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Im Rankholmer Schloß lagen, wie früher erwähnt, die dem täglichen Gebrauch dienenden Gesellschaftsgemächer nach der Parkseite hinaus. Im Flügel zur Linken, wo im Zwischenturm Imgjor wohnte, dehnten sich die Festräume, und im Flügel rechts, ebenfalls mit dem Ausblick nach Kneedeholm, befanden sich die Privatzimmer des Grafen.

Als Lucile in der Absicht, Imgjor die Briefe von Prestös Braut einzuhändigen, vor dem Abendessen aus ihrem Zimmer trat, gab ihr der ihr begegnende Frederik auf ihre Frage, ob sich die Komtesse auf ihrem Zimmer befinde, die Antwort, daß sie nach Tisch das Schloß verlassen habe und noch nicht zurückgekehrt sei. Aber während Lucile nach Frederiks Entfernung noch unschlüssig dastand, tauchte gerade Imgjor, welche die Haupttreppe von der Schloßhofseite her emporgestiegen war, auf dem Flur auf. Sie begrüßte Lucile durch eine kurze Verneigung des Kopfes, wandte sich dann aber sogleich, ohne Anrede, dem Korridor zu.

»Ich möchte dich gern sprechen, Imgjor!« hub Lucile, sich Imgjor nähernd, an.

»Wenn's dir genehm ist, treten wir in mein Zimmer – Ich bitte – !«

»Was ist denn?« fiel ihr Imgjor in einem müden Ton in die Rede. »Willst du mich auch belehren, Lucile? Es ist besser, du stehst davon ab! Ich kann dir und euch allen jetzt keine Antwort erteilen. Jedes Sprechen ist nutzlos. Heute werde ich Prestö sehen, und von dem Ausfall seiner Erklärungen ist die abhängig, welche ich euch geben werde.« – Und dann in einem veränderten Ton: »Ach – glaube mir, Lucile – ich leide! Ich nehme die Dinge nicht leicht, ich bestehe einen schweren Kampf. Aber ich kann doch nicht anders!«

Und dann brach sie in ein stilles Weinen aus – auch lehnte sie sich plötzlich – des Ortes nicht achtend – an Luciles Brust.

»Komm, Imgjor, meine Imgjor! Nicht hier! Tritt zu mir herein! Wir wollen dort weitem reden. Ah – ah – wie du fassungslos bist! Arme, liebe Seele!«

Unter solchem Zuspruch zog Lucile Imgjor ins Wohngemach, hieß sie dort sich ans Fenster setzen, rückte gleichfalls einen Stuhl herbei, ergriff der noch immer heftig Schluchzenden Hände, hielt sie fest und sah ihr liebevoll in die Augen.

»Ich bitte dich –« redete sie auf sie ein – »sprich dich einmal ordentlich aus! Sieh mich an als deinen besten Freund! Wahrlich, Imgjor, ich denke nichts anderes als dein Glück. Aber sei gerecht! Thust du nicht selbst alles, um es zu verscherzen?«

»Ich muß so handeln, wie meine Natur es verlangt, Lucile! Ja, wenn's etwas Schlechtes wäre! Ich will aber doch nur Gutes. Und daß ich den Doktor liebe, kann ich dafür? Man folgt seinem Trieb und Herzen, und soviel man auch Vernunft zu Hilfe nimmt, man vermag ihrer Gewalt nicht zu widerstehen. Was ich will, sagte ich dir: Ich will Prestö nochmals auffordern, mir die Beweise zu geben, daß er frei ist. Ich will ihn fragen, ob er auch dann zu mir halten will, wenn mich Papa verläßt. – In allen Fällen reise ich, wenn er es erlaubt, mit euch nach Kopenhagen. Wer weiß, ob sich mein Schicksal nicht bereits heute entscheidet. Ich bin – plötzlich – selbst – irre – geworden. – Vielleicht liebt er mich gar nicht – wollte er nur mein Geld – wie all' die anderen –«

Abermals brach die Stimme, abermals kürzten Thränen aus den Augen des schönen Mädchens.

Die Rinde, die sich um ihr Herz gelegt hatte, war geborsten.

Nun, in diesem Augenblick glich sie einem bedrückten Kinde, das ganz Gefühl ist, das nach Trost und Hilfe sehnsüchtig verlangend die Hände ausstreckt. Die Starrheit, der Trotz, der unbeugsame Wille waren gebrochen.

Und da schien denn Lucile der Augenblick gekommen, um mit ihren Plänen hervorzutreten.

Indem sie Imgjor zärtlich in die Arme nahm, sagte sie:

»Höre, Imgjor, was ich dir sagen wollte, und lasse mich dir wiederholen, wie wir alle übereinstimmend denken: Papa wird dir keinerlei Hindernis in den Weg legen, auch in Ankunft dein edles Menschentum zu bethätigen. Er will nur nicht, daß du dich in den Dienst jener Beglückungsideen stellst, die er und die alle Ruhigdenkenden als verderbliche betrachten. Von Prestö haben wir sämtlich, auf unsere Eindrücke gestützt – ich wiederhole dir's – die ungünstigste Meinung. Die Unterredung zwischen ihm und Graf Knut ist resultatlos verlaufen. Papa will sich auf nichts einlassen. Dich nun also zu überzeugen, daß Prestö deiner nicht wert, halten wir für unsere Pflicht und Aufgabe. Unsere Liebe diktiert unsere Schritte. Ich bin zufällig in den Besitz von Zuschriften gelangt, die Prestös Braut an ihren Verlobten gerichtet hat. Sie sind durch den Briefträger zwischen unsere Postsachen geraten. Das junge Mädchen heißt doch Ingeborg Jensen, nicht wahr?«

