichte im Schlaf oder im Wachen?«
»Zwischen Schlaf und Wachen.«
»Ich verspreche, daß ich seiner Königlichen Majestät selbst jedes Wort berichten werde, wenn der Herr Leutnant mir ganz wahrheitsgetreu alles erzählen will, was er sah und weiß. Sieht er dort unten die zwei Fenster, deren Läden zugeschoben sind? Es ist keine halbe Stunde, seit ich da drinnen war. Dort sitzt die Königliche Majestät in einem Stuhl, in Decken und Kissen gebettet, und ist so zusammengeschrumpft und klein geworden, daß nur noch Nase und Lippen übrig sind. Und kann den Kopf nicht heben. Arme Majestät, daß er solche Qualen erdulden muß, obgleich er erst einige vierzig Jahre alt ist. Wenn er früher durch die Zimmer gehinkt kam, war ich am frohsten, wenn ich entwischen konnte, aber obgleich ich nur der geringste unter den Dienern bin, kann er mich jetzt um den Hals fassen und mich unter strömenden Tränen an sich drücken. Ich glaube nicht, daß er für seinen Sohn viel wärmer fühlt, als er es für seine Gemahlin tat. Wenn er nach ihm sendet, ist er wortkarg und sitzt meistens da und sieht ihn an. Er spricht jetzt nur vom Reich, und wieder vom Reich. Noch vor einer Woche sah ich auf seinen Knieen Papiere über Häuserbesichtigung, Oktrois und solches Zeug, aber jetzt hat er keine geheimen Ratschläge für den Sohn aufgeschrieben und den Brief in einen versiegelten Eisenschrein gelegt; und sobald jemand in die Kammer tritt, ist es, als stammelte er mit seinen fieberglänzenden Augen und seinen Worten ein beständiges: »Helft mir, helft mir das Reich aufrecht zu erhalten, meinen Sohn würdig und klug zu machen! Das Reich! Das Reich!«
Haakon fuhr mit der Hand über die Stirn, und sie gingen weiter die Treppe hinab, von Luke zu Luke.
»In dem Zimmer dort unter uns zur Linken befindet sich Ihre Majestät die Königin-Witwe. Sie hat sich die letzten Tage eingeschlossen, und nicht einmal Tessin darf mit seinen Mappen hinein. Keiner weiß recht, was sie treibt, aber ich denke, daß sie wohl die düsteren Gedanken jetzt mit einer Partie Fünfkarten und Trumpf verjagt. Da klingeln und bimmeln die Berlocken gegen die Spieltischkante, und es knistert und rauscht von Spitzen und Bändern ... und das spanische Rohr mit dem Goldknopf gleitet zu Boden ...«
»Und das schöne Fräulein Hedwig Stenbock, das hinter dem Stuhl steht, knickst und hebt ihn auf.«
»Das tut sie gewiß nicht, denn sie ist schon lange verheiratet und alt und häßlich und daheim bei sich. Herr Leutnant leben nur in dem, was gewesen ist, und in dem, was werden wird.«
»Mag sein!« Ekeroth blinzelte boshaft und deutete auf den nördlichen Schloßflügel, der neuerdings von Tessin aufgeführt worden, seitdem der alte der Erde gleichgemacht war. Einige Baugerüste standen noch da, mit Tannenzweigen auf den höchsten Mastspitzen. – »Na, wer wohnt unter dem langen Kistendeckel dort? Pfui tausend! Kein Mensch wohnt drin ... Und es wird auch keiner drin wohnen, das weiß ich. Warum konnte es nicht stehen bleiben, wie es war? Der Teufel hole die Gottorperin, die der Königlichen Majestät all die Bauereiverrücktheit in den Kopf gesetzt hat! Sieht er, Kammerdiener, gerade wie jeder Mensch seine Seele hat, hat jedes alte Haus allerhand Spukgesindel und andere Wesen der Finsternis in seinem Innern, die beängstigt und beunruhigt werden, wenn man mit Hacke und Mauerkelle kommt. Erinnert er sich des grünen Ganges, der ehemals unter dem Dachstuhl entlanglief, oberhalb der alten Schloßkirche? Dort geschah es, daß meine Augen mir zum erstenmal geöffnet wurden. Oh, ich werde schon erzählen. Ich werde dem Kammerdiener alles sagen, wenn er mit mir nach Hause kommt und dann sein Versprechen hält, jedes Wort der Königlichen Majestät selbst zu berichten.«
Sie waren jetzt zur Einfahrtswölbung herunter gekommen und gingen auf der Brücke über den Schloßgraben. Ein Kurier mit der Ledertasche auf dem Rücken war eben im Begriff, vom Pferd zu steigen, und seine Antworten auf die vielen Fragen konnte man durch das Fußgetrampel und das Kommandieren vernehmen.
