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Eine Predigt

In »Storkyrkan« erhoben sich die Zuhörer von ihren Bänken und schauten nach dem Waffenhause hin, vor dem Karl XII. aus dem Wagen stieg.

Er war ein schöner, kräftiger, aber noch nicht ausgewachsener Knabe. Der federverbrämte Hut saß drollig klein oben auf der großen Perücke, und wenn ihn der König unter den Arm steckte, waren seine Gebärden ängstlich und gezwungen. Er ging trippelnd und ein wenig krumm in den Knieen, wie es Sitte war, und sein Auge war gesenkt. Sein Trauerkleid war kostbar, mit Hermelin an den Aufschlägen und Spitzen um die Handschuhe, und auf den mit hohen Absätzen unterlegten Korduanlederschuhen hatte er Schnallen und Bandrosetten.

Verwirrt durch die neugierigen Blicke, nahm er in dem königlichen Stuhl unter der von Genien getragenen goldenen Krone Platz. Er saß steif und gegen den Altar gewandt, vermochte aber nicht, die Gedanken auf die heilige Handlung zu richten. Als zum Schluß der Pfarrer auf die Kanzel stieg und mit einem Wortspiel und einem kräftigen Schlag auf das Lesepult eingedämpftes Murmeln erweckte, errötete er heftig und fühlte sich auf frischer Tat ertappt.

Bald jedoch wurden die Gedanken rebellisch wie zuvor und gingen ihre eigenen Wege, und um seine Verlegenheit zu verbergen, begann er die schwarzen Tupfen an dem Hermelin wegzuzupfen.

»Guck nur!« sagte eine Frau in einem der untersten Stühle. »Er bedürfte noch der väterlichen Rute. Hat ihn der Teufel in die Finger gebissen?«

»Das brauchst du zu sagen, alte Schnupfhexe, die sich viel weiter vorn eingeschmuggelt hat, als sie darf!« antwortete die Nachbarin und stieß sie kopfüber in den Gang hinaus.

Der Alte mit dem Stock, der unten an der Tür stand und das Amt hatte, umherzugehen und die Zuhörer in den Nacken zu stoßen, die einschliefen, klopfte auf den Fußboden und drohte mit der Hand, aber der Lärm drang bis zu den Adelsstühlen hinauf, so daß die hohen Herren die Köpfe umdrehten, und der Prediger schob sofort folgendes Wort ein:

»Die Eintracht, sagte ich, die christliche Eintracht! Wo säumt sie mit ihrer süßen Milchsuppe? Etwa im Volkshaufen? Halte sie fest! vielleicht im Hause Gottes oder rings um Seiner Königlichen Majestät eigene Person? Proste Mahlzeit, wer sie findet! Darum sag ich euch, ihr Fürsten der Erde, befleißigt euch der Eintracht und der Liebe, und hebet nicht das Schwert, das Gott in eure Hand gelegt hat, zur Zwietracht, sondern zum Schutz eurer Untertanen!«

Bei dieser Anspielung wurde der junge König wieder blutrot und lachte verlegen.

Auch Hedwig Eleonora, die Königin-Witwe in dem Königsstuhl gerade gegenüber, nickte lächelnd, aber am allermeisten lachten die jungen Prinzessinnen an ihrer Seite. Ulrika Eleonora saß wohl ziemlich steif, aber Hedwig Sofia streckte ihren schlanken langen Hals vor. Im frohen Bewußtsein, Handschuhe zu tragen, so daß die mißgebildeten Daumen nicht zum Vorschein kamen, hielt sie das Gebetbuch vor den Mund.

Der König wurde jetzt dreister und sah sich um. In welchem seltsamen Tempel des Herrn befand er sich heute! Die ganze Kirche war mit Möbeln und Kunstgegenständen überfüllt, die vom Schloßbrande gerettet waren. Nur der mittelste Gang war frei.

In der Ecke oben am Altar standen zusammengerollt die Bilder Ehrenstrahls von der Kreuzigung und dem Jüngsten Gericht, und weiter weg am Skytteschen Grab erkannte er die Federbüsche und die grünen Gardinen von dem Bett, in dem der Vater, auf der Bettkante sitzend und von Kissen gestützt, seinen Geist aufgegeben hatte.

Die Erinnerung daran regte ihn jedoch nicht auf, denn er hatte für den Vater kaum ein andres Gefühl als das der Angst gehabt. Er sah in ihm mehr den von Gott eingesetzten Stellvertreter als einen lieben Blutsverwandten, und in seinen Gedanken wie in seiner Rede nannte er ihn am liebsten nur: den alten König.

