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Es war am folgenden Vormittag um die elfte Stunde, als Imgjor die Räume des großen Kopenhagener Krankenhauses und zunächst das Gemach des dirigierenden Arztes betrat, um mit ihm Rücksprache wegen einer Kranken zu nehmen.
Nachdem das geschehen, sagte Doktor Stede, ein Mann mit ernsten Zügen und einem milden Ausdruck in den von einer goldenen Brille beschatteten Augen:
»Sie wollen uns, wie ich höre, Ihre wertvolle Hilfe im Krankenhause entziehen, Komtesse? Haben die letzten Vorfälle Anlaß dazu gegeben?«
»Nein! Wie kommen Sie zu dieser Vermutung Herr Doktor?«
»Eine unserer Schwestern, Elise, hatte davon gehört und sprach mir davon –«
»Elise hat schon häufig Gerüchte über mich verbreitet, die erfunden waren, Herr Doktor. Ich muß ihr sehr im Wege stehen. Und doch trete ich ihr nirgends in den Weg – Wahrlich, dieses Treiben –«
Imgjor sprach's mit starker Auflehnung im Ton, fuhr aber, ihre Erregung ebenso rasch wieder abstreifend, gelassen fort:
»In der nächsten Zeit werde ich nicht so häufig kommen können, Herr Doktor. Meine Familie trifft heute ein und wird einige Zeit im Rankholmer Palais Wohnung nehmen. Ich vermag mich ihr nicht ganz zu entziehen. Ueberdies hat sich meine Schwerer verlobt, und es werden einige kleine Feste stattfinden, an denen meine Angehörigen wünschen, daß ich teilnehme –«
»Ich bedaure natürlich außerordentlich, daß wir Sie entbehren müssen, aber ich freue mich, daß Sie sich einmal Ruhe gönnen, Komtesse. Es wird Ihnen eine solche Ablösung sehr gut thun.«
Imgjors Lippen umspielte ein trauriges Lächeln.
»Nein, Herr Doktor, für mich wäre es weit besser, wenn ich dort keine Ablenkung fände. Vielleicht wäre es sogar das Richtigste, daß ich Kopenhagen ganz verließe –«
»Wie? Also Sie tragen sich doch mit solchen Gedanken? Die ganze Stadt würde es als einen unersetzlichen Verlust betrachten, wenn der Engel unter den Menschen, wenn die Komtesse Lavard Kopenhagen verließe.
Haben Sie den Artikel gelesen, der soeben über Sie in einer deutschen Zeitung erschienen ist? Die Berlinske Tidende hat ihn heut' morgen in einer Uebersetzung gebracht.«
»Ein Artikel über mich?« fragte Imgjor betroffen. »Was enthält er? Dem Sinne Ihrer Worte nach zu urteilen, nichts Ungünstiges, aber jedenfalls eine Unschicklichkeit. Wie wenig giebt meine Thätigkeit Anlaß, darüber etwas und noch dazu öffentlich zu sagen!«
»Sie sind allzu bescheiden, Komtesse – Die ungewöhnliche Erscheinung, daß sich ein Mitglied der höheren Stände in solcher Weise freiwillig seiner Bequemlichkeit entäußert, ist für die Welt Grund genug, sich damit zu beschäftigen. Darf ich Ihnen den Artikel besorgen?«
»Ich danke, nein, Herr Doktor! Es ist besser, daß ich dergleichen garnicht lese. Es macht mir nur noch mehr Gedanken. Ich habe deren schon so viele und solche, die mich nicht erheben –«
»Sie sind noch so jung, Komtesse, und Sie sind schon so ernst, so trübe in Ihrem Sinn?«
»Ich bin es, aber nur insofern, als ich die ungeheure Schwierigkeit erkenne, mein Vorhaben in Thaten umzusetzen. Ich möchte gern im Großen wirken und sehe, daß ich schon im Kleinen überall stolpere.«
»Und was wäre, wenn die Frage gestattet ist, Ihr Ideal? Welche Absichten verfolgen Sie?«
»Ich möchte helfen, die Menge von dem Druck der allgemeinen Not zu befreien und das Los der arbeitenden Klasse gründlich zu verbessern.«
»So bekennen Sie sich also auch zu den sogenannten »neuen« Ideen? Sie überraschen mich!«
»Kann ein gerechter, guter Mensch, kann ein wahrhaft christlicher Mensch anders denken, Herr Doktor?«
»Nein und ja, Komtesse. Die Ziele sind zu weit gesteckt.
Man soll nur Mögliches erstreben wollen, nur Dinge, die sich mit den Vorgängen in der Natur decken. Wir sind ihre Produkte, sie ist unsere Lehrerin, sie bietet uns alle Beispiele für unsere Handlungen.«
»Schon einmal hörte ich fast ganz dieselben Worte. Seltsam –« Imgjor ließ das Haupt sinken und starrte träumerisch vor sich hin. Aber da in diesem Augenblick geklopft ward, wurden die Sprechenden unterbrochen.
Der Doktor richtete noch einige verbindliche Worte an Imgjor, und sie selbst lenkte, nachdem sie ihm leicht und unbefangen die Hand gereicht, ihre Schritte in einen der Siechensäle.
In diesem befanden sich Kranke, deren spezielle Sorge Imgjor übernommen hatte. Augenblicklich waren es solche, die sich bereits in der Besserung befanden. Dann schlief Imgjor in ihrer Wohnung, erschien auch nur zwei oder dreimal am Tage.
Nur in schweren Fällen blieb sie ganz im Hospital und übernahm auch die Nachtwache. Ihr Verhältnis zum Krankenhaus war ein durchaus freiwilliges, während die übrigen Schwestern sich streng an die Hausvorschriften zu halten hatten.