»Auf sechs Meilen nördlich von Stockholm nur drei Menschen gesehen ... Sie saßen am Wegrand und nährten sich von einem verendeten Tier ... In Norrland kostete ein Pfund mehlgemischter Rinde vier Reichstaler in Silber ... Die Soldaten hungern sich zu Tode ... Die Regimenter kaum halbzählig ...«
Ekeroth nickte zustimmend, als wäre ihm das schon längst bekannt gewesen, und er ging immerwährend neben Haakon, mit dem Zinnkrug unterm Arm und den Händen in den Rockschößen.
Als sie nach seiner Bodenkammer bei Traansund hinaufgekommen waren, warf er einen mißtrauischen Seitenblick auf Haakon, und als er den Schlüssel ins Schloß steckte, untersuchte er genau, ob die Tür nicht während seiner Abwesenheit geöffnet worden wäre. Die Kammer war groß und kalt. Im Fenster stand ein Käfig mit einem Eichhörnchen, und an der einen Wand war eine Menge verschiedener Münzen reihenweise aufgenagelt. Da saßen blanke Elbinge Reichstaler und kleine und große Kupfermünzen und ein revalscher Fünfdukaten und sogar ein paar von den alten Palmstruchschen Banknoten, die schon seit dreißig Jahren wertlos waren. Ekeroth ging hin und musterte und zählte die Gelder.
»Der Tor,« sagte er, »versteckt seine Habseligkeiten so tief, daß er sie nicht selbst überwachen kann, aber ich will sie unter den Augen haben, so daß ich sie leicht in den Sack hineinzählen kann, wenn das schlimme Feuer kommt.«
Aus der einen Ecke zog Ekeroth fünf Holzscheitchen hervor, die er in den Kamin stellte und mit einem Kienspan ansteckte. Danach stopften er und Haakon ihre Pfeifen, und da es keine Stühle gab, setzten sie sich auf den Boden vor das Feuer.
»Na, laß jetzt hören!« sagte Haakon.
Ekeroth erzahlte:
»Nie habe ich etwas so Grauenhaftes gesehen wie den grünen Gang. Es war zu der Zeit, da ich Konstabler bei der Kriegsflotte war. Jetzt hat man mir ja meine kleine Pension von zweihundertfünfzig Talern zugestopft. Großartig, he! Ich wurde wohl aus dem Dienst gejagt, weil man Angst hatte, daß ich sonst als Generaladmiral schließen würde. Und das wollte Hans Wachtmeister selbst sein. – –
»Der Kerl ist toll!« schrie er auf Deck, als ich ihn höflich bat, erst den Hut abzunehmen, ehe er mich ins Takelwerk hinaufkommandierte. Und dann war es aus mit mir. Der verrückte Ekeroth hieß ich schon damals, wo ich ein- und ausging. So geht es zu. Ein armer Gesell trägt einen Kameraden zu Grabe, dann trägt er seinen Meister zu Grabe und für einen Heller noch den einen und den anderen und macht sich einen Wachstuchhut und einen langen, schwarzen Mantel, und wenn er Eile hat, fallen ihm die Totenlisten aus der Tasche ... und die Kinder nehmen Reißaus und weinen und schreien: »Der Leichenträger, der Leichenträger!« Aber, obgleich man ein solches Halunkengespenst werden kann, sind wir doch ursprünglich allesamt aus demselben Teig geknetet. Berichte das nur Wort für Wort Seiner Königlichen Majestät selbst ... Nun ja, damals war ich ganz geschickt im Zeichnen und Kopieren. Einige Tage vor dem Hader mit Wachtmeister ward mir deshalb gnädig befohlen, einen anderen Konstabler mit mir zu nehmen, der Nils hieß, und mich in der Vorratskammer oberhalb der alten Papistenkirche in den Schloßturm einzustellen, der nach dem Strom zu lag. Dort sollten wir eine zerbrochene Galeonslaterne abzeichnen, nach der die Königin-Witwe eine neue für ihre Mälarschaluppe anfertigen lassen wollte. Als wir so eines Tages dort saßen und würfelten und uns mit der gesprungenen Galeonslaterne neckten, die kein Teufel hätte abzeichnen können, kam die Lust über mich, und ich rief:
