Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Den Görtz nehmen

Den Görtz zu nehmen wurde jetzt dasselbe, wie den Fuchs im Spiel zu verhindern, aber der Erbprinz von Hessen hatte im Hochquartier einen unübertrefflichen Lakaien, der Pihlgren hieß, und der später auf seine alten Tage oft zu erzählen pflegte, wie es zugegangen war. Noch viele Jahre nach Pihlgrens frommem und in allem erbaulichem Tode wurde in einem der Pfarrhäuser Vermlands eine alte Handschrift aufbewahrt, wo alles ganz genau aufgezeichnet und beschrieben stand. Niemand wußte recht, wo die Handschrift herkam, aber als dem Pfarrer die Brille aufgesetzt war und ihm die vergilbten Papiere vorgelegt wurden, las er mit strenger Stimme folgendes:

Die Nacht, da der König erschossen wurde, saß der Erbprinz von Hessen mit einigen Offizieren zu Tisch in Torpum. Da trat der Franzose Siquier herein und flüsterte dem Prinzen ins Ohr, und der Prinz flüsterte dem ins Ohr, der ihm am nächsten saß, und als sie geflüstert hatten, ließ der Prinz Gabel und Messer fallen. Sodann befahl er ein Pferd und einen Lakaien. Pihlgren, der diese Nacht beim Prinzen Wache hatte, legte mit großer Eile seinen Mantel in den Sattelsack hinein und ritt hinter dem Prinzen und den Offizieren nach dem Laufgraben, wo der König gefallen war.

Die Bahre war soeben geholt worden, und der Prinz befahl den Offizieren, den glorwürdigen Herrn auf die Bahre zu heben, aber der unvergleichliche Held hatte im Augenblick des Todes den Degengriff so fest umklammert, daß die Generale große Mühe hatten, die Finger aufzubrechen. Als die schwedischen Herren endlich den großen Toten entwaffnet und sich des Schwertes bemächtigt hatten, das er so ungern von sich geben wollte, blieb seine Hand lange in der ihren liegen, und es meinten alle, die ringsum standen, Gott selbst habe in diesem Augenblicke den Händedruck zu einem ewigen gesiegelt.

Sobald nun die Bahre weggeführt worden war, rief der Prinz die Offiziere zum Kriegsrat zusammen, an jene Stelle, wo der König gefallen war; rings um den Platz standen in einiger Ferne dreißig Soldaten mit Feuerfackeln.

Bomgarten, der damals Oberst bei der Adelsfahne und Kammerherr war, ging schließlich mit Oberstleutnant Björnschiöld abseits und betrachtete die ganze Zeit Pihlgren verstohlen. Darauf kam Björnschiöld zu Pihlgren und lobte dessen klugen Verstand und seine vielen Fertigkeiten und befahl ihm im Namen des Prinzen, auf einen langen Dauerritt mitzukommen, über den er Bescheid erhalten solle, wenn sie unterwegs wären.

Pihlgren wurde ganz nachdenklich, aber als er in der Frühe in Bomgartens und Björnschiölds Gefolge ritt, sagten sie ihm: »Jetzt sollen wir von dannen, um den Görtz zu nehmen.«

»Dann gilt's, geschwind zu sein,« antwortete Pihlgren, »sowohl mit der Zunge wie mit der Hand, aber was mich betrifft, werde ich redlich meinen Dienst tun, das wissen die Herren wohl, wo ist denn der Sünder?«

Sagten sie: »Er soll nicht weit weg sein; aber erreicht er Tistedal, so wird er einen schönen Spektakel anstellen.«

Als sie noch eine Nacht und einen Tag die Wege zurückgelegt hatten, begegneten sie um die fünfte Stunde in der Dämmerung dem Görtz, der dahergeritten kam im roten Mantel auf dem Felde Raballse.

