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In einem Hinterzimmer des Wirtshauses in der Nähe des Tivoli saß an demselben Abend der Wanderprediger Kollund mit Imgjor Lavard. Sie hatte ihm geschrieben, daß sie ihn sprechen wolle, und er hatte geantwortet, daß er sich am Abend, nach einem Vortrage in der Umgegend, zu ihrer Verfügung halte.

Nun eben hatte er den Kellner gerufen und Speisen und Getränk gefordert, während sie, nach ihren Wünschen befragt, ihn nur eine Flasche Selterwasser zu bringen ersuchte.

Sie besaß weder Hunger noch Durst. Ihr verlangte lediglich nach Aussprache, nach Förderung ihrer während des Tages zu immer stärkerer Reise gelangten Pläne. Sie wollte, wie er, das Land durchziehen, aber sie wollte sich nicht mit Vorträgen begnügen, sondern mit allen Mitteln dahin wirken, daß in jeder Stadt, in jedem Flecken und jedem Dorfe ein Wohlfahrtsverein begründet werde.

Diese sollten sich als Aufgabe stellen, eben das ins Leben zu rufen, was sie einst mit Prestö geplant hatte.

Da sie sich nun der Fesseln entledigt, da sie keine Rücksichten auf ihre Familie mehr zu nehmen hatte, wollte sie wieder die größeren Ideen zu verwirklichen suchen.

Vielleicht würde Kollund ihr Partner werden, vielleicht fand sie bei diesem, von den reinsten Absichten erfüllten Volksfreunde eine Unterstützung ihrer selbstlosen Bestrebungen.

Er hörte ihr auch, ohne sie zu unterbrechen, zu. Seine Augen hingen an den ihrigen, als ob ihn eine Verzauberung ergriffen habe. Seine mageren Hände griffen immer wieder nach der Flasche. Oft holte er tief Atem. So beschwert schien er, daß sie einigemale besorgt fragte, ob ihn etwas schmerze.

»Nein, nein, nichts, gnädige Komtesse. Ich bitte, fahren Sie fort!«

Bisweilen schien's auch während des Zuhörens, als ob er in eine Art Verzückung geriete, als ob er sich durch ihre Rede so in die Welt der Wirklichkeit hineinversetzt habe, daß ihm schon alles Thatsache geworden sei.

Und das Ende war, daß er ihr begeistert zustimmte, sich bereit erklärte, fortan mit ihr gemeinsam die Lande durchziehen und ihre von ihm gutgeheißenen Pläne ins Werk setzen zu wollen.

»Sehen Sie, Komtesse! Mir fehlten ja nur die Mittel, die Sie besitzen! Ich mußte mich auf meine Ansprachen beschränken. Von dem Entree, das ich erziele, soll ich leben und muß ich meine Reisen bestreiten. Sie haben die vollen Kassen. Sie können sogar noch austeilen. Unter solchen Voraussetzungen und Eindrücken strömen die Menschen herbei. Da rechnet es sich auch die bessere Gesellschaft zur Ehre an, zu erscheinen. Ihr Name, Ihre Stellung und Ihr Reichtum ziehen. Denn Sie müssen es wissen, schließlich kommt's ja doch bei fast allen nur auf zweierlei an, auf Befriedigung der Eitelkeit und auf Erreichung von Vorteilen. Von der Sache selbst Durchdrungene giebt's kaum ein Dutzend auf eine Million!«

»Wie? Das sagen Sie, Herr Kollund?« stieß Imgjor in starker Enttäuschung heraus. »Ach! Das drückt mich tief herab. Und lassen Sie mich es Ihnen gleich sagen, daß Sie sich irren, wenn Sie meinen, ich sei noch reich, ich könne irgend etwas austeilen. Ich besitze nichts, da ich mich mit meiner Familie völlig überworfen habe! Wenn ich meinen Schmuck verkaufe – das meiste gab ich schon hin – bleibt mir höchstens die Möglichkeit, noch einige Zeit zu leben!«

Schon bei den ersten Worten Imgjors war in die Züge des Mannes ein Ausdruck von Mattigkeit getreten. Beim Schluß ihrer Erklärungen hielt er schon gar nicht mehr mit seinen veränderten Gedanken und Anschauungen zurück, zog die Lippen und schüttelte das Haupt.