Auf dem Korridor begegnete Imgjor der Schwester, die von ihr behauptet hatte, daß sie ihre Thätigkeit hier aufgeben wolle.
Imgjor neigte ernst das Haupt zum Gruße; jene erwiderte die Höflichkeit kalt und wollte ohne Wortaustausch vorüberschreiten.
Nun hielt Imgjor sie auf und redete sie an.
»Ich bitte, Fräulein, einen Augenblick. Ich höre soeben, daß Sie abermals eine Erfindung über mich ausgestreut haben. Ich muß wirklich sehr dringend bitten, daß Sie sich mit Ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigen. Ich schließe aus Ihrer Lästersucht eine Starke Mißgunst. Daß sie in Ihnen emporsteigt, vermögen Sie wohl nicht zu ändern, aber ich sollte meinen, Sie müßten sich äußerlich im Zaum zu halten wissen, und jedenfalls – ich wiederhole meine Worte – wünsche ich von Ihren eifersüchtigen Launen nicht ferner berührt zu werden.«
»Ich eifersüchtig auf Sie?! Nun, da wären Sie wirklich die letzte, Fräulein von Lavard! Und was liegt denn vor? Mir ist erzählt, daß Sie hier keine Schwesterdienste mehr versehen wollen! Ich wüßte nicht, daß darin etwas Ehrenrühriges liegt. Sie nehmen einen Ton an, als ob ich Ihnen wunder was angethan hätte und ich muß Sie meinerseits noch dringender ersuchen, daß Sie ihn ändern. Sie sind nicht meine Vorgesetzte –«
»Sie wissen sehr gut, daß ich mit meinen Vorwürfen recht habe. Ihre Heuchelei verschlimmert nur noch das Geschehene. Sie haben mich schon wiederholt verleumdet, man hat es mir unaufgefordert, voll Empörung mitgeteilt. Schwieg' ich trotzdem, so war's die Verachtung über solches Geschwätz. Jetzt will ich aber ein Ende haben! Man könnte wirklich glauben, es sei eine Spur von Wahrheit darin. Auch gestern habe ich ein Exempel statuiert, und ich werde damit fortfahren!«
Die Züge der Schwester Elise verzogen sich hämisch.
»Sie sprechen, als ob Sie ein Oberstaatsanwalt seien. Ich sage Ihnen nochmals, daß Sie sich mit Ihrem Eifer an eine falsche Adresse wenden.
Ich habe auch besseres zu thun, als mich mit Ihnen zu beschäftigen. Ich habe andere Gegenstände für meine Gedanken, als die Komödiantin Fräulein Lavard!«
»Ah! Wie niedrig! Und Sie wollen eine Dame sein. Sie gehören zum Adel des Landes und würdigen Ihre eigene Standesgenossin herab, indem Sie ihr solche Dinge sagen, indem Sie geflissentlich sogar ihren Namen entstellen? Ich bin weder Fräulein Lavard, noch Fräulein von Lavard, sondern für Sie und jedermann Komtesse Lavard!«
»Nun dann sind Sie auch nichts Besonderes, umsoweniger, als die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß Ihre Mutter nichts anderes war, als eine Dir –«
Aber die Schwester Elise kam nicht weiter. Blitzschnell erhob Imgjor, von Schmerz und Entrüstung übermannt, die Hand, sie zitterte für Sekunden in der Luft. Und dann standen die beiden Gegnerinnen einander gegenüber, als ob nur der Tod über das Schicksal des einen oder anderen entscheiden könne. In demselben Augenblicke aber erschien zufällig die Oberin, und die Schwester Elise stürzte so gleich auf diese zu und goß einen Schwall von Verleumdungen und lügnerischen Anschuldigungen über Imgjor und deren Benehmen aus.
Und wiederum gab Imgjor mit stolzer Ruhe Antwort und forderte nach Erörterung des Vorgefallenen die Entfernung der Schwerer Elise. Anderfalls werde sie gehen!
»Ich darf Sie ersuchen, ins Konferenzzimmer zu treten. Wir werden dort weiter und in Ruhe reden! Ich muß erst klarer in der Sache sehen, ehe ich meine Entscheidung treffe, Komtesse Lavard!« entgegnete die Oberin, die nichts lieber wünschte, als daß die ihr sehr unbequeme Imgjor, die keinerlei Mängel durchgehen ließ, vielmehr stets Unregelmäßigkeiten und Pflichtversäumnisse zur Anzeige brachte, das Krankenhaus verließ.
»Warum noch reden!« betonte Imgjor kalt. »Es unterliegt doch keinem Zweifel, wer ein Recht hat, sich zu beklagen!
Ich muß darauf bestehen, daß endlich die Sumpfquellen verstopft werden, aus denen die Verleumdungen gegen mich fließen. – Klagen über Fräulein Elise erheben sich von allen Seiten und auch in anderer Richtung. –
Anfangs der Woche hat sie der Witwe Romö, aus bloßer persönlicher Antipathie, die Hilfe verweigert. Es wäre wohl nicht so schlimm, hat sie gesagt! Die arme Person hat einen bedenklichen Rückfall davon bekommen! Sind solche Vorkommnisse in einem Krankenhaus erhört?«
»Nun ja, nun ja – es soll alles untersucht werden. Im übrigen will ich niemanden hindern, seinen Weg zu gehen –« stieß, statt auf diese Rede einzulenken, die Oberin äußerst gereizt heraus. »Ich darf Sie also nicht erwarten, Komtesse?«
»Nein! Ich muß darauf verzichten, Frau Oberin –« entgegnete Imgjor, verbeugte sich gemessen, und ging, ohne die giftsprühende Schwester Elise eines Blickes zu würdigen, von dannen. –