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Am nächsten Spätnachmittage empfing Imgjor, im Einverständnis mit ihrer Mutter, den Doktor Prestö im Wegwärterhäuschen.

Heute eilte sie ihm nicht entgegen. Sie saß, das Haupt auf die Hand gestützt, am offenen Fenster und starrte hinaus. Einer bemerkte sie, Graf Dehn. Wissend, daß heute die Zusammenkunft mit Prestö stattfinden werde, hatte er sich nach einem vorhergegangenen Spaziergang dahin begeben, und sah Imgjor dort sitzen. –

Prestös Eintritt entriß sie ihren trüben Gedanken. Unruhig ging's durch ihre Glieder, ihr Herz klopfte stürmisch. Sie wußte es, daß jetzt die Entscheidung kommen würde.

Aber in Prestö war bereits alles gefestigt. Das unbedacht geschlossene Bündnis wieder zu lösen, beschäftigte ihn allein.

Graf Knut hatte ihm einen Brief gesandt. Durch dessen Inhalt war er belehrt worden, daß Imgjor nichts zu erwarten habe, daß ihm die Zukunft, hielt er an ihr fest, eine unerträgliche Last aufbürden werde.

In solcher inneren Verfassung hatten beider Mienen etwas äußerst Unfreies. Prestö knüpfte sogleich an die Zeilen des Grafen Knut an. Er erzählte ihr, was sie schon von Lucile wußte, und gab sich sehr bedrückt.

»Was ist uns Geld und Gut, wenn wir einigen Herzens sind, Erik!« fiel Imgjor ein.

»Gewiß, den großen Zielen, die wir verfolgen wollen, ist ein Hemmschuh angelegt. Aber es bleibt uns das lebendige Wort für die Sache, dadurch für das große Werk zu wirken, es zu fördern!«

»Wirst du aber gegen den Willen der Deinigen dich aufraffen können, Imgjor? Wird dir nicht die Reue kommen? Alle Brücken brichst du hinter dir ab! Hier in Kneedeholm können wir nicht bleiben. Ich muß erst einen neuen Wirkungskreis suchen, wieder einen Erwerb finden. Dann erst können wir an eine Verbindung denken. Was willst du in der Zwischenzeit beginnen? Wir sollen beide leben! Ich bin ohne Mittel! Deshalb betonte ich die Notwendigkeit, deinen Adoptivvater wenigstens zur Herausgabe eines Bruchteils seines Vermögens zu bewegen. Nach des Grafen Knut Bericht wird er sich dazu nicht verstehen. Was aber soll dann werden?«

Imgjor hatte Prestö mit starrem Ausdruck zugehört. So kalt, so nüchtern, so voller Bedenken hatte er gesprochen, so gefühllos das alles vorgebracht! So ganz anders hatte nun, da sie ein armes Geschöpf war, ärmer als irgend eine Bauerstochter in Kneedeholm, seine Rede gelautet! Statt der bisherigen stürmischen Worte, statt des zärtlichen Flehens, statt der Beteuerungen und Bitten, ihm zu folgen, ihm zu glauben und zu vertrauen, alles leicht zu nehmen, nur ihr künftiges Glück und die großen Ziele ins Auge zu fassen – saß nun ein feiger Schwächling ihr gegenüber. Ach, noch weit mehr! Und diese furchtbare Erkenntnis trieb ihr das Blut gegen das ohnehin erregte Herz.

Jedes Wort hatte die Absicht verraten, sie so rasch wie möglich wieder von sich abzuthun, rückgängig zu machen, was er hundertfältig beteuert hatte.

Dennoch beschloß sie, zu ihrer völligen Heilung den Becher auszukosten.

Sie sprach, sich zur Fassung und zu einem freundlichen Gleichmut zwingend:

»Ich denke anders als du, Erik! Liebe kennt keine Berge und Abgründe. Sie überwindet alles. Ich würde jegliches geduldig auf mich nehmen, wüßte ich mir dadurch den Sieg zu erringen. Aber du bist nicht frei, es sei denn, daß der Inhalt dieser Briefe –« hierbei zog sie die Zuschriften seiner Braut hervor – »Klarheit in deine Angelegenheit bringt.«

Nachdem sie dies vorausgesandt, auch gleich eine Erklärung hinzugefügt hatte, auf welche Weise sie in den Besitz der Schriftstücke gelangt sei, bat sie ihn, sie zu öffnen und den Inhalt vorzulesen.

