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Heute, Mittwoch, ist eine Woche vergangen, seit die Assisen das Nichtschuldig ausgesprochen haben. Seit einer Woche also bin ich frei und wieder Herr meiner selbst. Aber dreizehn Monate Untersuchungshaft sind nicht so im Handumdrehen aus den Knochen zu schütteln und noch weniger aus dem Gedächtnis, zumal wenn das Gedächtnis überwach ist, wie das eines im Finstern Daliegenden, der schlafen möchte und doch nicht schlafen kann. Wie viele Nächte habe ich so in der undurchdringlichen Dunkelheit meiner Zelle, in diesem schwarzen Schweigen einer enggewölbten Totengruft, als ein Lebendigbegrabener mit offenen Augen auf meiner Bahre dagelegen und meine Ohren für die geheimsten Regungen meines eigenen Verwesungsprozesses geschärft! Oh, man wird so unbeschreiblich hellhörig in dieser Grabesstille mit ihren zahllosen Flüsterstimmen, so über alle Maßen weitsichtig in dieser ummauerten Finsternis mit ihren plötzlich aufschießenden und verlöschenden Flammen, die wie Blitze in gewitterschwarzer Nacht fernste Bergspitzen an einen Geisterhorizont hinzaubern und wieder verschwinden lassen!
Schlechte Menschenkenner, ihr Richter und öffentlich prokurierten Ankläger! Anstatt eure Kapitalverbrecher noch rauchend vom Blut ihrer Opfer vor die Assisen zu stellen und sie durch die Wucht der frisch geborenen Tatsachen, an die das Bewußtsein sich noch nicht gewöhnt, mit denen sich das Gewissen noch nicht wie mit etwas Selbstverständlichem abgefunden hat, kurzerhand zu Boden zu schmettern, sperrt ihr sie monate-, vielleicht jahrelang in eine Art von erzieherischer Kerkerhaft und umgebt sie mit jener hellhörigen Stille, jener weitsichtigen Abgeschlossenheit, in der der Geist Zeit findet, dem Ungeheuren und Unausdenkbaren der vollbrachten Tat wie einer düstern und pfadlosen Felsenburg näherzutreten, gleichsam die Augen zu ihren drohenden Zinnen zu erheben und sich mit ihren Pforten, Brücken und Luken vertraut zu machen. Gelingt es dem Verfolgten auf diese Weise, sich in die Burg einzuschleichen, mit anderen Worten: Ergreift der Täter, der im Augenblick der Tat wie unter einem Naturzwang gehandelt hat, nun seinerseits von der Tat sozusagen geistig Besitz, lernt er sie seinem innersten Sein und Wesen einordnen und rubrizieren, lernt er geistig ihrer Herr werden, nachdem er zuvor auf roh körperliche Weise ihr Knecht gewesen, so wird er im Bezirk seiner Tat unbezwinglich und unüberwindlich und trotz aller Finten und Listen der draußen lauernden Verfolger wird es dennoch nicht glücken, ihn aus den Schlupfwinkeln seiner Festung herauszulocken.
Ich weiß wohl, die monatelange Einschließung soll nach der tiefgründigen Absicht richterlicher Weisheit den Belagerten langsam an Körper und Geist aushungern, soll durch den eintönigen und unermüdlichen Tropfenfall der Sekunden sich in sein Gehirn einfressen und es von innen her aushöhlen, bis das letzte Quentchen von Mut, Stolz, Energie, Widerstandskraft fortgeschwemmt ist ... Stümper eures Handwerks! Werft eure Schlingen nach denen aus, die dumm und verblendet genug euch von selbst hineinrennen! Nach den Kleinen, Schwachen, Niedrigen, Haltlosen, die nicht wert sind, um Kopf und Kragen gespielt zu haben, und denen ihr mit Recht ihren hohlen Schädel vor die Füße legt! Sie mögt ihr aushungern! Mögt sie zermürben und zerreiben mit euren Büttelkünsten und Henkersfaxen! Wir Starken, Aufrechten, Entschlossenen aber, die im hundertgradigen Feuer der Leidenschaft geschmiedet, in tausendfachen Schmerzen und Leiden gehärtet sind, wir Reiter-bis-ans-Ende-der-Welt, die gegen Tod und Teufel die höchsten Augen gewürfelt haben, wir lachen über eure kleinen Kniffe und Pfiffe! ...
Ich bin aus dem Stil gefallen. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Bericht in aller Ruhe und Kälte, frei von jedem Überschwang niederzuschreiben. Die Klarheit der Darstellung soll, wenn mir mein Vorhaben gelingt, das darin zusammengefaßte Lebensschicksal so naturgetreu und durchsichtig wiedergeben, wie sich im Bernstein das Bild der vor Jahrtausenden vom Harzfluß überraschten und eingeschlossenen Eintagsfliege zeigt.
Freilich ist das für eine Natur wie die meine, noch dazu unter den obwaltenden Umständen, leichter gesagt als getan. Drei Jahre einer qualvollen, mörderischen und schweigend verschlossenen Leidenschaft, dreizehn Monate zerstörender Kerkereinsamkeit und unausgesetzter Inquisitionsfolter, endlich das dreitägige Vabanque-Spiel vor den Assisen mit seinen fortwährenden Umschlägen, Zwischenfällen, Glückswechseln und der fieberischen, fliegenden Spannung bis zum Schluß: Schuldig oder nicht? Tod oder Leben? ... Dies alles hinter sich zu haben und nicht wenigstens einmal aus tiefster Seele aufzuschreien, das geht über menschliche Kraft.
Aber jetzt genug des Überströmens und Monologisierens, wozu einsame und verzweifelnde Seelen so leicht ihre Zuflucht nehmen. Ich will klar, ruhig und besonnen an meine Arbeit gehen, die darin besteht, Gerichtstag über mich selbst zu halten, nachdem der unbeholfene Arm der Justiz dicht an meinem Kopf vorbei ins Leere getroffen hat.