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Die gelichtete Schar, die dem König über die Steppe hin nach dem Lande des Sultans gefolgt war, hatte ihr Lager bei Bender in einem herrlichen Flußtal aufgeschlagen. Mancher Offizier hauste auf seiner Karre weiter wie ein sorgloser Zigeuner, aber für den Winter ließ der König Hütten und Erdhöhlen herrichten, und von dem Sultan erhielt er täglich vollauf Geld und Lebensmittel zum Geschenk. Es ging lustig zu in dem Lager, wo Trompeten und Trommeln zu den Mahlzeiten und Gottesdiensten riefen. Der Pascha und seine Janitscharen beeiferten sich, dem besiegten Kämpen zu huldigen, der niemals Wein versuchte, der es verschmähte, in der Stadt zu wohnen, und dessen Trabanten nie heiraten durften. Wenn die Landleute und ihre Frauen die blauen Reiter zwischen den Weinbergen dahersprengen sahen, eilten sie, ihnen zu begegnen, und Geldstücke aus Gold und Silber regneten in ihre Schürzen und Körbe. Endlich wurde es jedoch dem Sultan leid, die Beutel der verschwenderischen Gäste mit Geld und ihre Krippen mit Heu zu füllen. Dukaten wurden wieder seltene Schaubrote, und sogar die türkische Ehrenwache, die am Lager aufgestellt gewesen war, zog ab.
Der König trat erst aus dem Zelt heraus, als das überschwemmende Flußwasser ihm schon bis zur halben Höhe des Stiefelschaftes reichte.
Er faßte Oberst Grothusen am Arm. »Wir haben ihnen gesagt, daß wir nicht ins Christenland zurückziehen, wenn wir nicht ein Gefolge von fünfzigtausend Türken miterhalten, und dabei soll es bleiben. Gerade weil man uns jetzt das Geld verweigert, werden wir zaubern. Die Hofhaltung soll dreimal prächtiger als bis jetzt eingerichtet werden, und außer der Königs- und der Hofmarschallstafel soll täglich ein reichlicher Tisch für Freunde gedeckt werden.«
Dann schritt er weiter und befahl den Soldaten, auf dem hohen Strand vor den strohgedeckten Hütten des Dorfes Varnitsa ein Königshaus und eine ganze Kriegerstadt mit Straßen und steingepflasterten Gängen aufzubauen.
Die neue Stadt auf türkischem Boden erhielt den Namen Carlopolis. Mit behendem Mut banden sich die narbigen Krieger die Schürzen um den Leib und begannen gerade vor den gaffenden Türken die kunstreichsten Schlösser zu schmieden oder die zierlichsten Türen und Fensterzargen zu schreinern. Sieggewohnte Generale und Oberste kommandierten in der Sonnenhitze über Zimmerleute und Maurermeister, Gipsarbeiter, Steinmetzen und Glaser, und mitten unter allen schritt der hinkende König mit rosigen Wangen und wolkenfreier Stirn, als wären alle Mißgeschicke der Ukraine längst schon seinem Gedächtnis entschwunden.
Gleich einer Burg am Rhein erhob sich bald das Königshaus mit steilem Dach und rotem Altan mit der Aussicht über den dahineilenden Dnjester. Sammetsättel, mit Rosensteinen und Türkisen auf Pistolhalftern und Riemenzeug, wurden rings um den Ziegelboden aufgehängt. Reich geschnitzte Türen mit blankgeputzten Messingbeschlägen öffneten sich vom Vorplatz aus nach den zwei Sälen und den acht Kammern, die mit französischen Tapeten und mit brokatbespannten Diwanen geschmückt waren. Die Teppiche waren so dick und weich, daß sogar die schwersten Soldatenstiefel kein Geräusch machten, und an der Decke flatterten abends rötliche Lampen, wie um tanzende Sklavinnen zu beleuchten. Und nach außen hin liefen Straßen zwischen den kleinen, possierlichen, abenteuerlichen Schlössern der Offiziere und Kanzlisten. Eine schöne Holzbrücke in den Farben des Regenbogens führte über einen tiefen Graben nach Varnitsa, und rings um das trutzige Lager wurden Wälle und Verschanzungen aufgeworfen. Diese ganze so befestigte Stadt bauten die fleißigen Schweden, da sie kein Geld mehr hatten. Der unkundige Bettler, der am jenseitigen Flußufer ging, vermeinte, das freundliche Landvolk habe sich einen seiner Hirten zum König gewählt und errichte nun hier seine Hauptstadt mitten im Reiche der Weingärten bei Hirtenschalmei und Vogelgezwitscher.
Vor dem Königshause lagen zahme Hirsche und Rehe, den Blick nach der Schwelle gerichtet, um dem König zu folgen, so oft er ausging, und Schmetterlinge mit großen Flügeln ließen sich arglos auf der gelben Hochquartiersfahne nieder, die mit den fremden drei Kronen in ihrem Wappenschild in den Boden gepflanzt war, vor den Trommeln und Musketen der Schildwache. Im Schatten der Maulbeerbäume auf den mit Gras und Blumen überwachsenen Hügeln am Rand des Wassers saßen nackte und badende Krieger, ohne an frühere Trübsal zu denken, denn sie vergaßen den brennenden Schmerz der Wunden, sobald sie geheilt und vernarbt waren. Andere prüften scherzend ihre Musketen an Schnepfen und Hasen oder streiften in den Feldern umher zwischen Baumwollstauden und weidenden Büffelherden bis nach den langgestreckten, abgerundeten Bergen, die mit ihrem schwarzblauen Kranze die ganze schöne Gegend umrahmten. Noch im Gefühl ihrer gehabten schweren Verwundungen lagen zwischen den Hütten Haard und Gierta in Hemdsärmeln auf dem Rasen bei einer Flasche Wein und spielten Labet mit dem lärmenden Axel Sparre. Kasten Feif hängte an den Wänden seiner niedrigen Hütte die Kupferstiche vom neuen Schlosse auf, die aus Stockholm geschickt worden waren. Ohne je recht zu bekommen, stritt er ganze Vormittage mit dem König, der, noch strenger als Tessin, nichts von Statuen und unnötigen Verzierungen in der Baukunst wissen wollte, sondern nur edle Linien und große Flächen liebte. Maans, der Franzose, der jetzt so türkisch geworden war, daß ihm nur noch der köstlichste Tabak genügte, saß bei seiner Pfeife, aber er mußte sie mit derselben Hand halten und stopfen, denn sein linker Arm war weggeschossen. Leutnant Skraggenstjerna zerstampfte Pulver in einem Kessel, und über ihm hingen in der Tür Krüge und Pisangflaschen. Kapitän Konrad Sparre, der mit seinen Kameraden Loos und Syllenskepp eben von einer Wallfahrt nach dem Nil und Jerusalem nach Hause gekommen war, hatte seine ganze Hütte voll von Götzen, Mumien und ausgestopften Krokodilen. So war auf einen bloßen Wink hin eine Miniaturstadt mit ihren Sammlungen und Ämtern emporgewachsen, aber viele Paläste waren nur so hoch, daß der Besitzer mit den Armen auf dem Dach sich ausruhen konnte. Mit dem Trompetenstoß wachten die Einwohner auf und gingen sie schlafen, und zeitig jeden Morgen, wenn die Nebel stiegen, erschien ein freundlicher Mann, der in steifer galonierter Kleidung, mit hohen Schultern und wichtig zusammengepreßten Lippen, sich stromaufwärts den Fluß hinaufruderte. Es war Hultman, der in einer hohen Zinnkanne seinem königlichen Herrn das klarste Trinkwasser holte.