Als Pihlgren nach dem Feld hinzeigte, machten Bomgarten und Björnschiöld sich über ihn lustig und riefen ihm scherzend ins Ohr: »Meint Er, der große Herr werde reiten?«

Aber Pihlgren antwortete: »Der Teufel hol' mich, ist's nicht der Görtz. Ich erkenne seinen Bedienten Petter Berg, der neben ihm reitet, und der mein redlicher alter Freund und Duzbruder ist.«

Als sie nun näher kamen und merkten, daß Pihlgren wahr gesprochen hatte, stieg Bomgarten vom Sattel und beneventierte Seine Exzellenz ganz demütig und versicherte ihm, daß Seine Majestät sich nie besser befunden habe als gerade jetzt.

»Und wohin beabsichtigen Sie jetzt zu steuern?« fragte der Görtz.

Bomgarten, der den Görtz haßte, wegen all des Bösen, das er ihm angetan, verbeugte sich mit großer Heiterkeit tiefer und tiefer, so daß er mit dem abgenommenen Hut den Boden streifte. Dabei warf er eine gewandte Lüge auf: »Ich werde nach Göteborg reisen und für mein Regiment Stiefel kaufen,« sagte er.

Der Görtz wandte sich jetzt zu Björnschiöld, mit dessen deutscher Frau er in Cousinage stand: »Und Sie, Vetter?«

Björnschiöld wurde rot, ergriff aber mutig gefaßt die erste beste Lüge: »Ja, ich soll nach Göteborg wegen eines gestrandeten Schiffes, auf dem der Erbprinz Sachen hatte.«

Bomgarten begann jetzt wieder zu fegen und Bücklinge zu machen und war so heiter, daß seine Augen strahlten, und dann warf er eine neue Lüge auf: »Das Sonderbare ist, daß wir gerade jetzt umkehren müssen. Wir wollen uns erst neue Pferde in Raballse verschaffen, vielleicht handelt es sich um irgendein Sturmlaufen. Der Erbprinz hat uns diesen einfältigen Lakaien nachgeschickt und uns befohlen, zurückzukommen.«

Während er so sprach, blinzelte er mit dem Auge Pihlgren zu, den er für einen ebenso rechtschaffenen wie pfiffigen Kerl hielt und für mehr wert als zehn andere. Hätte er nicht einen so verschlagenen Lakaien in seinem Gefolge gehabt, ginge vielleicht der Görtz noch heute los und ledig, und wer weiß, ob der Gottesverleumder, der in Schwarzer Kunst und allerlei verbotenen Dingen so zu Hause war, dann nicht verstanden hätte, sein schlechtes und sündiges Leben auszudehnen, so daß er weder mit den Jahren abgefallen noch von hinnen gegangen wäre. Es war deshalb sicherlich Gottes Meinung, daß Pihlgren zur Hand war, obwohl der Lohn, den er nachher bekam, Undank hieß.

Weil Pihlgren ein Duzbruder von Petter Berg war, war er wirklich nahe daran, vorzureiten und ehrlich das Ganze zu verraten, aber in kurzer Zeit bekam er so viel Unwahrheiten zuhören, daß er bei sich lächeln mußte und bald ebenso verrückt wurde wie die anderen.

Sie wagten nicht, den Görtz gleich auf offenem Felde anzupacken, aber er fragte sie mit großer Verbindlichkeit: »Wo gedenken Sie Nachtquartier zu nehmen, meine Herren? Wollen Sie nicht in Tanums Pfarrhaus nachkommen und mit mir zu Nacht speisen?«

Das war Wasser auf ihre Mühle, und sie dankten aus falschem Herzen und drückten die Hände vor die Brust, aber untereinander meinten sie, daß sie Gäste werden würden, die es verständen, vom besten Füllsel in der Gans für sich zu nehmen.

Der Görtz ritt jetzt voraus nach dem Pfarrhaus von Tanum, aber ein Kornett und ein Adjutant schlichen ein Stück hinterher, um darauf zu achten, daß er den Weg, den er gesagt hatte, innehielte und nicht nach dem Glomen zu abwiche; täte er das, sollten sie ihm eine Kugel durch den Kopf jagen. Bomgarten und Björnschiöld freuten sich indes über die gute Wendung, die die Sache genommen hatte, trotzdem sie in der Gastwirtschaft zu Raballse keine frischen Pferde bekommen konnten, denn alle waren aufgeboten, die viele Bagage Görtzens zu transportieren. Nur Pihlgren verstand es behend, sich ein Pferd zu verschaffen, das drei Tage im Stall gestanden hatte. Er plauderte nämlich mit der Dienstmagd und stellte sich, als wolle er sie um die Hausecke locken, um mit ihr zu tändeln, und da sie einem solchen Anerbieten nicht widerstehen konnte, sondern ihm in den Regen hinaus folgte, wurde er mit einem Male ganz ernst und versprach ihr ein schönes Geld, falls sie sofort ein ausgeruhtes Pferd finden könne.

