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Am nächsten Morgen saß der Gouverneur wieder in seinem Bureau. Er war nun gefaßt und entschlossen und erwartete ruhig die Beamten aus Kopenhagen. Sie erschienen früh unter Führung des Kreisrichters und benahmen sich durchaus wie Menschen, die wohl wußten, daß sie einen harten Schlag auszuteilen hätten.
Nach der förmlichen Vorstellung lehnte der Kreisrichter sich über des Gouverneurs Pult und sagte süßlich, fast herablassend:
»Diese Herren haben es sich angelegen sein lassen, jede Rücksicht zu beobachten. Sie kamen in einer wichtigen – ich möchte sagen, hochwichtigen Angelegenheit herüber – sie haben jedoch lieber fünf Tage geopfert, als Sie zu einer Zeit der Familientrübsal zu belästigen.«
»Ich bin sehr beschäftigt heute morgen, Kreisrichter,« sagte der Gouverneur. »Seien Sie so freundlich, nicht mehr Zeit als nötig zu verschwenden.«
Dem Kreisrichter stand der Atem still, und er trat vom Pult zurück, worauf die Fremden an dasselbe heranschritten, und der eine, indem er ein großes Kuvert öffnete, im Tone rücksichtsvoller Höflichkeit sagte:
»Wir haben hier ein Dokument, Ew. Exzellenz, das vorgeblich in Ihrem Namen ausgestellt ist. Würden Sie so freundlich sein, uns zu sagen, ob dies Ew. Exzellenz Unterschrift ist?«
Der Gouverneur rückte gemächlich seine Brille zurecht, blickte flüchtig – fast nebensächlich auf das ihm vorgelegte Papier und erwiderte unverzüglich: »Ja, das ist es.«
Die Herren sahen, ehe sie weiter sprachen, stillschweigend einander an.
»In dem Falle nehmen wir an, Ew. Exzellenz werden geneigt sein, es anzuerkennen?«
»Gewiß,« sagte der Gouverneur.
»Dann wird es Ew. Exzellenz ebenfalls bekannt sein, daß der Wechsel überfällig ist, und daß schon zwei Ersuche um Zahlung erlassen worden sind?«
Der Gouverneur fuhr bei dieser Frage zusammen, faßte sich jedoch augenblicklich und sagte kurz:
»Der Wechsel soll sofort beglichen werden.«
»Wie bald, Ew. Exzellenz – in acht oder vierzehn Tagen?«
»In drei Tagen,« sagte der Gouverneur. »Guten Morgen, meine Herren,« und ohne weitere Umstände nahm er seine Feder auf und begann einen Brief zu schreiben.
Der Kreisrichter, dem jetzt der Schweiß sichtbar auf der Stirne stand, hatte sich bis an die Türe geschlängelt, und nach einer kurzen Pause, während der nichts als des Gouverneurs Federkratzen hörbar war, verbeugten sich die Fremden gegen die niedergebeugte Stirne hin und verließen, rückwärtsschreitend, das Zimmer.
Des Gouverneurs Brief war an den Faktor gerichtet und enthielt die Bitte, sofort herüber zu kommen. Er kam, mürrisch und argwöhnisch dreinschauend, wie jemand, der schon etwas von der Sache, um derentwillen er geholt wird, weiß.
»Alter Freund,« sagte der Gouverneur, »wir kennen uns nun seit fünfzig Jahren, und ich hab' dich nie um eine Gefälligkeit gebeten, ich werde es aber jetzt tun.«
»Hm!« sagte der Faktor mit eisigem Lächeln.
»Nicht für mich selbst bitte ich dich, sondern für jemand, der mir näher steht als ich mir selber. Wir Väter wissen, was das bedeutet, und ebenso wissen wir, daß eine unsern Kindern erwiesene Gunst so viel wert ist, als zwei uns selbst gewährte.«
»Hm, hm!« sagte der Faktor mit demselben eisigen Lächeln.
»Es ist eine Privatangelegenheit – streng privat – dir jedoch, alter Freund, kann ich das Geheimnis anvertrauen – dein Patensohn hat sich in Unannehmlichkeiten gebracht.«
Und dann erzählte der Gouverneur ohne Entschuldigung oder Beschönigung die Geschichte von Oskars Fall, und der Faktor hörte mit der Ungeduld desjenigen zu, dem die traurige Geschichte schon bekannt ist.
»Auch meinen Namen hat er mit unterzeichnet?« fragte der Faktor.