Mit Augen, die nur zu deutlich seine ungeheure Verwirrung verrieten, sah Prestö auf die beiden Briefe. Aber ebenso rasch umspielte ein verächtlich überlegener Zug seine Lippen.

»Das ist gar nicht Ingeborgs Handschrift. Sicher hat ein Schuft irgend ein Bubenstück ersonnen, darauf berechnet, deine Meinung über mich irre zu führen! Und ein sehr plumpes ist es zudem, da diese Briefe von Kopenhagen adressiert sind, während meine Braut, wie ich dir sagte, gar nicht mehr dort ist, sondern sich irgendwo in Frankreich befindet.«

Im ersten Augenblick wurde Imgjor bei dieser sicheren Sprache stutzig. In ihrem Herzen wollte es noch einmal aufkeimen; der niederschmetternde Eindruck seiner kühlen Sprache von vorhin wich, eine selige Hoffnung bemächtigte sich ihrer. Aber dann sah sie ihm wieder ins Angesicht, und was sie darin erblickte, das belehrte sie ebenso rasch eines anderen.

Er öffnete, da er sich durch ein Erheben unbeobachteter glaubte, mit derselben Unruhe, die sie vorher an ihm wahrgenommen, einen der Briefe, und sie sah in seinen Zügen ein jähes Erschrecken schon beim Lesen der ersten Zeilen.

Und da kam ihr ein Entschluß!

Durch eine zutraulich gelassene Miene von ihm die Erlaubnis zum Studium des Schreibens erzwingend, löste sie das Kouvert, nahm das mehrere Seiten umfassende Schriftstück heraus und durchflog den Inhalt.

Und als sie dann die Lektüre beendet hatte und in demselben Augenblick Prestö, die Komödie fortsetzend, in Worten der Empörung über den Grafen Dehn ausbrach, sprang Imgjor, ihrer Empfindungen nicht mehr Herr, empor und richtete einen von Verachtung erfüllten Blick auf den Mann.

»Genug, genug! Nicht noch mehr des fürchterlichen Spiels der Lüge und der Vernichtung meines Herzens!« brach's aus ihrem Munde hervor. »Füge der Schändlichkeit der doppelten Untreue, der Berechnung und unlauteren Gesinnung, füge der Entwürdigung deiner selbst nicht noch eine neue hinzu! – Wisse denn: Diese Briefe sind keine Fälschungen! Den Betrug, die Verworfenheit begingst du, indem du ihre Echtheit leugnetest! Das, was hier geschrieben steht, was durch die Thränen eines fürchterlichen Schmerzes fast verwischt wurde, ist das unverfälschte Produkt der Zuckungen einer verratenen Seele. Dennoch hätte ich dir das vergeben, dennoch wäre ich friedlich von dir geschieden, dennoch wärest du ohne Vergeltung durchs Leben gegangen, wenn du nicht jetzt, in dieser heilig ernsten Stunde, mit solcher Larve mich zu betrügen, auf andere einen Verdacht zu werfen gesucht hättest. Das war die Handlung einer niedrigen, erbärmlichen Natur. Das und deine zögernde, bedenkliche Sprache von vorhin, beweisen mir, daß du nichts anderes warst und bist, als ein berechnender Egoist, ein Komödiant, daß du alles und jegliches, Liebe für mich und Enthusiasmus für die großen Ideen nur heucheltest, um mein Geld an dich zu bringen! So, und nun gehe! Was dir werden soll, werde ich überlegen! Nach deinem Verhalten werde ich das Maß abmessen!«

Aber was Imgjor erwartete, geschah nicht.

Statt Erschütterung oder gar Zorn an den Tag zu legen, bewegte Prestö den Kopf und machte eine Miene, als ob eine arme, kranke Irre soeben geredet habe.

