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Der Herbst, der wundervolle nordische Herbst, war seit Wochen erschienen, und mit seinen stahlhellen Lüften, seiner Farbenpracht in den Wäldern, seinem scharfen Erdgeruch und seinen unvergleichlichen Abendsonnenniedergängen auch in Rankholm eingezogen.

Wenn sich in der Frühe die ersten Lichtströme über die Erde ergossen, schwammen Schloß, Park und Gärten in einem blauseidenen Dunst. Wenn aber der Kampf zwischen der siegreichen Himmelskönigin und den zarten Nebeln durch ein plötzliches Oeffnen aller goldenes Licht bergenden Portale entschieden war, dann lagen Rankholm und Kneedeholm in einem Sonnenbade von solcher unermeßlicher Schönheit, daß die Gegend alle Reize der drei Jahreszeiten: die grüne Pracht des lebensprühenden Frühlings, die Fülle des blütenschweren Sommers und die krystallhelle Klarheit des farbenleuchtenden Herbstes in sich zu bergen schien.

Und alles war wie ehedem.

In ihrem mit all den herrlichen Dingen angefüllten Kabinett ruhte bei geöffnetem Fenster auf dem Sofa die Gräfin Lavard und las in einem Buch. In seinem geräumigen Arbeitsgemach war, wie sonst, der Graf eifrig mit seinen Beamten beschäftigt, Lucile hielt sich, an Curbière schreibend, in ihren Gemächern auf, und wie immer webten in dem, von Epheu umrankten Mauern eingeschlossenen Schloßhof jene sanften Hausgeister, die von dem Streit und Getümmel draußen in der Welt nichts wußten.

Auch Graf Dehns schlanke Gestalt tauchte, wie damals, in den Wegen des Parkes auf, und nun eben richtete er die Schritte dem Schloßdurchgang zu, trat ins Innere, begab sich in seine Zimmer, und von dort, nach Ordnung seiner Toilette, zu der Gräfin.

Einige freie Stunden lagen vor ihnen, und sie wollte die Gräfin heute benutzen, um Axel einen Einblick in die Vergangenheit zu verschaffen. Sie wollte, daß es geschah, bevor Imgjor kam, die nach einer langen, schweren Krankheit so viel Kräfte zurückgewonnen hatte, daß sie in Begleitung des Doktor Stede eine Reise nach Rankholm zu unternehmen vermochte. Hier wollte sie versuchen, ihre Gesundheit völlig zurückzugewinnen.

Stillschweigend war das alte Verhältnis zwischen ihnen wieder eingetreten. Solche Not und solche Trübsal, wie sie über Imgjor gekommen, – führten von selbst einen Ausgleich herbei.

Wiederholt hatten Lavards an dem Krankenbett Imgjors gestanden, und sie hatte ihre Besinnung erst ganz allmählich zurückgewonnen.

»Willst du nach Rankholm kommen, um dich dort ganz zu erholen, Imgjor? Papa schickt dir einen herzlichen Gruß und bittet darum –« hatte Lucile eines morgens gesagt, und der Kranken waren die Thränen der Rührung aus den Augen gestürzt. –

Nachdem die Gräfin sich zurechtgerückt und einen ihrer gewohnten forschenden Blicke auf Graf Dehn geworfen, sagte sie:

»Ich werde mich kurz fassen, Graf Dehn, weit kürzer, als es ursprünglich meine Absicht war. Das Wesentlichste: Imgjors Herkunft, wurde Ihnen schon durch einen Zufall enthüllt. Ich komme nur auf meine Zusage und Ihren Wunsch zurück, weil ich von Ihnen, den ich wie meinen Sohn betrachte, so beurteilt werden will, wie ich dazu ein Recht besitze. Ich will's aber auch, damit Sie meines Mannes Handlungsweise, richtig würdigen.

Endlich spreche ich auch, weil ich die Hoffnung hege, daß Sie diejenigen aufklären, denen ich keine Mitteilungen zu geben vermag. Stolz und Zartsinn verbieten mir, über solche Dinge mit meinen Töchtern zu reden. Es könnte scheinen, als ob ich mich verteidigen wolle.

Zur Einleitung –« hier zog die Gräfin aus ihrem goldumränderten Nähkorb ein kostbar umrahmtes Pastellbild hervor – »betrachten Sie sich dieses Porträt. Sie werden dann leichter verstehen, wie mein Mann dazu gelangte, sich in Leonie Monier zu verlieben, und welche Kämpfe ich mit meinem Ich zu bestehen hatte –«

Graf Dehn griff nach dem Gebotenen und unwillkürlich entglitt seinem Munde ein Laut bewundernden Entzückens.