»Nils, hast du jemals einen Hund mit fünf Beinen gesehen?«
Da Nils mit der Achsel zuckte, sprach ich weiter: »Ich habe neulich einen auf dem »Järntorget« gesehen. Auf vier Beinen ging er, und das fünfte hatte er im Maul.« Nils wurde mürrisch, und um ihn zu ärgern, rief ich noch lauter: »Witzig bist du nicht. Laß sehen, ob du mutig bist! Ich wette dieses Zinnmaß, mit echtem spanischen Wein gefüllt und einem Dukaten auf dem Boden, daß ich beim Abendläuten allein durch den grünen Gang gehen werde.«
Niels antwortete: »Ich weiß, wenn du dir etwas vornimmst, nützt es nichts, dich davon abbringen zu wollen, und ich will nicht, daß du mich wegen des Geschenkes für geizig halten sollst. Deshalb, lieber Ekeroth, wette ich, wie du wünschest, aber ich will nicht vor deiner alten Mutter die Verantwortung tragen, wenn es dir schlecht bekommt. Deshalb gehe ich lieber zu mir nach Hause. Bei Tag ist diese herrschaftliche Wohnung prächtig genug anzuschauen, aber bei Nacht mag es hier wunderlich zugehen, und ich schlafe lieber in der erbärmlichsten Hütte auf »Malmen«. –
Ich nannte ihn einen Hasenfuß und ließ ihn seines Weges gehen. Sobald ich allein war, merkte ich, daß es schon zu dämmern begann, und um mich zu stählen, ging ich die drei Paar Stufen der Bodentreppe hinab nach dem grünen Gang und guckte durchs Schlüsselloch.
Die grüne Bemalung war an mehreren Stellen abgefallen, so daß die alte hellrote Farbe durchschien. Den Wänden entlang stand allerhand Hausgerät, das ausgedient hatte und hier heraufgebracht war. Ich sah Schränke und Stühle und Malereien mit Hunden und Pferden, und zu hinterst stand ein Bett mit zusammengezogenen Gardinen. Auf den Seiten waren leere Winkel und Verstecke, wo es durch das undichte Dachwerk tropfte und spritzte.
Es war zur Zeit der Walpurgismesse und deshalb einigermaßen hell; das gab mir eine gewisse Sicherheit wieder, so daß ich mich unten auf die Treppe setzen konnte, aber ich wußte, daß wunderliche Wesen ihren Aufenthalt da oben unter dem Fußboden hatten. Die Lakaien nannten sie Nachthexen, weil sie erst bei der Dämmerung die morschen Dielen emporhoben und ihre Köpfe herausstreckten.
Sie waren nicht größer als ein dreijähriges Kind und ganz braun und nackt und hatten Frauenkörper. Oft konnten sie auf die Schränke klettern und da sitzen und mit den Armen winken; und der, dem es widerfuhr, an einer vorbeizustreifen, starb binnen Jahresfrist. Sie pflegten rings über den Boden zu springen, und zuweilen schrieen sie auf gewissen Orten und polterten unter dem Sitz, daß die Hoffrauenzimmer sich nicht hinzugehen getrauten, sondern lieber die ganze Nacht mit Kolik lagen.
Sobald ich das Abendläuten vernahm, stieß ich die Tür sperrangelweit auf. Ich ging einen Schritt vor, aber mein Entsetzen war so groß, daß ich mit den Händen auf dem Türpfosten stehen blieb und nur stierte. Durch einen der freien Flecke an den gekreideten Fenstern sah ich bis zum Turm auf dem Brunkeberg, und das stärkte mich, so daß ich geradeswegs in den grünen Gang hineinsprang, damit das Läuten nicht aufhörte, ehe ich zurückgekommen wäre. So lange es läutete, würden die Wesen der Finsternis nichts vermögen.
