Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwischen den schwedischen Schären

Von Wirtshaus zu Wirtshaus zogen die Heimkehrenden schwedischen Krieger in verstaubten Kleidern und durchgelaufenem Schuhwerk. Auf einem Karren vor ihnen her wurden die finnischen Frauen gerüttelt, die der König von den Türken freigekauft und mit seinen Soldaten verheiratet hatte, und daneben im Stroh unter dem Wagensitz stand der Käfig mit den Chamäleonen, die der Magister Eneman aus Asien geholt hatte. Der Karren mit den Frauen blieb bald zurück, und die Tiere starben dahin, aber zwischen den sonnverbrannten Soldaten und Stallknechten wurde der Brandklepper noch geführt, doch war er altersmüde und steif und trug keinen siegenden Helden mehr im Sattel.

Immer ein Stück vor allen anderen, schritt ein langer, magerer Mann mit friedlosen Augen und gerunzelter Stirn. Seine Wangen waren dunkel wie Rinde, aber die Zähne leuchteten zwischen dem graugesprenkelten Bart, für den er sich nicht die Zeit gönnte, ihn schneiden zu lassen, und selbst hatte er weder Messer noch Schere. Der armseligste Strolch hätte seinen verschmutzten Rock verachtet, aber alles was er besaß, führte er mit sich, – und das war ein Sack und ein Knüppel. Zwar hatte er zu Beginn des Marsches herumgeschickt, um Geld aufzubringen, aber das war längst in alle Winde verstreut. Damit Fremdlinge nicht mit dem Finger auf seine Armut und sein Land deuten sollten, nannte er sich einen Gemeinen, aber er war Leibtrabant und hieß Ehrensköld. In seiner Jugend hatte er in einer Oktobernacht einen Fähnrich Gyllenstjerna niedergestochen, und noch jetzt flatterten seine Sinne so unstet, obgleich er der munterste beim Bierkrug war, daß er des Nachts mit unruhigen Gedanken wach lag. Die Morgendämmerung graute noch kaum, wenn er mit seinem Holzknüttel auf den Fußboden der Herberge polterte, um die Kameraden zu wecken.

Wenn die ermüdete Schar sich am Abend in der Wirtsstube um den Tisch herum versammelte, blieb er stehen und erhob lustig den Krug auf die Neugierigen alle, die draußen an den Fenstern hinauf kletterten.

»Sieh, sieh!« flüsterten die Zuschauer. »Jede Narbe auf dem Gesicht und den Händen dieser Männer ist das Märchen einer Tat. Es sind die wiederkehrenden Helden von Ilion!«

Dann fügten sie hinzu, wenn sie im Hof den steifen Gang des Brandkleppers gewahrten:

»Und das Holzpferd haben sie mitgenommen!«

Aber dann erzählte Ehrensköld, daß das der Brandklepper sei, und während die hochgeborenen Gräfinnen mit Brot und Zucker aus ihren Wagen stiegen, um ihren Nachkommen erzählen zu können, daß der Brandklepper ihnen einmal aus der Hand gefressen habe, leerte er den Krug bis auf den Grund und schlug auf den Tisch, zum Zeichen, daß die Kameraden wieder aufbrechen sollten.

»Deines Heimwehs wegen gönnst du uns weder Ruhe noch Schlaf, murrten die Kameraden. »Kaum ist eine Mahlzeit angerichtet, so mahnst du uns wieder, aufzustehen und weiterzugehen, ehe noch das Fleisch vorgeschnitten ist ...«

Dann wurde er mißtrauisch und feindselig gegen seine früheren Freunde, und eines Morgens schlich er sich vor den anderen fort.

