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Bis hierher war ich in der Niederschrift meiner Lebensbeichte gelangt und hätte vielleicht noch eine Weile, gleichsam schlendernd, so fortgemacht, mir selbst kaum bewußt, wie sich Bogen um Bogen füllte und der Blätterstoß, der mein Vermächtnis an die unbekannten Kommenden enthält, immer höher und höher anwuchs. Diesem Überwuchern und Anschwellen von Papier und Tinte, gegen das ich aus eigener Kraft wohl ohnmächtig geblieben wäre, so die Geduld jener Kommenden vielleicht über Gebühr in Anspruch nehmend, scheint nun aber durch den unbegreiflich hohen und dunkeln Willen, der in der Bahn der Sterne, wie im Flug der Mücke waltet und auch meine Schritte im voraus gezählt haben mag, ein kurzer und plötzlicher Abschluß zugedacht zu sein. Denn wenn anders ich noch imstande bin, mit meinen Augen zu sehen, mit meinen Ohren zu hören, mit meinen Händen zu fühlen und dies alles untereinander zusammenzureimen, wenn also, kurz gesagt, meine Vernunft noch nicht ganz aus dem Leim gegangen ist, so ist mir in der letztvergangenen Nacht – ich schreibe dies am Nachmittage des 29. Februar 1864 – die Gewißheit geworden, daß meine Abberufung aus diesem wunderlichen Tale des Segens und der Verdammnis in Bälde bevorsteht.
Ich will den Leser, dem es des Absonderlichen und zum Widerspruch Reizenden in dieser durchaus wahrheitsgetreuen Erzählung gerade genug dünken mag, nicht abermals durch eine Spukgeschichte ermüden, ärgern, bange machen oder belustigen, je nach Temperament und Laune – will dies um so weniger, als es auch eigentlich gar nicht zu meinem Thema gehört, welches ja nur den Zeitraum bis zu Karolas Untergang umfaßt, und mir selbst hierfür nur noch eine kurze Frist bemessen sein dürfte, falls meine Voraussicht zutrifft.
Es mag also dem lächelnden, zornigen oder mitfühlenden Leser genügen, wenn ich ihm kurz berichte, daß mich heute nacht wiederum die Erscheinung jenes rätselhaften Fremden heimgesucht hat, in der ich wohl die Reinkarnation meines Urgroßvaters, des vielerwähnten Johann Kaspar Stobäus, zu vermuten habe. Wer mir bis hierher gefolgt ist und es trotz allem auch weiter zu tun gedenkt, der wird, ob skeptisch veranlagt oder nicht, immerhin begreifen, was diese neuerliche Begegnung jedenfalls für mich selbst, für meine eigene Vorstellung davon bedeutet: nämlich nichts weniger als die Ankündigung meines nahe bevorstehenden Endes, wie sich mir das schon vor Jahren in jener – nun sagen wir – Vision vom Schützenhausball manifestiert hat.
Man komme mir nicht mit dem Einwand, daß dies alles nur Überreizung, Halluzination, Wahnwitz von mir sei. Ich müßte ja sonst meine gesunde Vernunft überhaupt in Zweifel ziehen, die mir während fünf langer Jahre fast ununterbrochen Leben und Traum hat durcheinanderfließen lassen, ohne daß ich darum aufgehört hätte, mit nüchternen Sinnen in die Welt zu sehen und mir über mich selbst klare Rechenschaft abzulegen. Auch spricht für die Realität meines Erlebnisses von heute nacht eine Tatsache, die jeden Zweifel über den Haufen wirft: der alte, braune, wie aus dem Wasser gestiegene Handschuh, der seit jenem Schützenhausball als Mahnzeichen über meinem Bette hing, ist seit heute früh von seinem langjährigen Platz an der Wand verschwunden und trotz alles Suchens und Fragens nicht wieder aufzufinden. Da jede andere Erklärung dafür fehlt, so bleibt nichts übrig, als zu vermuten, der aus fremden Fernen gekommene Unbekannte, der ihn mir einst als Unterpfand unserer ersten Begegnung hinterlassen, habe ihn jetzt zum Zeichen seines Scheidens für immerdar wieder mit sich in die Meerestiefe genommen. Womit denn die Beweiskette auch in dieser Richtung geführt wäre und der Kreis sich um mich geschlossen hätte.
Im übrigen sei es denjenigen, die mich einst lesen werden, jenen ungebornen Kommenden, an deren Urteil ich appelliere, durchaus unbenommen, mich nach dem Erzählten und noch zu Berichtenden für verrückt zu halten oder nicht. Tatsachen sprechen ja schließlich doch eindringlicher als alle vorgefaßten Meinungen. Selbst der eingefleischteste Rationalist wird sich bekehren müssen, wenn er dereinst sieht, daß meine Voraussicht sich erfüllt hat und meine Bahn wirklich in Kürze zu Ende gegangen ist.
Was aber mich selbst betrifft, so will ich es jedenfalls wie mit einer bereits feststehenden Wirklichkeit halten und mich in dem, was ich noch zu sagen habe, kurz zu fassen suchen.
Ich nehme also den Faden wieder auf und spinne ihn, wie es die Umstände gebieten, in rascherem Tempo bis zu Ende fort.