Bomgarten und Björnschiöld waren sehr erstaunt, als sie sahen, wie Pihlgren daherkam, eine Blesse am Zügel, die so munter war, daß sie schnaubte und sich bäumte, aber sie waren jetzt so aufgeräumt, daß sie Pihlgren sogleich befahlen, nach dem Pfarrhaus voraus zu sprengen und dort in aller Stille den Pfarrer um eine Kammer mit Feuer auf dem Herd und Licht auf dem Tisch zu bitten.

Es war kalt, und die ganze Nacht fiel ein strömender Regen. Als Pihlgren nach dem Pfarrhaus kam, wo der Görtz Quartier genommen hatte, traf er den Kornett und den Adjutanten, die sich in dem dunkeln Wagenschuppen versteckt hielten. Sie trauten ihren eignen Augen nicht, als sie seinen Traber sahen, der noch so wild war, daß sie ihn kaum halten konnten, und sie lobten Pihlgren und freuten sich, einen so geschickten Lakaien mit sich zu haben.

Es dauerte lange, ehe die anderen auf ihren müdgerittenen Pferden nachkamen. Sie stellten stillschweigend alle Rosse in den Wagenschuppen, damit niemand auf dem Hofe ihrer gewahr werde. Es leuchtete aus allen Fenstern, aber draußen herrschte tiefes Dunkel, und als sie in die Kammer hinauf gingen, die Pihlgren mit sehr viel Vorsicht in dem Seitengebäude bestellt hatte, nahm jeder seine Pistolen mit sich.

Sie waren bis aufs Hemd durchnäßt, aber so warm, daß sie es nicht merkten, und als sie flüsternd und leise in die Kammer traten, sagte Bomgarten zum Pfarrer: »Es ist unser Auftrag, den Görtz hier zu arretieren, denn jetzt ist König Karl totgeschossen.«

Der Pfarrer, der ein kleiner, schmaler Mann war, mit dem allermildesten Gesicht und dünnem, weißem Haar, heftete den Blick auf die mit Tannenzweigen bestreuten Bodendielen und streichelte und rückte an seinem Käppchen: »Gott segne den Herrn Oberst,« sagte er, »der die große Macht und Gewalt des bösen Landplagers kürzen will. Er ist ein Ahitofel; und wer weiß, ob nicht der Teufel selbst, um zum Hohn ein erhabenes Vorbild nachzuahmen, menschliche Gestalt in seiner Person angenommen hat und auf solche Weise heute abend in meiner eignen unansehnlichen Hütte sitzt und speist. Seitdem der verlorene Schurke im Regen dahergeritten kam, brennt und donnert es in dem Küchenherd, daß die Funken aus dem Schornstein fahren, aber dabei ist es, als ob die Flammen die Pfannen nicht heizen könnten, sondern eiskalt blieben.«

Bomgarten antwortete dann: »Seien Sie ruhig, mein guter Pfarrer. Sie sollen jetzt Ihre Knechte mit Äxten unter die Fenster stellen, und dann soll Pihlgren, der ein schlauerer Kerl ist als wir alle zusammen, in aller Stille Görtzens Bediente hier herein locken, einen nach dem anderen, bis wir sie alle hinter Schloß und Riegel haben.«

Pihlgren ging dann leise hinaus und fand in einem Schober seinen alten Freund und Duzbruder Petter Berg, den er mitzugehen und einen heimlichen Brief an den kleinen Herzog von Holstein mitzunehmen bat. Berg, der in dem Schober etwas mit Görtzens vielen mitgeführten Kantinen zu schaffen hatte, bot Pihlgren ein gutes Glas Wein an und dankte für die redliche und treue Freundschaft seit ihrer Kindheit. Als aber Berg in die Kammer kam und den Kornett und den Adjutanten mit Pistolen und gezogenem Degen innerhalb der Tür sah, fing er zu weinen an und rief: »Niemals hätte ich so was von Pihlgren geglaubt!«