Ebenda, wo der große Schwarm der Zugvögel im Herbste wegzuziehen pflegte, ragte die düster gelbgraue Festung zu Bender mit ihrem Viereck aus spitzen Turmhauben empor, und von da strömte täglich wie bei einem ständigen Markte ein Zug von Janitscharen, Tataren, Armeniern und Zigeunern herbei. Sie drängten sich zwischen die Erdhütten der Saporoger da unten am Fluß, wo Maseppa mit dem Kopf im Schoße eines Weibes gestorben war, und wenn sie schließlich ihre Kamele und Esel an die Bäume gebunden hatten, beguckten sie neugierig die Bratpfannen im Küchenhause und die eisgrauen Lenden des Brandkleppers im ersten Stande des Pferdestalles. Nach allen Seiten boten sie ihre Tauben, ihre Schafe und Hühner feil und wurden bisweilen vom Bajonett zurückgehalten, wenn ein fremder Gesandter ankam, um dem schwedischen König in seiner Verbannung und seinem Unglück aufzuwarten. Oft begegneten sie dem Kurier mit der Posttasche oder einem armen pommerschen Bauernsohne ohne Schuhe, der freiwillig den langen Weg quer durch Europa gewandert war, um seinem König hundert Dukaten Reisegeld zu bringen. Am dichtesten wimmelten jedoch die Tarbusche und Turbane da unten vor dem Königshause, auf dessen Altan dreißig Musikanten auf Violinen, Lauten und Oboen spielten. Sobald sie verstummten, fielen unten die Türken mit Messingtellern, Schalmeien und Trommeln ein. Mitunter umarmten die Janitscharen ihre schwedischen Freunde oder setzten sich stillvergnügt und nachdenklich auf den Boden und stierten nach den offenen Fenstern des Kanzleihauses, wo zwei wunderliche, eifrig schreibende Gestalten sich über den Tisch beugten. Wenn die beiden Herren sich anschauen wollten, mußten sie den ganzen Körper drehen, denn keiner von beiden hatte mehr als ein Auge. Der eine, der immer den Federkiel quer zwischen die Lippen steckte, war der schäbig ausschauende Hofkanzler von Müller. Der andere dagegen, der die Tasche voll von Konfonium hatte und mitunter ein Stückchen Konfekt auf die Zunge legte, war der Oberst Grothusen. Er saß da, von einem karminfarbenen Schlafrock aus Seide umhüllt. Die Halsbinde aus französischen Blonden und die rabenschwarze Lockenperücke schaukelten und verschoben sich, aber an den Füßen trug er schwere Soldatenstiefel, denn der König war eines Nachts zu ihm durch das Fenster geschlichen und hatte seine Samtpantoffel ins Feuer geworfen. Sein Gesicht war verschrumpfter als eine trockene Zitrone, aber das geistreiche Auge glänzte und blitzte, und sobald er den Mund öffnete, fing Müller an, auf seinem Stuhle zu hüpfen und zu lachen.
Bald jedoch ballten sich Wolken über den Bergen, und auf dem zugefrorenen Dnjester fuhren die Soldaten Schlitten mit den Türken, und die Turbane rollten auf dem Eis. Die Fenster wurden zugemacht, und eines grauen Morgens warf Grothusen den Federkiel mit einem solchen Schwung von sich, daß er durch den starken Zug aus den Ritzen über die Tischplatte geblasen wurde und zu Boden fiel.
»Müller!« sagte er. »Aus Mangel an Heu haben wir jetzt neunzehn schöne Handpferde erschießen müssen. Kann ich nicht geschwind noch tausend Beutel zusammenleihen, so sind wir labet! Im ganzen Carlopolis gibt es kaum so viel wie einen Hufnagel, der noch unser ist, – wie sehr ich auch mit Christen sowohl wie Juden schachere. Der Kredit ist zu Ende. Bien. Va la banque! Wir gingen ja auch nicht von dannen, um Geld zu sammeln, sondern vielmehr um seinen Wert abzuschaffen.«
Er nahm die Perücke ab und fuhr mit der Hand über seinen heißen Schädel, Müller aber schrieb und schrieb nur und fragte mit kläglicher Stimme:
»Und Seine Majestät?«
»Augenblicklich sitzt er im Eßzimmer und liest Corneille, aber der Schalk schaut aus seinen Augen, und er kneift mir in die Seite, so wie er immer tut, wenn er gerade einen kühnen Entschluß gefaßt hat. Er hat einen solchen Spaß daran, daß einem anderen das Sünderherz warm wird, ehe man eigentlich richtig weiß, um was es sich handelt. Es gibt eines, mein Bruder, das mich immer geärgert hat. Die Welt ist voll von Bewunderern, die das Lob Seiner Majestät ausschreien, weil er auf dem Schnee schlafen und aus hölzernen Schalen Wasser trinken kann. Und tatsächlich ist es ja auch so und erstaunt uns jeden Tag. Ich will nur sagen, daß er noch etwas mehr kann. Er hat nicht nur Soldatengrillen unter dem Hut. Hör ihn mal mit dem Feif über die schönen Künste sprechen, oder mit mir über Philosophie disputieren! Und dann daneben diese – salvo honore – reinen, kleinen Tölpeleien, wie wenn er kaum einen lesbaren Brief zusammenbringen könnte. Erkennst du in all diesem nicht die schwedischen Geistesgaben, gerade wie sie am leuchtendsten sind? Ein glitzerndes Gewebe aus kostbarstem Goldbrokat ... Und dann hier und da große, dunkle Risse, durch welche man die Hände stecken kann! Ist es zu verwundern, wenn die Schweden für einen solchen Menschen in den Tod gehen, als wie für sich selbst, verlange nicht, daß er voller Reue wie der verlorene Sohn nach Hause stiefeln und seine leeren Hosentaschen zeigen soll. Sag mir lieber, wo zum Teufel wir das Geld herbekommen sollen?«
Jetzt steckte Müller die Feder hinter das Ohr.
