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Drittes Kapitel.

Thoras Erregung war so groß, daß sie es kaum mehr erwarten konnte, Oskar mit Helga bekannt zu machen und als er am Vormittag des nächsten Tages nicht erschien, sandte sie ein Briefchen ins Gouvernementsgebäude, das ihn aufforderte, sofort zu kommen. Der böse Junge war zu sehr von seiner dummen Politik hingenommen, während ihn hier etwas soviel Reizenderes und Anziehenderes erwartete. Aber Anna ließ zurücksagen, Oskar schliefe noch und sie möchte ihn nach den Aufregungen und Anstrengungen des vergangenen Abends nicht gern wecken.

Am frühen Nachmittag kam Anna selbst herüber, um die ersten Früchte der Friedensstiftung zu sehen, und während Tante Margret unten Schokolade für die erwartete Gesellschaft bereitete, machte die mütterliche alte Seele die kunstvollsten Versuche, aus Helga herauszubringen, wie man sie in Dänemark erzogen habe, und besonders welche religiöse Unterweisung ihre Mutter ihr habe zuteil werden lassen. Helga durchschaute sie aber sofort und, die roten Lippen ein wenig schelmisch verziehend, malte sie ihr ein erschreckendes Bild von Theatern und Konzertsälen und einer Kopenhagener Mietswohnung vor, in der, besonders an Sonntagabenden, Schauspieler und Schauspielerinnen aus- und eingingen, und wo auch die Damen Zigaretten rauchten und Brandy tranken.

Thora stand indessen wartend am Fenster und als sie Oskar endlich über die Straße kommen sah, flog sie in die Halle hinunter, warf sich in seine Arme und küßte ihn, worauf er, noch ganz erfüllt von seinem Siege, sagte:

»O was für liebevolle Glückwünsche! Die süßesten, die mir bis jetzt zuteil geworden.« Damit wollte er auf den Salon zuschreiten.

»Warte, warte! Ich habe dir etwas zu zeigen,« rief Thora.

Und nun begann das arme Ding, – Gott weiß von welchen bösen Mächten getrieben, ohne zu wissen was sie tat und fröhlich lachend den alten bekannten Kinderscherz. Sie hob sich hinter Oskar stehend auf den Zehen, um ihn erreichen zu können, legte ihm beide Hände auf die Augen und führte ihn mit dem Rufe: »Auf zum Kampf« in den Salon, wo Helga auf sie wartete. Unmittelbar vor ihr stehend, zog sie rasch die Hände fort und beobachtete den Effekt.

Oskar fand sich einem jungen Mädchen gegenüber, das Thora so unähnlich wie möglich war, groß und dunkel, das Haar tief auf die Stirn herabhängend; sie trug eine helle seidene Bluse zu einem silbergrauen Rock und ein leiser Veilchenduft umschwebte sie.

»Helga! Ist es denn möglich?«

Er reichte ihr die Hand, die Helga erfaßte und festhielt und so standen sie ein Weilchen, während Thora, erregt atmend, den wechselnden Ausdruck ihrer Züge betrachtete, der bei Oskar von Erstaunen in Bewunderung und Entzücken überging, bei Helga von Neugier in Befriedigung und Freude. Thoras eigenes Antlitz verriet – den ihr zuschauenden mitleidigen Engeln allein sichtbar – ebenso wechselnde Ausdrucksformen, denn Stolz und Freude verwandelten sich zunächst in ein gewisses Unbehagen und schließlich in einen Anflug von geheimem Schmerz.

Um sich von dieser Empfindung frei zu machen, brach Thora in lautes Lachen aus, und alle lachten mit, bis gleich darauf Tante Margret mit der Schokolade und dem Kuchen hereinkam. »Nun, hast du sie wieder zusammengebracht, Thora?« sagte Tante Margret, und Thora, der die Kehle wie zugeschnürt war, brachte ein mühsames »Ja« heraus.

Oskar und Helga setzten sich auf die Fensterbank und plauderten lebhaft miteinander. Thora hörte hier und da ein Wort von ihrer Unterhaltung, während sie die Tassen herum reichte. Sie sprachen von lauter Dingen, die ihr unbekannt waren – von England, Dänemark, Kopenhagen, London, Oxford, von englischem und dänischem Theater, und vor allem von Musik, immer wieder von Musik.

»Wie gut sie miteinander auskommen,« sagte Thora.

»Du kannst dich darauf verlassen,« sagte Tante Margret.

Als es dunkel wurde, kam der Faktor nach Hause – er pflegte seine Arbeitsgewohnheiten nie um Haaresbreite zu verändern; und dann kamen die meisten vornehmen Leute der Stadt, der Bischof, der Kreisrichter, der Rektor des Gymnasiums und schließlich auch der Gouverneur. Helga bewegte sich unter ihnen mit der ruhigen Gewandtheit, die der Verkehr in Gesellschaft verleiht. Nach Verlauf einer Stunde hatte sie alle Männer erobert, während die Frauen noch nicht so sicher mit ihrem Urteil waren.

»Beim ersten Blick, den ich auf sie warf,« flüsterte Tante Margret Anna zu, »sagte ich mir sofort, Thora ist durch und durch eine Neilsen, aber diese hat viel mehr Fremdländisches an sich.«

»Sie ist das genaue Abbild meiner Frau, wie sie war, als ich sie kennen lernte,« sagte der Faktor mit halblauter Stimme zu dem Gouverneur, der ebenso leise und bedeutsam antwortete:

»Dann wundere ich mich nicht, alter Freund – nein, wahrhaftig nicht!«

»Helgas Kopf und der deinige waren auf gleicherer Höhe, als ich das letztemal meine Hände auf sie legte,« sagte der Bischof zu Thora. »Nimm dich in acht! Deine Schwester überholt dich, Kleine.«

»Nicht wahr?« sagte Thora.

