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Der Sultan, der verkleidet und mit einem Feigenkorb auf dem Kopf in den Straßen umhergezogen war und prüfend mit dem Volk und vielen von den Janitscharen geredet hatte, begegnete im Garten des Serails seiner Mutter.
Sie nahm den Schleier von ihrer faltigen Stirn und warf die Arme zurück.
»Das Volk ist kriegslustig,« sagte sie, »wann wirst du es wieder versammeln und meinem nordischen Löwen gegen den Zaren helfen? Befiehl deinen Soldaten, die Fahne Mohammeds über dem Haupte des schwedischen Königs zu tragen und ihm zum Streite zu folgen!«
Der Sultan setzte den Feigenkorb auf einen Steintisch nieder und antwortete:
»Ich kannte ihn nur wenig, da er als Flüchtling in mein Land kam. Bald redeten Männer und Frauen von nichts als ihm. Wie kann, so fragte ich mich, ein verarmter und einsamer Flüchtling ohne Macht so mit seiner bloßen Anwesenheil ein ganzes Volk erobern? – Ich verstand es kaum, aber ehrfurchtsvoll wollte ich ihm meine Hand reichen, obwohl er ein Ungläubiger war, und ich sandte meine Soldaten gegen seine Feinde. Das Volk schoß Freudensalven ab und brannte Lichter in den Türmen der Moscheen. Beim Pruthstrom begegneten sich die Armeen... Aber höre mich! Friede wurde geschlossen. Da sah mein Großwesir weit draußen im Strome einen Mann auf einem schwimmenden Pferd. Es war der schwedische König, der spornstreichs mit seinen Reitern aus Bender gekommen war. Mein Großwesir hat mir jede Einzelheit davon erzählt, und noch zittert seine Stimme, wenn er von jener Stunde spricht. Ohne zu grüßen, sprengte der König zu seinem Zelt, und durchnäßt, wie er war, setzte er sich an das obere Ende des Diwans unter die Fahne Mohammeds. Er begehrte sofort den soeben unterschriebenen Friedensvertrag, um ihn in Stücke zu zerreißen. Da also saß, Hunderte von Meilen von seinen eigenen Staaten entfernt, der geschlagene Flüchtling, die Fahne Mohammeds über seinem kahlen Haupte, und stolz, als erstrecke sich sein Reich bis an die Wüsten Arabiens, befahl er meinen Herren, den Streit fortzusetzen. Es war ein windiger Tag. Das Zelttuch flatterte und schlug hin und her. Dann und wann rauschte es in der Fahne, und wenn er die geballte Faust erhob, stieß er mit seinem Handschuhstulpen gegen die heiligen, grünen Troddeln... Aber ich sage dir, Friede war geschlossen. Andere Zeiten sind gekommen. Jeden Tag habe ich in Bender Geld und Geschenke aller Art deinem Helden überreichen lassen. Ich habe ihn wie einen Gast behandelt, aber statt zu den Seinen zurückzukehren, bleibt er ein Jahr nach dem anderen... Mein Großwesir rät mir, nicht länger Geschenke an den uneingeladenen Fremden zu vergeuden, von dem wir nur geringen Nutzen erhoffen können. Die Schweden sind zu arm, um große Taten vollführen zu können.
Da, Mutter, hast du die Wahrheit!«
Während er sprach, war die Dämmerung hereingebrochen, aber in derselben Nacht noch ratschlagten im Hause des Thomas Funck die schwedischen Herren, die nach der Stadt des Sultans geschickt worden waren. Sie sprachen leise lispelnd zu einander; und als der Morgen herannahte, schob Funck den Heuchler hinüber zum Bataillonsprediger Agrell.
»Lies du uns einmal was aus der Heiligen Schrift vor, ehe wir uns trennen, denn mit all unserem Ratschlagen kommen wir zu nichts.