Währenddessen untersuchte Bomgarten Bergs Taschen und fand hundert Speziesdukaten. Aber da der arme Kerl beteuerte, es sei nur Trinkgeld, das er bekommen habe, als er bei dem Feif diente und Vollmachten wegtrug, durfte er sie behalten, unter der Bedingung, daß er alles bekenne, was er sonst wüßte.

»Ja freilich,« erzählte er dann ganz leise und ängstlich, »ist sowohl französischer wie ungarischer Wein in einigen der Kantinen in dem Schober, aber die anderen sind mit Görtzens klingenden Geldern gefüllt!«

Da blieb der Pfarrer ganz plötzlich mitten im Zimmer stehen und schlug die Hände zusammen, und Bomgarten schüttelte den Kopf und klopfte und trommelte an der Tischecke und hörte nicht auf zu rufen: »Wir machen hier einen besseren Fang, als wir uns jemals hätten träumen lassen!«

Pihlgren ging jetzt wieder hinaus ins Dunkle, um mit derselben Lüge nach anderen zu angeln, und bald waren alle Lakaien Görtzens in dem Zimmer eingeschlossen, mit Ausnahme von dem Kammerdiener, der drinnen bei seinem Herrn war. Dieser war am schwersten auf den Heim zu führen für Pihlgren, aber der vertraute seiner Kunst und stellte sich lauernd außen vors Küchenfenster, das nach dem Hofe ging.

Es regnete so stark, daß es sauste, und er sah, wie die Magd, die Görtzens Essen herrichtete, die Pfannen auf dem Herd hin und her schob, ohne selbst die größten Flammen zum Heizen bringen zu können, wie sie sollten. Zum großen Glück kam der Kammerdiener bald in die Küche hinaus, aber da er sehr vornehm war in allen seinen Gewohnheiten, verstand Pihlgren gut, wie er ihn behandeln müsse, und ging nicht weiter vor als bis an die offene Küchentür. »Mein lieber Herr,« begann er mit einer Verneigung, »ich sollte demütigst fragen, ob Er so gnädig zu sein gedächte, mit mir über den Hof zu gehen und einige Worte mit Oberst Bomgarten zu sprechen?«

»Es regnet ja,« antwortete der Kammerdiener.

Nun wußte selbst Pihlgren nicht, was er für eine Fabel aufbringen solle, sondern stand draußen in dem Platzregen und stierte. »Mein lieber Herr,« sagte er schließlich, »ich glaube, es ist was wegen der Kantinen von Exzellenz.«

Da bekam der Kammerdiener auf einmal Eile, ihm über den Hof zu folgen, als er aber auf die Kammer kam und die gezogenen Degen sah, wollte er umdrehen und fuhr zornig über Pihlgren her. Jetzt benutzte Pihlgren nicht länger das Wort »mein lieber Herr«, sondern ging auf ihn los und sagte: »Schweig du schön still! Ich bin ein ganz besonders rechtschaffener Mensch, und vielleicht ein edlerer, ein besserer, ein mutigerer ... vielleicht auch ein klügerer ... ja, ein besserer Diener hat nie seinem Herrn gedient. Damit Punktum!«

»Ein prahlerischer Knecht, das ist es, was du bist!« erwiderte der Kammerdiener.

»Ja, der Kerl ist unausstehlich anzuhören,« sagte der Pfarrer über Pihlgren.