»Die Begünstigten unter unsern Herren wie unsern Fürsten werden durch den Neid der Mitmenschen arg bedrängt, und du und dein Pumpen, glaub' mir, kalfatern hier im Lager mit größerer Schnelligkeit, als du es ahnst. Bei Gott! Mache du flink dein Kassabuch zu und hänge den Schlafrock an den Nagel und ziehe deine alte Oberstuniform an, denn in wenig Tagen haben wir Krawall. Schon vorgestern, als der Pascha aus Bender geritten kam, die Luft mit dem Säbel zerhieb und im Namen des Sultans uns befahl, nach Hause zu ziehen, begriff ich, daß Seine Majestät einen entsetzlichen Entschluß fassen würde. Und hast du gemerkt, daß sein Degen jetzt gerade wie früher beständig drei Zoll aus der Scheide sitzt?«
»Na, da müssen wir hauen und schlagen, – damit es nur ein Ende gibt, Haard sehnt sich so danach, daß es wieder um die Augen blitzt, – ›Herein, herein!‹«
Grothusen wandte sich um und grüßte die drei Männer, die über die Schwelle traten. Der eine hieß Axel Roos. Er war ein schlanker, braunlockiger Leibtrabant, und für ihn gab es nichts in der Welt außer der Ehre des Vaterlandes und seines Königs. Der andere Kamerad war Leutnant Olof Aaberg. Sein männliches aber häßliches Gesicht war voller Säbelhiebnarben, und ein Granatensplitter hatte ihm die beiden Vorderzähne weggerissen, der letzte dagegen war nur ein einfacher Leibgardist, der Seved Tolfslag Zwölfschlag. hieß, aber er galt für den kräftigsten und größten Soldaten in ganz Carlopolis, und er konnte ein Hufeisen gerade biegen oder einen Zinnteller zusammendrücken wie ein Halstuch. Niemand hatte ihn je lachen hören. Mit seinem wettergebräunten, fast schwarzen Gesicht stand er grimmig dreinschauend, einerlei, ob es sich um einen Psalm oder um ein Spiel handelte; und allein schweigsam Posten zu stehen in kalten Nächten, die Hände in die Rockärmel hochgezogen, schien für ihn das größte Vergnügen auf Gottes Erdboden zu sein.
»Ich habe euch rufen lassen,« sagte Grothusen, seinen Kopf zurückwerfend. »Wir nennen euch ohne Rangunterschied unsere drei tapfersten Kerle. Geht eurem Stand entsprechend fleißig unter den Offizieren und der Mannschaft umher und redet den Wankenden Mut ein. Bald sollen wir hier Zeugen eines Ereignisses werden, das alles bisher Erlebte übertreffen wird. Wir haben die Grenze des Menschenmöglichen erreicht.«
Während er sprach, wechselte er das Kleid. Als er das Degengehänge einhakte, wurde das Fenster durch einen Reiter verdunkelt, der an die Scheiben klopfte.
Es war der König.
Er war so strahlend, als hätte er eben den Zaubertrank der ewigen Jugend geschluckt. Seine Tracht war ebenso einfach wie immer, aber fleckenlos, und im Nacken hatte er sogar das dünne Haar in einen Knoten zusammengebunden. Die Jugend schaute aus seinem Auge, und er klopfte noch einmal mit der Reitpeitsche an die Scheiben.
»Grothuschen, wir wollen jetzt nach Bender!«
Der verlegene Obrist sprang die Treppe hinunter.
»Aber Eure Majestät haben ja bis jetzt nie dorthin reiten wollen, und eben läuten die Sturmglocken. Man ist der vornehmen Gäste satt geworden, und es ist Schluß mit der alten Freundschaft. Schauen Sie selbst, es ist kaum ein einziger Türk mehr im Lager. Man hofft uns mit der Zeit alle niederzuhauen und zu plündern bis auf die bloße Haut ...«
Der König lachte und nickte.
Da flackerte es hell auf in Grothusens Antlitz, und im nächsten Augenblick bäumte sich sein Roß neben dem des Königs.
Gegen seine Gewohnheit entfernte sich der König im Schritt über die Felder hin. Unter den vorstehenden Strohdächern der Hütten standen schon zwischen den buntbemalten Holzpilastern drohende, mit Sensen und Musketen bewaffnete Scharen, aber der König winkte ihnen mit dem Handschuh zu wie Untertanen. An den staubigen, ungepflasterten Straßen Benders hatten die Verkäufer die Fensterladen geschlossen, und Soldaten und Kaufleute zogen bewaffnet hin und her. Sie sagten sich aus dem Gedächtnis den Brief des Sultans her, der ihnen die Berechtigung gab, die Schweden mit Gewalt zum Rückzug zu zwingen. Sie übertönten sich gegenseitig mit wildem Kriegsgeschrei, aber als sie unvermutet den König mitten unter sich gewahrten, als sein Pferd den Huf auf ihre Mäntel und Kaftane setzte, da ließen sie die Speere sinken und berührten den Boden mit der Stirn.