Ungefähr in der Mitte des Ganges sah ich plötzlich etwas Dunkles längs den Bettgardinen daherschreiten und sich in einen der Lehnsessel schmiegen, wie um sich zu verstecken oder zu warten. Mein linkes Knie beugte sich von selbst, und ich hörte das Echo meines Geschreis durch die Böden, von dieser Stunde an wurden meine Augen geöffnet, so daß die Menschen mich verrückt nannten. Gegen das Fenster sah ich, daß ein Mann in dem Stuhl saß. Er blieb ebenso unbeweglich wie ich. Auf einmal faßte er mich am Arm und flüsterte zwischen den Zähnen:
»Figlio di un cane! Spion? Was? Kammerdiener bei der Königin-Witwe?«
»Gelobt sei Gott!« stammelte ich, denn nun verstand ich, daß es ein Mensch und meinesgleichen war, und an der zitternden und ungeschickt tastenden Hand sah ich, daß er nicht minder erschrocken war als ich selbst. Auch bemerkte ich, daß er in bloßen Socken war und die Schuhe vorn in die Brust gesteckt hatte. Ich sammelte meine Gedanken und beschrieb meinen einfältigen Streich, und schließlich wurde mir geglaubt.
»So ein verdammtes, baufälliges, altes Nest,« brummte der Mann, um seine eigene Überraschung zu verbergen. »Es ist hier ein solches Dachgetropf, daß ich an den Füßen ganz und gar durchnäßt bin. So wahr ich lebe, soll hier ein neues Haus gebaut werden ... Mein guter Mann, kannst du den Weg finden, so hilf mir durch dieses Bodenlabyrinth hier durch nach dem Ballettsaal. Wer ich bin, ist einerlei.«
»Das ist es freilich,« antwortete ich, »obgleich ich den gnädigen Herrn Kammerherrn Tessin erkenne.«
Ich schwieg und nahm mich am Rockschoß, und so kehrte ich um und ging vor ihm her.
Ich glaube, im Grunde genommen waren wir alle beide gleich froh, daß wir einander getroffen hatten. Als wir nach dem Ballettsaal herunter kamen, befahl er mir, vor der Tür zu bleiben, aber ich hörte die Nachthexen hinter uns in der Dämmerung springen und behielt die Hand auf dem Schloß, so daß ich die Tür gleich wieder aufschieben und mich unbemerkt nachschleichen konnte. Durch die Fenster sah ich den Strom, und innen standen ringsum an den Wänden eine Menge angelehnter Kulissen, mit zugestutzten Bäumen und weißen Tempeln bemalt.
Tessin blieb mitten im Saal stehen und klatschte dreimal in die Hände.
Eine Dame erhob sich hinter den Kulissen und öffnete eine kleine Blendlaterne.
War das nicht Hedwig Stenbock, das gräfliche Hoffräulein der Königin-Witwe! Sieh mal an, dachte ich und biß mir in die Lippen, dieser ausländische Modeherr angelt schon so hoch!
»Hedwig, mein Allerliebstes auf dieser Welt!« sagte er. »Wir gehen gleich auf deine Kammer. Kein raisonnement, ma chère!«
Hedwig Stenbock war gegen fünfunddreißig Jahre, und sie ging ihm so starr und steif entgegen, daß ich ihr kein Herz und keine Seele zugetraut haben würde, wenn sie nicht mit einem Male ganz verwandelt worden und ihr das Blut in die Wangen gestiegen wäre, als er sie umarmte:
Da vergaß ich mich und rief halblaut: »Ja, ja, ja!«
Tessin wendete sich um, er war aber so eifrig, daß er nur die Augenbrauen zusammenzog und alle Worte darauf verschwendete, meine Gegenwart zu erklären.
»Irgendeinen Helfershelfer müssen wir haben auf alle Fälle,« sagte er, »und Ekeroth kann es ebensogut sein wie ein anderer. Wenn er zu schweigen versteht, soll er nicht ohne Lohn ausgehen.«
Sodann befahl er mir, die Blendlaterne zu nehmen und durch die leeren Ratssäle zu gehen – danke für die Gnade! – und den Weg zu weisen, den er beschrieb, bis zu dem Gang, an dem die Hofdamen der Königin-Witwe wohnten – – wünsche gute Ruhe, meine Schönsten! Sobald ich vorsichtig nachgesehen hätte, daß keine Schmeißfliege in Hofkleidern dort herumsumme, sollte ich wiederkommen und es mitteilen.
Ich hatte jedoch andres zu melden, als ich wohlbehalten zurückkam.
Ich hatte die Nachthexen an der Tür der Kunstkammer poltern hören und sie mit Feuerfunken in den Händen die Treppe hinunter nach dem Archivsaal springen sehen, wo die Reichsurkunden in den Wandschränken lagen. Zuletzt war ich in dem angegebenen Gange einem der Kammerdiener der Königin-Witwe begegnet, der über seine Handlaterne gebeugt saß und mit dem Rücken gegen die Wand schlief.