»Wenn die Dinge so stehen, Komtesse, ist – ist – garnichts zu machen! Ich ging natürlich von ganz anderen Voraussetzungen aus. Bei solcher Sachlage kann ich Ihnen nicht die geringsten Erfolge Ihrer Vorhaben versprechen. Wir würden uns nur gegenseitig im Wege stehen. Jetzt vermag ich allein zu existieren; in der Folge würden wir nicht das tägliche Brot haben. Ist denn wirklich alles dahin? Ist keine Aussicht, daß Sie sich mit Ihrer Familie wieder einigen?«

»Nein,« erwiderte Imgjor kalt, mit einem solchen eisigen Ausdruck, daß der Mann, der sich schon allen möglichen Träumen von Liebesglück und Erdenschätzen hingegeben hatte, nunmehr einer völligen Ernüchterung erlag.

Im Nu verschwand der bestrickende Zauber, den Imgjor auf ihn ausgeübt hatte.

Aber auch Imgjor erlitt entsetzliche Qualen der Enttäuschung, doppelte, da sie sich nicht nur in ihren Hoffnungen auf diesen Mann als Mithelfer ihrer großen Pläne getäuscht fand, sondern auch durch ihn so rücksichtslos belehrt worden war, wie nutzlos alles Mühen ohne materielle Mittel sein werde. Sie hatte sich dem unbestimmten Gefühl hingegeben, daß dieser edle Enthusiast die Herbeischaffung solcher freudig auf seine Schultern nehmen, daß er dazu auch leicht imstande sein werde. Sie, die immer aus dem Vollen geschöpft, die stets die Hand hatte aufthun können, hatte sich trotz des täglichen Einblicks in die Lebensnot der Menschheit auch in dieser Richtung eine Illusionswelt aufgebaut.

Und abermals hatte sie ebenso vorschnell, wie unweise gehandelt! Anstatt vorher zu prüfen, die Folgen ihres Vorhabens zu überlegen, hatte sie ihre Erwartungen ohne weiteres zu Thatsachen erhoben und war nun gleich bei den ersten Schritten, die sie unternommen, bis zum Fallen gestolpert.

Jetzt stand sie – in furchtbarer Klarheit kam's über sie – wirklich dem »Nichts« gegenüber. Und sie hatte sich, wenn sie ehrlich überlegte, während ihrer nun fast zwei und einhalbjährigen Thätigkeit draußen in der Welt kaum einen Freund, sondern nur Feindschaft erworben.

Die Freunde, die einzigen, die sie vorher besessen, hatte sie eben in ihrem stolzen Uebereifer von sich gestoßen. Ihren Widersachern wollte sie sich offenen Auges zugesellen und abermals mit schweren Kränkungen und schnödem Undank verbundene Lasten übernehmen. War darin ein Sinn? Hatte sie noch nicht Erfahrungen genug gesammelt? War's noch nicht genügend erwiesen, daß ihre Umgebung in allem Recht gehabt?

Und eben aus diesen gegen sich selbst gerichteten Ueberlegungen entstand jählings eine um so größere Abneigung gegen denselben Mann, dem sie noch beim Beginn des Gespräches gleichkam ihr ganzes Ich hatte verschreiben wollen, den sie als den plötzlich ihr erstandenen Erlöser betrachtet hatte. Sie konnte es nicht erwarten, die Beziehungen zu ihm abzubrechen, auch ihm die Erklärung zu geben, daß sie keinen öffentlichen Vortrag halten wolle.

Sie nahm deshalb kurz und schroff das Wort und sagte:

»Unser Gespräch hat mich belehrt, daß wir nicht, wie ich hoffte und glaubte, zu einander passen, Herr Kollund. Ich bin infolgedessen auch zu dem Entschluß gelangt, übermorgen nicht zu sprechen. Ich bitte also, die Ankündigung zurückzuziehen. Ich muß es definitiv ablehnen, öffentlich aufzutreten!«

Der Mann nickte beipflichtend, ohne sich im geringsten zu ereifern.