Aber Pihlgren hatte nicht prahlen wollen, sondern nur das von sich gesagt, was recht und billig war, und Bomgarten, der gesehen hatte, was er wert war, schlug den Kammerdiener mit der umgewandten Hand vor den Mund und sagte laut, so daß alle es hörten: »Pihlgren ist ein weitaus gewandterer Kerl als du, und stehst du nicht schön still, so werde ich deine Beine mürbe schlagen. Und jetzt, meine Herren, haltet gute Wache und Aufsicht über diese Gönner, daß keiner hinausschlüpfe, während wir andern ans Werk gehen!«

Pihlgren folgte darauf Bomgarten und Björnschiöld über den Hof, und sie sahen, wie es im Pfarrhäuschen leuchtete, wo Görtz allein saß. Ein blaues Tuch war vor dem Fenster aufgehängt. Der Lichtschein fiel gleichmäßig und still, und kein Schatten bewegte sich auf dem Tuche. Die ganze Pfarre lag so stillschweigend, als wäre es schon späte Nacht, und das einzige, was man vernahm, war ein sachtes Geklapper, wenn die Dienstmagd mitunter die Pfannen über den kalten Flammen hin und her rückte.

Pihlgren dachte an all die wunderlichen Abenteuer, die er in seinem Leben mitgemacht hatte, und es war ihm, als sei dies letzte das merkwürdigste. Erst jetzt fühlte er, daß die Kleider durchnäßt waren, und alle Wärme verschwand so schnell aus seinem Körper, daß er zu frieren und mit den Zähnen zu klappern anfing.

Als sie auf den Vorplatz kamen, steckten sie den Degen in die Scheide und traten so zum Görtz hinein.

»Guten Abend,« begann Bomgarten.

Der Görtz, der in tiefen Gedanken und mit der Brille dasaß, rührte nur an die bunte Nachtmütze, ohne sie abzunehmen. Im Herd war Feuer, und auf dem Tisch brannten zwei weiße Wachskerzen.

Bomgarten stand mitten im Zimmer vor ihm: »Ich künde dem Herrn Geheimrat den Arrest an!«– »Wem? Mir?« – »Ja!«

Göryens schönes und feines Gesicht wechselte die Farbe, er schnellte mit den Fingern und bewegte die Lippen: »Jetzt ist König Karl tot! Lebt der König noch?«

Antwortete Bomgarten: »Als ich zum letzten Mal mit ihm sprach, lebte er.«

Görtz, der nicht weniger schlau war als Pihlgren selbst, blieb dennoch beim Fragen und forschte: »Haben Sie ihn gesehen?« Auf das antwortete Bomgarten: »Ich sah ihn, als er jung war, als er, schüchtern und verlegen im Glücke, in dem eroberten Thorn saß, den Hut in der Hand.«

»Ich meine,« sagte Görtz, »wann sahen Sie ihn zum letzten Mal?« Worauf Bomgarten antwortete: »In der Dämmerung des Unglückes, da er den Hut nie abnahm, wenn nicht ein seltenes Mal vor dem Heere oder beim Gottesdienst.«

Der Görtz rief ahnungsvoll: »Tot ist der König der Schweden!«

Bomgarten trat an den Tisch heran und knüpfte in ein großes, rotes, seidenes Taschentuch die Schriften, in denen der Görtz soeben gelesen hatte, und reichte sie Pihlgren an die Tür. Indessen suchte Björnschiöld nach Görtzens Degen und fand ihn schließlich hinter ihm auf der Bank, wo er saß, und gab ihn Pihlgren. Es war ein Degen mit großem Infanteriegriff aus purem Dukatengold.

Sobald sich der Görtz nun von der Bank erhob, begann Bomgarten seine Kleider zu visitieren, um zu sehen, ob er irgendwelche Papiere oder Giftflaschen oder einige Schlafpulver für die Wache hätte, denn er meinte, ein solcher Vogel müsse mit großer Vorsicht in den Käfig gebracht werden, wenn er nicht bald wieder weg und auf und davon sein solle. Er wendete die Hosentaschen um und um, fand aber nichts anderes als ein Taschenmesseretui aus Gold und einen uralten Speziestaler und anderthalb Dukaten. Als aber der Görtz an den Herd kam, zog er hastig ein Dokument unter den Kleidern hervor und warf es ins Feuer, wo es bald zu Asche geworden wäre, hätte nicht Pihlgren es mit solcher Eile aus der Glut gerissen, daß er sich seine Finger verbrannte.