»Er ist dorthin geschickt worden, nachdem ich gegangen war,« sagte Hedwig Stenbock und stand wieder ebenso steif und gerade. »Er ahnt nicht, daß der Vogel schon weggeflogen ist. Aber wie zurückkommen?«
Sie schob Tessins Arm von sich und wurde nachdenklich.
»Längst habe ich es gefürchtet und geahnt. Heute Nacht kommt der Skandal über uns. Ihre Majestät ist eifersüchtig.«
Tessin griff mit den Händen in die Luft, wie nach unsichtbaren Degen und Dolchen, und es sprühte und funkelte um seine Augen.
»Eifersüchtig? Auf mich? Sie ist vierzig Jahre und hat graue Haare, und sie ist ein wenig heiser und rauh in der Stimme wie ein Mann. Soll es denn mit diesem Gerede nie ein Ende haben! Bei wem hätte ich denn meine Pläne vorlegen und einen wohlwollenden Schutz suchen sollen, wenn nicht bei Schwedens Hedwig Eleonora! (Er verbeugte sich.) Aber fürchte dich nicht, meine Allergeliebteste, denn keine Schande soll deine Tage belasten, sondern du folgst mir von hier diese Nacht. Ein Schlitten kann wohl allzeit beschafft werden ... Und dann ... addio! In Italien habe ich Freunde.«
»Gott im Himmel muß wissen,« antwortete sie, »daß ich dir allzeit gerne folge, wohin du begehrst, und nach den Menschen frage ich gar nichts, sondern möchte dir lieber nahe sein als entsagen, aber zuerst müssen wir doch mit einem ergebenen Freund und Beschützer prüfen, was klug ist. Ich denke an Erik Lindskiöld, welcher heute abend mit Seiner Majestät sitzt und trinkt. – Ekeroth soll hinunter über den Burghof zu des Königs kleiner Treppe gehen und dort warten, bis Lindskiöld kommt, und dann soll er ihn mit vielen Entschuldigungen bitten, hier herauf zu eilen ... zu mir.«
Tessin winkte abwehrend mit der Hand, aber ich achtete des Kavaliers wenig, sondern fand ein größeres Vergnügen darin, einem so edeln Fräulein zu gehorchen.
Die Nacht war schon weit vorgerückt, als ich mit Lindskiöld zurückkam. Er fragte mich über alles genau aus. Seine Perücke schaukelte hin und her, und er fluchte freundlich und lachte hell auf und lärmte, als sei das ganze Schloß sein.
In den Ballettsaal gekommen, beugte er ein Knie, warf den Hut in die Luft und rief: »Seid ihr denn alle wahnsinnig, meine Herrschaften, wollt Liebe ihr wagen und nicht entsagen, obgleich alle nach euch jagen? Paff! Puff! Ein armer Bautenmeister, ein Glückserdreister von neugehecktem Adel nicht sonder Tadel. Rann er hoffen als Gewinn so hochgestellte Gräfin? Den Tag begann Gepolter und Heben, da Eva in Eden geschaffen war eben, und Adam ihr sagt' mit entzücktem Blick: Darf zum Geburtstag ich wünschen Glück!«
»Trallala, ganz betrunken!« murmelte Tessin beiseite seiner Dame zu. » C'est ce que l'on appelle l'esprit suédois! Lindskiöld ist bezecht.«
»Nur ein klein wenig, er ist bei günstigster Laune.«
Lindskiöld hörte sie nicht und fuhr fort, so daß es in dem weiten Saale hallte: »Ich habe das lange geargwöhnt, und das hochwohlgeborne Geschlecht wird es übelnehmen. Aber nach Italien reisen! Ah bah! Hier ist des Kammerherrn Land, das seines Genies bedarf. Seht mir ins Weiße des Auges und sagt, ob er von den Schloßzeichnungen wegreisen kann, die er auf meinem Tisch vorgelegt hat, ob irgend etwas in der Welt ihm so lieb ist wie seine Kunst?«
Tessin wurde blutrot und sah in die Flamme der Handlaterne hinunter.
»Ich habe mich entschlossen, den Kammerherrn Tessin zu heiraten,« sagte Hedwig Stenbock, »und dabei bleibt es.«
Lindskiöld legte die Hand aufs Herz.