Imgjor wars, aber in noch höherer Vollendung. Ein so süßes, engelhaftes Lächeln umspielte den Mund des Bildes, aber auch ein solcher schmachtender Glutblick drang aus den Augen, daß man sich von dem Anschauen nicht zu trennen vermochte. In ihrem Kostüm erinnerte sie an die Watteauschen Rokokobilder. Ein langes Mieder, verziert mit Rosenbändern, hob ihre überaus zarte Figur. Um ihren vollendet gebildeten, bis zum Ellbogen freien Arm schlang sich ein schwarzer Sammetstreifen, und in ihrem hochfrisierten Haar saßen neben Blumen kleine blaßblaue Schleifen. Alles aber wurde übertroffen durch die Pracht ihrer schneeigen Büste, die blendenden Farben, den durchsichtig weißen Schmelz ihrer Zähne und die kleinen, zum Liebkosen geschaffenen Hände.

»Nicht wahr? Sie war schön? Man kann etwas gleiches nicht sehen –« stieß die Gräfin in neidloser Bewunderung heraus.

»Und ich kann hinzufügen: sie war wirklich noch schöner. Man lag, wenn sie sprach und lächelte, im Bann ihrer bestrickenden Reize, und nicht der Tochter eines gascognischen Glasschleifers die sie war, glich sie, sondern dem Mitglied einer auf Thronen fixenden Familie.

Aber sie war nicht allein wegen ihrer Schönheit gefährlich, sondern ebensosehr wegen des seltsamen Gemisches ihres Wesens. Herzensgüte, Trotz, liebenswürdige Naivetät und schlaue Berechnung saßen zugleich in ihr und gelangten, den Umständen nach, zum Ausdruck.

Man hätte sie küssen und sie ohrfeigen mögen, einmal wegen ihrer bezaubernden Liebenswürdigkeit, und dann wieder wegen ihres kaltherzigen Starrsinns.

Doch nun hören Sie, wie alles verlief.

Ich lernte meinen Mann, der damals der französischen Gesandtschaft attachiert war, in dem Hause des russischen Fürsten Betzkoy kennen, verliebte mich gleich sterblich in ihn und wurde schon nach vier Wochen unserer ersten Begegnung seine Braut.

Meine Eltern waren überaus glücklich über diese Verbindung, und meine Verwandte, der Vicomte von Choisseuile und seine Frau luden uns zu einem mehrwöchentlichen Aufenthalt auf ihrem in der Nähe von Paris befindlichen Landsitz ein.

Hier verlebten wir in dem ersten Rausch unserer leidenschaftlichen Liebe seelige Tage, durchschweiften zu Wagen und zu Pferde die Umgegend, machten oder erneuerten die Bekanntschaft angesehener und interessanter Personen, welche sich ebenfalls um diese Zeit auf ihre in dieser Gegend belegenen Güter zurückgezogen hatten, fanden aber auch die beste Gelegenheit, unsere Charakter zu prüfen, ihnen gegenseitig gerecht zu werden, und uns immer mehr ineinander hineinzuleben. Mir wurde klar, daß Lavard ein leicht entzündliches Herz besaß, und daß ich infolgedessen nicht die erste sei, der er sich genähert.

Er sprach auch mit voller Offenheit über früheres. Er betrachtete mich nicht als eine prüde Vestalin, sondern als das, was ich wirklich war: ein mit den wirklichen Lebensverhältnissen vertrautes weibliches Wesen, das sehr wohl wußte, daß Männer und oft auch Frauen Versuchungen unterworfen sind und meist schon etwas erlebt haben, wenn sie an den Altar treten.

Als ich eines Tages mit Lavard unter der Linde in dem Garten eines zu dem Besitz gehörenden Pachthofes saß, wo wir, nach unserm anstrengenden Ritt, eines kleinen Imbisses wartend, plauderten, unterbrach er plötzlich das Gesprächsthema, sah mich ungewöhnlich zärtlich an, faßte meine Hände und sagte:

»Ich habe eine Bitte an dich, eine große Bitte, Lucile! Willst du sie mir gewähren?«

»Gewiß, mein teurer Freund, wenn ich es vermag –« entgegnete ich ohne Besinnen.

»Du sprichst das ja so leicht aus, Lucile! Ich fordere etwas Großes, sehr Großes! Es gehört eine opferstarke Liebe dazu!«

»Um so besser vermag ich dir zu beweisen, wie gut ich dir bin, Lavard – sprich also – natürlich, ein ritterlicher Mann, wie du, wird von einem Mädchen nichts verlangen, was ihren weiblichen Empfindungen widerstreitet –«

Ich weiß nicht, wie ich in meiner Entgegnung zu dieser Einschränkung gelangte. Jedenfalls hatte sie die Wirkung, daß Lavard trotz meiner wiederholten Aufforderungen, nun doch nicht redete.

