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Zehntes Kapitel.

Anna und Tante Margret empfingen sie an der Haustür. Sie küßten Thora, nannten sie Frau Stephenson und führten sie hinauf, um ihre Sachen abzulegen. Als sie herunter kam, traten gerade die zum Hochzeitsfest eingeladenen Freunde herein, legten ihre Schneeschuhe ab, schüttelten Oskar die Hand und redeten alle durcheinander.

Die Tafel war in dem Doppel-Wohnzimmer gedeckt, wo die Verlobung stattgefunden hatte; der Faktor saß obenan, Oskar an seiner rechten Seite (an derselben Stelle, wo er auf Helgas Photographie getreten hatte) und Thora an seiner linken (wo Magnus auf dem niedrigen Stuhl neben seiner Mutter gesessen hatte), während der Gouverneur zwischen Anna und Tante Margret dem Faktor gegenüber saß, und der Bischof und der Kreisrichter den Doktor zwischen sich hatten. Helga saß weiter unten an der Tafel mit Neils Finsen auf der einen und dem Rektor auf der anderen Seite.

Thora war heiter, wenn auch ein wenig verschämt, und errötete mädchenhaft bei scherzhaften Bemerkungen, aber ihr melodisches Lachen klang durch den ganzen Raum. Während der Mahlzeit trank jeder einzelne ihr zu, und gegen Ende derselben erhob sich der Gouverneur, verbeugte sich mit feierlicher Würde vor ihr und begann seine Rede:

»Ich trinke auf das Wohl der Braut und des Bräutigams. Wir alle freuen uns über die eben gefeierte Hochzeit, aber niemand kann glücklicher darüber sein als ich. Es ist viele Jahre lang mein innigster Wunsch gewesen, daß die lebenslange Freundschaft zwischen Faktor Neilsen und mir durch unsere Kinder zu einem noch festeren Bande verknüpft werde.«

»Auf dein Wohl, alter Freund,« unterbrach ihn der Faktor, und der Gouverneur trank ihm zu.

»Es gab eine Zeit,« fuhr er fort, »wo ich fürchtete, diese Hoffnung vereitelt zu sehen.«

»Nein, nein!« sagte der Faktor, während Thora das Haupt senkte, Anna hörbar seufzte und ein momentanes Schweigen eintrat, als ob der Geist eines Abwesenden durch das Zimmer geschwebt wäre.

»Aber süß ist das Glück, das auf Leid folgt,« sagte der Gouverneur, »danken wir Gott, daß wir jetzt eines Sinnes sind und eine Familie bilden.«

Als die Gläser nicht mehr aneinander klangen, wandte sich der Gouverneur an Thora: »Sie ist uns immer wie eine Tochter gewesen, und nun ist sie es wirklich geworden. Wir haben sie von Kind auf lieb gehabt und heut haben wir ihr das beste gegeben, was wir zu vergeben hatten – unsern Sohn, unsern Liebling, den Abgott unsrer Hoffnungen, den Stolz unsrer Herzen. Gott segne sie beide!«

Nachdem der Faktor seine Augen mit seinem baumwollenen Taschentuche getrocknet hatte, stand er lachend auf und sagte:

»Steuern wird zu einer ernsten Sache, wenn die See hoch geht, und ich bin nicht daran gewöhnt, rückwärts zu rudern, aber ich danke Gott mit dem Gouverneur, daß der drohende Sturm vorüber gezogen ist, und wir in ruhigem Wasser segeln. Was Oskar betrifft, so ist er, seit er überhaupt ins Leben trat, mein Patensohn gewesen; heut ist er mein Sohn geworden, und ich könnte mir keinen besseren wünschen.«

»Und nun,« sagte der Faktor, sobald er wieder zu Wort kommen konnte, »da das geringste gehaltene Versprechen besser ist als ein großes vergessenes, muß ich auch ein kleines Versprechen halten, das ich am Verlobungstage gegeben habe. Mancher von Ihnen wird es vielleicht kaum glauben, aber ich habe volles Verständnis dafür, daß die Jugend jung sein und ihre Jugend genießen muß, solange sie da ist. Ich bin um die meine ein wenig betrogen worden; für mich gab's immer nur Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Ebenso ist es dem Gouverneur ergangen, auch er hat nur Arbeit und immer wieder Arbeit gekannt, und nie haben wir eine Ferienzeit miteinander genossen. Aber nun wollen wir uns eine bereiten – wir wollen in den sonnigen Süden reisen, wo Erde und Meer nicht so weiß aussehen wie da draußen. (Der Faktor deutete mit der Hand auf die Fenster.) Ja, wir wollen uns beide in unsern alten Tagen die Welt besehen, aber mit Augen, die besser sind als die unsrigen heute – mit den Augen unserer Kinder.«