Wie zwei suchende Bienen irrten seine Blicke über die vielen wohlbekannten Gegenstände hin und weilten schließlich lange auf einem Wappenschild an der untersten Säule.

Da ruhte unter dem Boden seit einigen Jahren sein Lehrer Nordenhjelm, der herzensgute alte Norcopensis, an dem er mit kindlicher Hingebung gehangen hatte. Er erinnerte sich der frühen Lesestunden am Wintermorgen, wenn er saß und quatuor species rechnete und mit der Lichtschere an dem Docht herumstocherte, oder wenn Nordenhjelm ihm von den Helden Roms und Griechenlands erzählte.

Seit dem Tode des alten Königs wandelte er in einem Traum. Er begriff, daß er keine Heiterkeit zeigen durfte, daß Wehklagen das einzige war, was er auch von den anderen verlangen konnte, aber daß mancher insgeheim ziemlich gefaßt war und seine Gunst zu erlangen hoffte, indem er so unbemerkt wie möglich ihn bald mit diesem, bald mit jenem Streich zu vergnügen suchte.

Selbst die Exzellenz Piper konnte auf einmal die Tränen trocknen und ihn bitten, seinen Jugendspielen nicht zu entsagen, sondern eine Partie Federball zu spielen. Die düstern, ernsten Gesichter steckten ihn mitunter an, so daß ihm selbst die Tränen in die Augen kamen, aber aus den geheimsten Tiefen seiner Knabenseele stieg ein schwindelerregender, triumphierender Siegesrausch empor.

Die grimmigen, steifnackigen alten Herren, die er vorher gefürchtet und gemieden hatte, fand er plötzlich demütig und fügsam. Mitunter, wenn sie mit ihren kummervollsten Mienen an der Tafel saßen, hatte er ihnen aus Trotz Obstkerne ins Gesicht geschnellt, um sie mit einem Mal zum Lachen zu bringen, und sie hernach wieder weggehen und sich in den traurigen Kreis der Königin-Witwe stellen sehen.

Der Schloßbrand mit seinen Abenteuern und Gefahren war für ihn ein Tag der Neugierde und der Spannung gewesen. Es war sogar beinahe der lustigste Tag, den er im Leben noch gehabt hatte, obwohl er selbst nicht so zu denken wagte. Der Schrecken der anderen und die Ohnmachten der Großmutter hatten das wilde Schauspiel nur um so seltsamer und unerhörter gemacht.

Jetzt war alles Alte zu Ende. Der alte König war tot, und seine Burg lag in Asche. All das Neue, alles, wonach Schweden sich sehnte, sollte jetzt gleich einer Feuerflamme mit ihm in die Höhe steigen – – – und da saß er, einsam und vierzehnjährig!

Es schien ihm fast, als stünde Nordenhjelm auf der Kanzel hinter dem Redner und buchstabiere ihm die Worte vor. Nur einen Augenblick hatte der Pfarrer den Schellenstab der Narretei geschüttelt, um sich mit den Zuhörern vertraut zu machen. Sodann wendete er sich angesichts der ganzen Versammlung an den König, ernst, streng, ja befehlend.

Im Namen Gottes ermahnte er ihn, sich nicht von Ohrenbläsern und Schmeichlern zu Egoismus und Hochmut verleiten zu lassen, sondern opferwillig seine Taten dem opferwilligen schwedischen Volke zu weihen, auf daß er einstmals, wenn er in späten Jahren seine müden Augen schließe, von tausend Segenswünschen begleitet werde und in die Herrlichkeit Gottes eingehe.

Die Stimme der Wahrheit sang und donnerte durch das Kirchengewölbe, und der junge König war dem Weinen nahe, von neuem versuchte er seine Gedanken auf andere, gleichgültigere Dinge zu bringen, aber jedes Wort traf sein aufrichtiges Kinderherz, und er saß mit gebeugtem Haupte.

Es war für ihn eine Erlösung, als der Wagen ihn wieder nach Karlberg führte.

Dort schloß er sich in seine Zimmer ein, und nicht einmal der bestimmte Befehl der Königin-Witwe vermochte ihn, zur Tafel zu erscheinen.

