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Die dumme Schwedin

Es war einmal ein Wintermorgen, da die Nebel gleich einer schneeigen Felseninsel über dem Marmarameer lagen, alle Minaretts aber des gelben Stambul schon bis an den untersten Balkon erglühten. Ein Eunuch, der der Mutter des Sultans gehörte, war zu dem Grab seines ersten Herrn gegangen, um zu beten. Beim Heimweg kaufte er auf dem Markt eine weiße Sklavin, die durch ihre große Gestalt seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er ging in geringem Abstand hinter ihr her und zeigte bisweilen mit seinem silberbeschlagenen Bambusstabe den Weg, ebensooft aber schüttelte er den Kopf und dachte: »Was man diesmal sagen wird, das könnte sogar ein Prophet nicht vorauskünden. Sie hat ja Füße wie ein Eisenträger.«

Er führte sie an dem hochmütig gleichgültigen Wächter des äußeren Serailgartens vorbei und bog dann ab, dem Wasser zu. Hier klopfte er an ein kleines, unansehnliches und von wildem Wein ganz verdecktes Gartentor.

»Mein Kind,« sagte er zu der Sklavin, während sie warteten, »der Greis, der jetzt mit seinen Schlüsseln kommt, heißt der abgedankte Messias, und du kannst ebensogut jetzt gleich wie später erfahren, daß er ein gefährlicher und merkwürdiger Mann ist. In seiner Jugend, behauptet man, hieß er Sabathaï und lebte damals als Jude in Smyrna. Er begann alsdann zu predigen, daß er der zweite Messias sei, aber der Sultan befahl seinen Bogenschützen, seine Unverwundbarkeit zu prüfen, daraufhin schwor er seine Heiligkeit ab und ward statt dessen Torhüter im Serail.«

Das Schloß knarrte, und das Tor wurde vorsichtig und langsam von einem Greise geöffnet, der einen zerrissenen braunen Schal als Gürtel um die Hüften gebunden trug.

Der Eunuch legte herablassend die schwarze Hand auf seine Schulter.

»Ich will dir eine Münze aus blankem Silber geben, Alter, wenn du, ehe wir weitergehen, dieser neuen Sklavin weissagst. Niemals habe ich zaghafter eine Neuangekommene über deine Schwelle geführt ... Sieh her, Weib, nimm meinen Stab und ziehe mit ihm einen Strich in den Sandweg und laß den Mann ihn dir deuten!«

Sobald die Sklavin diesen Befehl ausgeführt hat«, beugte sich der abgedankte Messias über den Sand und murmelte:

»Es ist ein gerader Strich ... Er geht quer über den Weg nach der Rabatte, wo die giftigen Insekten der Erde unter der Rosenstaude wühlen ... Er ist ganz gerade, sage ich ... keine Einbiegung, kein Haken ... Behalte deine Münze, Herr, so ein gerader Strich hat nichts zu erzählen. Diesem Weibe kann ich nicht wahrsagen.«

»So möge dir auch der Lohn werden, den du lange verdienst, alter Betrüger!« antwortete der Eunuch, riß den Stab an sich und ließ ihn über den Rücken des abgedankten Messias fallen. »Erinnerst du dich deiner Predigten und Lehren, daß du ein Prophet Gottes seiest, der einst auf einem wilden Tiere reitend kommen werde mit Zügeln aus siebenköpfigen Schlangen?« Der abgedankte Messias stand ein Weilchen auf einem Beine, wie ein Kranich, und juckte sich mit dem anderen in der Kniekehle. Darauf trat er ein paar Schritte zurück, und sein kleines, runzliges Gesicht verzerrte sich, während er seine Hand emporhob und zischte:

»Hiebe und Schläge bekomme ich deinetwegen, du unbekanntes Weib. Sei du verflucht, und mögen dir Schlangen und Skorpione den Tod geben! Nun habe ich dir wahrgesagt!«

Als er so gesprochen hatte, verschloß er wieder vorsichtig das Tor hinter den beiden und hinkte über die Rieselsteine am Wasser weg.

Inzwischen hatte der Eunuch die Sklavin am Arm gefaßt und führte sie eine steile Steintreppe hinauf zwischen festungshohen Mauern. Sie kamen oben in einen Lustgarten, dessen Gänge mit zerriebenen Muschelschalen bestreut waren, welche unter ihren Tritten krachten, und er bedeutete sie ehrfurchtsvoll, langsam und leise aufzutreten. Zwischen den Zypressen hingen an goldenen Schnüren vergoldete Käfige mit Singvögeln, kleine Springbrunnen plätscherten und bespritzten Becken aus parischem Marmor, und durch einen langen Gang aus säuselnden Myrten und Buchsbäumen führte er sie an eine Landspitze nach dem Meere zu.

In einem Rondell von Platanen stand ein weißer Kiosk aus gefältelten Decken und mit Halbmonden und Sternen an den Spitzen, und auf dem Teppich außen vor der Tür plauderten ein paar Ammen halblaut und beschwichtigend mit einigen Kindern, denen sie das Gehen beibrachten. In der Tür saß auf Kissen ein weißhaariges Weib in einem bis an die Füße herabreichenden Zobelpelz, im Begriff, eine weiße Rosette um den Griff einer Kinderklapper aus purem Golde zu binden. Es war »die Biene in der Rosenknospe«, des Sultans Mutter, die wunderschöne Griechin aus Retimo, die in der Blüte ihrer Jugend, da ihre Lippen noch dem Frühlingstau zu vergleichen waren, Mohammed den Vierten aus untertäniger Liebe wahnsinnig gemacht hatte.