Und so blieb's, und ich dachte auch schon gar nicht mehr an seinen, wie ich angenommen hatte, launenhaften Einfall, als er eines vormittags, kurz vor unserer Rückkehr nach Paris, im Park des Schlosses hinter den Boskets vor mir niederfiel und mich beschwor, ihm zu gewähren, worum er mich ersuchen werde.

Und da er so erregt war, da sein ganzes Wesen eine solche Spannung verriet, insbesondere aber, weil es mich drängte, ihm zu beweisen, wie sehr ich ihn liebte, sprach ich, ohne vorher zu hören, ein unbedingtes ja!

»Was es auch sein mag, Lavard! Ich werde deinen Wunsch erfüllen. Ich schwöre es dir!«

Nun schnellte er empor, umfaßte mich mit schmeichelnder Zärtlichkeit, zeigte mir dann dieses, eben dieses von Ihnen bewunderte Bild, und sagte:

»Diese weibliche Person, Leonie Monier, eine Nähterin der Vorstadt St. Antoinne, war vor wenigen Monaten noch das, was du mir heute bist, Lucile –

Du begreifst, daß ich mich in sie verlieben konnte! Ich sage, daß ich die Beziehungen zu ihr wieder gelöst habe, weil ihr Charakter ein Zusammenleben unmöglich macht. Ich würde sie sonst trotz ihres einfachen Standes und anderer Umstände vielleicht geheiratet haben.

Es liegen die Dinge nun, wie folgt:

Sie erklärt mir, dann gutwillig ihrer Rechte auf mich sich begeben zu wollen, wenn du dich entschließest, sie zu empfangen und ihr eine noch zu erörternde bindende Zusicherung zu geben.

Natürlich! Sie vermag nichts gegen mich zu unternehmen.

Mich treibt mein Ich, mich veranlaßt die Erinnerung an die Tage, die ich glücklich mit ihr verlebte, aber mich veranlaßt auch ein bestimmter Umstand, derselbe, welcher mit ihrer an dich zu richtenden Bitte zusammenhängt: alles zu thun, was eine freundliche Lösung unserer Beziehungen herbeizuführen vermag!«

»Wohlan, sprich, Lavard. Ich werde hören!«

»Nun denn, Lucile! Leonie Monier ist dieser Tage Mutter eines Kindes geworden. Sie verlangt von uns – und deshalb will sie dich sprechen – die Auferziehung ihres Kindes und die Sorge für dieses bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Dann soll's wieder ihr Eigentum sein, oder wir sollen ihr's für eine namhafte Summe abkaufen –«

»Ah – ah – welch ein berechnender Handel, und gar mit dem eigenen Kinde! Hinter diesen engelhaften Zügen sucht man etwas anderes! Und alles hätte ich eher erwartet, als dies. Du erhebst einen Anspruch an mich, zu dem eine starke Selbstverleugnung gehört, Lavard. Und was wird sonst noch folgen?« rief ich, meine Erregung nicht verbergend.

Lavard bewegte die Schultern.

»Die Dinge liegen nicht so ungünstig! Sie ist nicht schlecht. Aber lassen wir das jetzt, und überlasse auch die Erledigung der materiellen Dinge mir, Lucile. Gewähre nur zunächst, warum sie dich bittet –«

Ich zögerte. Dann sagte ich:

»Eines habe ich gewährt, ich versprach die Erfüllung eines Wunsches. Du stellst aber jetzt noch andere, sehr weittragende Forderungen an mich.

Du willst gewiß, daß ich dieses Kind, als unseres annehme – es nach außen so hinstelle –«

»Ja, Lucile! Wir gehen für die Zeit eines Jahres oder länger auf Reisen. Wenn wir zurückkehren, erklären wir, daß wir unterwegs dies Kind gefunden und in unsere Obhut genommen haben, daß Mitleid unsere Triebfeder war – für alles übrige wollen wir die Zeit sorgen lassen.«

»Warum stellst du eine so schwere Forderung an meine Liebe, Lavard? Lasse das Kind von anderen aufziehen. Durch sie wird – durch deinen Reichtum unterstützt – dasselbe erreicht. Der Mutter kann's doch nur um das Wohl ihres Kindes zu thun sein. Da sie mittellos und einen leichtsinnigen Charakter besitzt, will sie das Kind vor doppelten Fährnissen behüten. Das verstehe ich! Aber weshalb ein so ungeheures Opfer von mir? Oder ist's dein eigenes Kind?«

»Ja und nein, Lucile! Eben das ist's! Sie, Leonie, behauptet es, obschon sie auch Beziehungen zu einem anderen, einem Jongleur hatte. Nun weißt du alles, nun verstehst du alles. Sei deshalb so hochherzig, wie ich dich schätze. Ist's mein eigenes Fleisch und Blut, dann habe ich unabwendbare Pflichten!«

Diese Worte entschieden, ich empfing nicht nur die junge Frau, sondern ich war auch später einige Zeit in ihrer Nähe. Wir trafen sie in dem französischen Seebade Trouville, wohin sie Lavard zur Kräftigung ihrer Gesundheit gesandt hatte.