»Ich würde,« hub er mit unangenehm wirkender Ruhe an, »dann nur um den Ersatz der Kosten bitten, Geldmittel für die Inserate in den Zeitungen, für das Lokal, für die Personen, die ich zu bezahlen habe, und für die Ausfälle an Einnahmen.«

»Welche Personen, welche Ausfälle an Einnahmen? Ich bitte!«

»Nun, die Stimmung machen, die mit einem Teller zum Sammeln herumgehen sollten.«

»Stimmung machen, sammeln? Für was und für wen?«

»Wie Sie fragen, Gnädige! In solchen Versammlungen braucht man eine Claque, und die muß man bezahlen. Die Sammlung wird für meine Bedürfnisse aufgebracht – Ich soll doch leben – ich soll doch etwas zurücklegen –«

»Gewiß, ersteres sicher! Und Sie lassen das erklären, oder Sie sagen es selbst?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Nein! Das geht nicht. Dann kommt fast nichts ein! Die Beträge müssen als Agitationsausgaben für die große Sache bezeichnet werden.«

»Glaubt man Ihnen denn das? Fragt man nicht, wer das Geld verwaltet, wo es bleibt?«

»Nein. Ich bin der Verfechter der großen Idee. So ist auch am besten angelegt.«

»Hm – hm – aber das ist doch alles nicht ehrlich, Herr Kollund, das heißt doch nur an sich denken.«

»Vielleicht! Aber es geht nicht anders, meine Gnädigste. Mit Sentimentalitäten kann man das Leben nicht anpacken. Man muß, um durchzuringen, zu den Grundsätzen der Heiligung der Mittel greifen.«

»O nein, nein! Nie würde ich dazu meine Hand bieten. Verwerflich finde ich solches Ausnützen des Vertrauens, schwindlerisch eine solche Vertuschung der Wahrheit!«

»Sie sind eben noch sehr jung, meine Gnädigste! Sie meinen, daß sich hier die Welt anders bewähren soll, als sonst allezeit. Und deshalb erwarten Sie es, weil Ihre Absichten lauter sind, weil der Gegenstand Ihnen groß und erhaben däucht. Ach, wie bald, wie gründlich werden Sie belehrt werden! Die Kreatur bleibt sich in allen Lebensverhältnissen gleich. Hier, hier erst recht muß man sehr klug sein und klug handeln, um die Zwecke, die man im Auge hat, zu erreichen.«

»Nun, so mag es sein! Ich will Ihnen nicht widersprechen,« stieß Imgjor, ihre Empörung nur schwer dämpfend, heraus, »aber ich will jedenfalls meinen Geldbeutel dazu nicht öffnen! Ich gebe das, was das Lokal und die Annoncen kosten, ich gebe Ihnen eine Entschädigung dafür, daß Sie Ihre Zeit mir nutzlos geopfert haben. Sie mögen dann verfahren, wie Sie es zu verantworten vermögen. Ich will kein Hehler dieses Verrats und dieser Unehre sein!«

»Ich sehe Ihnen Ihre Worte nach, Komtesse, weil ich Ihrer Unerfahrenheit Rechnung trage, und wünsche nun auch meinerseits diesen Teil des Gespräches zu beendigen. Ich bitte nun nur fragen zu dürfen, wann ich mir den Betrag holen darf?«

»Wieviel verlangen Sie?«

»Mit fünfhundert Kronen denke ich zu reichen –«

»Fünfhundert Kronen? Unmöglich! Ich habe kaum so viel, wenn ich mein Eigentum veräußere!«

»So geben Sie vierhundert. Ich will mich einzurichten, denen, die zu fordern haben, abzudingen suchen. Diese Summe muß ich aber bereits morgen Mittag von Ihrer Güte erbitten, wenn nicht für Sie sehr unliebsame Zeitungserörterungen die Folge dein sollen. Diese würden auch Ihrer Familie wohl wenig angenehm sein!«

»Gut!« hauchte Imgjor, die weißen Zähne zusammenbeißend. »Sie sollen das Geld um zwölf Uhr bei mir finden. Aber schicken Sie darnach. Mit Ihnen möchte ich nicht ferner verhandeln –«

Nach diesen Worten reckte sie sich rasch empor, warf eine halbe Krone für den Kellner auf den Tisch, griff nach Hut und Umhang und war schon mit äußerst gemessener Kopfneigung verschwunden, ehe der Mann auch nur Zeit hatte, ihr beim Anziehen des Mantels behilflich zu sein. –



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