Wie gut erinnerte sich die bejahrte Sultanin der gräßlichen Stunden, da die Fackeln der Janitscharen über den Höfen leuchteten, und ihr abgesetzter Gemahl sich in die innersten Gemächer des Palastes zurückzog, um sich unter Gebet und Todesbetrachtungen auf das Gefängnis und das Grab vorzubereiten. Noch konnte sie sich selbst sehen, wie sie die langen Jahre hindurch im düsteren Eskiserail, dem Heim der bejahrten Haremsfrauen, schlaflos auf den Teppichen einherschritt und die Hände rang, während der Sohn einer Nebenbuhlerin, von theologischen Gesprächen mit Softas und Studenten erfüllt, seiner Abneigung gegen die Burg der früheren Sultane Ausdruck gab. Am allerbesten jedoch erinnerte sie sich des Morgens, da ein Sohn ihres eigenen Blutes endlich unter dem Jubel der Janitscharen gefeiert wurde, da sie von neuem von ihrer Sänfte aus das Tor der Glückseligkeit in seiner ganzen Weite aufstiegen sah und das Zepter der Allmacht mit ebenso sicherer und fester Hand faßte, wie sie nun die Goldklapper ihrer Enkel hielt. Ihr Gesicht war gelblich und scharfgeschnitten, aber eine unendliche Anmut zitterte über dem schwermütigen Lächeln.

Der Eunuch warf sich auf den Teppich nieder, erhob sich aber auf ihren Wink und begann zu sprechen:

»Ein Kind fand einstmals im Haivanserail einen großen Diamanten schönsten Wassers. Niemand, hohe Sultanin, wußte, wie er dahin gekommen sei, aber ein gelehrter Alim erzählte, daß eben an dieser Stelle früher während eines Triumphzuges die Krone des Kaisers Justinian verloren gegangen wäre. Du hast wohl auch vernommen, hohe Sultanin, daß ein armer Mann einmal einen herrlichen Diamanten auf einem Kehrichthaufen beim Egrikaputore fand. Er ahnte den Wert des Steines so wenig, daß er ihn gegen drei silberne Löffel vertauschte, jetzt aber hält dieser Stein den Federbusch auf dem Turban deines Sohnes. Kostbarkeiten aller Art liegen seit lange in den Schutthaufen dieser Stadt versteckt und vielleicht in der Erde hier unter unseren Füßen, aber wenn der Schatzgräber mit seinem Spaten kommt, sucht er auf falscher Fährte und findet nur Knochen und verschimmelten Mörtel. So geht's auch oft mir, deinem Diener, wenn ich Sklavinnen kaufen soll. Ein ganzes Jahr nun habe ich mich angstvoll mit deinem Befehl getragen, eine blondhaarige, großgewachsene Sklavin zu schaffen. Das kühlste Quellwasser hat mir rauchig geschmeckt, und der weichste Schlafteppich schien mir härter als einer der Treppensteine in den »Siebentürmen«, denn der Gedanke an deinen Wunsch hat mir keinen Frieden gelassen. Erst heute – gerade als ich auf eine kurze Stunde meine Unruhe vergaß und auf das Grab deines Gemahles beten ging – ließ mich der gnädige Gott ganz unvermutet einer Sklavin gewahr werden, wie du sie gewünscht.«

Er nahm den einfachen Schal weg, den die Sklavin über ihrem Kopfe trug, und da stand ein Weib mit hellem, glattgekämmtem Haar und klaren, offenen Zügen.

Die Sultanin legte die Klapper in ihren Schoß und antwortete lächelnd:

»Mein Sohn träumte eines Nachts im Ramadan, daß er mich eine hochgewachsene und goldhaarige Sklavin habe umarmen sehen. Da es keine solche im Serail gab, machte mich der Traum neugierig. Ich weiß nicht recht, was für ein Amt wir der neugekommenen Dienerin werden geben können. Sie ist zu groß und zu schwerfällig, um Tänzerin zu werden oder meinen Sohn zu bedienen. Er liebt vor allem kleine Füße und kleine Hände ...«

»Freilich,« antwortete der Eunuch, als er sah, wie wenig sein Kauf der Sultanin gefiel, »aber noch habe ich dir längst nicht das Merkwürdigste an diesem Weibe erzählt. Ich könnte sicherlich kaum selbst glauben, was ich sage, hätte der Sklavenhändler nicht die Wahrheit mit seiner eigenen Seligkeit beteuert. Ich kenne ihn und weiß, daß er ein unerhört frommer und rechtschaffener Kaufmann ist, der uns nie betrogen hat, weder in Anbetracht des Alters noch des Geburtsortes der Sklavinnen. Dieses Weib kann übrigens selbst schon viele Worte in unserer Sprache und hat bezeugt, daß der Sklavenhändler wahr sprach. Höre mich deswegen, hohe Sultanin, und sage, ob ich je einen selteneren Edelstein dir zu geben imstande gewesen bin! Mit welcher Begeisterung sprichst du doch immer von deinem Löwen in Bender, dem großen König der Schweden. Nun wohl, dieses arme Weib ist eine Tochter seines Volkes und in seinem fernen Reiche geboren, wo es weder Gras noch Blumen gibt, sondern wo tiefer Schnee liegt mitten im Sommer.«

Die eben noch so gleichgültige Sultanin warf die Klapper zur Seite und stand voll staunender Verwunderung auf. Sie vergaß ihre eigene Würde und ging genau besichtigend rings um die Sklavin herum. Sie nahm ihre Hände und hob sie empor und ließ sie dann wieder sinken. Sie öffnete ihre Lippen und untersuchte ihre Zähne. Sie betastete ihr Haar und ihre Haut und hörte während dieser langen Besichtigung nicht auf zu lächeln.