»Gewiß, gewiß! sagt die Reichswitwe. Einen Kranz aus Blüt und Blatt will ich winden zu Lindevad. Selbst hab' ich keine Ahnen im Grabchor mit Fahnen, mein Vater war Schmied, jaha, so ging das Lied, er wurde Bürgermeister in Skenninge. Denkt, wenn der Kammerherr von Skenninge stammte! Wie würde er dann gebaut haben! Ein armes Schloß im Skenninge-Stil? Für die Stadt ein Spektakel, pfui Teufel miserabel! Sei er stolz, sei er fear, daß er das ist und nicht mehr.«
Lindskiöld faßte Tessin unterm Arm, majestätisch und drohend, und mit einer Gebärde, als hätte er plötzlich einen verschmutzten Maskeradenmantel abgeworfen.
» Calmire er sich seine aedeur einen halben Monatlauf oder so! Zum Beginn küsse jetzt der Kammerherr seiner Auserwählten die Hand, gehe drei Schritt zurück, mache seine Reverenz und folge mir sodann! Schweigt, denn ich befahl im Königssaal! Ekeroth kehre zum Kammerdiener der Reichswitwe zurück, bläst seine Laterne aus, weckt ihn mit einer gesunden und nachdrücklichen Ohrfeige und wirft ihm seine Schuhe nach, wenn er läuft, so daß er glaubt, es wären die Nachthexen. Sodann kann das gnädige Fräulein ungesehen und tranquille zu sich hereingehen. Es ist ja bestimmt, daß sie in einiger Zeit auf einer Reise nach Pommern mitgehen soll. Dort kommt ihr der Kammerherr entgegen und heiratet sie in aller Stille. Seine Majestät werde ich hier zu Hause handhaben.
Dies Gottorpsche Unglück ... ich meine die Reichswitwe ... ein verschmitztes Weib ... die kann der Teufel selbst nicht regieren, aber ich habe gehört, daß man das feindliche, hochvornehme Geschlecht am Reduktionstisch abschätzt, und die werde ich schon genau daran zu erinnern wissen, was sie wert ist. Es tagen neue Zeiten. Ach, meine Kinder, meine Kinder, wenn ihr wüßtet, wie die Brust sich weitet, wenn man am Staatsruder steht und nach entlegenen Baken steuert, deren Namen man nicht einmal vor Seiner Königlichen Majestät zu nennen wagt. Aber verlaßt euch auf mein Wort. Hier, wo wir nun stehen, soll der Kammerherr seine Unsterblichkeit aufbauen.«
Verwirrt zog Tessin seine Hand an die Lippen, und als ich meinen Auftrag bei dem Kammerdiener ausgerichtet hatte, reichte er mir mit einer hochmütigen Grimasse die beiden Palmstruchschen Banknoten, die hier an der Wand sitzen. »Hier hat er seine versprochene Belohnung, wenn er schweigt,« sagte er.
Von da an aber begannen meine Visionen und Unglücke, und wenn ich krank zu Haus in meiner Kammer saß, wurden meine Krämpfe das Gespräch des ganzen Viertels ... Gicht, Brustkrankheit, Tabakbeklemmungen, ein unbeabsichtigter Schuß ins Bein ... ein Brummen im Schädel. Und als ich die palmstruchschen Scheine vorzeigte, die der ehrvergessene Schalk mir in die Rocktaschen gesteckt hatte, erfuhr ich, daß sie schon seit vielen Jahren unseres Herrgotts allen Wert verloren hatten. Erzählt nun das der Königlichen Majestät selbst!«
Ekeroth wollte noch mehr berichten, aber es klopfte heftig an der Tür, und ein Bote rief Haakon zum König, mit dem es schlimmer geworden war.
Einige Tage darauf, am zweiten Osterfeiertag, erzählte sich das Volk, daß der König in den letzten Zügen liege, aber Ekeroth nickte nur in der gewöhnten Weise, als hätte er alles voraus gewußt.
Eine Menge Knechte und Mägde, denen aus Hungersnot auf dem Lande aufgesagt worden war, standen obdachlos und verzweifelt im Schnee auf den Straßen, und Ekeroth ging von einem Trupp zum andern, mit den Händen in den Rockschößen, und horchte und nickte.
