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Als Thora in das Wohnzimmer zurückkehrte, tanzten Oskar und Helga funkelnden Auges und mit glühenden Gesichtern einen lebhaften Walzer. Dann tanzte Thora selbst mit dem Gouverneur, dem Faktor und dem Rektor, und natürlich auch mit Oskar. Die Luft im Zimmer wurde immer heißer und bedrückender. Von Tante Margret darauf aufmerksam gemacht bemerkte Oskar, daß Thora erblaßte und ermattete, und sagte es sei Zeit aufzubrechen. Die jungen Leute neckten ihn, »Willst uns wohl loswerden, heh?«; die immer hysterischer werdende Helga aber behauptete, es sei noch zu früh in der Nacht. Oskar jedoch schickte seine Frau nach oben, um sich zum Heimgang nach ihres Gatten Haus zu rüsten.
»Wir wollen alle mitgehen,« sagte eine der Brautjungfern, und als Thora, zum nächtlichen Weg bis über die Nasenspitze eingemummelt, wieder zum Vorschein kam, sah sie sich von einer Schar ähnlich vermummter lustiger Mädchen umgeben, die fröhlich wie die Hänflinge im Frühling zwitscherten.
Endlich kam der Moment, in dem Thora ihr Vaterhaus verlassen mußte, und Tante Margret, die schon ein sehr langes, betrübtes Gesicht gemacht hatte, brach völlig zusammen.
»Es nützt alles nichts,« sagte sie, »ich muß sie hergeben, und wer weiß, wie sie mit meinem Herzblatt umgehen werden.«
»Unsinn, Margret,« sagte der Faktor, »Oskar wird schon gut für sie sorgen.«
»Das wollte ich ihm auch raten, sonst gehe ich ihm ans Leben,« sagte Tante Margret, und der Gedanke, daß Tante Margret einem etwas antun könnte, hatte etwas so Belustigendes, daß die Gesellschaft mit fröhlichem Lachen aufbrach.
Die Faktor-Familie gab ihnen bis zur Tür das Geleit, und Helga, die vor Erregung nichts von der Kälte spürte, stand ohne Umhang auf der obersten Treppenstufe und leuchtete ihnen den Weg entlang. Es war eine Paraffinlampe mit einem Glasbehälter, die sie hielt, aber sie horchte auf keine Warnung.
»Nimm dich in acht, Helga, hörst du wohl!« sagte Oskar, aber sie rief nur:
»Gute Nacht, angenehme Träume!« und fuhr fort, die flackernde Lampe über ihrem Haupt zu schwingen.
»Helga, um Gottes willen, Helga!« schrie Oskar, und Thora setzte hinzu:
»Laß uns nur nicht ein Unglück an unserm Hochzeitstage erleben.«
»Je schöner der Tag, je schöner die Tat,« rief Helga und sandte den in der Dunkelheit Verschwindenden ein lautes hysterisches Auflachen nach.
Die Hochzeitsgesellschaft ging in zwei Gruppen davon. Oskar, umgeben von den jungen Männern, die ihn um die Schultern, und Thora, umgeben von den jungen Mädchen, die sie um die Taille gefaßt hielten und ab und zu stehen blieben, um ihr Neckereien ins Ohr zu flüstern. Der feste Schnee knisterte unter ihren Tritten, und der Sternenhimmel mit den Nordlichtern pulsierte und zitterte wie ihre eigenen Herzen.
Als sie an das Gitter des Gouvernementshauses kamen, machte jemand den Vorschlag, Oskar, als eifriger Sagamann, sollte dem alten Brauche entsprechend die Braut über die Schwelle heben, und zu Thoras Entzücken und vom lachenden Chor begleitet, hob er sie wirklich auf und trug sie ins Haus hinein, wo Anna, die vorausgegangen war, sie die Treppe hinauf schmuggelte, während die anderen noch in den Salon gingen, um einen letzten Toast vor der Trennung auszubringen.
Helles Feuer brannte im bräutlichen Gemach, die Vorhänge waren zugezogen, das Bett aufgemacht und das Zimmer sah wie ein kleines weißes Eiderdaunen-Nest aus, als Thora es pochenden Herzens betrat.
»Welch wunderbarer Tag war der heutige!« sagte sie. –
»Nicht wahr?« antwortete Anna und machte die Tür hinter ihr zu.