»Alles an diesem Weibe,« sagte sie, »ist so groß, der Mund, ja sogar das Kinn ist groß ... Mädchen, zeige mir dein Bein!«

Die Sklavin machte eine unbeholfen plumpe Bewegung aus plötzlichem Abscheu, wandte sich weg und murmelte in ihrer eigenen Sprache:

»Solcher Blödsinn!«

»Sie ist recht einfältig,« bezeugte der Eunuch mitleidsvoll. »Das merkte ich sofort, und der Kaufmann, der auch in dieser Beziehung seinen Käufer nicht irre führen wollte, gab zu, daß er noch nicht dazu gekommen sei, ihr einen Namen zu geben, sondern sie einfach die dumme Schwedin zu nennen pflege.«

»So muß sie wohl diesen Namen behalten, bis sie sich einen besseren verdient ... Mein Kind, zeige mir jetzt dein Bein!«

Die dumme Schwedin wurde immer ärgerlicher und beschämter und hielt beide Hände um ihr langes, braunes Hemd.

»Jesses, ich werd' doch noch in Frieden stehen dürfen, denk' ich.«

»Was sagt sie?«

»Das weiß ich nicht, hohe Sultanin. Aber ... vielleicht taugt sie, die Wäsche zu tragen.«

»Nein, sie wird Wächterin meiner Papageien werden, denn ihre Käfige kann keine von meinen Dienerinnen heben. Das Licht des Abendsternes, die jetzt die Vögel unter ihrem Schutze hat, ist ein allzu zartes und zierliches Mädchen und kann einem großen Schicksal entgegenzusehen haben. Laß sie doch vorläufig die Neugekommene in diesem Amte sorgfältig unterrichten.«

Die Sultanin, die ihre Neugier gesättigt hatte und das Gespräch langweilig fand, ging an die Tür zurück und rief den Ammen zu, sie sollten die Kinder vorführen.

So vergingen nun die Tage, und das Licht des Abendsternes unterrichtete eine neue Sklavin im Warten und Füttern der Papageien. Kurz vor Sonnenuntergang saßen die beiden oft flüsternd im Lustgarten beieinander inmitten der herausgetragenen Papageienkäfige, und das Licht des Abendsternes, die eine kleine dreizehnjährige Tscherkessin und die jüngste im Dienste des Sultans war, gewann die dumme Schwedin von Herzen lieb. Einmal befahl die Sultanin, den ältesten und vornehmsten der Papageien in seinem Silberkäfig bis an den Strand zu tragen, damit der kranke und verkümmerte Lieblingsvogel die frische und salzige Brise des Meeres atmen könne. Als sie sich auf die Bank neben den Käfig gesetzt hatten, schlang das Licht des Abendsternes ihre Arme um die breiten Schultern ihrer Freundin und begann sie über alles Mögliche in der Welt auszufragen.

»Erzähle du von dir, dann erzähle ich von mir!«

»Ich habe wenig zu erzählen. Als Kindermadchen folgte ich der Frau des Majors Eneberg von einer Stadt, die Nyköping hieß, nach einer anderen, die Riga hieß. Dort verheiratete ich mich mit einem gottesfürchtigen und braven Soldaten, der Andersson hieß, aber als dann Belagerung und Pest über uns kamen und Andersson einigen von uns Frauen zur Flucht behülflich sein wollte, ward ich von Russen ergriffen und gebunden, auf einen Karren gelegt und türkischen Sklavenhändlern verkauft.«

»Sag' mir eines! Kennst du das herrliche Märchen vom Geiste des Tanzes? Nicht. Gibt es wohl etwas Beglückenderes auf Erden als das Tanzen?«

Das Licht des Abendsternes hob sich leise tanzend auf, und mit halbgeschlossenen Augen drehte sie sich rund herum, so daß der zurückgeworfene Schleier blauweißen Ringen von persischem Räucherwerke glich.

»Der abgedankte Messias hat mir wahrgesagt, daß ich einmal zweihundert Schals bekomme und einen Kiosk mit rotem Damast bespannt. Ich glaube sicher, daß seine Worte sich bewahrheiten, wenn ich nur erst vor dem Padischah tanzen darf. Weißt du, ich kann des Nachts nicht schlafen, sondern liege nur und denke an dies alles. Vielleicht, denke ich jeden Abend, vielleicht darf ich schon morgen vor dem Padischah tanzen. Noch hat er mich kaum gesehen... Woran pflegst du denn zu denken? Ich meine, wonach sehnst du dich, worauf hoffst du? Eigentlich auf nichts, sagst du? Kann das dir wohl ein Vergnügen sein nur so dein beschwerliches, langweiliges Amt bei den Papageien zu besorgen! Dies Vergnügen habe ich noch von niemand rühmen hören. Ich halte es für eine Strafe, da sitzen und die dummen Teufel füttern zu müssen. Du bist eine sonderbare Schwester, und niemand wird recht klug aus dir.«

Die dumme Schwedin saß verdrießlich und bärbeißig da. Sie spielte mit dem neunzigjährigen Papagei im Käfig und versuchte ihm einige Worte aus ihrer Heimatsprache beizubringen, um ein lebendes Wesen sie aussprechen zu hören.