»Wenn Sie glauben, daß Sie sich in mir getäuscht haben, Komtesse Lavard, so bin ich noch weit mehr enttäuscht. Auf bloße Eindrücke hin fällen Sie Urteile und bedienen sich gegen einen Ehrenmann einer Sprache, die, wäre sie aus dem Munde eines Mannes gedrungen, nur hätte durch den Degen die verdiente Zurückweisung erfahren können. Ich hielt Sie für ein edles Wesen. Ihre gelegentlichen Schroffheiten betrachtete ich als das Unvermögen, der Entrüstung über die die Welt erfüllenden Ungerechtigkeiten Herr zu werden, als ein Ergebnis Ihres zielbewußten, von Grundsätzen getragenen Charakters. Was soll mir im ehelichen Zusammenleben werden, wenn Sie jetzt schon eine solche Sprache führen, wenn Sie so wenig Ihr Ich zu beherrschen vermögen? Ich wiederhole, daß diese Briefe nicht von meiner ehemaligen Braut geschrieben wurden. Ich erhebe dafür die Hand zum Schwur. Das sage ich nicht zu meiner Rechtfertigung – ich habe mich nicht zu rechtfertigen – sondern um meinen Entschluß zu begründen, dennoch auf Ihre Hand zu verzichten. Die Stellungnahme des Herrn Grafen macht ohnehin – ich wiederhole früher Gesagtes – vor der Hand eine Verbindung unmöglich. Wenn ich alle Stationen mit Ihnen auch durchmessen wollte, ich sehe, daß wir scheitern müssen, weil die Macht, der Einfluß und das Geld, jene Gewalten, die ich hasse und seit meiner Jugend schon bekämpft habe, zu mächtig sind. Diese Scene aber hat mich belehrt, daß Sie eine andere sind, als ich mir gedacht habe. Ohne Vertrauen, ohne Mäßigung ist ein Bündnis ein Unding. Es war eine Prüfung, es war ein Versuch, der gegen Sie ausschlug. – Leben Sie wohl! Ich trage Ihnen nichts nach. Sollten Sie aber auf Ihren leidenschaftlichen Vergeltungsplänen beharren, so darf ich Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen, daß ich kein Knabe bin, daß ich mit einem irregeführten weiblichen Wesen leicht fertig werde!«

Nach diesen Worten wollte sich Prestö entfernen. Aber sie, die ihm zugehört und dagestanden, als ob sich ihr Körper in Stein verwandelt habe, sagte nach tiefem Atemholen:

»Waren diese Briefe nicht von Ihrer Braut, so sind Sie von dem Vergehen dieser Vorspiegelung entlastet! Ich glaube Ihnen aber nicht und werde forschen. Eine andere Hand mag sie geschrieben haben, der Inhalt stammt von ihr. Behalte ich aber recht, spielten Sie auch diese Komödie, die mit Liebesschwüren begann, auf Lüge sich weiter baute, und die Sie nun, weil meine Armut Sie enttäuschte, noch eben wieder in plumpester Art erneuerten, indem Sie sich den Mantel der Unschuld umhängten und die plötzliche Erkenntnis meines Unwertes als Vorwand nahmen – so will ich Gott anflehen, daß Sie Ihre Strafe dafür finden mögen! So, und nun ersuche ich Sie, sich zu entfernen! Dies ist mein Gebiet und mein Heim! Noch heute schließe ich gegen Sie meine Thür und mein Herz. Sie haben alle Rechte an Imgjor, genannt Imgjor Lavard, verloren, aus diesem Spiel davongetragen nur ihre Verachtung und – waren Sie ganz ein Schurke – ihren Haß!«

So endete Imgjor, die Hand ausstreckend; und er, der Mann, der noch vor wenigen Tagen erklärt hatte, daß nie einer ein weibliches Wesen so selbstlos geliebt habe, daß ihm das Leben nichtig und wertlos ohne ihren Besitz sei, verließ, kalt verächtlich auf sie herabblickend, das Gemach. –



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