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In einem Gehölz, das sich an den Rankholmer Park anlehnte, befand sich neben einer Höhe ein kleiner Thalkessel, und in diesem lag einsam, idyllisch, umschlossen von hohen, grünen Fichten auf der einen Seite, und umzingelt von Buchen, Eichen und dichtem Gebüsch auf der anderen, ein blauer, stiller See. Libellen umschwärmten ihn, und tausend andere, die Wonnen des Daseins genießende, geflügelte kleine Geschöpfe führten schwebende Tänze über seinem silberklaren Spiegel aus. Aber auch eine entzückende Flora hatte hier eine Heimstätte gefunden. Immer neue Gebilde und Farben entdeckte das Auge, und süße Düfte berauschten die Sinne derer, die sich auf den, an den Ufern befindlichen, mit zierlich durchbrochenen Rücksitzen versehenen Waldbänken niederließen.

Zur Linken erhob sich ein hoher, von Epheu anmutig umsponnener Granitstein, auf dessen glatt polierter Fläche zahlreiche Namen in deutscher und lateinischer Schrift eingegraben waren, Namen, deren Inhaber sich hier auf diesem Platze im Laufe der Zeiten niedergelassen oder mit ihren Herzen gefunden hatten.

Gleichsam ein Zauber zog die jeweiligen Bewohner des Schlosses hierher, und ein ähnlicher, heftiger Drang, der Drang nach Vereinsamung leitete auch die Schritte des Grafen Axel Dehn, der nun eben – es war um die Nachmittagsstunde – aus dem Gehölz hervortrat und sich einer der Bänke näherte. Seine Gedanken waren so ausschließlich auf einen Punkt gerichtet, daß er mit bewußten Sinnen keinen Eindruck in sich aufnahm, daß seine Augen alle die Schönheiten, die ihn umgaben, nur mechanisch aufsogen.

Imgjor hatte sich angemeldet und war nun doch nicht gekommen, auch fehlte jede Nachricht von ihr. Den ganzen Mittag hatte sich das Gespräch darum gedreht, zulegt war man zu der Meinung gelangt, daß sie am Abend, den letzten Zug von Norden benutzend, eintreffen würde.

Unerfüllte Sehnsucht macht krank. Von der Höhe der Erwartung herabgestürzt zu werden, völlig in Ungewißheit zu schweben, ist für die stärksten Naturen ein qualvoller Zustand.

Um der grenzenlosen Unruhe leichter Herr zu werden, war Graf Dehn die Treppe zu Imgjors Zimmer hinaufgestiegen. Wie damals hing, obschon sorgsame Hände die Räume für die Kommende neuerdings in Stand gesetzt hatten, der Schlüssel an dem versteckten Haken hinter der Thür. Graf Dehn wagte ihn herabzunehmen und die Gemächer zu öffnen.

Herbstsonnenschein ruhte auf all' den reizenden, unberührten Gegenständen, auf den Möbeln und zahlreichen Kleinigkeiten, den seidenbezogenen Sesseln, und den seidenen Vorhängen. Ein eigener Duft von eingeschlossener Luft und Blumen wirkte berauschend auf die Sinne, ein berückender Duft von Imgjors Wesen, einer, der ihren Kleidern meist entströmt war, haftete noch in den Räumen. Und zu Seiten standen die Flügelthüren zu demselben Gemach offen, in das sie damals ihren kranken Hund gebettet hatte. Graf Dehn richtete, sehnsüchtig angezogen, auch in dieses einen raschen Blick. Die Tapeten befanden aus rosendurchwirkter Seide, die Polsterstühle waren mit weißem Rips bezogen, und alle übrigen Möbel trugen eine blitzend weiße, mit zarten Goldlinien geschmückte Farbe.