Im Vorzimmer seines Schlafgemaches lagen die Bücher, die er in den immer seltener werdenden Lesestunden benutzte. Er philosophierte bereits gern über die Rätsel des Seins und berauschte sich allzeit an Kenntnissen, aber er begann die Bücher zu verachten, ungefähr wie ein munterer und lebenskecker Troubadour. Die zu oberst liegende Arbeit handelte von der Erdkunde, und er blätterte hin und her und warf sie schließlich beiseite. Dann zog er statt dessen aufs Geratewohl und heftig das unterste Buch hervor. Mit diesem blieb er sitzen.

Es war an den Ecken eingerissen und sehr abgenutzt, und es enthielt nur wenige beschriebene Blätter mit dem Abendgebet, das er als Kind hatte aufsagen lernen.

Mehrere Sätze und Worte waren schon seinem Gedächtnis entschwunden, aber als er jetzt die wohlbekannten Zeilen vor sich sah, brauchte er sie nur ein paarmal durchzulesen, um sie wieder auswendig zu können.

Am Abend verzehrte er nur eine Tasse Biersuppe, und die Bedienten begannen sodann, ihn zu entkleiden. Er verbarg seine heftige Gemütsbewegung so geschickt, daß sie ihn nur für müde hielten, und als sie ihm die Perücke von dem kurzgeschorenen, dunkelbraunen und etwas gewellten Haar hoben und er in seinem Hemd in das große Bett stieg, sah er aus wie ein kleines Mädchen.

Der Hund Pompe kroch zu seinen Füßen hinauf, und unten ans Bettende wurde ein angezündetes Licht in ein mit Wasser gefülltes, silbernes Waschgefäß gestellt.

Der König fürchtete sich im Dunkeln, und es war daher Brauch geworden, daß die Türe nach dem äußeren Zimmer offen gelassen wurde, und daß ein Page oder Spielkamerad die Nacht dort zubrachte, diesen Abend befahl jedoch der König mit Bestimmtheit, daß die Türe von jetzt ab geschlossen werden solle. Erst als die Diener dies hörten, begannen sie sich zu wundern und zu beunruhigen, und merkten, daß er in erregter Stimmung war.

»Ah bah!« brummte der alte Haakon, der treue Diener, der schon bei seinem Vater gedient hatte und eigensinnig fortfuhr, den König wie ein Kind zu behandeln. »Wozu soll das jetzt dienen?«

»Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe,« antwortete der König. »Und von morgen an ist auch das Nachtlicht nicht mehr nötig.«

Die Diener verbeugten sich und gingen rückwärts aus dem Schlafgemach, aber als Haakon die Tür schloß, setzte er sich draußen auf die Schwelle. Er hörte, wie der König sich in seinem Bett hin und her drehte und warf, und als er sich schließlich zum Schlüsselloch emporreckte, sah er undeutlich beim Schein des Nachtlichtes, daß sein junger Herr aufrecht im Bett saß.

Der Nachtwind brauste und tobte draußen auf der Schloßterrasse und in den Linden des Karlberg-Parkes, aber drinnen im Hause war es schon still und ruhig.

Dennoch däuchte es Haakon zu seiner Verwunderung, als vernähme er eine gedämpfte, beinahe flüsternde Menschenstimme und sogar vereinzelte Worte. Er wurde aufmerksam und horchte.

Da hörte er, daß der König mit halblauter Stimme das Gebet hersagte, das er in seiner frühesten Kinderzeit hatte beten lernen.

»Lehre mich, daß ich mich selbst beherrsche, und daß ich nicht durch schmeichlerische Reden zu Übermut und Eigensinn verleitet werde und dadurch wider die Achtung fehle, die ich Gott und den Menschen schuldig bin.«

Der alte Haakon beugte die Kniee und faltete die Hände zum Gebet, und durch die Stille und das leise Rauschen des Windes hörte er immerfort des Königs Worte:

»Wiewohl ich Königssohn und Erbfürst eines mächtigen Reiches bin, will ich doch demütig allzeit eingedenk sein, daß dies eine besondere Gnade und Wohltat Gottes ist, weshalb ich mich aller christlichen Tugenden und Kenntnisse befleißigen muß, auf daß ich einer so hohen Berufung tauglich und würdig werden möge. Allmächtiger Gott, der du Könige einsetzest und entthronest, lehre mich allzeit deinem Gebot gehorchen, auf daß ich nicht zu eigenem Verderben oder zur Unterdrückung anderer die Macht gebrauche, die du mir verliehest. Um deines heiligen Namens willen. Amen.«


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