Während dieser Zeit lernte ich sie nicht lieben, aber doch ihre guten Eigenschaften schätzen; auch gab ich ihr das Versprechen, das sie verlangte.

Wenig später – das Aufgebot hatte bereits bald nach unserer Verlobung Stattgefunden – wurden wir in der Madeleine getraut, unternahmen darauf eine fast fünfviertel Jahre andauernde Reise, und begaben uns alsdann, mit dem kleinen, inzwischen anderweitig in Kost gegebenen, und nun in unsere Hände gelangten Kinde nach Rankholm.

Wir verfuhren auch unseren Bekannten gegenüber, wie wir es besprochen hatten. Im ganzen wurde wenig nach dem Kinde gefragt. Nach wenigen Monaten war überhaupt nicht mehr von dessen Ursprung die Rede und allmählich sah man es als unser eigenes, als Erstgeborenes an.

So war also gelungen, was meines Mannes Wunsch gewesen, und ich muß gestehen, daß er mir in den zwölf Jahren, während welcher Zeit wir von der Mutter niemals wieder hörten, täglich seine Erkenntlichkeit in rührendster Weise an den Tag legte.

Dann aber erschien plötzlich, fast ohne vorherige Anmeldung, Mademoiselle Monier, um ihr Kind zurückzufordern, und nun begannen die Kämpfe zwischen uns dreien.

Es ist mir wie heute! Ich war im Begriff über den Schloßhof zu schreiten, als ein Wagen vorfuhr, auch ertönte gleich darauf schon das Läuten der Glocke am Portierhause. Ich aber nahm rasch den Weg in das Schloß, betrat meine Gemächer, wartete hier und überließ es meinem Mann, Frau von Etienne, wie sie sich nach unserer Abrede nennen sollte, zu empfangen.

Auch noch anderes war zwischen mir und Lavard abgemacht. Sie sollte womöglich noch an demselben Tage Rankholm wieder verlassen und sich nach Oerebye begeben. Dort wollte Lavard mit ihr verhandeln. Ihr vorzuenthalten, ihre Tochter schon vorher zu sehen, konnten wir nicht über uns gewinnen, aber es sollte lediglich aus der Entfernung geschehen. Eine eigentliche Annäherung sollte nicht stattfinden. Wir wollten sie bewegen, daß sie uns Imgjor gegen ein ferneres Jahresgehalt und gegen eine einmalige Abfindungssumme für immer überlasse. Lucile hatten wir schon in der Frühe zu Freunden nach Taxholm gesandt. Sie sollte von diesem Besuch überhaupt keine Kunde erhalten. Imgjor bewohnte damals mit ihrer Erzieherin dieselben Räume, die sie jetzt inne hat, und nur hatten angeordnet, daß sie beide bei Tisch nicht erscheinen sollten.

Dies war nicht auffallend, da solches häufiger geschah. Ich hielt Imgjor überhaupt streng, weil ich immer ihrer Mutter Charakter im Auge hatte, weil ich immer darauf bedacht sein mußte, des Kindes sehr stark ausgeprägten Drang nach Selbständigkeit zu dämpfen.

Diese meine große Strenge hat Lucile, weil sie eine ungerechte Ungleichheit der Behandlung darin erkannte, Ihnen gegenüber getadelt, Graf Dehn. Sie that es eben, weil sie meine Beweggründe nicht kannte. –

Doch nun zurück zu dem plötzlich erschienenen Besuch.

Ueber eine Stunde verhandelte mein Mann mit Madame Etienne, ehe er sie mir in meine Gemächer brachte.

Als Frederik ihr Kommen meldete, klopfte mir das Herz. Ohnehin erregt, beschäftigte mich dieses lange Beisammensein meines Mannes mit seiner ehemaligen Freundin, nicht wenig. Mir ahnte auch, daß sie Schwierigkeiten erhob, unsere Wünsche zu erfüllen. Sicher weigerte sie sich, uns ihre Tochter zu lassen, machte die Gewährung von unerfüllbaren Forderungen abhängig. Wie berechnend sie war, hatte sie hinreichend früher bewiesen.

Ich hatte aber Imgjor wegen ihrer trefflichen Eigenschaften so lieb gewonnen, daß ich sie wie mein eigenes Kind liebte. Auch leitete mich bei dem Verlangen, sie bei uns zu behalten, die Ueberlegung, daß ihre Entfernung den Anlaß zu unliebsamen Redereien geben werde. Wir hassen es beide, uns in den Mund der Menge zu bringen.