»Ja – ja – gewiß! Allerdings! Und du hast diese Briefe? Und du hast sie gelesen?«

»Nein, Imgjor, ich habe sie nicht geöffnet. Ich fand sie, wie gesagt, und nahm sie an mich und behielt sie, da ich den Namen Ingeborg Jensen aus Kopenhagen als Absenderin darauf vermerkt fand. Auch das trifft zu, nicht wahr? Sie ist doch in Kopenhagen?«

Imgjor rückte den Oberkörper und nickte. Ihre Hände aber griffen, indem sie die Frage Luciles stumm bestätigte, nach den Schriftstücken. –

»Sieh', Imgjor, wenn du sie öffnet, so wirst du erfahren, wie die Dinge liegen; du wirst wissen, ob Prestö dich täuschte – oder ob er wenigstens in diesem Punkte ehrlich war. Ich rate: Lies sie und darnach entscheide! Mir ahnt es – diese Probe wird dich heilen!«

Zunächst gab Imgjor keine Antwort. Nur Laute der Erregung drangen aus ihrem Munde.

»Also doch – doch – in Kopenhagen, und mir sagte er –« stieß sie gegen ihren Willen heraus. Dann prüfte sie, ihre Thränen trocknend, das Kouvert und den Absendervermerk und sagte nach kurzem Nachdenken fest: »Nein, Lucile, niemals werde ich fremde Briefe öffnen! Wenn ich mich solcher Mittel bediene, bin ich der Freundschaft eines Ehrenmannes nicht wert. Ich halte Prestö auch jetzt noch für einen solchen, wenn er auch vielleicht um seiner Liebe, um der höheren Zwecke willen, mir mehr beschwichtigende, als wahre Erklärungen gegeben hat. Vielleicht wußte er's selbst nicht besser; vielleicht glaubte er, daß seine Braut nicht mehr in Kopenhagen sei.

Aber ich will etwas anderes thun: Ich will ihn auffordern, die Briefe in meiner Gegenwart zu öffnen und mir vorzulesen.

Ist er der, für den ich ihn halte, entspricht ihr Inhalt dem, was ich voraussetze, so wird er keinen Augenblick zögern, meiner Aufforderung zu entsprechen. – Sträubt er sich aber – nun so –« Sie unterbrach sich, richtete den Blick geradeaus und schluchzte:

»O, lieber Gott, erlöse mich doch von diesen fürchterlichen Zweifeln! Zeige mir den rechten Weg!«

Und wieder innehaltend und Lucile mit einem traurigen Blick anschauend, sagte sie:

»Nicht wahr, Lucile, du liebst den Grafen Dehn? Ich bitte dich, schenke mir dein Vertrauen, sei auch du so aufrichtig, wie ich es in dieser Stunde gegen dich gewesen bin!«

»Weshalb befragst du mich darum, Imgjor?«

»Weil ich diesen Mann niemals heiraten werde, ihn aber doch für so wertvoll halte, daß ich ihn dir von ganzem Herzen gönne. Nähere dich ihm, suche sein Herz! Ich will dir dadurch helfen, daß ich entweder Prestös Gattin werde oder mich euch für immer entziehe. Mir bleibt dann ein anderer, herrlicherer Bräutigam. Mein Bräutigam soll –« hier flammte des Mädchens Auge begeistert auf – »auch ferner die leidende Menschheit sein! Kann ich nicht im Großen wirken, so will ich ein Freund, ein Retter, ein Helfer der verschämten Armen, der vielen Elenden und Kranken werden. Ich will zu denen mich begeben, von denen ich ausging. War mein Vater ein Mann aus dem Volke, sank er, – einer von den Tausenden, welche Elend und verkehrte Erziehung auf Abwege führten – , so will ich versuchen, meine gleich bedrängten Mitmenschen vor Gleichem zu bewahren, will als Kind meiner Eltern in solcher Weise ihre Fehler nach Kräften sühnen. Ich weiß, der gerechte und barmherzige Schöpfer wird mir zulächeln, wird meine That mit Erfolg krönen! Und ich bitte dich, Lucile, gieb mir Antwort auf meine Frage: Liebst du Axel Dehn – ?«

Einen Augenblick zögerte Lucile noch. Sie schob den Kopf zurück und drängte die Lippen zusammen. Dann sagte sie:

»Nun wohlan, Imgjor: Ja, ich liebte ihn! Aber er hat mich nicht gewollt, mich gar zurückgewiesen. Und das vergißt eine Lavard nie! Verschmähst du ihn – ich habe seit dem heutigen Tage für immer auf ihn verzichtet –«

Imgjor sah Lucile an und forschte in deren verschlossenen Zügen.

Blässe war auf ihre eigenen Wangen getreten. Es blieb unentschieden, was sie dachte, wie die Worte Luciles auf sie gewirkt hatten. Bevor sie sich aber trennten, umarmte sie ihre Schwester in heftiger Bewegung, neigte sich zu ihr und küßte sie wie ein Mensch, den das Uebermaß des Gefühls verhindert, zu reden.



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