Zwar führte der Großwesir seine Truppen ins Feuer, aber eine gefüllte Börse und schöne Sklavinnen gefielen ihm besser als eine Schußwunde in seinem weißen Arm. Am Pruthstrom ließ er seinen Turban bis zum Rand mit russischer Verrätermünze füllen. Seitdem sind die Türken gegen uns. vielleicht könnte Gustav Celsing durch seine Gewandtheit in der fremden Sprache eine Klageschrift aufsetzen; wer sollte sie jedoch in des Sultans Hände gelangen lassen? Zwar nimmt er Bittschriften an, wenn er Freitags zur Moschee reitet, aber wir wissen ja alle, daß, wer die dumme Dreistigkeit begeht, eine solche zu überreichen, sofort gefesselt, und wenn er nicht Wort für Wort den Beweis der Wahrheit führen kann, erbarmungslos hingerichtet wird. Und wer hat hier die Beweise!... Darum sage ich, laßt uns lieber einige Worte aus der Bibel hören, und mag dann ein jeder in sein Bett gehen.«
Herman Tersmeden nahm die Bibel vom Wandbrett herunter und legte sie vor Agrell.
»Ich ehre wahre Freimütigkeit,« sagte er, »aber in diesem Falle muß ich Funck recht geben. Besäße unser König die Schatzkammer Frankreichs, so hätte er mehr Provinzen gewonnen, als er jetzt verloren hat. Er wäre alsdann der Größte und Mächtigste unter den Fürsten der Erde... aber Armut bindet unsere Hände. Was sind wir denn? Eine Großmacht mit dem Bettelstab in der Hand!«
Während der ganzen Unterredung saß der Kommissionssekretär Celsing an dem Tischende, mit dem Rücken gegen die vorgeschobenen Fensterladen. Ohne daß die anderen davon wußten, hatte er bereits einen Brief an den Sultan aufgesetzt, er konnte ihn mit der Hand unter dem Rock fühlen, aber er wußte noch nicht, wem er seine Pläne anvertrauen solle. – Der Tag, der jetzt graut, dachte er, ist ein Freitag, an dem der Sultan nach der Moschee reitet. währenddem es tagt, will ich genau beobachten, welchen von den Anwesenden der erste durch die Ritze des Ladens fallende Sonnenstrahl trifft, auf diese Weise will ich den lieben Gott bitten, mir den Mann zu zeigen, welcher der Würdigste ist, sein Werkzeug zu werden. An diesen Mann will ich mich dann in vertrauen und Zuversicht wenden.
Mit seinen Gedanken beschäftigt, konnte er nur dann und wann den Worten folgen, die Agrell mit düsterer Stimme beim Schein des abgebrannten Lichtes vorlas.
»Und das Weib war gekleidet in einen Mantel von Purpur und Scharlach und schimmerte von Gold und Edelsteinen... Und ich sah das Weib trunken vom Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu, und ich fiel in große Verwunderung, als ich sie sah...«
Celsing schämte sich vor sich selbst, daß er Agrell nicht aufmerksamer zuhören konnte. Er saß immerwährend abgewandt und beschattete mit der Hand sein bleiches Gesicht. Er hörte, wie die Stadt erwachte, hörte, wie das Echo rascher Schritte in den Straßen hallte, wie die Ruder plätscherten, wie der Morgenwind rings um das Haus in den Kastanien wehte, wie die Gebetrufer ihren Gesang anstimmten.
Die Ritzen glühten schon wie Feuer in den Fensterladen. Er wagte nicht seine Hand von der Wange wegzunehmen oder seinen Stuhl zu rücken.
Aus der mittelsten Ritze fiel gerade in sein eigenes Auge der erste Sonnenstreif, hell und strahlend.
Er erhob sich so heftig, daß er eine Entschuldigung stottern mußte.
»Ich bin nicht ganz wohl, meine Herren, ich gehe auf mein Zimmer, um mich auszuruhen.«
Er erkannte, daß er nicht länger nach einem Helfer zu suchen habe, sondern selbst und allein der Wahrheitszeuger sein solle. Das volle Morgenlicht strömte seine Kammer. Sie war gerade über dem Zimmer gelegen, wo die anderen versammelt waren, und Boden und Wände des Holzhauses waren so dünn, daß er Agrells Stimme noch hören konnte.