Endlich wollten wir auch mit dieser Angelegenheit einmal ein Ende haben. Ich wünschte insbesondere, daß Lavard dem Einfluß dieser Person, die, wie ich stets erfuhr, in all den Jahren noch mit ihm korrespondiert hatte, für immer entzogen werde.

Mein Erstaunen maß sich sodann mit meiner Abneigung, als sie mir gegenübertrat.

Sie war zwar noch immer blendend schön, aber sie besaß nichts von dem Wesen einer anständigen Frau, einer wirklichen Dame. Sie war das vollendete Bild einer Halbwelt-Circe. Ihr Kostüm war übertrieben modern, stark parfümiert, und lächerlich kostbar. Ihre Arme waren mit Schmuck behangen, und hinter ihrem sanft schmachtenden Lächeln verbarg sich etwas, das den Weltkundigen nicht täuschte.

Und wirklich besaß sie keine echte Empfindung, ihr Gemüt war verdorrt, sie war nichts anderes, als eine kalt berechnende Kokette.

Es wäre somit ein Vergehen gewesen, ihr Imgjor auszuliefern.

Aber sie von diesem Gedanken abzubringen, war noch die geringste Schwierigkeit. Der große Reichtum meines Mannes konnte noch größere Ansprüche befriedigen, als sie sie erhob und auf deren Erzielung es ihr überhaupt nur ankam. Aber sie hatte schon gleich am ersten Tage Lavard wieder in solche Fesseln zu schlagen gewußt, daß er völlig Wachs in ihrer Hand geworden war.

Er bestritt in heftigen Worten die Berechtigung meiner abfälligen Kritik. Er fand es, da sie es nicht wollte, völlig überflüssig, daß sie nach Oerebye übersiedelte Er verlangte von mir, daß ich sie wochenlang auf Rankholm behalten solle. Sie habe Anrechte auf unsere Gastfreundschaft und unsere Rücksicht; man müsse der Mutter für eine zeitlang ihr Kind gönnen.

Entsetzliche Tage verlebte ich. Lucile, der ich in der Erregung nicht mehr gedacht hatte, kehrte wieder zurück. Imgjor näherte sich der schönen und sie umschmeichelnden Madame Etienne, der Gattin des Baron von Etienne in Brüssel, als welche sie sich auch Imgjor im Einverständnis mit meinem Manne vorgestellt hatte.

Zuletzt war mein Entschluß gefaßt.

In einer Scene, der Lucile zufällig beiwohnte, erklärte ich Lavard, mich von ihm trennen und zu meiner Familie zurückkehren zu wollen, wenn die Fremde nicht innerhalb achtundvierzig Stunden das Haus verlasse.

Lucile führte, weil ihr Vater ihr beipflichtete, mein Verhalten auf Eifersucht zurück. Sie nahm für ihren Papa Partei, schalt mich des Mangels an Liebe und des Mangels an Duldsamkeit, und ich litt zehnfach, da ich meinem Kinde nicht eröffnen konnte, wie die Dinge standen.

Endlich siegte ich. Ich siegte dadurch, daß ich eine Nacht mit dem fremden Weibe rang. Sie wohnte damals in den Gemächern, die jetzt meine Tochter Lucile inne hat. Mir ist's in der Erinnerung wie heute. Der Tag war grau, kalt und nebelig, so unfreundlich, daß man sich nicht einmal zu einem Spaziergang in den Park hinauswagen mochte.

Wir waren deshalb mehr denn sonst und bereits vor dem Frühstück auf einander angewiesen, und dieses engere Beisammensein benutzte Madame Etienne, um allerlei bisher von mir verhinderte Vertraulichkeiten zwischen sich und den Kindern herbeizuführen.

Sie gab sich besonders mit ihnen ab, holte verschiedene wertvolle Gegenstände aus ihren Koffern heraus, die sie ihnen, trotz deren bescheidenen Abwehr, aufdrängte und forderte sie zuletzt gar auf, sie du und Tante zu nennen.

Die Mädchen nahmen dieses als eine Bevorzugung hingestellte Anerbieten natürlich an. Und dies du machte beide natürlich freier gegen den Gast, namentlich die jüngere Lucile. Infolgedessen ließ diese auch eine Aeußerung fallen, die sie sonst sicher nicht gemacht haben würde. Sie wies, und schon lange hatte ich dies kommen sehen und mich davor gefürchtet, auf die große Aehnlichkeit zwischen Madame und Imgjor hin.

»Ihr seht wie Schwestern aus!« betonte sie lebhaft und richtete auch ihre zu meiner Zustimmung auffordernden Blicke auf uns.

In Madame Etiennes Gesicht leuchtete es auf. Ich sah's. Alles, was sie irgendwie mit uns in eine nähere Beziehung zu bringen vermochte, danach griff sie begierig!