»Haha!« jubelten die jüngeren Mädchen hinter dem Haremsgitter. »Sein Kopf ist zu klein im Vergleich zu dem Körper, und der Körper ist zu klein im Vergleich zu den fürchterlichen Stiefeln. Haha!«
Aber die Frauen und die älteren Weiber schoben sie ärgerlich zur Seite.
»Allah, wenn wir einen solchen Herrn hätten!«
Dann beugten sie sich nach den vertrockneten Laubranken, die noch vom Sommer her die Fensterrahmen einfaßten. Sie bewarfen ihn mit Blättern und Blumen, so daß eine verwelkte Rose auf seinem Hute liegen blieb – und währenddessen läuteten die Sturmglocken, um die Bevölkerung zu den Waffen zu rufen gegen die Schweden und ihren Führer.
Ruhig grüßend wie während eines Lustrittes fuhr der König fort die Straßen entlang zu reiten, bis wiederum das freie Feld im Lichte der sinkenden Sonne vor den beiden Reitern lag.
Grothusen zeigte über eine niedrige Steinmauer.
»Betrachten Sie den Grashügel dort neben der letzten Ruhestätte des seligen Bischofs Malmberg! Das ist Maseppas Grab ... So kann irdische Größe enden.«
Der König neigte sich zur Seite und legte vertraulich die Hand auf des Günstlinge Knie.
»Grothuschen! Fällt heute in hundert Jahren ein verwelktes Blatt zu Boden, so ist dieses Ereignis die Folge von unzähligen anderen, kleinen, unbemerkten Ereignissen. Dieser Augenblick ist das Glied einer Kette von Ereignissen, die hinan bis zur Ewigkeit und zurück bis zur Schöpferhand Gottes reicht. Fällt jetzt ein Blatt zu Boden, so geschieht es, weil gerade dieses Ereignis und kein anderes in dem Augenblick geschehen kann. Vermöchten wir alles das, was geschehen ist, so klar zu sehen wie eine Reihe Ziffern, so würden wir auch alles, was geschehen soll bis zum Ende der Welt, ausrechnen können. Wir könnten dann den Tag, die Stunde unseres Todes voraussagen. Laß uns deshalb lieber nicht wankelmütig und ängstlich sein!«
Halb mit dem Zagen eines Untertanen, halb mit der Zärtlichkeit eines ergebenen Freundes faßte Grothusen die Hand des Königs. Er hatte gesehen, daß der König inmitten der Weinhügel Varnitsas unter seiner letzten, tapferen Schar, weit von den zudringlichen, kleinen Regierungsangelegenheiten, vielleicht die glücklichsten Jahre seines Lebens, die Sonntagsruhe seiner Tage gefeiert hatte, und daß er seinen Begleitern näher und näher gekommen, ihnen ein guter Kamerad geworden war. Der kühle Februarabend wurde sternklar und feierlich, und jetzt an dem Grabhügel Maseppas wollte Grothusen reden, aber er hatte nicht mehr Gewalt über die eigene Stimme.
»Zieh heim!« flüsterte er. »So wahr ich lebe, ein Karl der Zwölfte sollte groß als Friedenskönig werden, und vollends das, was Christina nie vermocht hat, weil sie ein eitles Weib war. Zieh heim! Es ist ein Aufruhr im Anzug. Sag nicht, daß ich die Schweden nicht kenne. Auch sie haben Weib und Kind. Gäbe man uns ein großes, siegendes Türkenheer zur Begleitung mit, ja, dann könnten wir ein protestantisches Staatsbündnis unter einem schwedischen Kaiser gründen. Aber mit den Türken ist es wie mit Perlen: sie kosten Geld. Bald habe ich keinen einzigen Dukaten mehr zur Bestechung. Wir müssen uns beugen, uns beugen vor unserer eigenen Armut, unserer alten, schweren, erbärmlichen Armut. Sie, und nicht die Menschheit, hat uns besiegt ... Die Tür weit offen zu sehen und nur ausgewiesen zu werden wegen des elenden Bettlersoldes!«
Da der König stumm blieb, beugte sich Grothusen im Halbdunkel näher zu ihm hin, er fuhr aber zusammen. Seine eigenen Worte hatten den glücklichen Augenblick, den er einsam im vertraulichen Gespräch mit seinem Könige gehabt, verjagt. Der Freund war hinter einer kalten, jedoch noch lächelnden Maske verschwunden.
Grothusen versuchte noch zu scherzen.
»Ja, wenn wir Geld hätten, würden wir unser Lager mit groben Kanonen bestücken, und es zu einer Jomsburg machen mitten in Feindesland, und gleich den Trabanten sollten wir uns verpflichten, nie ein Weib zu nehmen. Hier müßten wir dann alles Geld verbannen und an einem gemeinschaftlichen Tische speisen, aber Leibniz und andere Größen einladen, auf der Ehrenbank zu sitzen. Mit ihnen würden wir die verschiedenen Lehren in einer Darlegung vereinigen, so daß unsere Königsburg, obwohl ohne Hand und Vasallen, einem ewigen Tempel der Wahrheit und Versöhnung gliche. Alles das würden wir ... Jetzt aber bleibt uns nichts anderes übrig, als weichen oder fechten!«
»Es bleibt uns nichts übrig, als zu fechten!« antwortete der König und gab seinem Klepper die Sporen mit solcher Heftigkeit, daß Grothusen mit dem leeren Handschuh in der Hand sitzen blieb.
Er drehte und betrachtete den großen Handschuh. Schließlich küßte er ihn und verbarg ihn unter dem Rock an seinem Herzen, indem er flüsterte:
»Da soll er stecken, bis meine Kugel saust!«
In Erwartung einer Belagerung gruben die Schweden einige Schritte vom Königshause entfernt einen Brunnen, den eine sprudelnde Quellader mit kristallklarem Wasser füllte. Die Frauen von Varnitsa glaubten, daß, wer von dem Wasser trinke, gefeit würde gegen Liebe und Schüsse. Das sähe man am besten an dem alten Grothusen, meinten sie. Er trank nur Wein und versuchte nie einen einzigen Becher aus dem Brunnen, deshalb war er auch so liebeskrank, daß, wo er einem schönen Mädchen begegnete, er den galonierten Hut abnahm und sie mit dem Zeige- und Mittelfinger unter dem Kinn streichelte. So war es nicht mit der übrigen Schar bestellt.