Er öffnete die Truhe, wo eine Menge türkischer Trachten und Tücher verwahrt lagen, um von ihm und seinen Kameraden benutzt zu werden, wenn sie einmal ungekannt sein wollten. Es glitzerten die Goldstickereien und Fransen, und langsam knöpfte er seinen schwedischen Rock und seine Weste auf, um sie mit der fremden Tracht zu vertauschen. Aber als er seine eigenen Kleider auf dem Bette liegen, als er die zusammengenähten Risse eines Säbelhiebes an dem Ärmel sah, als er am vertragenen Futter die Stiche erkannte, mit denen seine Mutter Vollmachten und Paßbriefe eingenäht hatte, da konnte er den alten Rock nicht aus den Händen lassen. Er warf sich auf das Bett, raffte die Kleider in einer Umarmung zusammen und verbarg sein Gesicht in dem Rockfutter wie in einem Kissen. »Gott, Gott!« flüsterte er, »das ist die Mission, die du den Schweden gegeben hast, daß sie mitten in einer schändlichen Welt zeigen sollen, was Armut und eine offene Stirn vermögen! War es nicht ihrer Armut wegen, daß sie geschlagen wurden? War es nicht ihrer Armut wegen, daß sie ihr Haupt erhoben, so daß sie unter Menschen geehrt wurden? Wenn sie Geld hätten, die Serails zu bestechen, und sich nicht schämten, solches zu tun, ständen alle Soldaten des Sultans unter ihren Fahnen, war es nicht dein Wille, daß, wo der Zar mit Geld entgilt, wir mit unserem Leben bezahlen?«
Durch den Boden durch hörte man noch immer, wie Agrell aus der Bibel vorlas.
»Und es werden sie beweinen und sich über sie beklagen die Könige auf Erden, die mit ihr in Üppigkeit gelebt haben, wenn sie sehen werden den Rauch von ihrem Brande. Und werden von ferne stehen vor Furcht ihrer Qual und sprechen: Wehe, wehe die große Stadt Babylon, die starke Stadt! Auf eine Stunde ist dein Gericht gekommen. Und die Kaufleute auf Erden werden weinen und Leid tragen bei sich selbst, daß ihre Ware niemand mehr kaufen wird, die Ware des Goldes und Silbers und Edelgesteines, und die Perlen und Seiden und Purpur und Scharlach und allerlei Thinenholz und allerlei Gefäß von Elfenbein und allerlei Gefäß von köstlichem Holz und von Erz und von Eisen und von Marmor und Cimamet und Thymian und Salben und Weihrauch und Wein und Öl und Semmel und Weizen und Vieh und Schafe und Pferde und wagen und Sklaven und Menschenseelen...«
Celsing sah die große Stadt vor sich, sah den Sultan auf seinem Pferde nahen, sah sich selbst, wie er den Brief übergeben sollte. Es schien ihm aber, als ob die Turbane verwandelt würden in Kerbel und Löwenzahn an einem Zaune, woselbst einige barfüßige Pächterskinder mit einem Bootchen aus Rinde im Bach spielten. Auf der Bank da oben am Häuschen saß seine Mutter und zeigte ihm, wie geschickt sie seine Vollmachten und Paßbriefe ins Rockfutter eingenäht hatte. Er stand auf und strich sich mit der Hand über die Stirn und brach laut aus, als spräche er zu ihr:
»«Lieber, als daß die Schweden zu Narren gemacht und wie Bettler ihrer Wege gejagt werden, kann wohl einer von ihnen sein Leben lassen!«
»Mit wem redest du?« fragte in demselben Augenblick Agrell, der die Treppe herauf ans Zimmer kam, »du hast die Tür von innen verriegelt und gönnst mir keine Nachtruhe.«
Geschwind rollte jetzt Celsing die Kleider in ein Tuch zusammen und schnürte ein festes Bündel daraus. An den einen Zipfel befestigte er einen Zettel, auf den er schrieb, daß er alles seinem Diener hinterlasse, damit kein Fremder seine ehrliche, alte, schwedische Uniform trage.
»Bester Bruder,« rief er Agrell zu, »halte mir meine Absonderlichkeit zugute, und laß mich noch einige Augenblicke mit mir selbst allein.«
Unterdessen zog er die bauschigen türkischen Hosen an, steckte die Pantoffeln an seine Füße und schlüpfte in die goldgestickte Jacke. Sobald er die Bittschrift in dem Gürtel versteckt und den roten Fez auf den Kopf gedrückt hatte, öffnete er vorsichtig das Fenster.