»Steh, Kerl!« donnerte Bomgarten und packte den Görtz an der Schulter. »Du bist jetzt nicht mehr, der du gewesen bist. Du warst mein schlimmster Verfolger im schwedischen Reiche, aber jetzt bin ich dein Meister.«

Der Görtz, der so ungewöhnliche Dinge zu hören bekam, biß, wie es schien, die Zähne zusammen, wechselte oftmals die Farbe und sah mit seinem einzigen Auge stier auf Bomgarten. Der Pfarrer, der der Wirt des Hauses war, kam dann auf die Schwelle, und von der Verwandlung, der er beiwohnte, gerührt, redete er dem Görtz mit milder Stimme zu: »Eure Exzellenz sind ein Gottesverleumder und achten weit mehr auf Ihre heidnischen Philosophen als auf die unglücklichen Schweden, deren Gemüt mit einem über eine offene Bibel gelegten Schwerte verglichen werden kann. Aber in der Stunde des Unglücks kommt es jedem Diener der Kirche zu, seinen Trost anzubieten.«

Der Görtz richtete sich in seiner vollen Länge auf und stand überaus stolz da, während er antwortete: »Glaube ich nicht an Gott, so glaube ich doch sowohl an die Bibel als auch an das Schwert! Ihr hitzigen und einfältigen Schweden, wenig versteht ihr von dem, was ich glaube oder nicht!«

Sagte der Pfarrer: »Eure Exzellenz haben auf die Gnade Ihres irdischen Fürsten gebaut.«

Antwortete der Görtz: »Er, der in fremdem Lande gelebt hat, weit entfernt von euren Torheiten, hat mich mit seiner Gnade beehrt. Wollen Sie predigen, mein guter Pfarrer, so warten Sie bis zum Sonntag! Der Mensch ist im Leben ein Wasserbläschen, im Tode der Würmer Nahrung.«

»So habe ich weiter nichts zu sagen,« sagte der Pfarrer, »sondern wollte nur fragen, ob Eure Exzellenz gnädigst befehlen, daß das Essen jetzt hereingebracht werde?«

Bomgarren trat dazwischen und antwortete ganz kurz an Görzene Stelle: »Ja, ich habe ziemlichen Hunger! Laß das Essen sofort bringen!«

Als die Gerichte, die wohl dem größten König hätten geziemen können, aufgetragen worden waren, setzten sich Bomgarten und Björnschiöld mit dem Görtz zu Tisch, aber sie wagten nicht, ihn das Messer benutzen zu lassen, sondern schnitten ihm auf dem Teller vor. Das Wort Exzellenz, das auf dem Raballsefeld gebraucht worden war, hatte Bomgarten jetzt vergessen und fragte ihn: »Herr Geheimerat haben wohl auch etwas Wein mit sich?«

Der Görtz wurde ganz bestürzt: »Wein ... Ja!« – »Roten und weißen?« – »Beides ... Ja!«

Bomgarten flüsterte Pihlgren auf Finnisch, das sonst keiner verstand, zu, daß er aus dem Schober ein paar Weinkantinen und auch die Kantinen mit Görtzens Geld hereinholen solle, laut aber sagte er: »Hol jetzt Rot- und Weißwein herein. Ein Glas Volnay wird vortrefflich munden ... und dann so ein wenig Goldgelbes zum Konfekt.«

Der Pfarrer und Pihlgren halfen nun einander die schwarzen und seltsamen Kantinen hereintragen. Sie stellten sie auf den Fußboden neben den Tisch, und Bomgarten winkte Pihlgren zu: »Lieber Pihlgren, geben Sie mir jetzt ein gutes Glas Wein, denn ich brauche es wirklich, und ich habe es auch wohl verdient, besonders heute! Und selbst sollen Sie sich auch ein Glas nehmen, Kamerad, denn ohne Sie weiß ich kaum, wie es zugegangen wäre.«