»Lerne jetzt ganz lieb Andersson sagen,« ermunterte sie ihn.

Aber der hochmütige und verwöhnte Vogel gurgelte und schrie und wollte nicht.

Dann stierte sie die venetianischen Handelsschiffe an, die mit ihren vergoldeten Laternen an den Vordersteven und umgeben von Möwen und gemüsebeladenen Raiks, ihre schlaffhängenden Segel in der Sonne trockneten. Die Wimpel waren so lang, daß sie bis aufs Wasser herabreichten, und die Ruderknaben stritten sich ums Fangen der Zipfel, die von der leichten Brise des Sonnenunterganges in die Höhe gehoben wurden.

Zum erstenmal sann sie über ihr eigenes Märchen nach. Sie fand es dumm und albern, als hätte es der bucklige Märchenerzähler des Sultans zum Spaß erzählt und während der Erzählung Armbänder und trockene Rübenschalen, Papageifedern und Garnknäuel in seiner Mütze herumgeschüttelt. Als sie ihren eigenen Schatten sah, den die Abendsonne über die funkelnden Mosaiken der Steinbank warf, mußte sie lächeln, als hätte sie in der Grabkapelle eines Sultans ihr Kniee gegen schwedische Ruhebänke und Truhen angestoßen und ein Paar weggeworfene Smaaländer Ziegenfellschuhe in der heiligen Gebetnische gefunden. Aber, die Hände im Schoß, sich Betrachtungen hinzugeben, war nicht ihre Sache, und sie wurde ihnen bald durch Schritte entrissen, die sie in den Gängen vernahm.

Dort kam der Augenarzt mit wundertätiger Kollyriumsalbe in einer Achatdose daher, er war jedoch selbst blind, so daß er an beiden Händen geführt werden mußte. Dort flatterte hinter den Hyazinthen der hellblaue Kaftan des Blumenmeisters, und in Sänften mit sorgsam zugezogenen Schleiervorhängen lauschten beneidete Kadinen eine Weile dem Wellengeplätscher des Meeres, wie ein Fels mit fast düsterem Drohen erhob sich dieses ganze der irdischen Glückseligkeit geweihte Kloster, zu dessen höchsten Höhen nur die allerkühnsten Bergbesteiger des Glückes sich emporzuwinden wagten, um die Früchte an sich zu reißen oder als blutige Leichen in die Tiefe zurückzutaumeln. Dicht belaubte Platanen und Eichen warfen ihren Schatten auf die Wiesenteppiche längs des Strandes. Oberhalb der ersten Mauer streckten sich hinter Myrtenhecken und Lorbeerbüschen die langen Gebäude des Harems, in wilden Wein und Rosen eingebettet und mit Holzgittern vor den schmalen Fenstern, aber zu alleroberst, wo allgewaltige Wesen auf ihr Reich hinunterschauten und ihren Sorbett aus Schalen von geschliffenen Türkisen schlürften, da brausten Pinien und Zypressen im tiefen Schwarzgrün eines Gebirgswaldes, und die Marmorkioske leuchteten hervor wie Schnee.

»Die Sonne sinkt,« sagte das Licht des Abendsternes, »laß uns auf den Rasen hinausgehen und spielen. Geliebte Schwester, worüber grübelst du?«

»Es ist jetzt bald ein ganzes Jahr her, daß ich nicht ein einziges Wort Gottes hörte ... Aber die Luft fängt an kühl zu werden, und es ist Zeit, den kranken Vogel hereinzutragen, damit der arme Kerl keinen Schaden nimmt.«

»Was kümmert uns das garstige Tier! Niemand sieht uns. Komm, geliebte Schwester! Hier hast du meine Hand.«

Die dumme Schwedin hob mürrisch den schweren Käfig auf, statt zu antworten. Schritt für Schritt trug sie ihn allein die endlosen Treppen hinauf der Höhe zu, und während der Gesang der Gebetrufer vor der Hagia Sofia die Rechtgläubigen zum Knien aufforderte, murmelte sie in der eigenen Sprache vor sich hin:

»Man soll doch seiner Schuldigkeit gedenken, weiß ich, wenn auch nicht immer einer hinter dem Gebüsch steht und guckt.«

Nach diesem Abend wurde sie aber noch brummiger und unfreundlicher, und die anderen Sklavinnen sahen ihr lachend nach, wenn sie sich durch die unzähligen Gänge und endlosen Veranden des Harems durchwand, auf denen wachthabende Eunuchen gedankenlos standen und die fernen Gipfel des bithynischen Olymps betrachteten. Selbst das kleine Licht des Abendsternes schlang nicht mehr mit der alten, kindlichen Innigkeit die Arme um sie, sondern sie tanzte und hüpfte ihre Weisen oder rief aus Ecken und Verstecken:

»Hüte, hüte die kranken Vögel!«

Die dumme Schwedin sorgte sich nicht wegen ihres Schicksales. Sie hatte weder Sehnsucht noch Hoffnung. Sie verlangte vom kommenden Tag nicht mehr, als der verflossene geschenkt hatte, aber sie ging einher mit einem ständig zunehmenden Ärger über all das Fremde und Eitle rings um sie her. Die Papageien waren bald die Einzigen, die mit ihrem Geplauder sie zum Sprechen verlocken konnten, und mit besonderer Zärtlichkeit pflegte sie den garstigsten und ältesten der Vögel, der neun Sultane gesehen hatte. Das tat sie nicht, weil er der vornehmste und älteste, sondern weil er der gebrechlichste war. Die Alabasterschalen und Löffel, aus denen er gefüttert wurde, konnten nie genug geputzt sein, und oft saß sie bei ihren Vögeln die ganze Nacht. Schließlich merkten die Sklavinnen, daß es auch noch andere Dinge gab, als nur die Papageien, die sie bediente. Eines Nachts im Sommer hatte der Eunuch nämlich vergessen, Wasser in den Krug zu gießen, der immer neben ihrem Schlafteppich stand, und als sie eine Weile ganz ruhig geschlafen hatte, wachte sie auf und bekam Durst. Da erinnerte sie sich, daß seit mehreren Wochen kein Regentropfen mehr gefallen war, und daß die Tulpen vor dem Kiosk gerade so durstig sein müßten wie sie. Je brennender und trockener ihre Kehle wurde, desto deutlicher glaubte sie selbst den Durst der Blumen zu verspüren. Schließlich stand sie auf und nahm nach und nach alle wohlgefüllten Krüge der anderen schlafenden Sklavinnen und ging hinaus und goß das Tulpenbeet im Dunkel der Nacht. Hierbei wurde sie von den Eunuchen festgenommen, die anfangs meinten, sie sei herausgeschlichen, um zu stehlen. Von all diesem war im Harem lange die Rede, aber die Sultanin blieb ihr gnädig. Sie vertraute ihr sogar bisweilen den Handgeldbeutel zum Aufbewahren an, den sie sonst immer selbst unter den Kleidern trug.

Früh und spät sahen die Wächter die dumme Schwedin mit dem Freßgeschirr ihrer Papageien, und auf alle Fragen antwortete sie gleich unfreundlich. Aber erkannte sie von der Mauer aus den abgedankten Messias, der im Wellengeplätscher draußen auf dem sonnenweißen Kieselufer auf einem Beine stand wie ein Kranich, so schoß ihr ein Fieberschauer durch die Glieder.

Da geschah es, daß die Oberhofmeisterin ihr eines Tages befahl, die Papageikäfige nach dem Perikiosk ganz draußen ans Meer zu tragen und in ihrem schlechtesten Arbeitskleide aus braunem Kamelstoff selbst dort bei Sonnenuntergang zu erscheinen.

Sie antwortete wie immer, indem sie einige mürrische und unverständliche Worte murmelte. Damit fuhr sie auch fort, während sie die Käfige holte. Als dann in der Dämmerung die Tulpenbeete durch unzählige kleine Glaslämpchen erleuchtet waren, so daß es aussah, als wäre der ganze Lustgarten in lichtem Flammenscheine aus der Erde erstanden, da zog sie das elende Hemd an, das sie seit dem Morgen, da sie als Sklavin auf dem Markte gestanden, nicht getragen hatte. Als sie in den Vorsaal des Perikiosks eintrat, waren schon alle Tänzerinnen der Sultanin versammelt, sie hatten kleine Kronen aus Papageifedern auf dem Nacken und Papageifedern über ihre Gewänder aus Silbergeweben verteilt. Mitten im Kreise stand die korpulente Oberhofmeisterin mit einer in Gold gefaßten viereckigen Brille. In der Hand hielt sie eine große Pergamentrolle, denn sie war von großer Gelahrtheit, in der Schreibkunst sehr zu Hause, und verfaßte schönere Verse als irgend jemand in des Sultans ganzer Stadt.

»Hier, mein Kind,« sagte sie und befestigte ein Federkrönchen auf dem zusammengedrehten Zopf der dummen Schwedin, »wir werden jetzt unsere hohe Sultanin, die Mutter des Padischah, mit einem heiteren Jahresfest belustigen, das »die Bekränzung der Papageien« heißt. Alle diese Sklavinnen sind in der Tanzkunst geübt, nur du kennst sie nicht. Eben darum sollst du mitten im Kreise stehen und versuchen, die anderen mit deinen langen Armen und großen Füßen nachzuahmen ... Das soll der Hauptspaß vom Ganzen werden.«

»Jawohl,« wiederholte das Licht des Abendsternes, indem sie die Oberhofmeisterin hinter deren Rücken nachahmte, »das soll der Hauptspaß vom Ganzen werden.«

»Daraus wird aber nichts,« antwortete die dumme Schwedin, »man kann auch tanzen bei uns, aber dann fassen wir uns bei der Hand so ... und dann tanzen wir so ... und dann stampfen wir den Takt, soviel wir nur können so ... und dann singen wir so: Die Burschen kommen und ...«

Sie hatte einige der Tänzerinnen bei der Hand gefaßt und zog sie mit sich, aber die Oberhofmeisterin erschrak so, daß die viereckige Brille längs der Nase herunterglitt. Sie riß ihren kleinen, kurzen Stab aus der Tasche, der ganz mit Silberschuppen überzogen war, und an dessen Knopf sich ein Siegel eingeritzt befand, und klopfte mit ihm heftig an den Türpfosten.

