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Sechzehntes Kapitel.

Während des letzten und dritten Läutens der Laura stand Magnus auf dem kleinen hölzernen Damm, der in die Bucht hinausführte. Die Pfeife schrie in der Dampfröhre, die Ankerkette rasselte auf und der Dampfer wandte seinen Bug seewärts.

Darauf kam von der Schiffseite ein Ruderboot mit einer ältlichen Dame darin zurück, die ihr tränenbenetztes Antlitz vor den Blicken der Bootsleute und selbst vor den Augen der Nacht hinter den Falten eines kleinen Spitzenschals, den sie über ihrer Hufa trug, zu verbergen suchte. Es war Anna, und während Magnus ihr beim Aussteigen behilflich war, sagte sie:

»Gib mir deinen Arm, Magnus, und bringe mich nach Hause; ich fühle mich nicht ganz wohl heute abend.«

Aber ehe sie viele Schritte zurückgelegt hatten, stand sie still und sah liebevoll nach dem Schiff, das jetzt den Fjord hinunter dampfte, zurück und sagte in einer jämmerlichen Stimme:

»Er ist fort und mir verloren! Mein armer Junge! Mein armer Oskar! Sechsundzwanzig Jahre lang hat er mir gehört, und wer hätte gedacht, daß es hierzu kommen würde?«

Sie ging einige Schritte weiter, sah dann wieder zurück und sagte:

»Ich habe nie jemand so tief erschüttert gesehen. »O, Mutter, Mutter!« rief er zuletzt – gerade wie ein Kind. Ich hätte mir einbilden können, alles sei wie vor Jahren, und er wieder der schwächliche, hilflose kleine Knabe, der auf dem Schoß seiner Mutter sitzen wollte.«

Wieder ging sie einige Schritte und blickte wie vorher zurück.

»Es war niemand da, ihn ans Schiff zu geleiten – gar niemand. Die Geschichte muß irgendwie herumgekommen sein, und von allen Leuten, die er seine Freunde zu nennen pflegte, war nicht einer da, ihm Lebewohl zu sagen. Mein armer Junge! Mein armer Oskar! Er hat unrecht gehandelt – sehr unrecht; aber Gott weiß, wie er leidet. Wir meinen, wir bestrafen Leute, indem wir sie ins Gefängnis werfen, aber welche Strafe kommt dem Schmerz eines erwachten Gewissens gleich? Und Oskar läßt alles hinter sich zurück – alles und alle – und geht in Schande von dannen.«

Nach noch einigen Schritten sagte sie in der Stimme eines weinenden Kindes:

»Ich werde ihn niemals wiedersehen, ich tat, als ob ich es glaubte, aber ich weiß sehr wohl, daß ich es nicht werde. »Eines Tages wirst du zurückkehren,« sagte ich, »und alles wieder gutmachen und auslöschen.« Und er sagte »Ja« und »Ja«, aber wir wußten beide sehr wohl, daß wir es nicht glaubten. Als die Glocke läutete und ich fortgehen mußte, sagte er: »Mutter, du bist die beste Mutter gewesen, die je ein Mensch gehabt hat« und dann wußte ich, daß es das letzte Wort war, das ich je von ihm gehört hatte.«

Darnach vermochte sie einige Augenblicke nicht zu sprechen, und dann sagte sie, als ob sie sich selbst zu trösten versuche:

»Vielleicht wird der liebe Gott meinem Jungen dort, wohin er jetzt geht, noch einmal eine Gelegenheit geben. Wenn Er das tun sollte, wird er zum Besseren sich wenden, wenn aber nicht –«

Sie konnte nicht beenden, was sie auf der Zunge hatte – daß Gottes Barmherzigkeit schrecklicher als die Rache der Menschen sei, und daß derjenige, der ihr keine Beachtung schenke, sicherlich dem Verderben anheim falle.

Sie gingen stillschweigend weiter, bis sie zum Tore vom Gouvernementshause kamen, und dann warf Anna einen letzten Blick auf das dunkle Schiff, das in dem Schatten der Nacht und in dem Schleier ihrer erblindenden Tränen zu einer ununterscheidlichen Masse verschwamm, und sagte mutigeren Tones:

»Wir müssen in Zukunft sehr gut gegeneinander sein, Magnus. Du bist jetzt der einzig mir verbliebene Sohn, und wenn du für die Sünde eines anderen zu leiden hast, so mußt du mich dir helfen lassen. Ich werde es, solange ich lebe, immer gern tun, Magnus, und wenn ich von dir gegangen bin, wird Gott dich nicht vergessen. Gute Nacht, Magnus! Und Gott segne dich!«

Magnus verharrte einige Zeit an dem Platz, wo seine Mutter ihn zurückgelassen hatte, denn die Wogen der Leidenschaften schwollen hoch in seiner Brust. Dann kehrte er zum Hafendamm zurück und warf die Überbleibsel von Helgas Brief in die See hinab, und die Fluten trugen sie mit sich hinweg.

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