Der Görtz, der ohne Gabel und Messer an dem Tischende saß, vermochte nichts anzurühren, trotzdem die besten Stücke auf seinem Teller vorgeschnitten wurden. Dann winkte Bomgarten Pihlgren noch einmal von der Tür herbei: »Lieber Pihlgren, kommen Sie jetzt hierher und setzen Sie sich und speisen Sie. Sie können geradeso hungrig sein wie ich, und ich weiß, Sie haben gar nichts bekommen seit Torpum. Was denn? Petit-salé à la choucroute, gefällt's Monseigneur nicht? Oder ein Stückchen Kapaun? Oder Zwetschgenkuchen? Ah, das ist vorzüglich! Ein richtiges kleines französisches Souper für ausgehungerte Burschen, wie wir sind. Seit zwei Jahren habe ich nicht so gut gegessen. So, stehen Sie nun nicht da und scharren und machen Sperenzien.«

»Ich muß mich für eine so hohe Ehre demütigst bedanken,« antwortete Pihlgren, der sah, daß Bomgarten so sprach, um den hochmütigen Görtz noch mehr zu erniedrigen. »Zu prahlen oder mit süßem Lob für eigenen Verdienst zu kommen, liegt ja gar nicht meinem Sinn, aber das wissen wohl Herr Oberst, daß in bezug auf das, was sich schickt und sich ziemt, es keinen Lakaien in der ganzen Armee gibt, ja, im ganzen schwedischen Reiche nicht, ja, nicht einmal in ...«

»Halt' Er's Maul, Erzschwärzer, und setz' Er sich!« schrie Bomgarten.

Da jetzt sogar Pihlgren derart behandelt wurde, gab es nichts anderes, als zu gehorchen, aber er lächelte vergnügt bei sich, denn er hatte mehrmals früher den Görtz bedient, und niemals hatte er geträumt, selbst mit einem solchen Potentaten zu Tisch sitzen zu dürfen.

Björnschiöld saß wegen der Cousinage anfangs ein wenig verdutzt und stillschweigend, aber da niemand von ihnen seit zwei Tagen etwas zu essen bekommen hatten, aßen sie von dem delikaten Essen so viel, wie sie brauchten, und tranken bald nach Herzenslust. Der Görtz sagte kein Wort, sondern stierte auf Pihlgren, der ein Tuch um die verbrannte Hand gebunden hatte, Pihlgren aber bekümmerte sich darum wenig und wußte sehr gut, wie er die Gabel und das Messer handhaben oder das Glas anfassen sollte.

Endlich gab Bomgarten das Konfekt herum, und der Görtz nahm zwei oder drei Stückchen und tauchte das eine in ein Glas ungarischen Weins, das vor ihm stand, aber als er das Stückchen in den Mund bekam, mußte er es wieder auf den Teller legen. Dann trank er das Glas zur Hälfte aus. Das war alles, was er den Abend verzehrte.

Bomgarten ließ dann Pihlgren die schwerste von den Kantinen aufbrechen und nahm sie in die Hände: »Verehrteste Herren,« sagte er, »wir dürfen nicht vergessen, jetzt zu guter Letzt dem Herrn Geheimerat für diese französische und ausgezeichnete Mahlzeit zu danken. Dies hier ist ein schwerer Wein, der einen großen Magen macht und leicht zu Kopfe steigt, aber in unserem verarmten und unglücklichen Lande ist er heutzutage sehr selten, und er soll daher der Favorittrank und die tägliche Hausmedizin des Geheimerates sein.«

Während er in dieser Weise sprach, fing er an einzuschenken, und all die glänzenden Speziesdukaten flossen aus der Kantine in die Gläser, daß es leuchtete und klang.

Der Görtz hielt die Hände unter den Tisch, ohne ein einziges Wort zu erwidern, und sah geradeaus vor sich hin ins Dunkel zwischen die beiden Wachslichter. An der Tür stand noch der Pfarrer und rieb und drückte seine Finger, und die Magd, die dem Kammerdiener des Görtz geholfen hatte, das Essen anzurichten, stand hinter ihm am Vorplatz mit aufgeschürztem Rocke.

Björnschiöld aber blieb nicht länger bleich und stumm sitzen, sondern fuhr auf und wurde rot bis an die Schläfe. Er ergriff alle Gläser und warf ihren goldenen Inhalt in die Kantine zurück: »Verflucht sei der Wein!« rief er. »Und verflucht jeder, der Geschmack bekommt auf ein solches Getränk!«

»Amen, Amen,« sagte der Pfarrer.

