Anastasius Grün
Robin Hood
Anastasius Grün

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Die auf den früheren Blättern mehrfach erwähnten Angaben Thierrys finden in den Arbeiten neuerer Forscher über die Lebens- und Zeitverhältnisse Robin Hoods (z. B. GutchsSiehe die Note 26., Spencer HallsThe forester's Offering. London 1841., AlliesOn the jovial Hunter of Bromsgrove, Horne the hunter, and Robin Hood, by Jabez Allies, Esq. London 1845. und des obengenannten Reviewers ) ihre Bestätigung und teilweise Ergänzung. Nur weichen diese von Thierry in dem Zeitpunkte ab, welchen sie dem Auftreten Robin Hoods in der Geschichte anweisen; denn während Thierry (wie auch Ritson) ihn zum Zeitgenossen Richards I. macht, verlegen die andern sein Erscheinen in eine etwas spätere Zeit, nämlich in die Tage Heinrichs III. (1216 bis 1272) und Edwards I. (1272 bis 1307), ja sie lassen ihn mit aller Wahrscheinlichkeit die Schlachten bei Lewes und bei Evesham unter Simon von Montfort mitfechten und erst nach der Niederlage der Volkssache in die Wälder fliehen. Sie stützen ihre Angaben erstens auf eine eingehendere Prüfung der bezüglichen Stellen des Chronisten Fordun; dann auf den unter dem Titel: »A lytell geste« bekannten Balladenzyklus, eines jener Mitteldinge von freier Dichtung und Reimchronik. wie solche als fast alleinige Geschichtsquellen für das Volk damals im Gange waren. Die Chronik des Weltpriesters Fordun, welcher in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte, daher den Ereignissen, um die es sich handelt, näher stand, verdient schon um dieses Umstands willen mehr Glauben als die späteren für die Zeitgenossenschaft Robin Hoods mit Heinrich II. und Richard I. zeugenden Chronisten. Ähnlich verhält es sich mit dem Balladenkranz A lytell gesteDie älteste Ausgabe dürfte die (wahrscheinlich im Jahre 1489) bei Wynkin de Worde in London gedruckte sein, die den Titel führt: »Here beginneth a merry geste of Robin Hode and his meyne and of the prod sheryfe of Notyngham.« Vgl. auch dieEin merkwürdiges Zeugnis für diese Popularität bleibt es, daß in Schottland schon im Jahre 1508, also bereits so bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst, eine Ausgabe von »The lytell geste« und zwar bei Chapman und Myllar in Edinburgh erschien.., dessen Entstehung in die Tage Chaucers, etwa in die Regierungsperiode Richards II. und Heinrichs IV. (1377–1413) fallen dürfte, mithin in Zeiten, da die Volkstradition über Robin Hood noch ziemlich frisch und unverfälscht erhalten war, und dessen Glaubwürdigkeit auch sonst durch mannigfache vollkommen geschichttreue Züge und Einzelheiten bewährt erscheint. In Forduns Scotichronicon, fortgesetzt vom Abt Bower, wird unter dem Jahre 1266 erzählt: »In diesem Jahre« – also ein Jahr nach der Schlacht bei Evesham – »kam es zu heftigeren Feindseligkeiten zwischen den ihres Erbes beraubten englischen Baronen und den Königlichen, von welchen Roger Mortimer die Grenzen von Wales und John Daynil die Insel Ely besetzt hielten. Um diese Zeit lebte Robert Hood als Verbannter in den Büschen und Dickichten des Waldes.«Die Originalstelle lautet: »Isto etiam anno grassati sunt acrius Angliae barones exheredati et regales; inter quos Rogerus de Mortuomari marchias Walliae, Johannes Daynillis insulam de Heli occupabant. Robertus Hode nunc inter fruteta et dumeta silvestria exulabat.