Es war für ihn kaum nötig, die Wegweiser zu lesen oder sich zu erkundigen. Er war gewiß, daß er gen Norden ging, und daß er allzeit den geradesten Weg einschlug. Jahr für Jahr hatte das Heimweh bei ihm überhandgenommen, und jetzt, da endlich jeder Schritt ihn den Gegenden näher führte, von denen er niemals sprach, an die er aber beständig dachte, nahm seine Sehnsucht an Stärke nur zu. Bisweilen konnte er dastehen, die Hände über dem Knüttel gekreuzt, und auf den Weg stieren, aber ohne daß er es selbst wußte, begann er dann wieder weiter und immer weiter zu gehen. Geschah es in einer regnerischen Nacht, daß er mit harten Worten von einer Tür weggewiesen wurde, wo er sich gedemütigt und sich einen schwedischen Troßknecht genannt hatte, der um ein Stück Brot beim wärmenden Herdfeuer bat, dann vergaß er, daß er nicht mehr auf der Kriegsstraße war. Sah er dann durch das Fenster die Brotkuchen und die Milchschüssel auf dem Tisch im Schein der Ofenglut, so beugte er sich über die Bleieinfassungen und riß ein paar kleine Fensterscheiben heraus und holte sich so viel von den Speisen, als er erreichen konnte. Aber während er gerade seinen Durst stillte und seine Taschen mit Brotbissen füllte, erinnerte er sich, daß er ein guter Kriegsmann war und steckte, ehe er ging, seinen Knüttel hinein und trieb ihn mit so donnernder Gewalt in den Tisch, daß die Schalen und Kuchen tanzten. Da verstanden die Hausleute, die von allen Seiten herbeisprangen, daß das kein gewöhnlicher Dieb war.

Vor den anderen kam er nach Stralsund, aber die Stadt ergab sich den Feinden, und ihre Flotten versperrten die Ostsee. Nach vielen Abenteuern fand er endlich in Amsterdam eine holländische Schmacke, die bereit lag, um nach Bohuslän abzugehen, und da war er so erschöpft, daß er sich unter die geflickte Decke des Schiffers aufs Stroh bettete, unten in der Kajüte. Aber so wie er den Anker knarren hörte, stieß er mit dem Knüttel an die Kajütendecke und rief nach dem Schiffer.

»Lieber Vater, wenn Ihr Fühlung bekommt mit den schwedischen Schären, laßt mich darum wissen, damit ich Bart und Kleidung zurechtmachen und auf Deck hinaufkommen kann.«

Der Schiffer versprach, nach seinem Willen zu tun, aber er stand kaum auf Deck, als es schon wieder an der Kajütendecke klopfte.

»Heimwärts, heimwärts ...« stammelte Ehrensköld und packte den Schiffer an der Hand. »Ihr habt den Hafen bereist und viele Dinge erprobt, Vater. Sagt mir, wovon kommt nur diese Sinnestäuschung, die es verursacht, daß man sich zu Hause wissen muß, um mit sich selbst Frieden zu haben? Dort unten bei den Türken, als der selige Funck durch das Fieber getötet wurde, befehligte ich die Wache bei dem Begräbnis, aber glaubt mir, ich konnte kaum den Haudegen halten noch mich der Kommandoworte erinnern ... Die Steine lagen so weiß ... Die Zypressen standen so gleichgültig ... wenn ich selbst dorthin gelegt worden wäre, ich hätte nicht ruhig schlafen können. Ich hätte die Stauberde über meinem Haupte aufgerissen und Gott den Herrn um Barmherzigkeit angerufen ...«

Der Schiffer antwortete:

»Hat nicht dieselbe Vaterhand jedes Stück der Erde geschaffen und sogar die schwachen Bretter, die uns im Sturme tragen? Kehrt Euch der Wand zu und ruht aus. Ihr Kriegsvolk zu Land seid schlechte Seeleute, und wir bekommen schlimmes Wetter.«

Schon zeitig den nächsten Tag, als der Schiffer bei dem Steuermann stand, hörte er von neuem ein leises Klopfen an der Kajütendecke.