Sie wollte nicht nur die größten materiellen Vorteile daraus ziehen, daß sich ihre Tochter bei uns befand, sondern sie strebte, – ihrer abenteuerlichen Eitelkeit entsprechend – auch danach, neben uns eine gleichberechtigte Rolle zu spielen.

Auf ihre Tochter war sie bald maßlos eitel und überlegte dann, ob sie sie doch nicht mit sich nehmen solle, oder sie zeigte eine nicht verhüllte, heftige Eifersucht. Dann ergriff sie, – man sah's – ein durch die Einsicht in ihre eigene Unwürdigkeit noch mehr geförderter Ingrimm gegen ihr eigenes Kind. Dessen reiner Sinn, dessen fester Charakter, dessen ungewöhnliche Wahrheitsliebe, dessen Abscheu gegen nichtssagende Redensarten, aber auch dessen zutage tretendes Mißtrauen gegen ihre aufdringlichen Liebenswürdigkeiten, schufen einen Aerger in ihr, den sie nicht bezähmen konnte.

Und eben dieses Gemisch von Gefühlen und Stimmungen, aber vielleicht auch die Erwägung, daß es ihren Zwecken förderlich sei, uns in steter Unruhe zu halten, verleiteten Madame Etienne an diesem Tage, Luciles Aeußerungen aufzunehmen, statt mit einem flüchtigen Wort darüber fortzugehen.

Sie sagte überlegen lächelnd:

»So, findest du das? Nun, wer weiß, ob die Etiennes und die Lavards nicht, ohne es zu wissen, verwandt sind, – ob sich solches nicht, wenn wir einmal gründlich nachforschen, – herausstellen würde –«

Mein Mann warf ihr einen erschrockenen, und weil er in ihren Banden lag, flehenden Blick zu. Auch nahm er rasch das Wort und wußte ein anderes Thema zu berühren.

Nach Tisch, während wir des Kaffees im Salon warteten, machte sich Madame Etienne an Imgjor heran, prüfte eine Handarbeit, mit der sie beschäftigt war, lobte die Sorgfalt der Ausführung und fragte sie, ob sie nicht Lust habe, sie einmal in Paris, wo sie fürder wohnen werde, zu besuchen. Sie habe dort ein sehr schönes Haus, und sicher würde sich Imgjor vortrefflich in der Stadt des Vergnügens amüsieren.

Es folgte dann noch eine Beschreibung der Räume und der kostbaren Einrichtung, und überhaupt war sie bemüht, Imgjor einen möglichst großartigen Eindruck von ihren Einkünften und ihrer gesellschaftlichen Stellung beizubringen.

Sie bewies, indem sie diese Mittel anwendete, Imgjors Zuneigung zu gewinnen, allerdings eine sehr geringe Fähigkeit, Charaktere zu beurteilen. Es war mir unbegreiflich, daß sie nicht erkannt hatte, daß dergleichen für dieses ernste, reife und in seinem innersten Wesen einfach geartete Wesen gar kein Lockmittel sein werde.

Reichtum und Wohlleben umgaben Imgjor, aber reizten sie durchaus nicht. Ihre Pflicht stellte sie stets über das Vergnügen, und auch die Freuden des Daseins suchte sie lediglich im Verkehr mit der Natur, mit guten, treuherzigen Menschen, in der Pflege geistiger Dinge und im Verkehr mit Tieren, mit Vögeln, Pferden und Hunden, die sie zärtlich liebte und pflegte.

Tanzen, Kokettieren, den Großen nachzumachen, früh schon die Dame zu spielen, sich sinnliche Aufregungen zu verschaffen und den nichtigen Vergnügungen nachzujagen, hatte für Imgjor keinen Reiz.

Und demgemäß antwortete sie auch.

»Nein, nein, gnädige Frau. Ich bleibe lieber hier in der Heimat!« entgegnete sie nach ihrer Art, kurz und ohne für die durch diese Einladung zum Ausdruck gelangte Artigkeit einen besonderen Dank an den Tag zu legen. Auch ließ sie absichtlich das »du« und die »Tante« dabei außer acht. –

»Meinst du denn nicht, daß es für dich vorteilhaft wäre, neues zu sehen, zu lernen, dich zu vervollkommnen, zu erkennen, daß es noch eine andere größere Welt giebt, als das Pünktchen Rankholm! Hältst du dich bereits für vollendet?« warf die Frau, hämisch im Ton, hin.

Sie vermochte ihren Aerger über diese Unbiegsamkeit, über diese offenkundig hervortretende Gleichgiltigkeit gegen ihre Person nicht zu bezähmen.

Schier bersten aber wollte sie, als Imgjor, sich äußerlich sanft fügend, und nur die Schultern bewegend, einer Antwort auswich.