« Scotichronicon, ed. Geodall, vol. II. Weiter berichtet derselbe Chronist folgendes Abenteuer Robin Hoods: »Als dieser eines Tages in Barnsdale, wohin er sich vor dem Zorne des Königs und dem Hasse des Prinzen geflüchtet hatte, sehr andächtig die Messe hörte, wie es seine Gewohnheit war, in welcher er sich durch nichts hindern ließ, wurde er von einem Vizegrafen und anderen königlichen Beamten, die ihm schon längst nachgestellt hatten, in jenem geheimen Waldverstecke, wo er Messe hörte, ausgekundschaftet. Einige seiner Leute, die hiervon Kenntnis erhalten hatten, beschworen ihn, in aller Eile zu fliehen; doch aus Andacht vor der heiligen Handlung, welcher er gerade seine innigste Andacht widmete, weigerte er sich entschieden dies zu tun. Während der Rest seiner Schar in Todesfurcht bebte, bestand Robert im Vertrauen auf Ihn, den er furchtlos verehrte, mit den wenigen seiner Gefährten, die ihm zufällig zur Seite waren, den Angriff der Feinde, besiegte diese mit Leichtigkeit und bereicherte sich mit deren Beute und Lösegeld, von jetzt an die Priester der Kirche und die Messen in noch höheren Ehren haltend als bisher, und eingedenk des Volksspruches: »Wer fleißig Messe hört, wird auch von Gott erhört.«Der Urtext lautet: »Cum ipse quondam in Barnisdale, iram regis et fremitum principis declinans, missam, ut solitus erat, devotissime audiret, nec aliqua necessitate volebat interrumpere officium; quadam die cum audiret missam, a quodam vicecomite et ministris regis, eum saepius per prius ipsum infestantibus, in illo secretissimo loco nemorali, ubi missae interfuit, exploratus, venientes ad eum qui hoc de suis perceperunt, ut omni annisu fugeret suggesserunt. Quod ob reverentiam sacramenti, quod tunc devotissime venerebatur, omnino facere recusavit. Sed, caeteris suis ob metum mortis trepidantibus, Robertus tantum confisus in eum quem coluit, inveritus, cum paucissimis qui tunc forte ei affuerunt, inimicos congressus, eos de facili devicit, et de eorum spoliis ac redemptione ditatus, ministros ecclesiae et missas in majore veneratione semper et de post habere praelegit, attendens quod vulgariter dictum est: Hunc Deus exaudit, qui missam saepius audit.« Scotichronicon, 1. c Vgl. auch die Ballade: »Robert Hoods Kirchengang« dieser Sammlung. Der mehrerwähnte Verfasser des Aufsatzes im »London und Westminster Review« schließt aus der Erwähnung des »Königs« und des »Prinzen«, daß das hier erzählte Ereignis gegen Ende jener zwei Jahre nach der Schlacht bei Evesham stattgefunden habe, in welchen Prinz Edward mit der Bewältigung der über mehrere Landesteile zerstreuten bewaffneten Banden beschäftigt gewesen; in dem gleichfalls erwähnten Vicecomes (viscount) sei aber der in den Balladen so oft genannte Sheriff von Nottingham nicht zu verkennen. Während Ritson das Lebensalter Robin Hoods (angeblich geboren 1160, gestorben 1247) auf 87 Jahre bringt, schließt Gutch aus obigen Stellen Forduns und aus den Versen des Lytell geste:

So lebt' er zwanzig Jahr und zwei
Im grünen Waldesdicht,
Und alle Macht König Edwards bracht'
Zurück zu Hof ihn nichtVgl. die Ballade »Robert Hood verläßt den Hof«, welche dem »Lytell geste« entnommen ist. Die oben angeführte Stelle lautet im Original:
»Robin dwelled in greene wode
Twenty yere and two
For all drede of Edward our kynge
Again would not he go.«