Das Heim einer Prinzessin, aber auch das Heim eines sinnereinen, weiblichen Wesens! Nur über dem Ruhelager eines solchen konnte so viel saubere, gleichsam unschuldige Schönheit ausgebreitet sein. Und daneben ein schlanker, von der Decke bis zur Erde reichender Spiegel in weißer Umrahmung und eine Toilette, umzingelt von Gardinen und Spitzen auf rosenfarbenem Hintergrunde. Und als Graf Dehn aus dem Fenster schaute, lag der Park und lag Kneedeholm vor ihm wie ein Paradies, und hinter ihnen blaute der Horizont, und über allem lag ein stillseliger Friede.

War's möglich, daß irgend jemand, noch dazu ein junges, lebensfrohes Mädchen, das alles freiwillig aufgegeben hatte, um in schlaflosen Nächten neben in Schmerzen stöhnenden Kranken zu wachen, Wunden zu verbinden, in schmutzige Hütten zu kriechen, Arme und Elende zu pflegen, sich zu gemeinen Dienten zu erniedrigen und den Undank der Masse auf seine Schultern zu nehmen?

Wonach Millionen mit den Händen begierig greifen würden, nach einem solchen Wohlleben, einer solchen Heimstätte, einer solchen Welt des Reichtums, der glücklichen Beschaulichkeit und erquicklichen Abwechslung, – das alles hatte sie mit ihrem selbstlosen Herzen als unnützen Tand von sich geworfen!

Und doch liebte sie die Genüsse: die Natur, die Musik, die schönen Künste, doch saß sie beseeligt auf ihrem Renner und durchflog die Gegend, faßte, selbst kutschierend, die Zügel und durchmaß das Gutsgebiet mit seinen herrlichen Wäldern, Auen und Seen!

»O, Imgjor, Imgjor, du rätselhafte Seele, du edles, nun doch betrogenes, aus dem Weltgetriebe verbittert und krank zurückkehrendes Herz!«

Und niederknieend in diesen, für ihn heiligen Räumen, flüsterte der Mann: »Gieb ihr, gütiger Gott, ich flehe dich an, die Ruhe ihres Innern und ihre Gesundheit zurück! Schaffe ihr auch ein frohes Genügen hier, die Freude am Menschentum im Kleinen, die Einsicht, daß zwar der Vernunftbegabte den Sinn auf die Sterne richten, aber danach nicht thöricht greifen soll!« –

Während Graf Dehn jetzt hier auf der Bank saß und die Erinnerungen an die letzte Begegnung zwischen sich und Imgjor an seinem Geiste vorüberziehen ließ, überlegte er die Möglichkeit eines Erfolges seiner Werbung oder einer endgiltigen Enttäuschung.

Imgjor Lavard war stillschweigend ausgesöhnt mit den Ihrigen. Alles wartete ihrer bis auf den Grafen Knut drunten im Dorf und den mit gewohnter Ehrerbietung und Dienstfertigkeit einherschreitenden Frederik.

Die Vögel konnte keine Willkommenskonzerte anstimmen, sie waren schon gen Süden gezogen, aber die Lavardschen Fahnen wehten von den Zinnen, und von Oerebye war eine Kapelle bestellt, die Imgjor am ersten Frühmorgen vom Park aus durch sanfte Töne begrüßen sollte.

Und kam sie nun als eine Geheilte, eine Sehnsüchtige, Friedensuchende, oder war doch wieder etwas in ihr aufgequollen, das sie mit der großen Welt in Verbindung hielt?! Niemand wußte es in Rankholm, und auch Graf Dehn wußte keine Schlüsse auf ihr Herz zu ziehen. –

Langsam wanderte er nach dem Schloß zurück. Jetzt sah er, was um ihn her vorging.

Als er aus dem Gehölz heraustrat und sich umblickte, ging die Sonne eben zur Rüste und warf solche zauberischen Lichter auf Wald, Wiesen und Felder, daß er wie gebannt stillstand. Vom Dorf her tönte das Kirchenglöcklein durch die Stille, fröhliches, einmaliges Hundegebell erklang, und auch das sehnsüchtige Brüllen nach Hause wandernder Rinder schlug an sein Ohr.