»Ich habe eine Kugel hier unter den Rippen,« sagte Ehrensköld, »und ich habe nie recht verstanden, ob die es ist oder die Sehnsucht, was meine Gesundheit so erschöpft hat, daß ich mich nun nicht ohne Mühe aufrecht halten kann. Gerade um diese Zeit des Morgens, wenn es dämmert, aber die Sonne noch nicht aufgegangen ist, kommt die Stunde des Heimwehs.«

Es ward eine unruhige Fahrt, und die Wasser tosten. Eines Nachts kam der Schiffer mit einer Hornlaterne die Kajütentreppe herab und leuchtete auf Ehrensköld. Er saß wach auf dem Stroh mit dem Knüttel neben sich und dem Sack als Kopfkissen, und sein Haar war nun so lang, daß es ihm über die Ohren hing.

»Gnädiger Herr,« begann der Schiffer und befestigte die Laterne an dem Deckennagel. »Wir sind nun bei den schwedischen Schären außerhalb Uddevalla, aber der Sturm tobt heftig, und die Nacht ist neblig und schwarz ... Wir müssen kehrt machen und draußen halten und klarere Luft abwarten.«

»Ja, wende du die Schmacke!« rief Ehrensköld, so daß es die Kajüte durchtönte. »Ich will nicht heim! Nein, nein ... was hätte ich wohl daheim zu besorgen! In der Kirche zu Kalmar liegt mein Vater, und sein Wappen hängt an der Mauer ... Mein Bruder ist in der Gefangenschaft ... Die kleinen Schwestern sind nun groß, verheiratet und alt geworden ... Sie sind nicht mehr dieselben ... Die kleinen Schwestern sind nicht mehr da ... Das Heim ist nicht mehr da ..«

Mit solchen Worten antwortete er dem Schiffer, aber als dieser gehen wollte, hielt er ihn am Rockärmel fest.

»Hör' nicht auf mich,« sagte er, »behaltet kühn den bisherigen Kurs. Ein braver Soldat darf nicht nach langem, redlichem Dienst bei seinem König zurückkehren wie ein Feigling!«

»Ja und die Schmacke, gnädiger Herr? Die ist mein alleiniges Eigentum, und über sie habe ich zu befehlen. Zwar glaube ich den Leuchtturm im Nordosten zu sehen, aber die Schären sind hier gefährlich und mit Räubern übersät, die Irrfeuer aussetzen.«

Ehrensköld war nicht länger mehr schwach. Er saß aufrecht, mit dem einen Bein aus dem Bett, und hielt den Schiffer mit eisernen Fingern fest.

»Achtet Ihr eines Offiziers Willen gleich nichts, so segelt zu! Wohl habe ich hier nichts anderes Euch zu geben als die armseligen Lappen, obgleich ich sie mit Ruhm tragen werde, wenn ich heil an Land komme, aber bei der Stadt Kalmar habe ich einen kleinen Hof, wenn er mir nicht weggenommen worden ist. Den sollt Ihr statt des Geldes bekommen, wenn das Fahrzeug zugrunde geht.«

Der Schiffer glaubte, daß das Heimweh sich auf seinen Verstand geworfen habe, und er wußte wohl, daß sie, wenn das Steuerruder nicht bei Zeit gewendet würde, den Klippen nahe waren. Er versuchte sich loszuringen. Der Rockärmel zerriß an der Achselnaht, und mit nacktem Arm schwang er sich die Treppe hinauf.

Ein Stoß erschütterte das Schiff so heftig, daß die Kerze in der Laterne umfiel und verlosch.

»Herr Gott! Da, Herr, da habt Ihr die schwedischen Schären!«

»Dann mag diese Stunde gesegnet sein. Seit meiner Kinderzeit bin ich keinen Morgen mit leichterem Sinn aus dem Bett gesprungen.«

Ehrensköld hörte Schüsse und Handgemenge. Er nahm den Sack und den Knüttel und kletterte auf das eisbedeckte Deck. Die Wasser schlugen über ihn, aber die Morgendämmerung brach durch den Schneenebel, und er sah, daß das Fahrzeug an einer steinigen Schäre gestrandet war, und daß ein Schwarm von Männern die Mannschaft entwaffnete.