»Einen schöneren Hochzeitstag kann man sich nicht denken, nicht wahr?«
»Du hast recht. Eine Frau hat nur zwei Tage im Leben, die ganz ihr eigen sind – und ihr Hochzeitstag ist einer davon.«
»Und was für ein Tag ist der zweite, Anna?«
»Der zweite? O, der liegt noch in zu weiter Ferne für dich, um schon daran zu denken, aber alle dazwischen liegenden Tage gehören anderen Leuten, ihren Kindern, oder ihrem Gatten.«
»O, wie süß! O, wie schön! Für seinen Gatten leben, alles für ihn aufgeben, sich selbst und sein ganzes Leben! Darin liegt doch Glück, Anna!«
»Gewiß, mein Liebling, aber vielleicht auch Schmerz. Es gibt aber etwas im Leben, Thora, was über dem Glücke steht, das ist der Segen, wie du wohl weißt.«
Hierbei mußte Thora an Magnus denken, aber sie hörte Oskar im unteren Zimmer lachen und vergaß bald alles andere in dem seligen Schauer, der plötzlich über sie kam. Anna half ihr beim Auskleiden, und als die Krone und die Tunika beiseite gelegt waren, ging sie stumm ein paar Augenblicke umher. Dann sagte sie leise:
»Willst du jetzt zu Bette gehen, Liebling, oder soll ich dir deinen Morgenrock geben?«
»Bitte, gib mir meinen Morgenrock,« sagte Thora tonlos.
Anna wanderte noch ein paar Minuten auf den Zehenspitzen umher, schraubte die Lampe herunter und hing den Schirm darüber. Dann öffnete sie die Tür und blickte von der Schwelle aus auf Thora zurück, die sich vor dem Ofen das Haar kämmte. Wie durch den Zauber einer eigenen Erinnerung wurde das ältliche, alltägliche Gesicht jung und schön, und leise zurückschreitend küßte sie Thora ohne ein Wort zu sagen und schlüpfte leise aus dem Zimmer.
Als sie fort war, sah sich Thora schüchtern um, und beim Anblick einiger Oskar gehöriger Sachen, die zwischen den ihrigen lagen, überkam sie ein neues und noch entzückenderes Glücksgefühl. Während der Tage vor der Hochzeit hatte sie gedacht, es werde sofort nach beendigtem Gottesdienst in der Kathedrale, wo sie Oskars Frau geworden war, ein geheimnisvoller Wandel über sie kommen, aber dies war nicht geschehen, und sie hatte sich den ganzen Tag über unverändert gefühlt. Jetzt war es aber etwas anderes, in diesem Zimmer war sie ein anderes Wesen geworden – nicht nur sie selbst, sondern Oskar mit ihr vereint.
Es war ein süßes und wonniges Gefühl, aber auch ein wenig erschreckend, und um ihr rasch pochendes Herz zu beruhigen, kroch sie ins Bett und zog sich die Decke über das Gesicht.
Sie hörte, wie die Gesellschaft unten aufbrach und wie gleich darauf, als sie unter ihrem Fenster vorbeischritt, der Schnee unter ihren Füßen knirschte. Sie blieb noch einen Augenblick stehen, um ein Brautlied zu singen. Es war das Lied von den »Zwei Rosen«.
Der Winter war kalt und der Boden weiß, aber zwei Liebesrosen blühten noch in Gottes Garten. Der Frost vermochte die beiden Liebesrosen nicht zu erstarren, denn sie wurden von Himmelsluft erwärmt; die Sonne vermochte die beiden Liebesrosen nicht zu versengen, denn sie wurden vom Lebensquell getränkt. Zwei Liebesrosen an einem Stengel; zwei Liebesrosen in zwei zärtlichen jungen Herzen; zwei Rosen der Liebe und der Freude!
Als der Gesang zu Ende war, ertönten noch fröhliches Kichern unter dem Fenster und laute Rufe »Gute Nacht, Thora!« »Glückliche Träume!« Dann stimmte sie beim Heimwärtsgehen noch einmal das Brautlied an, und Thora malte sich aus, wie die jungen Mädchen Arm in Arm mit den jungen Männern nach der Stadt zurückgingen.
Thora lauschte den in der Straße verhallenden Stimmen, und für den Augenblick schien das ganze Leben ihr in der Musik der Liebe versunken zu sein. Oskar und sie würden stets Kinder bleiben, niemals alt werden, sondern Hand in Hand durch eine blumige Welt wallen, wo jedermann sie liebte und sie jedermann liebten, und von wirklicher Sorge konnte nie die Rede sein, da die Liebe alles in allem für sie war.
Aber in diesem Augenblicke schlug die Kathedralen-Uhr elf, und Magnus fiel ihr ein. Sie sah ihn auf der öden weißen Heide vor sich, vom Strahl der Nordlichter beschienen – ein einsamer Mann auf seinem Pferde, während das zweite mit leerem Sattel neben ihm herlief. Armer Magnus! Aber es war ihm nicht zu helfen!
Die Stimmen verklangen in der Entfernung, und die Stille des behaglichen Nestes wurde ein Weilchen durch nichts unterbrochen als durch das Herzklopfen der nimmer rastenden See. Thora schloß die Augen und hielt den Atem an. Wie glücklich sie war! Sie zitterte wie ein in der Hand gefangenes Vögelchen, aber selbst ihre Furcht war voll von Glückseligkeit.
Im nächsten Augenblicke hörte man leise Schritte auf dem Flur, sie fühlte, daß jemand das Zimmer betrat, und dann – lehnte Oskar sich über sie und bedeckte ihre Lippen mit Küssen.