Aabergs runzlig weinerliches Gesicht spiegelte sich oft in dem Brunnen. Mit der Torfhacke unter dem Arm stillte er seinen Durst und eilte dann zu den Soldaten am Schanzwerk. Rings um das Lager warfen sie einen Wall auf aus Tonnen, Betten, Karren und den Erdschollen, die aus dem gefrorenen Boden gebrochen werden konnten. Der König stand selbst dabei und flocht Weidengerten und Seile zwischen Stuhlbeine und Wagenräder. Die Landleute flohen, so daß die Hütten in Varnitsa leer wurden, aber ein großes unübersehbares Heer von Türken und Tataren stellte sich in einem weiten Ring mit Mörsern und Feldstücken auf, und in späten frostigen Nächten beugte sich eine große Gestalt über den Brunnenrand und rasselte mit der Kette des blechernen Gefäßes. Das war der wachthabende Seved Tolfslag, der eben einigen Janitscharen geholfen hatte, ihre Hühnerkörbe und Heusäcke heimlich einzuschmuggeln. Gleich daneben stand Grothusen vor einer Laterne, und mit seinen von Engländern, Franzosen und Juden zusammengeliehenen Geldern bezahlte er alles zum dreifachen Wert, als wache er jeden Morgen mit den Stiefelstulpen voll von Dukaten auf.
Mitunter sprengten die schwedischen Dragoner am hellen Tage hinaus und führten Büffel und Schafe gerade vor den Augen der Belagernden heim. Oder auch der König ritt zu den feindlichen Posten und musterte sie und sah nach, daß sie ihre Pflicht taten, und lehrte sie, auf schwedische Art das Gewehr präsentieren.
Im Königshause wurden die Fenster bis Manneshöhe mit Erdsäcken gefüllt oder mit Pfählen verrammelt. Hultman trug mit den Lakaien die lange Truhe aus Eichenholz mit dem Tafelsilber in das Eßzimmer hinein, und bei den Soldaten oben auf dem Boden wurden die französischen Tapeten und die Seidenkissen und die wichtigsten Bücher und Papiere verwahrt. Regimentsrollen, Tessinsche Kupferstiche und französische Tragödien kamen nebeneinander zu liegen, unter Schabracken, die mit Gold und Edelsteinen übersät waren, und vor der Hauptwache wurden Patronentaschen und Musketen ausgegeben. Die ganze kleine Königstadt, Hunderte von Meilen von dem eigenen Land entfernt, hatte kaum so viel Mann, als nötig gewesen wären, um ein einziges vollzähliges Regiment zu bilden. Selbst der feierliche Hofmarschall Düben mußte, den Schweiß auf der Stirn, seine Lakaien, Küchenjungen, Bäckerburschen und Silberputzer üben und einexerzieren. Der Meisterkoch Boberg mußte den Kochlöffel auf das Wandbrett werfen und zwischen Hultman und dem pustenden Küchenschreiber die Steine stampfen mit dem Haudegen unterm Arm. Barhäuptig, ratlos, kummervoll, mit vertragenen, glänzenden Rocknähten und Tinte an den Fingern marschierte Müller vor seinen Kanzlisten.
»Schau 'mal Seine Majestät!« flüsterte er zu Düben. »Die Kühnheit ist eine Heiterkeit der Seele! Die Ehre ist ihm so kostbar geworden, daß, wenn er die nur unbefleckt erhält, kein Unglück ihm Kummer machen kann. Das sage ich aber, ich für mein Teil strecke den Degen, sobald die braunen Wilden da draußen anstürmen. Ist das vernünftig, daß fünfhundert Mann gegen zwanzig- oder dreißigtausend kämpfen sollen?«
Als er des holsteinischen Gesandten Fabrice gewahr wurde, der noch ein letztes Mal aus Bender ins Lager geritten kam, um den König zum Abzug zu bewegen, ließ er wie durch Zufall seine Truppen zu dem Holsteiner hinmarschieren. Sofort beeilten sich die schwedischen Herren, ihre Brieftaschen, Schnupftabakslöffel, Fingerringe und Geldbeutel in Verwahrung zu geben! Als Fabrice schließlich wegritt, hatte er eine solche Menge von Kostbarkeiten unter dem Rock, daß er ihn nicht zumachen konnte. Dann begann auch die Mannschaft ihre Siebensachen zu verstecken. Der letzte seit Jahren aufgehobene Dukaten wurde aus dem Westenfutter herausgetrennt und mit dem Ring aus Silber oder Roßhaar, der noch von der ersten Geliebten stammte, zusammen in einer Feige, einem Baumstamm oder in der Erde verborgen. Der Kammerherr Klysendorff stand selbst mit dem Spaten in der Hand unter den Soldaten und vergrub am Strandabhang neben einem Weinstock das auf Elfenbein gemalte Portrait seiner alten Großmutter.
»Ich bin zu Jahren gekommen,« sagte er, »und ich bin durch Gicht und Altersschwäche gebeugt. Ich ahne, daß ich jetzt fallen werde. So will ich denn lieber meine Habseligkeiten der dunklen Erde anvertrauen, in die ich selbst bald hinab soll, als geizigen Plünderern. Gras und Pflanzen werden hier über den kleinen Andenken und Ersparnissen wachsen, die wir armen landesflüchtigen fremder Erde anvertrauen.«
Mit glühenden Wangen wie ein Fünfzehnjähriger, heute aber befehlend wie ein Kaiser über Fürsten, saß der König auf seinem Pferd am äußersten Rande der Verschanzung, und rings um ihn versammelten sich die vornehmsten Schweden. Gierta, der bei Poltawa sein Leben für ihn gewagt hatte, und Haard, der streitlustige Häuptling der Trabanten, stützten sich auf ihre Degen. Schmeichelnd und tuschelnd zeigte der Hofprediger Brenner sein geschwollenes Cherubimgesicht bald diesem bald jenem, und sein Amtsbruder Aurivillius packte ihn am Mantel, aber der General Daldorff riß das Hemd über der vernarbten Brust auf und sprach mit Freimütigkeit zum König.