Agrell setzte sich einstweilen auf die oberste Treppenstufe und drückte von Zeit zu Zeit an der Türklinke. – Celsing ist ein so schüchterner und stiller junger Mensch, dachte er, daß niemand recht weiß, was er mit sich herumträgt, aber schlecht stünde es einem Bürschchen wie ihm, sich in Abenteuerlichkeiten zu stürzen.
Er drückte noch einmal an der Klinke und sagte:
»Du bist nicht dazu geboren, Torheiten zu begehen, Bruder Celsing, sondern dereinst dich bescheidentlich und in Ehren zurückzuziehen und in aller Ruhe deinen Kohl zu pflanzen... was hat denn aber das zu bedeuten, daß du hier in deiner Kammer auf und ab läufst, ohne deine Tür aufmachen zu wollen?«
Statt zu antworten, stieg Celsing ins Fenster hinauf und kletterte an den Zweigen einer Kastanie leise hinunter, auf daß keine Warnung, kein letzter Händedruck seiner Freunde ihn der Gewalt über sich selbst beraube.
Im Garten gingen eine Menge Diener in hellblauen Röcken mit riesigen gold- und silberdurchwirkten Tressen einher, die der Außenwelt die Armut der Gesandtschaft verbergen sollten, sie befanden sich aber alle auf der anderen Seite des Hauses. Ohne umzublicken, schlich sich Celsing durch den Gartenzaun, und als er endlich den Platz zwischen der Hagia Sofia und dem Serail erreicht hatte, stellte er sich unter den großen Baum zwischen die Bettler und Krüppel.
Hier ist der Platz, dachte er, den Gott mir angewiesen hat. Ihr Bedauernswerten auf euren Krücken, ihr Armseligen, die ihr zum Schlafen kaum einen Stein habt, lernet von meinen Handsleuten den Weg der Erhöhung!
Er verwandte kein Auge vom Tor der Hoheit, wo Wache stehende Kapidschi die Neugierigen mit ihren Säbeln zurückhielten, und wo in den Nischen der Mauer, noch tropfend von dem Regen der Nacht, die Köpfe zweier Enthaupteten aufgespießt waren. Er fühlte sich in den ungewohnten niedrigen Pantoffeln ohne Absätze kleiner als sonst, aber wenn er sich auf die Zehenspitzen hob, konnte er über die Turbane hinweg in den geräumigen Janitscharenhof schauen, bis hinten an das andere Tor, das Tor des Wohlergehens. Weiße Eunuchen bahnten dort einen breiten Weg zwischen Spalieren von goldgestickten Seiden und nickenden Turbanfedern. Bärtige Ulemas in violetten Kutten und blauen Stiefeln, Agas in himmelblauen Mänteln und Soldaten in hohen, gelben Mützen beugten sich vor und beobachteten das noch geschlossene Tor. Durch dieses sollte der Sultan kommen. Er wußte es. Er murmelte für sich die Schlußzeilen seiner Bittschrift, welche seine Finger krampfhaft unter dem Gürtel preßten: »Solches ist auf niemandes Verlangen, sondern um der Wahrheit willen und zum Wohl meiner gedrückten Landsleute geschrieben von dem schwedischen Untertan Gustav Celsing.«
In diesem Brief hatte er von der Bestechlichkeit des Großwesirs und der Beamten gesprochen, aber als er jetzt so viel Gold und Seide in der Sonne glänzen sah, kam es ihm vor, als hätte er noch zu wenig gesagt. Er erinnerte sich des Karrens mit den Strohsäcken, auf dem sein kranker König über die Steppe gefahren war. Er erinnerte sich, wie in Bender Offiziere und Generäle ihre vertragenen Röcke an den Nähten schwärzten, damit die Mängel den Türken nicht in die Augen stechen sollten. Und doch hatte er mächtige Gesandten sich verbeugen sehen vor diesen Flüchtlingen mit einer aufrichtigeren Ehrfurcht als der, mit der die bebenden Zuschauer hier ihre Turbane senkten.