Sie warf schroff gereizt hin:

»Nun, Kind! Antworte! Hältst du dich für so vollkommen?«

»Nein, gewiß nicht, gnädige Frau. Aber ich möchte Reisen nur in Begleitung meiner Eltern unternehmen. Wenn sie nicht dabei sind, wenn ich mit ihnen nicht zusammen genießen darf, haben sie keinen Reiz für mich!«

Diese Erwiderung klang aus dem Munde einer Dreizehnjährigen recht altklug. Sie war nicht artig, aber Inhalt und Form waren zur Belehrung über die Stellung, welche Imgjor ihrer Mutter gegenüber einnahm und einzunehmen entschlossen war, weise gewählt. Diese ihre Antwort traf auch Madame dergestalt, daß sie alle Klugheit außer acht lassend, mit boshaft funkelnden Augen herausstieß: »Na ja! Dann mache, wenn du alles besser weißt, wie du's willst!« Worauf sie dann Imgjor sitzen ließ, sich mit einer gemacht gleichgiltigen Miene zu mir, und als dann grade mein Mann in den Salon trat, mit schmeichelnder Liebenswürdigkeit an ihn wandte und zu einer Partie Schach aufforderte.

Und was ich, obschon ich mir nichts merken ließ, dann sah, das gab mir, neben der Ueberlegung, daß es keine bessere Gelegenheit geben konnte, die Stimmung der Mutter gegen ihr Kind zu unserm Vorteil auszunutzen, den Entschluß, noch an diesem Tage mit den Dingen unter allen Umständen aufzuräumen.

Mit meinem Manne war sie wie eine Braut. Sie sah ihn fortwährend zärtlich an, umschmeichelte ihn, und suchte ihn überhaupt immer mehr in ihre Netze zu ziehen. Auf mich, auf die Kinder, die ich dann auch möglichst bald fortsandte, auf Graf Knut, der zum Plaudern gekommen, nahm sie gar keine Rücksicht.

Sie folgte einerseits rücksichtslos ihren eitlen Plänen, nämlich den Mann, der einst ihr erlegen, abermals dauernd in Fesseln zu schlagen, und andererseits ihrem rachsüchtigen Bestreben, mir möglichst unangenehme Empfindungen zu bereiten.

Da ich die Antwort, die Imgjor ihr gegeben, nicht gerügt hatte, wußte sie mich einverstanden. Das genügte, um den schon in ihr lodernden, heftigen Ingrimm gegen mich noch mehr anzufachen.

Nachdem endlich, nach Verlauf peinlicher Abendstunden, die Uhr elf geworden, Graf Knut sich empfohlen, und auch jene sich zum Aufbruch zu rüsten anschickten, erklärte ich, noch ausbleiben und Briefe schreiben zu wollen.

Mein Mann erhob auch keinen Widerspruch, befahl der herbeigerufenen Kammerjungfer, Madame Etienne in ihre Gemächer zu geleiten, und begab sich, – mir in der gereizten Stimmung, die ihn während dieser Zeit stetig beherrschte, nur eine kühle, gute Nacht wünschend, – ebenfalls in seine Räume.

Ich aber that nicht, wie ich vorgegeben hatte, sondern warf mich aufs Horchen, und sobald ich hörte, daß die Jungfer sich wieder aus Madames Gemächern entfernt, ich auch abgewartet, daß Frederik die Lichter im Flur und auf den Korridoren gelöscht hatte, entzündete ich eine Wachskerze, schritt an die Thür meiner Widersacherin und klopfte.

Ein lebhaftes: »Wer ist da?« erfolgte.

»Ich, Lucile, bin's! Bitte, öffnen Sie!« gab ich zurück.

»Ah! Sie, liebe Gräfin! Ich komme gleich –«

Und so geschah's. Ich fand sie halb angekleidet, forderte sie auf, mir Gehör zu schenken, und setzte mich alsbald ihr gegenüber. –

Alles, was ich auf dem Herzen hatte, sagte ich, nicht gehässig, aber entschieden, klar und knapp. Ich betonte, was wir gewollt, was geworden, wie sie sich dazu verhalten habe, was sie ohne Zweifel beabsichtigte, wie sie meinen Gatten wieder umgarnen wolle und welche beleidigende Rolle gegen mich, und welche aussichtslose gegen ihre Tochter sie spiele. –

Ich deckte ihr rücksichtslos ihr Inneres auf, baute ihr aber wiederum auch Brücken, indem ich sie durch ihre verlorene Jugend zu entschuldigen strebte.