»In dem anstoßenden Zimmer hinter dem Vorhang kann jeden Augenblick die Sultanin mit ihren vornehmsten Freundinnen und Eunuchen Platz nehmen. Der Obergeschichtsschreiber sitzt bereits auf seinem Platz, um alles einzutragen und das Fest in dem Buch der Hochzeiten zu beschreiben. Bist du toll, ein solches Unwesen anzurichten! Ein solches Stampfen könnte zur Not Mauleseln anstehen, die gerade einen Bienenkorb umgelaufen haben, aber Tanz ist dies nicht, denn der Tanz ist vor allen Dingen schön.«

Die Tänzerinnen lachten, den Mund voll von eingezuckerten Kastanien und Pflaumen. Sie ächzten und jammerten und mußten sich auf die Diwans setzen, und die Eunuchen verbargen ihre weißen Zahnreihen hinter dem Türvorhang.

Da wußte die dumme Schwedin nicht mehr, was sie tat. Aller Verdruß, den sie mit sich herumgetragen hatte Wochen und Monats hindurch, brach plötzlich in einer einzigen Flamme von Wut empor, und die Flut der Worte strömte in der derben Sprache des Vaterlandes unaufhaltsam von ihrer Zunge.

»Herr Gott noch einmal! Wenn mir an euch schwarzen Teufeln etwas läge ... Nicht soviel liegt mir an euch allen ... Ihr da, ihr, die ihr in Schwelgerei und Geilheit und Sünde dahinlebt! Von nichts anderem schwätzt ihr, als von den zwölf Glücklichen, die den Padischah bedienen dürfen ... Mein Gott, die Glücklichen, ja!... und von den sieben Kadinen, die zweihundert Schals bekommen jede ... Ist da rechtschaffen und anständig, eine Frau in jeder Kammer ringsum im ganzen Haus? Pfui, pfui, pfui! Ich bin ein ehrbares Weib; und ein ehrbares Weib, ihr da, ihr habt das nie gesehen hier im Satanspfuhl ... Ja, jetzt, tausend Sakrament, habt ihr von der dummen Schwedin gehört, ihr!«

»Sehr gut!« sagte die Oberhofmeisterin, die, ohne ein Wort zu verstehen, jede ihrer Bewegungen beobachtet hatte. »Aber ausgezeichnet! Gerade so sollst du es machen, wenn du hereinkommst und den Tanz beginnst ... Nur den Vers ein wenig leiser hersagen. Mit etwas sanfterer Stimme ... Und vielleicht nicht so viel den Kopf zurückwerfen ... Man kann sich auch im Drolligen etwas anmutig zeigen ... Nimm jetzt diesen Korb in die Hände. Es steckt eine frische Rosenstaude darin, wie du siehst. Ich habe sie den abgedankten Messias selbst mit den Fingern aus der Erde graben und in den Korb pflanzen lassen, denn niemand ist in so etwas so geschickt wie er. Sobald der Tanz zu Ende ist, wirst du hervortreten und mit einem Kniefall den Korb huldigend auf den Perlmuttertisch, der vor dem vornehmsten Papagei steht, niedersetzen.«

Steif wie eine der Zypressen auf der Schwelle des Kiosks, empfing die dumme Schwedin den Korb, aber es wurde ihr schwarz vor den Augen, und sie preßte krampfhaft den mit Moos umwickelten Henkel. Zum Gegenstand des Gespöttes und Lächelns war sie geworden von dem Augenblick an, da sie zum erstenmal vor die Sultanin geführt worden war, aber sie hatte wenig darauf geachtet, und erst jetzt, da sie in dem sternenhellen Abend zum Kiosk gerufen worden war, um durch ihren bloßen Anblick die anderen zu belustigen, fühlte sie die Tiefe ihrer ganzen Hilflosigkeit und Vereinsamung.

Pfeifen und Trommeln erklangen von jenseits des Vorhanges, und nach einigem Warten klopfte die Oberhofmeisterin wieder mit ihrem Stab an den Türpfosten. Da wurde der Vorhang zur Seite gezogen, und die Tänzerinnen traten in den Kuppelsaal des Kiosks hinein, wo die blumenbekränzten Papageikäfige unter einem Tempel von sternenförmigen Lampen standen. Nachdem die Schar demütig die Sultanin, die auf einem Polsterbett ausgestreckt lag, gegrüßt hatte, wickelte die Oberhofmeisterin das Pergament auf und las mit sehr viel Zierlichkeit ihre Rede vor.

»Edle Papageien, die ihr die Schönheit der Blume und die Stimme des Menschen erhalten habt! Dies ist die Sage vom Geiste des Tanzes, vor nicht langer Zeit lebte ein Bettlerderwisch, welcher Turk hieß. Er schlief auf dem nackten Boden und ging nackt auf der Mitte der Straße ohne ein Kleidungsstück als seinen großen Turban. Eines Tages, da er am Quell unter einer Eiche trank, sah er einen Knaben, der mit einem Papagei spielte und tanzte und versuchte, einen Reif aus Juwelen und Rubinen an die eine Klaue des Vogels zu befestigen, »Wenn du des Sultans Sohn bist,« sagte Turk, »so solltest du nicht an Tanz und Eitelkeit denken. Lerne, daß wertvoller als ein toter Juwel ein Wassertropfen ist, denn er kann deine Zunge laben, daß wertvoller als ein Rubin ein Blutstropfen ist, denn er trägt das Lebensfeuer durch alle deine Glieder.« Der Knabe antwortete: »Undankbarer und müder Mann! Anders lehrt mich mein Vater, denn er sagt, daß Juwel und Rubin und alles Schöne auf der Erde ebenso lebendig sei wie das Blut in unserem Herzen, und daß es wie Tau in dem großen Baume hänge, der die ganze Welt überschattet und Gottes Liebe heißt. Wenn ich in den Baum hinaufschaue, kann ich weder sitzen noch liegen, sondern der Geist des Tanzes kommt über mich, so daß ich mich von dem Boden erheben muß.« Als der Knabe das gesagt hatte, fing er wieder an so lieblich und leise zu tanzen, daß der Bettlerderwisch kein Auge von ihm verwenden konnte, sondern fühlte, daß er selber auch tanzen müsse. Er wollte sich erst noch mit einer Handvoll Wassers erquicken, aber als er sich über den spiegelnden Quell beugte, schämte er sich seiner eigenen Häßlichkeit, seines ungekämmten Bartes, und er blieb wie gelähmt sitzen. Da flog mitleidig der Papagei zu ihm hin und setzte sich mit seinem funkelnden Reif am Fuß und mit weitausgebreiteten Flügeln auf seinen Turban, gleich einem wunderbar schönen Federbusch. Der Bettlerderwisch betrachtete wiederum sein Bild in dem Quell. Bebend erhob er sich, tanzte mit dem Knaben und gab das Versprechen, daß seine Klosterbrüder von diesem Tage ab Gott mit Spiel und Tanz danken und loben sollten. Edle Papageien, zur Erinnerung an jenen Tanz bekränzen wir euch und huldigen euch heute nacht.«