Ein unheimliches Schweigen verbreitete sich über das Menschenmeer, nur oben von der Höhe sangen die Gebetrufer der Hagia Sofia. Von der Kirche herüber, deren kuppliger Steinhimmel unter Psalmgesang zu einem Wunder der Christenheit erbaut worden war, wo hinter jeder zwölften Ziegelreihe Gebeine heiliger Märtyrer eingemauert saßen, hörte er sie den kaiserlichen Abkömmling Mohammeds grüßen. Er stützte sich auf die Krücke eines Bettlers, um in die Höhe zu kommen. Im geöffneten Tore des Wohlergehens erkannte er die pyramidenförmige Kopfbedeckung und den grünen Kaftan des Großwesirs, die hellblauen Stallknechte, die dunkelgrünen Agas des kaiserlichen Steigbügels, die roten Henker kamen mit ihren Schnüren, die Kaffee- und Wasserträger mit ihren Handtüchern, Brettern und Goldkannen, und schließlich nahte sich im Schatten der Seidenfahnen der Sultan, Achmed der Dritte, der Herr der Tulpenfeste und Hochzeiten.
Celsing tastete mit beiden Händen nach dem Gürtel und zog den Brief hervor.
»Gott sei dem Unglücklichen gnädig!« murmelten die Bettler. »Er ist ein Irrsinniger, der nicht weiß, was er tut.«
Sie packten ihn an der Jacke, um ihn zurückzuhalten, aber sie waren zu alt und schwach. Da fing einer von den Krüppeln an, ihn mit der Krücke zu hauen, aber Celsing fühlte es nicht, und den Brief über seinen Kopf haltend, drängte er sich mitten unter die Janitscharen und stellte sich dem Sultan in den Weg.
Dieser, der etwas vorgebeugt im Sattel saß, war sehr bleich, und seine Augen glichen Lichtern hinter matten Fensterscheiben. Ohne das Pferd anzuhalten, ließ er seine Hand sinken und empfing den Brief und steckte ihn in seinen mit Schwarzfuchs eingefaßten weißen Damastpelz.
Die Henker faßten nun Celsing und führten ihn über den Janitscharenhof hinüber zu einem Gefängnis, das unter dem Tor des Wohlergehens gelegen war.
»Du hast dich erdreistet, eine Bittschrift zu überreichen,« sagten sie, »hast du auch vollgültige Beweise für das, was du geschrieben hast?«
Das Bewußtsein kehrte ihm zurück, und er antwortete:
»Beweise ... Mein Wort ... Nehmt mein Leben, nehmt mein Blut als Beweis!«
Sie schüttelten seufzend den Kopf und überließen ihn seiner Einsamkeit, aber auf die Kerkermauer fiel ein Streif des Tagelichtes, der ebenso klar und warm war, wie der Sonnenstreif, der ihn am Morgen bewegt hatte, sich zu opfern. Das stärkte ihn in seinem Entschluß, mit mutiger Stirn der Vollziehung seiner Strafe entgegenzusehen.
Er nahm ein Stückchen Stein vom Boden und verkürzte sich die langen Stunden, indem er Worte in die Mauer einritzte, gerade da, wo der Strahl sie traf. Und wie sich allmählich der Streif weiter bewegte, folgte er ihm nach und arbeitete Buchstaben für Buchstaben aus. Als der Abend hereinbrach, hatte er bereits folgende Zeilen in seiner Muttersprache dem Mörtel des einsam gelegenen Blutgefängnisses anvertraut:
Bei Hunger und Kälten
Ich stritt für den Helden.
Die Unsren verbluten,
Es sterben die Guten ...
Als er das Wort »Guten« vollendet hatte, erblich das Licht, und es wurde dunkel. Aus der Ferne, aus den Gärten des Serails hinter dem dritten und innersten Tor, dem Tor der Glückseligkeit, tönten Flöten- und Harfenklänge herüber.