»Hier,« rief er und deutete auf seine Brust, »sieh hier die Zeichen dafür, daß wir immer bereit gewesen sind, für unser Vaterland den letzten Blutstropfen zu opfern! Wir sind das jetzt auch, aber wenn wir auch alle anwesenden Türken niederhauen, so bekommen wir dann eben die Macht des Sultans selbst zu fühlen. Wir wissen alle, daß nicht nur die Türken, sondern auch die Seemächte sich angeboten haben, mit den größten Ehrenbezeugungen unseren König seinen Staaten zuzuführen, und noch steht uns der Weg durch Deutschland offen. Die Türken haben uns mit Geschenken und Freundlichkeit überschüttet und haben nur offene Verachtung geerntet ...« Der König antwortete:
»Die Türken verkaufen sich an den Meistbietenden, und deshalb sind sie der Verachtung wert. Früher habt ihr wie tapfere Krieger gekämpft, jetzt aber redet ihr wie Feiglinge. Gehorcht, wie es eure Pflicht ist, und zeiget euch so, wie ihr bisher gewesen seid.«
Dabei schlug er Daldorff auf die Schulter wie einem guten Kameraden, ohne allen Ärger, und ritt nach dem Königshause, während die Feldstücke des Feindes zu donnern begannen.
Klysendorff, der ein schüchterner und friedfertiger Mann war, stand noch unter den Soldaten und sprach leise mit ihnen.
»Wohl weiß ich, daß die Welt unseren gnädigen Herrn, ob dem, was jetzt geschieht, hart beurteilen und ihn für einen wahnsinnigen halten wird, aber wahnsinniger sind die Türken, die sich einbilden, ihn mit Gewalt wegjagen zu können. Und wenn alle ihn aufgeben, so zeigt ihr einfachen Soldaten aus Reih' und Glied, wo die Treue am festesten in der Brust sitzt!«
Durchdringendes Geschrei erfüllte jetzt die ganze schöne Gegend, und der Feind stürmte, aber Grothusen stand in seinem galonierten Paradehut an der Verschanzung und hinderte die Janitscharen mit den freundlichsten Begrüßungen und trotzigsten Einfällen. Ins Blinde hinein holte er Dukaten, Albrechtstaler und Konfektbissen aus dem Sack. Er warf sie durcheinander nach allen Seiten, und als er nach dem Lager deutete, leuchtete ein dreifacher Regenbogen über dem Königshause, und vor der Tür saß der König ruhig und stolz auf seinem dampfenden Pferd.
»Nein, nein!« murmelten die Janitscharen und hoben die Säbel gegen ihre eigenen Offiziere und zogen sich nach der Stadt zurück, »wir greifen den Eisenkopf nicht an. Wir sind seine Freunde. Laßt ihm Bedenkzeit bis morgen.«
Der Sonntag brach an, und im Königshause stimmten die Schweden den ersten Psalm des Morgengottesdienstes an, als wäre nichts geschehen. Die Erdsäcke und die gefrorenen Wassertonnen sperrten die Fenster, so daß der Saal einem dunklen Festungsgange glich. Zwei Wachskerzen brannten auf dem mit einem weißen Tuch bedeckten Tische, und der Prediger beugte sich tief über die Bibel, um den Text des Tages lesen zu können.
»Und als er in das Schiff trat, folgten ihm seine Jünger. Und siehe da, ein Sturm entstand auf dem Meere, so daß das Schiff von den Wellen überspült wurde, aber er schlief.«
Der König stand ganz vorne an dem Tisch, die Pelzmütze in der Hand. Sein Entschluß war gefaßt, sein Inneres war ruhig und froh, da war kein Kampf, nur Sehnsucht. Bei Poltawa war das Unglück über ihn hereingebrochen mitten in den Fieberphantasten, mit einem Schlage, und ehe er sich von dem Krankenlager erheben konnte, lag alles verwüstet. Jetzt war er wieder sein eigener Herr. Jahr für Jahr, Tag für Tag hatte er die Maschen des Netzes, das er zu stricken versucht, und das nur mit Gold zu stricken war, reißen sehen. Er brannte vor Eifer, endlich dieses elende Ränkespiel los zu werden und im hellen Licht des Tages zu seinem Haudegen Zuflucht nehmen zu können. Riga, Pernau, Reval, Wiborg, Keksholm ... Jeder Name, der durch sein Gedächtnis zog, bedeutete verlorene Städte und Provinzen. was lag noch daran, wenn er fiel! Das Erdenleben währt kurz, aber der Ruhm der Heldentat ewiglich!
Der Prediger beugte sich wieder über die Bibel.
»Und seine Jünger gingen zu ihm und weckten ihn auf und sagten: Herr, hilf uns, wir vergehen!«
Die erste Kanonenkugel traf jetzt die dicke Mauer des Königshauses, blieb aber in den weichen Ziegelsteinen sitzen, und der Prediger fuhr fort.
»Und er sagte zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum fürchtet ihr euch?«
Ein Offizier stürzte auf den König zu und flüsterte:
»Man kann vor Getöse den Text nicht mehr hören, und jetzt stürmen die Türken.«
Der König antwortete:
»Der Kugeln wegen dürfen wir unseren Gottesdienst nicht unterbrechen, aber jeder von uns ist an seinem Posten erforderlich.«
Auf dem Altan vor dem Königshause spielten die Musikanten mit donnernden Pauken den Dalarne- und den Fackeltanz auf. »Allah! Allah!« antworteten Türken und Tataren, und die weißen Röcke flatterten, während sie zu Tausenden über die Verschanzungen hereinstürmten und Krummsäbel und Speere schwangen. Einige Janitscharen steckten noch die Klingen unter den Arm und hielten brüderlich zuredend den Tabaksbeutel den schwedischen Bekannten und Freunden hin. Als der König mit gezogenem Degen in das Handgemenge hineinritt, sah er einen nach dem anderen von den Seinen die Waffen strecken, und er errötete. Er rief nach Grothusen und Daldorff, aber niemand antwortete ihm. Da merkte er, daß der Streit ihm allein gelte, und die, die nicht fechten wollten, waren dessen auch nicht würdig.
»Diejenigen, die noch Mut und Treue in der Brust haben, mögen mir folgen!« rief er.