»Unglücklicherweise auch den,« antwortete der Gouverneur, »den deinen aber nur als Zeugen für die Urkunde, für das Geld bin ich allein verantwortlich.«
»Was gedenkst du in der Sache zu tun?« fragte der Faktor harten Tones.
»Zahlen, und dem Jungen noch eine Gelegenheit im Leben geben,« erwiderte der Gouverneur. »Und deshalb habe ich dich heute morgen herbemüht. Ich kann fünfzigtausend Kronen beschaffen, und ich möchte dich bitten, mir die andern fünfzigtausend vorzustrecken.«
»Nicht fünfzigtausend Cents,« sagte der Faktor, nicht fünfzig – um einen Verbrecher zu beschirmen und das Gesetz zu hintergehen!«
Des Gouverneurs Gesicht erbleichte, doch antwortete er ruhig: »Übereile dich nicht, alter Freund. Bedenke, daß das Vergehen gegen das Gesetz nur allein ein Vergehen gegen mich selbst ist, und daß, wenn ich es verzeihe, das Gesetz nichts dagegen einzuwenden haben kann.«
»Und wie etwa steht es mit dem Vergehen gegen mich?« fragte der Faktor.
»Bedenke auch,« fuhr der Gouverneur fort, »daß, wenn Oskar deinen Namen mißbrauchte, er gewisse Ansprüche auf deine Börse hat – da ist der Ehekontrakt.«
»Der Ehekontrakt war für Thora gemacht, und Thora ist tot,« sagte der Faktor.
»Da ist das Kind,« sagte der Gouverneur.
»Das Kind ist jetzt mein's, und ich bin bereit, fernerhin für dasselbe zu sorgen,« sagte der Faktor, »aber mit einem Menschen, der meinen Namen gefälscht hat, will ich nichts weiter zu tun haben, und wenn irgendwelche weiteren Ansprüche erhoben werden sollten – auf mein Geschäft oder sonstiges Eigentum, werde ich dagegen Einspruch erheben und meine Gründe, weshalb ich es tue, bekannt machen.«
»Oskar Neilsen,« sagte der Gouverneur, »es liegt noch etwas anderes vor, etwas das ich dir nicht gesagt habe, das ich dir nicht zu sagen beabsichtigte. Jetzt muß ich es aber tun. Ich habe Grund zu glauben – ganz fest zu glauben – daß Helga teilweise für die traurige Lage, in der Oskar sich augenblicklich befindet, verantwortlich ist.«
»Kannst du das beweisen, Stephen Magnusson?« fragte der Faktor.
»Wenn ich es nicht beweisen kann,« erwiderte der Gouverneur, so ist es, weil mein Sohn – was seine Fehler und Torheiten auch sonst sein mögen – noch immer ein anständiger Mensch ist; und wenn du das bis zu diesem Tage noch nicht weißt, so liegt es daran, weil deine Tochter keine Dame ist.«
»Sprich du für die Deinen, Stephen Magnusson, und überlasse die Meinen mir,« sagte der Faktor.
»Deshalb,« fuhr der Gouverneur fort, »wenn ich dies Geld bezahle – und ich werde es bezahlen – wirst du die Genugtuung haben dir sagen zu können, daß ich mit meinen Schulden, obgleich ich ein armer Mann und du ein reicher bist, ebensowohl die deinen abgetragen habe.«
Mit diesen Worten ging der Gouverneur rot und zornig nach der Tür und öffnete sie. Der Faktor blickte ihn im äußersten Erstaunen an, und einen kurzen Augenblick siegte seine bessere Natur über seine Habgier, und er sah ein, wie erbärmlich es sei, nach fünfzig Jahren der Freundschaft wegen ihrer Kinder derartig in Streit zu geraten. Ein Schwert zieht jedoch das andere aus der Scheide, und ein verächtliches Schnippchen schlagend stolperte er aus dem Zimmer.
Darauf ließ der Gouverneur den Direktor der isländischen Bank kommen.
»Direktor,« sagte er. »Ich möchte Sie bitten, eine Anleihe von hunderttausend Kronen auf mein Gut in Thingvellir zu veranlassen.«
»Das Gut ist kaum so viel wert, Herr Gouverneur,« sagte der Direktor. »In Wahrheit ist es kaum die Hälfte wert. Aber in Ihrem Falle kann das wenig Schwierigkeiten machen, nicht die geringsten, wenn Sie die höheren Zinsen zahlen wollen.«
»Ich bin dazu bereit,« sagte der Gouverneur, »und lassen Sie das Dokument sofort aufsetzen.«