Das waren die Laute des Landes!

Erst um die Dämmerstunde gelangte er wieder in das Schloß.

Als er das Innere betrat, war's ihm auffallend, daß Frederik und zwei der Diener an Gepäckstücken vor der großen Treppe beschäftigt waren und daß die Thür zur Halle offen stand. –

»Wer ist's, Portier? Die Komtesse?«

»Ja! Zu Befehl, Herr Graf!«

Axel flog die Stufen empor. Sie schon da und er nicht anwesend!

Sturmschnell betrat er die Hintergemächer. Lautes Sprechen drang aus dem Kabinett der Gräfin, demselben, das er damals bei dem ersten Besuch mit klopfendem Herzen betreten hatte.

Und wieder klopfte es heute aus anderen Gründen so ungestüm, daß ihm plötzlich die Kraft fehlte, jetzt, in diesem Augenblick – Imgjor gegenüberzutreten.

Leise schlich er sich wieder aus dem Zimmer fort, eilte in seine Gemächer, riß die Fenster auf und holte tief, tief Atem.

So verharrte er wohl zehn Minuten.

Und dann hörte er Geräusch auf der Treppe, Luciles und Imgjors Stimmen, und dann sagte die letztere:

»Nein, nein – danke, liebste Lucile! Ich habe ja alles; auch bei Kofferauspacken brauche ich keine Hilfe – in fünf Minuten bin ich wieder bei euch. – Lasse nur anrichten, daß Papa nicht länger zu warten braucht!«

Und nun Schritte – ihre Schritte empor!

Ah, wie ihm das Herz hämmerte, – wie die Glieder flogen, wie ihn alles zu ihr hintrieb!

Und als sie dann im Begriff stand, den vor seinen Räumen sich dehnender Vorflur zu betreten, und nun eben emporeilen wollte, öffnete er die Thür, zog ihre Gewalt mit seinen sehnsüchtigen Augen an sich und – stürzte an ihr nieder.

»Imgjor! Imgjor!« bracht aus der heißarbeitenden Brust. Im Nu hatte er sie umschlungen und geleitete sie in sein Gemach.

Und als sie dann dort einander in die Augen schauten und ihm die Worte: »Liebst du mich, Imgjor?« aus der trunkenen Brust zitterten, da riß sie ihn an sich.

»Ach – du fragst – teurer Mann! Hier, hier, dein Kind, deine Demut, deine bezwungene Liebe! Hier deine Imgjor, geheilt, zurückgegeben der Vernunft und dem, den sie liebte, trotz aller Auflehnung und aller Schroffheiten beim ersten Sehen!«

Und der berauschte Mann stöhnte auf und zog das blasse, schöne Geschöpf an das Fenster.

»Hier vor Gottes unvergänglicher Natur schwöre ich dir, daß ich dich zu beglücken suchen werde, wie kein Mann je ein Weib zuvor! Und ist's denn wirklich Wahrheit? Du bist es selbst, du kehrst bekehrt zurück, du, Imgjor Lavard?«

»Ja, mein Freund! Bewahrheitet hat sich an mir des Dichters Wort:

Wie Ueberfüllung strenge Fasten zeugt,
So wird die Freiheit, ohne Maß gebraucht,
In Zwang verkehrt!

Hier in diesem Eden der Schönheit und des Friedens, hier bei denen, deren hohen Wert ich erst durch die Erfahrungen und Vergleiche erkannte, wollen wir leben, wirken und streben, wollen wir uns – und anderen leben! Und nun küsse mich noch einmal, und dann will ich vor dir niederknieen und deine Hände voll Dank berühren, daß du einen solchen Reichtum an Nachsicht und Geduld mit deiner – deiner Imgjor gehabt!«

Und sie that, nachdem er sie umschlungen, wie sie gesprochen, und dann hob er sie empor und trug sie auf den Armen zu ihren Gemächern empor. –


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