Da vereinigte Seved Tolfslag die gemeinen Soldaten, die Küchenjungen und Lakaien um ihn, die eben mit Mühe und Not die ersten Handgriffe gelernt hatten. Treu kämpfend auf Leben und auf Tod umstanden sie den König, während er vom Pferde sprang und den Degen durch die nächststehenden Türken rannte, vor ihm her schritt Seved Tolfslag wie ein schwarzer Berserker und präsentierte mit der Muskete, aber sobald der Feind sich in den Weg drängte, machte er eine Biegung mit dem Bajonett und veranstaltete eine Ernte für den Sensenmann. Eine Pistole wurde gegen die Schläfe des Königs gerichtet, aber wie von einer unsichtbaren Hand berührt, neigte er den Kopf ein Fingerbreit zur Seite, – und die Kugel streifte nur sein Angesicht, warf aber Haard verwundet zu Boden. Er sah, wie Axel Sparre gebunden und entkleidet wurde. Rasselnde Säbel und Degen hieben sich tiefe Scharten wechselseitig in die Schneiden. Im Ringen mit seinem eigenen Leibtrabanten Roos und zwei Schweden wurde er wie von einer Eisenhand um die Hüften gefaßt und wider seinen Willen ins Königshaus gebracht, wonach das Tor verschlossen ward.
So hatte er dieses Schwertspiel sich nicht gewünscht. Zornige und streitlustige Ungeduld entzündete das Fieber in seinem Blut. Mit verbrannten Augenbrauen und an Nase und Ohr blutend, musterte er in der Kammer des Hofmarschalls seine Kämpfer, vierzig an der Zahl, und nickte vergnügt dem alten Hultman zu, der mit einem großen Verband um den Schädel und der geschulterten Muskete in einer Reihe mit Wolberg und Groll und Friberg und allen Tapfersten unter den Getreuen stand. Mit faltiger Stirn und blitzenden Augen, den langen Degen zur Hälfte erhoben, stürmte er vor seinen Leuten her durch Säle und Zimmer, wo die Plünderer schon eingedrungen waren. Roos schoß und focht an der Seite seines Herzens. Der ruhige und zahnlose Aaberg kauerte sich unter seinen Arm wie ein grinsender Eunuch und richtete die Degenstöße aufwärts gegen Magen und Brust der Türken, aber Seved Tolfslag ging seinen Weg gerade aus und nahm einen nach dem anderen am Bart und warf ihn zum Fenster hinaus. Er riß Waffen an sich und zertrümmerte sie mit dem Fuß und warf dann die Stücke auf den Hof hinaus. Das knisterte und knatterte von Zündpulver und Gewehrläufen. Hoho! Das sang wie gekreuzte Klingen und säuselte wie Harfenschlag.
Im Hauptsaal, wo die zwei halbniedergebrannten Wachskerzen noch auf den aufgeschlagenen Bibeltext leuchteten, von dem Herrn, welcher aufwachte und die Wetter besänftigte, konnten sich die Schweden in dem immer dichter werdenden Rauch nur an den Sporenstiefeln erkennen. Mit einem so wilden Schrei, daß viele von den Jüngsten zusammenschauderten, sah man plötzlich die Pantoffeln der Janitscharen, die gelben Halbstiefel und weißen Röcke der Tataren in dem Rauch emporklettern wie auf Leitern und dann verschwinden. Umsonst hieben und stachen die Degen nach allen Seiten, sie trafen nichts als die leere Luft.
»Das ist Zaubervolk!« murmelte Hultman und blieb bei der Bibel stehen, der König aber stieß eine Wassertonne zum Fenster hinaus, so daß der Rauch entweichen konnte. Da fand man die Plünderer auf den Türen und Gesimsen hängen, und aufs neue tobte die wilde Löwenjagd durch die Räume.
Als endlich alle Feinde hinausgetrieben waren, verteilte der König seine zweiunddreißig übriggebliebenen Streitkameraden in kleinen Truppen an jedes Fenster und ging selbst zu den Toten und nahm Kugeln und Pulver aus den Bandeliertaschen. Noch blutend, ließ er seine verwundete Hand von Roos verbinden, der ihn eben durch einen Pistolenschuß im Handgemeng mit zwei Türken gerettet hatte.
»Ich sehe,« sagte er, »daß Roos mich nicht verlassen hat, wo sind aber alle die anderen, die mich im Stich ließen?«
»Der größte Teil ist wohl tot oder gefangen genommen.«
Der Blick des Königs wurde hierbei leuchtender, und er nahm Roos an der Hand und führte ihn nach dem Hauptsaal zurück, aus dessen Fenster die Musketen ihr Feuer gegen den näher und näher heranrückenden Feind entsandten. Eine tiefe Dämmerung herrschte da drinnen, denn es war schon gegen Abend, aber zwischen den Tonnen und Erdsäcken erkannte man den weiten Ring der Rüstwagen, Türen und Weinkarren, hinter denen die Türken sich Schritt für Schritt näherten, und der ganze Hof war schon von Gefallenen bedeckt.
Ein Tönnchen Branntwein wurde von dem Boden heruntergeholt, um den furchtbaren Durst zu stillen, und er, der König, den niemand etwas anderes als Wasser hatte trinken sehen, ging selbst von Soldat zu Soldat und ermahnte jeden, nicht mehr als einen Schluck zu nehmen. Aber schließlich, als sogar dieses Stärkungsmittel nicht mehr lechzen wollte, wurde Wein geholt, und damit füllte er dasselbe Glas, das soeben unter der Mannschaft von Mund zu Mund gegangen war, und leerte es selbst wie einer ihresgleichen.
»Es ist besser,« sagte er nach einer Stunde erbittertsten Kampfes, »daß wir uns als tapfere Männer bis zum letzten Atemzug verteidigen und so unsterblich werden durch Mut und Tapferkeit, als daß wir uns dem Feind ergeben, um unsere Lebenszeit etwas zu verlängern.«
Beim ungleichmäßigen Geknatter des Musketenfeuers regneten Kanonenkugeln und Bomben über das einsame Haus, und Pfeile mit langen Enden aus brennender Hede setzten sich in den Dachspänen fest. Unterdessen verbreitete sich für einen Augenblick durch den Rauch ein unerwarteter Duft von Heu und frischem Holz, als hätte das friedsame Hirtengelände einen Gruß von seinen Feldern und Waldhainen herübergesandt. Bald zog jedoch ein Janitscharenhäuptling mit seinen Soldaten durch das Gedränge, gleich einem Henker mit seinen rotgekleideten Knechten. Auf dem Rücken trugen sie Heubündel und Holz, er selbst aber hielt eine Pechfackel. Als alles Brennholz auf der Windseite des Hauses aufgeschichtet war, warf er die Fackel hinein, und bald schlugen die Flammen über dem Dachstuhl empor, und alle Kostbarkeiten oben auf dem Boden waren von Feuer und Rauch umhüllt.