Thora fühlte sich nicht ganz so glücklich durch Helgas Besuch, wie sie gedacht hatte, aber immer noch von dem Bestreben erfüllt, sie im besten Lichte zu zeigen, bat sie sie, etwas Klavier zu spielen – was sie schon nach dem Frühstück getan hatte; es war so schön gewesen.

Helga spielte ausgezeichnet und Oskar, der ihr die Noten umgedreht hatte, applaudierte ihr geräuschvoll.

»Nun könnte uns auch Oskar etwas vorspielen,« sagte der Gouverneur. »Von frühester Kindheit an rief er eigentlich die größten Hoffnungen in uns wach, daß er einmal ein berühmter Musiker werden würde.«

»Das wird er auch werden – mein Sohn Neils auf der musikalischen Hochschule sagt es immer,« rief der Kreisrichter.

»Unsinn!« sagte der Faktor. »Oskar hat jetzt etwas Besseres zu tun als Metallsaiten zu kratzen oder seine Lungen durch ein Dampfrohr zu blasen.«

»Aber gegen ein gelegentliches Getändel mit den Musen würden Sie doch nichts einzuwenden haben, Faktor?« sagte der Rektor.

»Ich würde gegen jede Art von Getändel etwas einzuwenden haben,« sagte der Faktor, »und ich halte jeden Mann für töricht, der sich auf dergleichen einläßt.«

»Es ist aber erstaunlich, wieviele Männer es doch tun,« sagte der Gouverneur und blinzelte dem Rektor zu. »Würden Sie es für möglich halten, daß ein gewisser Freund von Ihnen in seiner Jugendzeit einmal ein Gedicht geschrieben hat?«

»Niemals!« rief der Rektor aus, und während die alten Leute lachten, sagte der Faktor: –

»Da ich ein Kind war, benahm ich mich wie ein Kind, da ich aber ein Mann ward, tat ich ab was kindisch war.«

»Nun darin stimme ich mit dem Faktor überein, daß ich meine, ein Mann kann nicht sein Herz an zwei Orten zugleich haben,« sagte der Gouverneur. »Was sagst du dazu, Thora?«

»Ich glaube es auch nicht,« sagte diese.

»Nein, gewiß nicht, ebensowenig wie ein Mann zwei Frauen zugleich lieben kann,« sagte der Gouverneur; und dann fing Oskar an zu spielen.

Er spielte wie der Vogel singt, weil diesem das Lied aus der Seele kommt, und als er geendet hatte, rief ihm die Gesellschaft jubelnden Beifall zu, und Helga neigte ihr Gesicht dicht an das seine und flüsterte ihm zu:

»Und du batest mich zu spielen – die ich doch nur spielen kann, was man mich gelehrt hat, und du kannst so spielen!«

Oskar war entzückt von Helgas Lobpreisungen und schlug vor, mit ihr zusammen zu spielen. Sie spielten eine Auswahl schwieriger Stücke voll glänzender Passagen, und die Gesellschaft erklärte, nie etwas Schöneres gehört zu haben.

»War es nicht wundervoll?« meinte jemand.

»Ja, nicht wahr?« sagte Thora.

Sie kam sich ganz in den Schatten gestellt und vergessen vor, als Helga sich plötzlich auf dem Klavierstuhl herumdrehte und sagte: »Nun muß uns Thora etwas auf ihrer Gitarre vorspielen – sie soll so schön spielen, wie Tante Margret sagt.«

»Das tut sie auch,« sagte Tante Margret. Aber Thora winkte ängstlich ab, indem sie sagte:

»Nein, nein! Wie könnte ich mich nach solchem Spiel hören lassen.«

So fingen denn Oskar und Helga von neuem an. Diesmal war es eine englische Ballade. Helga spielte die Begleitung und Oskar sang die Melodie, der ein Chor folgte, den sie gemeinsam ausführten. Die Gesellschaft geriet ganz außer sich. »Reizend!« »Entzückend!« »Wie schön die Stimmen zusammenpassen!« »Die Natur scheint sie füreinander geschaffen zu haben!«

»Nicht wahr?« sagte Thora.

»Aber nun muß Thora wirklich Gitarre spielen,« warf Helga ein.

»Gewiß! Thora und ihre Gitarre,« sagte Oskar. »Und sie muß eines ihrer kleinen isländischen Liebeslieder dazu singen.«

Es war grausam und herzbrechend, beinahe als ob Helga sie zu demütigen versuchte und Oskar ihr dabei half, als ob sie sich verschworen hätten, ihren Minderwert an den Tag zu bringen.

»Nein, nein, fordert mich nicht auf, bitte tut es nicht,« bat sie flehend.

Aber Helga hörte nicht auf mit Bitten und Oskar unterstützte sie fortwährend, bis Thora die Spannung nicht mehr zu ertragen vermochte und in Tränen ausbrechend aus dem Zimmer eilte.

»Wie merkwürdig!« sagte Helga.

Aber Oskar folgte Thora und liebkoste und tröstete sie und brachte sie mit einem Lächeln auf den Lippen wieder zurück, obgleich die Tränen in ihren Augen kaum getrocknet waren.

»Ich war sehr töricht,« sagte sie. »Ich weiß nicht was über mich kam.«

»Es war vielleicht die Hitze,« sagte der Gouverneur und öffnete ein Fenster.

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