Sobald die Oberhofmeisterin mit der Rede geendet hatte, fingen die Sklavinnen leise wiegend sich ringsum zu drehen und zu tanzen an. Sie bewegten sich so leise, daß ihre Schritte auf dem Teppich nicht zu vernehmen waren. Ihre Schleiertrachten flatterten in weiten Ringen um sie, ohne nur das leiseste Geräusch hervorzurufen, und die Musik klang gedämpft und fern, gleich dem Gesang eines Ruderschiffes weitab im Meer.

Mit geschlossenen Augen hob das Licht des Abendsternes die Arme über den Nacken, glückselig, ihre milde Schönheit im Tanze zeigen und selbst wahrnehmen zu können. Ihr Fuß war nicht größer als eine Hand, und ihr Haar reichte bis zur Kniekehle herab. Sie wußte nichts von der Welt, als daß sie schön sei, und daß der Padischah ihr vielleicht eines Tages einen Kiosk schenken würde, mit rotem Damast bespannt und mit einem Riechwasser speienden Springbrunnen.

Mitten in dem leise drehenden Kreise menschlicher Schmetterlinge war die dumme Schwedin verblieben, wie es ihr befohlen war, und die herabhängenden Straußeier und Troddeln an den Lampen streiften ihr Haar. Sie wußte nicht, wie groß und schön sie dastand in ihrem armen Arbeitskleid. Sie dachte nicht einmal daran. Sie empfand keine frohe Dankbarkeit gegen Gott, daß er ihre Züge so hell und offen geschaffen, und daß ihr Haar so weich war wie die Seide, aus der die Weiber zu Brussa den Geldbeutel des Sultans knüpften. Es fiel ihr nicht ein, daß die Erde lieblich sei, und daß selbst der Jubel der Sinnlichkeit Jubel der Unschuld sein könne. Ihr war bei der Geburt nicht der Geist des Tanzes eingehaucht worden. Sie konnte nicht unbewußt im Tanze die Arme erheben wie eine begeisterte Priesterin. Sie konnte kaum mit den Lippen, viel weniger mit den Gliedern lobsingen. Gott hatte sie nicht mit einem solchen Kleinod als Patengeschenk begnadet. Sie begriff, daß alle diese Töchter Tscherkessiens und von Lesbos wie sie in der Hütte geboren und wie sie einfältig waren, daß sie aber eine Kenntnis besaßen, die ihr fremd geblieben war, die Kenntnis und das Geheimnis des Tanzes. Stumpfsinnig blickte sie auf den Teppich hinunter, aber sie fühlte, daß die Oberhofmeisterin die ganze Zeit über ihre viereckige Brille ungeduldig und unzufrieden nach ihr schaute.

Lange versuchte sie zu tun, als ob sie nichts merke. Dann aber fuhr sie plötzlich auf und erinnerte sich des Befehles, nachzuahmen, den Narren beim Spiel zu machen. In den Hüften sich ein wenig wiegend tat sie einige Schritte.

Sogleich hörte sie aber ringsum im Saal ein Zischeln und Tuscheln, als hätte ein Windstoß dürres Winterlaub von der Tür her über den Steinboden gejagt.

Als sie aufblickte, merkte sie, daß es die Zuschauer waren, die flüsternd und mit der Hand vor dem Mund leise über ihre Ungeschicklichkeit lachten. Es war ihr gelungen, die Oberhofmeisterin zufrieden zu stellen, aber Scham und Ärger schlugen sie wieder mit Starrheit. Der Geruch der Lampen, der Duft der Blumen stiegen ihr zu Kopf. Als der Tanz endlich aufhörte und sie den Korb zu dem vornehmsten Papageien trug, der elend und zusammengekauert auf seiner Stange saß und blinzelte, sah sie kaum mehr den Teppich vor sich. Ihre Hände begannen zitternd umherzutasten, und eben als sie auf die Kniee fallend ihr Opfer darreichte, glitt der Korb auf dem glatten Perlmuttertisch aus und die Rosenstaude fiel zu Boden.

Da kroch ein ganzer Schwarm Skorpione über den Rand des Korbes; und aus der Erde, die auf dem Boden lag, erhob sich eine Schlange mit plattem, breitem Kopfe.