daß der Volksheld, um etwa als vierzigjähriger Mann die Schlacht bei Evesham (1265) mitzufechten, im Jahre 1225 geboren, und da er unter Edward I., der 1272 zur Regierung kam, 22 Jahre im Walde zubrachte, etwa um 1294, mithin im Alter von 69 Jahren gestorben sein mußte.Diese Taten scheint Hr. Gutch, wenn die Zeitungen genau berichteten, seither modifiziert zu haben. In einem Aufsatze nämlich, welchen er in der 1852 in Newark abgehaltenen Versammlung der britischen archäologischen Gesellschaft vorlas, suchte er die Ansicht des berühmten Antiquars Joseph Hunter näher zu begründen, daß R. Hood mit dem in den Exchequer Records als Torwächter (yeoman porter) König Edwards II. im Jahr 1323 erwähnten Robert Hood identisch sei. (Siehe Augsburger Allgemeine Zeitung, Jahrg. 1852, Nr. 237.) Wäre das früher von Gutch angenommene Geburtsjahr 1225 richtig, so müßte Robin Hood mindestens das Alter von 98 Jahren, also ein weit höheres als das von Ritson angegebene, erreicht haben. Der bereits erwähnte Altertumsforscher aus Worcestershire J. AlliesJabez Allies a. a. O. hält Loxley in Staffordshire oder Loxley in Warwikshire für den Geburtsort Robin Hoods, den Wald von Fekenham in Worcestershire aber für den frühesten Schauplatz seiner Taten und glaubt, daß Robin Hood erst nach der Schlacht bei Evesham in den Wald Sherwood in Nottinghamshire und Barnsdale in Yorkshire gezogen sei. Er erzählt, daß unter Heinrich II. die Grenzen des Fekenhamer Forstes zur höchsten Betrübnis der Anwohner so weit ausgedehnt wurden, daß der größte Teil des Nordens und Nordostens von Worcestershire in demselben eingeschlossen war (wie denn auch Sherwood fast ganz Nottinghamshire bedeckte). Allies hält sonach Robin Hood gleichfalls für einen Zeitgenossen Heinrichs III. und Edwards I. und stellt die Vermutung auf, daß Robins Vater oder Großvater, gleich tausend anderen, von Heinrich II., als er jenen Forst erweiterte, gewaltsam aus seinem Grundbesitz verdrängt worden sei, wodurch die entschiedene Feindseligkeit Robin Hoods gegen die Forstgesetze noch erklärbarer würde.

So tritt aus dem großartigen, wenn auch mitunter dunkeln und nebelhaften geschichtlichen Hintergrunde deutlicher erkennbar die edlere historische Gestalt Robin Hoods hervor als die eines echten Frei- und Landsassen, eines wahren germanischen Gau- und Freimannes (yeoman, freeman). Von den Yeoman untrennbar ist der Bogen, und in der Heeresformation jener Zeit bilden die landsässigen Bogenschützen die Masse des Fußvolks, sowie andererseits die lanzenbewaffneten Ritter den Kern der Reiterei. Der tapfere, gutherzige und trotz der Unterdrückung unabhängig gebliebene Yeoman steht vor uns als Verteidiger seiner Stammgenossen, als Feind der Fremdherrschaft, als Kämpfer für das alte angelsächsische Recht, die Gesetze Edwards des Bekenners, und für die neuen in der Magna Charta verbriefen Freiheiten, die er im Vereine mit den volksfreundlichen und unabhängigen Baronen gegen die Übergriffe der Herrscher mannhaft verficht: kurz, wir erblicken in ihm einen Volkshelden edelster Natur. Wir sehen seinen Trotz und Haß gegen das Gesetz nicht aus mutwilliger Freude an gesetzlosen und anarchischen Zuständen, sondern aus einer reineren Quelle, ja aus wahrer Rechtsachtung entspringen; er mißachtet jenes nur, weil es ein fremdes, seinem Volke gewaltsam aufgezwungenes ist. Er haßt und verfolgt die Reichen, die Barone und Prälaten nicht aus gemeiner Habsucht und Mißgunst, nicht wegen ihrer höheren Lebensstellung, nicht aus Irreligiosität, sondern weil sie die Räuber angelsächsischer Güter, weil sie die Eindringlinge und Unterdrücker sind. Die Wohltaten, die er Armen, Witwen und Waisen zuwendet, sind ebensoviel Geschenke an leidende Stammgenossen und daher echt patriotische Gaben. Er flieht in den Wald nicht aus Hang zum Müßiggang und Vagabundenleben, sondern weil er, seines väterlichen Erbes beraubt, dort allein seinen Unterhalt und gegen