Als die Gesellschaft sich wieder beruhigt hatte, fuhr der Faktor fort: »Es kommt uns nicht auf die Ausgabe an, und wenn Oskar den untersten Teller hochhebt, dann wird er etwas finden, was ihm eine Zeitlang die Räder auf seinem Wege schmiert.«

Oskar hob seinen Obstteller auf, unter dem zwei Schecks lagen, und sobald der Toast beendet war, erhob er sich, um darauf zu antworten. Niemand hatte ihn je so ernst und blaß gesehen.

»Ich danke dem Gouverneur und dem Faktor,« begann er, »für das großartige Geschenk, das sie uns gemacht haben – das unsere Reisekosten soweit übersteigen wird. Ich danke euch allen, die ihr zu unserer Hochzeit gekommen seid – es ist so schön, von allen umgeben zu sein, die uns unser Leben lang gekannt haben. »Suche dein Weib unter deinen Freunden,« sagt einer unserer Weisen. Ich habe das meine so zu sagen in der Familie gefunden und ich vertraue darauf, daß die beiden Zweige, die sich heute vereinigt haben, nie wieder auseinander zweigen mögen.«

Es wurde ihm Beifall gezollt, und als Oskar weiter redete, klang seine Stimme unsicher und gebrochen.

»Ich danke auch dem Bischof,« sagte er, »für seine Worte – für die weisen und ergreifenden Worte – die er zu uns sprach. Ich weiß, daß Liebe – daß Liebe die einzige Grundlage einer wahren Ehe ist, und – und ich hoffe, daß meine Ehe eine wahre sein wird. Ich liebe mein Weib nicht so wie ich müßte – nicht so wie sie es verdient. Das ist unmöglich, aber ich hoffe, sie mit der Zeit immer mehr zu lieben und jeder Versuchung aus dem Wege zu gehen, die meine Liebe verringern könnte. Ich weiß, ich bin des guten lieben Mädchens nicht wert, das sich mir heute geschenkt hat, aber ich will versuchen, so zu leben, daß sie es nie bereuen soll. »Vergib dem Weibe häufig ihre Fehler«, sagt ein anderer Weiser, aber in diesem Falle müßte es heißen, vergib sie dem Manne, und ich hoffe zu Gott, daß mein Weib mir nicht allzuviel zu vergeben haben möge.«

Als Oskar sich wieder gesetzt hatte, fanden die Männer seine Rede ein wenig affektiert und gesucht, aber es war auch nicht eine Frau anwesend, die nicht am liebsten aufgesprungen wäre und ihn geküßt hätte.

Thora trocknete sich offenkundig die Augen, aber ihr Antlitz strahlte vor Wonne, und Tante Margret rief ihr durch das allgemeine Stimmengewirr zu:

»Nimm dich nur in acht, Frau Stephenson, daß nicht ein paar von diesen jungen Damen mit deinem Gatten auf und davon gehen.«

Ein Toast folgte nun auf den andern. »Der Gouverneur,« »der Faktor« und schließlich »die Brautjungfern,« die der Rektor in scherzhafter Rede leben ließ.

»Man pflegt zu sagen, ein Kuß ist etwas Schönes, aber es kommt auch darauf an, von wem man geküßt wird,« so fing er an, »und da ich ein alter Junggeselle bin, so habe ich in diesem Punkte keine Erfahrung; aber der junge Mann hier rechts von mir (er deutete auf Neils Finsen), der heut das Recht hat, sich für den besten Mann in Island zu halten, hat mir vorhin zugeflüstert, daß er eine der Brautjungfern so reizend findet, daß er an Oskars Stelle, wenn diesen ein Gesetz gezwungen hätte, zwischen beiden Töchtern des Faktors eine zu wählen, entschieden in ein Land ausgewandert wäre, wo man ihm gestatte, beide zu heiraten.«