Da stieg wiederum die Unruhe und Angst in seinem Inneren, und er sprach halblaut und rang seine Hände:
»Weiber und Lustbarkeiten achte ich gering. Trinken und Essen und alle aufgeputzte Seide, nach welcher die Menschen fahnden, desgleichen ... Eitelkeit, Eitelkeit! Was für Wert hat es wohl, wenn du solche Dinge besitzest! Wie schön schlief ich nicht manche Nacht mit meinem alten, unter dem Kopf zusammengerollten Rock ... Aber da draußen in der Welt ist so vieles, an dem ich gleichgültig vorüber ging. Erhielte ich meine Freiheit zurück, ich könnte mich unter den Baum zu jenen Bettlern setzen und auf eine der kleinen, glänzenden Eidechsen deuten und mich daran ergötzen, sie im Grase zu beobachten ... Herz, Herz, du, das so schwer schlägt, warum saßest du so empfindungslos in der Brust, da noch das Licht des Tages mir auf dem Wege leuchtete!«
Eine Stunde nach der anderen wachte er so im Dunkeln, und stärker und stärker wurde seine Sehnsucht nach jenem Sonnenstrahl an der Wand. Durch das Schlüsselloch konnte er erkennen, daß ein milder Mondschein über der Erde lag, aber rings um ihn blieb es dunkel.
Da warf er sich nieder und fuhr fort, sich weitere Strophen auszudenken, die er am anderen Morgen in die Mauer einritzen wollte. Er dachte, daß, falls er frei würde, er die Verse den Armen unter dem Baume am Serailtor wiederholen und erklären wolle, falls er aber den offenen Himmel nie mehr wiedersehe, vielleicht einer seiner unglücklichen Landsleute einmal an den schwedischen Worten in der Mauer Trost fände. Als er das Gedicht fertig hatte, richtete er sich auf und sang mit lauter Stimme auf die Melodie eines Osterlides, dessen er sich aus seiner Kindheit erinnerte:
Bei Hunger und Kälten
Ich stritt für den Helden.
Die Unsren verbluten,
Es sterben die Guten.
Die Schar ist gefangen
Mit Jungen und Alten.
Vorm Stern, der gegangen,
die Wolken sich ballten.
In wildfremden Landen
die edelst Verkannten
Um Almosen flehn.
Auf Stroh muß er liegen.
Und ist doch der Größte!
Ihr Hungernden, Alten
Auf Steinen, so kalten,
Kommt, seht euren Held!
Während er noch sang, glänzte plötzlich ein roter Schein zwischen seinen Fingern, die er über die Augen hielt. Er erhob sich. War es endlich Sonnenaufgang?
Aber der rote Streif bewegte sich unruhig auf der Mauer hin und her, und immer näher hörte er Schritte und Stimmen, dann wurde es wiederum dunkel, und ein Schlüsselbund rasselte lange an dem Schloß.
Zwei Sklaven traten mit Fackeln herein und legten ein zusammengeschnürtes Bündel vor ihn auf den Boden.
Der eine Sklave hob darauf die Fackel und redete ihn an.
»Der Padischah grüßt dich und sagt: Seine Ehrfurcht vor den Schweden und ihrem König sei so groß, daß er dich lieber als Gast als zum Gefangenen habe, über deine Schrift wolle er nachdenken. Ziehe jetzt die Tracht an, die dir ansteht, und gehe in Frieden nach deinem Hause!«
Celsing kniete nieder und öffnete das Bündel und fand darin seine schwedischen Kleider wieder. Er hielt den Rock nahe an die Fackel, um zu sehen, ob es wirklich der alte sei. Als er den Säbelhieb an dem Ärmel und die Naht seiner Mutter an dem gelben Futter erkannte, zog er in Gegenwart der türkischen Sklaven das türkische Sammetgewand aus und schlüpfte wieder in die vertragene Ehrentracht hinein.
Den Hut vor sich haltend, ging er in den Mondschein hinaus, als er aber an das Tor der Hoheit zu den schlafenden Bettlern unter dem Baume gelangte, faßte er den nächstliegenden Greis um die Schultern und küßte ihn:
»Du kennst mich nicht,« sagte er; »wenn du das richtig tätest, folgtest du mir zu meinem Volke, das sollte dir den Weg der Erhöhung zeigen. Oft sah ich meinen König gerade wie dich mit einem Steine unter dem Haupte schlafen.«