Eine Weile wiegte sie hin und her, als sei auch sie vom Geist des Tanzes besessen. Dann aber zog sie sich mit einem schnellen, wellenartigen Ruck zusammen und schnellte ihren aufgesperrten, zischenden Rachen gegen den Papagei. Der erschreckte Vogel schlug laut mit den Flügeln und flatterte gegen das Silbernetz des Käfigs, um zu seiner Wärterin zu kommen und Schutz zu finden. Durch den ganzen grabähnlich schweigsamen Kiosk, wo die Lacher verstummt waren, wo verlorene Federkrönchen über den Teppich herumgestreut lagen, rief er schreiend das einsame Wort, das sie ihn am eifrigsten gelehrt hatte:

»Andersson! Andersson! Andersson!«

»Du sagtest was,« murmelte die dumme Schwedin. Sie war vom Boden aufgestanden, und im Traume sah sie den Augenblick, da in der kühlen Dämmerung der abgedankte Messias die Schlange und die Skorpione unter den Wurzeln der Rosenstaube in dem Korb versteckte. Aber sie wußte nicht mehr, daß erschrockene Zuschauer rings um sie waren, zusammengekauert auf Kissen und Diwanen längs den Wänden des Saales.

Vorsichtig faßte sie den Korb und trug ihn zum offenen Fenster. Die Schlange wandte den Kopf nach ihr und züngelte in der Luft. Höher und höher hob sie den Korb, um Kraft zu bekommen. Dann warf sie ihn unter das Lorbeergebüsch. Aber als sie die Hand zurückzog, hatte die Schlange sich um ihren Arm geschlungen. Sie stach sie am Handgelenk, so daß das Blut tropfte, und ließ von ihrem Biß erst ab, als die Schwedin sie gegen den Fußboden drückte, um ihr mit ihrem großen Fuße den Kopf zu zertreten. Sie ging zwei, drei Schritte nach der Seite und blieb dann mit dem Rücken gegen die Wand stehen.

Jetzt erst begann es wieder zu flüstern und zu sprechen um sie her, aber die stolze, weißhaarige Sultanin, die vor dem Tore des Serails Wesire von Janitscharen hatte zerstücken sehen, und die manche Jahre die schleichenden Schritte »der Stummen« auf den Muschelschalen der Gartengänge gehört hatte, sie trat hervor und untersuchte lange und kundig den blutenden Arm.

»Mein teures Kind,« sagte sie leise und umarmte und küßte die sterbende schwedische Sklavin, »du hast mit deinem Leben meinen Lieblingsvogel gerettet... Aber du hast uns allen auch ein tiefes Rätsel zu ergründen gegeben. Wie haben wohl deine Pflichten, deine langweilige, tägliche Arbeit mit ihrem ständigen Einerlei dir so lieb werden können, daß alles das, wonach wir streben, dich Narrheit und Spielerei dünkt? Man hat mit Fingern auf dich gezeigt, weil du die Geheimnisse des Tanzes nicht verstanden hast ... Ach, mein Kind! Sie sind leichter zu lernen, als deine Rätsel zu deuten sind! Preisen wollte ich den Gott meiner Väter, wenn er einmal von solchen Müttern unsere Söhne erziehen ließe!«

Als dann die Lampen ausgelöscht waren und die Nacht brauste, saß das Licht des Abendsternes wach auf ihrem Schlafteppich. »Gibt es denn wirklich etwas auf der Welt, das mehr ist als Schale und Schmucksachen? Warum hat mir das niemand vorher gesagt?«

»Du würdest die tote Sklavin nicht so schmerzlich vermissen,« flüsterten einige ihrer Freundinnen, »wenn du sie nicht gern gehabt und ihr doch wehe getan hättest. Für so etwas gibt's keine Abhilfe.«

»Du würdest nicht so um sie trauern,« flüsterten sie die nächste Nacht, »wenn du vorher einen Mann geliebt hättest. Nun blieb ihr dein ganzes Herz ... Ihr seid so heißblütig, ihr Tscherkessinnen ...«

Aber die Sultanin sagte:

»Du hast dunkle Ringe unter den Augen, und ich rate dir anzufangen deine Lippen zu färben, denn wenn der Padischah dich zu sehen bekommt, so wie du jetzt aussiehst, könntest du lange auf deinen Kiosk, bespannt mit rotem Damast, warten müssen.«

Das Licht des Abendsternes starb, und am Abhang oberhalb des Klosters der tanzenden Derwische bei Skutari wurde sie unter derselben Akazie wie das schwedische Weib begraben. Die Derwische pflanzten Hyazinthen um den Baum und pflegten ihn lange und nannten den Platz »Das Grab der beiden Schwestern«.

»Da liegen zwei Prinzessinnen,« erzählten sie, »die vor langen, langen Jahren lebten. Die ältere meinte, Gott wohne in guten Taten, und die jüngere, er wohne im Tanz, aber sie wurden Schwestern genannt, weil sie beide danach strebten, ihm zu dienen.« Wenn die kleinen Handtrommeln und Holzflöten an stillen Abenden im Kloster ertönten, klang es, als belustigte sich eine Schar Kinder mit ihren Spielzeugsgeigen aus dem Basar, aber durch das große Tor zogen dann und wann die frommen Derwische in ihren weißen Gewändern, barfuß oder in Strümpfen, und bewegten sich so lautlos leise, daß sie auf das Rauschen der Akazie lauschen konnten, während sie tanzten.


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