Einsam und vergessen lag unter den Toten Klysendorff am Boden in einer brennenden Kammer, aber bei jedem neuen Laut der Bestürzung, den er hörte, erhellten sich seine bleichen Züge. Noch konnte er vom Hof her die entfernten schwedischen Zurufe unterscheiden. Auf dem Eisboden standen ausgeplünderte Generale und Oberste im bloßen Hemd, die Hände im Rücken gebunden. Tataren mit galonierten Trabantenhüten auf dem Nacken und mit rings um den Sattel befestigten gelben und schwarzen Perücken, waren damit beschäftigt, die edelsten Söhne Schwedens an langen Ketten zusammenzukoppeln, und sie zu ihren Sklaven zu machen. Sie banden sie an ihre Wagen und hieben sie mit Peitschenhieben vorwärts, und Gierta und Konrad Sparre wurden weggeführt, um an einem Brunnen angebunden das Vieh zu tränken. Ein Janitschar saß auf dem Brandklepper und umfaßte mit der haarigen Hand den Griff von Karls des Elften mitgeführtem Degen, und der Pascha setzte sich schon mit gekreuzten Beinen auf den Kissen seines Zeltes zurecht, um den Schluß des Kampfes zu erwarten.
Von den Hügeln, von den fernen Moscheetürmen und der Feste in Bender herab stierten Tausende von erstaunten Zuschauern den flammenden Herkulestorso an. Sie sahen, wie der König und seine Trabanten mit über den Kopf gezogenen Röcken sich nach dem Boden hinausdrängten, um das Schindeldach wegzustoßen, wie sie aber den Kugeln und dem Rauche wieder weichen mußten. Von Kammer zu Kammer zog sich die Schar zurück, unter fallendem Gemäuer und Dachbalken, beschossen durch alle Fenster, mit brennenden Kleidern und blutig an Gesicht und Schultern. In den erhitzten Musketen gingen die Schüsse von selbst los. Die Janitscharen riefen sich zu, entweder sei der schwedische Karl ein Salamander, oder er wolle sich jetzt mit seinen Leuten drinnen verbrennen lassen. Die ganze Gegend jauchzte vor Freude, das war aber nicht Freude der Rache, sondern Freude des Erstaunens.
Die Finsternis war hereingebrochen, aber der Flammenschein erleuchtete den Hof, und durch den Lärm durch hörte man des Königs klare Stimme:
»Lieber Roosen, laß uns jetzt mit der kleinen Mannschaft die Verteidigung durchführen bis zum Schluß!«
Er kämpfte jetzt selbst mit dem Karabiner am Fenster. Als ob er einem stummen Entschluß folge, drang er bis zu den zerschossenen Erdsäcken vor und blieb dort allein stehen.
Roos warf sich dazwischen, und durch eine Kugel betäubt, die an der Polsterung seiner Pelzmütze abprallte, sank er seinem Herrn in die Arme. Ohne zurückzutreten blieb der König unbeweglich stehen, seinen edelsten Leibtrabanten umschlungen haltend.
Wütend stürzten die Türken noch einmal gegen die Fenster vor, wurden aber zu Boden gestreckt, und der glühende Blindboden erleuchtete alle Zimmer wie bei einem Gastmahl.
»Der schwedische Karl hält ein Fest!« sagte der Pascha. »Poltawa war der Tag des Volkes, dies wird sein Tag!«
Da wurde das Tor aufgestoßen, von Funken umsprüht, trat Seved Tolfslag auf die Treppe hinaus und präsentierte das Gewehr.
»Platz!« rief er. »Der König, der König!«
An der Spitze seiner Mannen eilte der König gerade aus in das Handgemenge, und diejenigen, die ihm nicht folgen konnten, verteidigten sich, mit dem Rücken gegen die Mauer. Sterbende und Tote fielen zu seinen Füßen, und über seinem Kopfe begegneten sich die fechtenden Degen in einer Spitze gleich einem Zelte aus blankem Eisen. Durch die Sporen stolpernd, wurde er zu Boden gedrückt und übermannt, so daß die Waffe seiner Hand entwunden werden konnte.
»Anders hätte der Tanz geendet,« sagte er, »wären alle an ihrem Posten geblieben. So war es nicht der Rede wert.«
Als er wieder aufgestanden war, erlosch das blitzende Feuer in seinen Augen, und er verteilte zur Belohnung, daß sie ihn hatten entwaffnen können, alle seine Dukaten unter die Janitscharen. Durch den Rauch bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt, mit seiner zerhauenen Uniform, an der ein Rockschoß weggerissen war, bestieg er einen purpurgesattelten Schimmel, und von Jubel umtönt, als wären alle Fahnen des Islams soeben als Teppich vor die Hufe sein es Pferdes gelegt, ritt er Bender und der Gefangenschaft entgegen.
Er wendete nicht mehr den Blick, um nach der flammenden Ruinenstadt zurückzuschauen. Die ganze Nacht durch verbreiteten die Flammen ihr Licht. Auf den Aschenhaufen der flammenden Carlopolis standen die Türken mit ihren Spaten, und schon bei Tagesgrauen begannen die Frauen von Varnitsa am schwedischen Brunnen ihre Krüge mit dem kristallklaren Wasser zu füllen, das sie in kommenden Zeiten dem Fremden anbieten sollten, und das den Trinkenden gegen Hiebe und Kugeln feite. Ringsum unter Maulbeerbäumen und wachsenden Weinstöcken ruhten die letzten vergrabenen Speziesdukaten der heimatlosen Krieger, geprägt mit des Heldenkönigs Bildnis, und noch lange nachher, wenn die Hirten und ihre Frauen an stürmischen Herbsttagen die Frucht ernteten, glaubten sie in der Erde ein dumpf klingendes Geräusch von Kampf und Waffenspiel zu vernehmen.