Des Nachts setzte er dann Prophezeiungsbriefe auf, die er dem Oberhofprediger Wallin einhändigte. Die Unglücklichen, schrieb er, gewöhnen sich daran, in die Finsternis zu schauen, so daß sie schließlich das erkennen können, was für die lichtgeblendeten Glücklichen dunkel und verborgen ist.
An einem windigen Apriltag, als er seinen letzten Prophezeiungsbrief unter Wallins Hausflurtüre geschoben hatte und in seine Kammer heimgekommen war, setzte er sich ans Fenster und plauderte mit dem Eichhörnchen.
Von Zeit zu Zeit kaute er an einigen gedörrten Birnen, die er aus einer Schublade hervorholte, während er gerade so saß, hörte er Glockenläuten und Lärm, und als er sich zum Fenster hinauslehnte, sah er das Schloßdach in gelben Rauch gehüllt. Er wandte sich in die Stube zurück und begann die Münzen von der Wand herunter zu nehmen und sie sorgfältig in seine Tasche zu zählen.
Zitternd und zähneklappernd, mit dem Eichhornkäfig unter dem einen und dem Zinnkrug unter dem andern Arm, stolperte er die Treppe hinunter bis auf die Straße.
Er stieß gegen die Mauern der Häuser, er stand und stierte nach dem Schloß hinauf, wo dröhnende Feuerstrahlen schon unter den morschen Sparren hervorsprühten. Bald flammten alle drei Flügel auf wie große Scheiterhaufen, und das donnergleiche Getöse des Brandes übertönte Glockenschläge und Trommelwirbel.
»Seht, seht!« sagte er, »die Nachthexen mußten ans Tageslicht! Seht, wie sie in langen Reihen die Dachfirste entlang springen mit Feuer in den Händen! Jetzt klettern sie auf das Turmdach hinauf und hüpfen über den neuen Tessinflügel, der ihr Treiben stört. Sie wollen sich selbst darin verbrennen. Dies ist nur der Anfang. Es wird alles brennen, alles!«
Soldaten und Kammerdiener drängten sich auf der Schloßbrücke zwischen Wassertonnen, wandernden Stühlen, Schränken und Gemälden; und unter den beiden Löwen, die das Wappenschild unter dem Torgewölbe hielten, trat Hedwig Eleonora, die Mutter der Karlherrscher, hervor. Zwei Hofherrn stützten sie und trugen sie beinahe, denn sie sank zusammen und wollte beständig stehen bleiben und zurückschauen. Der Wind hob ihre Mantilla hoch über das silbergraue Haar und schlug sie im nächsten Augenblick wie einen dunkeln Schleier über die verweinten Augen, die stolze Adlernase und die stark geschminkten Wangen.
»Die Bahre brennt unter der Leiche deines Sohnes!« rief Ekeroth und deutete hinauf. »Und der Thron brennt, auf den dein Enkel gestiegen ist; und ehe du deine Augen schließt, wird Asche sein ganzes Reich begraben, weißt du nicht mehr, daß er mit Blut an den Händen geboren wurde?«
Ängstlich bahnte er sich den Weg an den Hausmauern entlang um die Ecke herum nach Traangsund. Die Funken stiegen himmelan wie Sterne, und hinter der Kirchhofmauer sah man den mächtigen Schloßturm »Drei Kronen«, der sich ganze vier Stockwerke über die höchsten Dächer erhob.
Aus jedem Stockwerk, das das Feuer eroberte, wurde der Rauch durch die Luken gestoßen wie aus Kanonen. Das sind die Nachthexen, dachte er, die, während des Wasakönigs Burg verbrennt, Viktoria schießen.
Immer und immer wieder umhüllte der Rauch das alte Reichswappen auf der Turmspitze, und immer wieder schimmerten in schwindelnder Höhe die goldenen Kronen gleich drei auf ihren Schwingen ruhenden Sturmvögeln.
Die Glöckner in der Nikolaikirche kletterten die Stiege hinauf, um die große und kleine Glocke selbst zu läuten, aber als sie hörten, wie der Schloßturm mit seinen Gewölben donnernd zusammenkrachte und die Spitze wie das Wappen im Sturz mit sich riß, wendeten sie sich um und flohen.
Von Schauder erfaßt, begannen Kinder und Frauen zu schluchzen und davon zu laufen, und sie erzählten, daß sie am »Södertor« einen verrückten Mann gesehen hätten, der sich mit einem Eichhornkäfig und einem Zinnkrug unter den Armen davongeschlichen und halblaut einen alten Bußpsalm gesungen habe.