Aber ich nahm auch von der Thatsache, daß sie ihres Kindes Herz schon im Voraus verloren habe und es bei ihrer Veranlagung, ihren Lebensgewohnheiten und Anschauungen nie gewinnen werde, nichts zurück. Sodann bot ich ihr, vorher noch betonend, daß ich eher sie oder mich töten, als daß ich es – schon um der Kinder willen leiden werde – , daß mein Mann zu ihr zurückkehre, eine erhebliche Geldsumme für ihren Verzicht auf Imgjor und ihre Nimmerwiederkehr an.

Noch zögerte sie, sie erging sich in einen Schwall von Worten, in denen sie sich als eine Heilige, und mich als eine ebenso klein Veranlagte, wie thöricht eifersüchtig Geartete hinzustellen suchte. Zuletzt aber, als ich ihr einen großen Teil des von mir in die Ehe gebrachten Vermögens anbot, unterlag sie ihrer Habgier. Die ungeheure Summe löschte alle wirklichen und komödienhaften Regungen in ihrer Seele wie mit einem Regenguß aus. Sie nahm auch die von mir als erforderlich hingestellten Nebenbedingungen ohne Einwand an. Ich erklärte, ihr die Hälfte gleich anweisen, den Rest aber, von dem ihr die Nutznießung der Zinsen werden solle, erst nach einer Prüfung von zehn Jahren auszahlen zu wollen. Wenn sie sich während dieser Zeit ein einzigesmal meinem Mann oder ihrer Tochter ohne meine Zustimmung wieder nähere, gehe sie desselben verlustig.

Schon am nächsten Tage verließen wir zusammen Rankholm, und begaben uns nach der holsteinischen Stadt Rendsburg. Hier ließ ich nach genauer Information einen Rechtsanwalt einen Vertrag in französischer Sprache entwerfen, der alle Punkte feststellte, welche zwischen uns vereinbart waren.

Nachdem dieser in zwei Exemplaren ausgefertigt war, unterschrieben wir ihn beide, reichten uns wie zwei kühle Geschäftsleute die Hand und fuhren am folgenden Morgen, – jeder den Abend allein im Hotel zubringend, – unseren verschiedenen Zielen zu.

Sie reiste, selig befriedigt, ohne den geringsten Schmerz um ihr Kind, nach Paris zurück, und ich trat am Spätnachmittag meinem Manne in Rankholm wieder gegenüber.

Ich fand zu meiner glücklichen Befriedigung keinen Zürnenden, sondern einen durchaus sanft Gestimmten. Er schloß mich unter der Versicherung seiner alten Empfindungen und seines schrankenlosen Dankes für mein energisches Verfahren zärtlich in die Arme, erklärte, daß er schon am Morgen nach Madames Abreise wieder zur Besinnung zurückgekehrt und jetzt förmlich wie erlöst sei.

Der Zauber war gewichen. Geradezu dämonisch hatte sie ihn umstrickt. Als ein schwer Kranker war er in diesen Wochen umhergegangen, und als ein Neugeborener atmete er auf, als dieses ekle Parfüm, als dieses Girren und Werben, als diese auf seine Sinne berechnenden Künste auf ihn nicht mehr wirkten.

So, lieber Graf, das ist in großen Zügen der Bericht, aus dem Sie ersehen werden, daß Menschen allezeit Menschen bleiben, irren, sich gegen ihre Freunde und die Verhältnisse auflehnen, sich aber wieder besinnen und je nach dem Wert ihres Ich einen zufriedenen Zustand zurückzugewinnen vermögen. Auch ich habe mir mein Glück suchen müssen, und ich habe es gefunden, weil ich das Gute erstrebte für ihn, Lavard, für das Kind, das ich wahrhaft liebte, und für mich selbst!

Mein Schlußwort soll sein:

Möchte es Ihnen nun gelingen, dieses treffliche, wenn auch zeitweise irregeleitete Mädchen heimzuführen, ihr das Glück zu verschaffen, was wir ihr alle sehnsüchtig wünschen!«

Graf Dehn hatte mit außerordentlicher Spannung und mit steigender Bewunderung den Ausführungen der Gräfin zugehört. Als sie die letzten Worte gesprochen, beugte er sich auf ihre Hand herab und drückte einen Kuß darauf.

»Ihnen, Frau Gräfin, nahe bleiben zu dürfen, ist fast so viel, wie der Wert, einer Imgjor Gatte zu werden –« stieß er warmherzig heraus.

Er suchte bei diesen Worten ihr Auge und sie gab ihm den Blick mit dem alten vertieften Ausdruck, der ihr eigen war, zurück.

Und nun wußte er auch ihr Wesen zu deuten, das ihm so oft rätselhaft erschienen war. Die Erfahrungen des Lebens hatten ihr Vorsicht auferlegt. So empfing ihr Blick etwas Spürendes, ein Bestreben, das Innere ihrer Nebenmenschen erst zu durchdringen, bevor sie ihnen ihre Zuneigung und ihr Vertrauen schenkte.



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