Alles lachte und sah auf Helga, die selbst hysterisch lachte und während der ganzen Mahlzeit Oskar beobachtet hatte. Nun fiel auch Thoras Blick auf ihre Schwester, und in ihrem überströmenden Glück fiel ihr der große Plan ein, den sie ausgedacht hatte, um ihr Mißtrauen und ihren Verdacht gegen sie wieder gut zu machen. Der Augenblick zur Ausführung war gekommen – jetzt wo sie die Königin ihres kleinen Reiches war – und halb kühn, halb scheu stand sie auf, legte ihre Arme um den Hals ihres Vaters und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Des Faktors Züge wurden ein wenig ernst, erheiterten sich aber gleich wieder, und er sagte: »Was wird aber Oskar dazu sagen?«

»Oskar ist ganz sicher damit einverstanden,« sagte Thora und fuhr zu flüstern fort.

»Nun, ich will mein Wort nicht zurücknehmen, mir soll es recht sein, aber du mußt erst Oskar fragen.«

Lachend und errötend trat nun Thora hinter Oskar und flüsterte ihm ebenfalls etwas ins Ohr, während sie Helga von der Seite anblickte. Er machte ein sehr ernstes Gesicht und sagte:

»Bist du dir ganz klar, daß dies wirklich dein Wunsch ist, Thora?«

»Ja, ja, ja,« sagte Thora lachend und errötend, denn jetzt waren die Augen der ganzen Gesellschaft auf sie gerichtet.

»Wir wollen morgen weiter davon reden,« sagte Oskar.

»Nein, nein, gleich jetzt.«

»Aber Helga selbst wird vielleicht –« fing Oskar an, stockte aber, denn Helga hatte ihren Namen gehört und sagte nervös auflachend: »Was soll Helga?«

»Ja, was soll sie?« fragten mehrere Stimmen zugleich, und der Faktor erklärte: Thora möchte ihre Schwester gern auf die Reise mitnehmen und sucht Oskar zu überreden.

Man hörte rufen, »warum nicht?« und »herrlich!« und dann trat Stille ein, die nur durch Thoras Stimme unterbrochen wurde:

»Bitte, Oskar, tu es!«

Etwas Unerwarteteres hätte Oskar nicht treffen können – als daß die Versuchung in dem Augenblick an ihn herantrat, wo er sich ihr zu entziehen gedachte; daß die Fluten der Leidenschaft den Damm fortschwemmten, den er so mühsam errichtet hatte – und daß dies von Thora selbst, in ihrer blinden Selbstlosigkeit und unschuldigen Freude geschah – es war als ob höllische Mächte ihr Spiel mit ihm trieben.

Aber die Gesellschaft wartete auf Oskars Antwort, der, um sich nicht zu verraten, sich mit einem Scherz aus der Affäre zu ziehen versuchte: »Ich bin nicht wie Neils – ich will euch nicht alle beide haben,« sagte er, aber die bittende Stimme hörte nicht auf in sein Ohr zu flüstern, und der Rektor sagte, als Oskar noch immer zögerte:

»Oh, oh, Oskar, die erste Bitte einer jungen Frau abzuschlagen, das ist ein schlechter Anfang.«

»Ich schlage es nicht ab,« sagte Oskar, »und wenn Helga wirklich und wahrhaftig gern mit uns gehen will –«

»Möchtest du mitgehen, Helga?« fragte der Faktor, und Helga, die ihren inneren Kampf dadurch verriet, daß sie sich scharf auf die Unterlippe biß, sah nach Oskar hinüber, als wollte sie ihm die Antwort vom Gesicht ablesen.

»Sage ihr, sie soll ja sagen, Oskar,« rief Thora.

»Ja,« sagte Helga, und nun klatschte Thora glückselig in die Hände, und das ganze Zimmer schallte von ihrem fröhlichen Lachen.

Neils Finsen hatte sich an das Klavier gesetzt, die Mädchen räumten den Tisch ab, um Platz zum Tanzen zu machen, und Anna trat an Thora heran und flüsterte ihr zu:

»Es ist jemand draußen, der dich sprechen möchte, Thora.«

»Ist es vielleicht –?«

»Ja, mein Herz,« sagte Anna, und Thora ging mit ihr hinaus.

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