»Gib her, was du hast!« befahl ihm ein Rotbart und hob die Muskete. »Ein gestrandetes Wrack gehört dem Strandvolk.«

Ehrensköld umfaßte mit der Hand den Knüttelgriff und schleuderte den Bettlersack vor ihn hin.

»Nimm ihn, nimm ihn! Des Herzens Ruhe, die ich jetzt empfing, können eure Kugeln nicht von mir nehmen, aber hättest du nichts in der Röhre, so sollte ein Spiel dieser Art dir teuer zu stehen kommen ... Ich bin Offizier der Krone! ...«

Nachdenklich senkte der Rotbart die Muskete.

Ganz oben auf der Schäre glühte ein niedergebranntes Irrfeuer, und weiter weg hinter den Klippen lag ein Schiffsschnabel ohne Flagge. Dort saß nahe bei der ausgelöschten Hinterlaterne ein kränklicher, gelblich aussehender junger Mann, in einen prächtigen Fuchspelz eingehüllt und mit zwei Krücken am Knie.

»Was ist, Norkroß?« rief er mit einer Stimme, die dünn, aber helldurchdringend wie eine Flöte war. »Beeile dich nur, beeile dich!«

Der Rotbart antwortete:

»Der Mann hat gesagt, daß er ein Kronenkerl ist, und da ist es wohl besser, ihm eine Kugel zu geben, als ihn ans Land entschlüpfen und vor Gericht reden zu lassen ... Nun, Kerl, sag' an, wer du bist! Wohl sehe ich deine Lumpen, aber nicht die Uniform der Krone. Bist du so lange weg gewesen, daß du nicht von Lasse i Gatan hast reden hören? Dort auf dem Schiffsschnabel sitzt er. Es ist der Kommandant Gatenhjelm, du!«

»Meinen Namen,« sagte Ehrensköld, »sollst du zu wissen bekommen, wenn du mir zuvor einen meinem Stand geziemenden Anzug schaffst, aber wenig frage ich nach dem Schlimmen, das du mir antun kannst, wenn ich nur noch einmal in diesem Erdenleben den schwedischen Boden betreten darf. Wohl erkenne ich, daß ihr gottlose Seeräuber seid, und allerdings sehe ich ein anderes Land wieder als das helle und glückliche, das ich verließ ... aber gleichwohl bin ich wieder zu Hause... Ich bin zu Hause! Mein Leben kann ich nun fröhlich dahingeben, aber verweigert mir nicht, erst auf die schwedische Schäre niederzusteigen.«

»Das ist gebührend gesprochen,« antwortete Gatenhjelm, »aber beeile dich nur, beeile dich!«

Er klopfte schon ungeduldig mit der Krücke auf den Dahlbord.

Ehrensköld warf seinen Knüttel auf Deck wie einen gestreckten Degen und trat auf die Schäre hinunter. Einige Schritte ging er vorwärts, langsam, als hielte der Boden seine Füße fest. Dann fiel er auf die Kniee und streichelte und liebkoste mit den Händen die Klippe und beugte sich mit den Wangen bis zu ihr nieder.

»Dir sei Preis, himmlischer Vater,« flüsterte er, »der du von so langen und fremden Pfaden deinen obdachlosen Sohn heimgeführt hast. Dir, dir sei Ehre!«

Lass' in der Gass'.

Dann gab Gatenhjelm ein Zeichen, und Norkroß legte die Muskete ans Auge und schoß vom Dahlbord aus Ehrensköld durch den Kopf.

Als es Tag geworden war, steuerten die Seeräuber schon mit ihrer Beute gegen den Bohusläner Strand, aber draußen auf der Schäre lag der heimgekommene Krieger und umfaßte mit den Armen die Klippe ...


 << zurück weiter >>