Damit standen alle vom Tisch auf, und der Pfarrer nahm die eine Wachskerze und leuchtete dem Görtz in die Kammer hinein, wo er liegen sollte. Zuhinterst ging Pihlgren mit dem kostbaren Degen und den in das seidene Taschentuch gewickelten Papieren.

Der Görtz ging sehr vornehm, warf aber die Perücke und Weste auf einen Sessel und wollte sich dann mit seinen Sporenstiefeln in des Pfarrers Bett legen, das mit dem schönsten Bettzeug gedeckt war. Darum wurde dem Pfarrer übel zumute, und er machte Anstalten, ihm die Stiefel auszuziehen, Bomgarten aber hinderte ihn und sagte: »Sie sind ein allzu rechtschaffener Mann, mein lieber Pfarrer, um so unreine Stiefel auszuziehen! Aber wollen Sie Ihre Magd herkommen und ziehen lassen, so möge sie's gerne tun!«

»Hol meinen Kammerdiener herein,« bat der Görtz.

»Ich bin ein ehrlicher Schwede,« antwortete Bomgarten, »und kann zufrieden sein ohne Kammerdiener und Knecht, wenn es sein muß. Sie können dem Herrn Pfarrer danken, der Ihre Stiefel von seiner Magd ausziehen lassen will ...«

Die Magd kam gleich, konnte aber die Stiefel nicht ausziehen, und Bomgarten verbot noch einmal, sowohl Pihlgren wie dem Pfarrer, ihr zu helfen. Schließlich mußte sie sich auf die Stiefel setzen und sie wegreiten, aber es ging sehr langsam, und der Görtz schnitt Gesichter und sah bös und böser aus, sagte aber auch jetzt kein einziges Wort.

»Falls Herr Geheimerat nun Sein Abendgebet schön lesen und für gutes Tagewerk danken wollen, so steht dem nichts entgegen,« sagte Bomgarten und legte ihm auf die Decke eines der heidnischen Lateinbücher von Cartesius, das er unter Görtzens Habseligkeiten gefunden hatte. Aber er rührte das Buch nicht an, sondern flüsterte nur ganz leise für sich selbst:

»Le rideau descend. Je sors,
Je sors d'une grande tragédie;
Le héros et sa belle patrie,
Les amants malheureux sont morts.
Allons nous coucher, c'est fini!
Allons nous coucher, c'est la nuit!«

»Ja, jetzt ist das Spiel unser,« sagte Bomgarten. »Morgen in der Frühe müssen die Knechte des Pfarrers den Kronbedienten helfen, den Mann nach Udevalla zu transportieren, und dann weiter unter Kavalleriebedeckung nach Stockholm! Aber vor allen Dingen müssen wir einen Bericht des Herganges aufsetzen und ihn sogleich heute Nacht nach dem Hochquartier in Norwegen senden. Es gibt niemand anderes als Pihlgren, dem ich den Brief anvertrauen kann.«

»Das wissen Herr Oberst,« antwortete Pihlgren, »wenn je ein Diener getreu jede Mühe auf sich genommen hat und redlich und bedachtsam und vielleicht auch kühn ...«

»Kann niemand den selbstgefälligen Menschen zum Stillschweigen bringen,« flüsterte Björnschiöld. Aber Bomgarten, der besser Bescheid wußte, blinzelte dem Björnschiöld zu und sagte: »Einen solchen Kerl wie Sie, Pihlgren, das gibt es nicht wieder! Machen Sie, daß Sie ein Pferd bekommen ... und leben Sie wohl!«

Obwohl Pihlgren durchnäßt und gerädert und mürbe war, daß er sich kaum länger aufrecht halten konnte, stieg er jetzt wieder in den Sattel und ritt in der dunklen Nacht zurück nach Norwegen. Dann bekam Bomgarten als Lohn für seine Mühe Görtzens großen Golddegen, und Björnschiöld bekam ein Pferd mit voller Montierung, aber Pihlgren, der, sozusagen, sowohl den Görtz wie seinen ganzen Anhang gefangen genommen hatte, er bekam nicht so viel wie eines Rundstückes Wert.


 << zurück weiter >>