den Jammer, die Knechtschaft und Trostlosigkeit des äußern Lebens in den Armen der Natur Heiterkeit, Freiheit und Trost zu finden hofft. Bei solchem innern Adel der ganzen Erscheinung freuen wir uns fast, daß die von Ritson mit mehr Vorliebe als Kritik vorgeführten Adelsdokumente Robin Hoods die gegründetsten Bedenken erregen; daß namentlich der auf Dr. StukeleysAus dessen »Palaeographia Brittannica«. Autorität aufgenommene Stammbaum, ebenso wie die nach Angabe ThoresbysAus Dr. Gales Papieren mitgeteilt in Thoresbys Ducatus Leodiensis«. Den Wortlaut der Grabschrift siehe in den Anmerkungen zu der Ballade: »Robin Hoods Tod« wieder abgedruckte Grabschrift vor der geschichtlichen Kritik nicht standhalten: wie denn auch beide schon von früheren Kritikern, namentlich dem sachkundigen Bischof Dr. Percy stark angezweifelt worden sind. Wir lächeln fast befriedigt zu der Annahme, daß insbesondere der adlige Geschlechtsname eines Earl of Huntington sich sehr natürlich in ein Wortspiel, in einen für einen Wildschützen sehr passenden Scherznamen (von hunt, hunting, die Jagd) auslösen dürfte. Wir sehen nach alledem die fast beispiellose Vorliebe des englischen Volkes für seinen Helden auch aus sittlichen Motiven vollkommen gerechtfertigt und erquicken uns um so lieber an den Erscheinungen einer so seltenen Popularität.

Als Zeugnis für diese mag es gelten, daß die Geschichte und Taten Robin Hoods und seiner Genossen den Stoff zu mannigfaltigen dramatischen Vorstellungen und zu zahlreichen, in wohlfeilen Ausgaben verbreiteten Volksromanen und Prosaerzählungen, sowie zu vielfachen Anspielungen gegeben haben, welche sich in englischen Dichtern und Prosaikern, namentlich in Shakespeares Werken, zahlreich vorfinden. In neuerer Zeit haben zwei ausgezeichnete Schriftsteller Englands, Walter Scott in seinem Roman »Ivanhoe« und James in seiner Erzählung »Forest days,« es nicht verschmäht, ihre Dichtungen mit Episoden aus dem Leben Robin Hoods zu schmücken; zu geschweigen eines späteren ähnlichen Versuches in Peacocks »Maid Marian«.Dem Verfasser nur in der französischen Übersetzung von Louis Barrs (Bruxelles 1855) bekannt. In unseren Tagen (1860) ward eine Oper von Macfarrens »Robin Hood« als werdendes Kassenstück für »Her Majestys« Theater von der Londoner Presse mit vollen Posaunenstößen gepriesen, ein Erfolg, an welchem der Held des Librettos seinen nicht unerheblichen Anteil haben mag. Ihm verdanken verschiedene ältere und neuere, bei Ritson wörtlich aufgeführte Sprichwörter ihren Ursprung; bei Robin Hood oder einem seiner Genossen zu schwören, scheint Landesbrauch gewesen zu sein. Seine Lieder wurden bei feierlichen Gelegenheiten gesungen und sein Dienst bisweilen dem Worte Gottes vorgezogen. So berichtet Bischof Latimer (unter Edward VI., 1547–53) mit großer Entrüstung, wie er auf der Heimreise nach London in eine Ortschaft gekommen sei, wo er sich vorher habe anmelden lassen, um zu predigen; bei seiner Ankunft aber habe er den Ort leer und die Kirche verschlossen gefunden und habe erfahren, daß Robin Hoods day sei, und daß niemand zur Kirche kommen würde; demnach habe er wohl oder übel den Robin Hoods men Platz machen müssen. Man darf Robin Hood als Schutzpatron des Schützenwesens ansehen, und wenn er auch nicht förmlich heilig gesprochen wurde, so erhielt er doch die vorzüglichste Auszeichnung eines Heiligen, nämlich das Zugeständnis eines eigenen Festtages, an welchem alle Geschäfte ruhen mußten, und den selbst der religiöse Eifer der Reformationszeit nicht zu beseitigen vermochte. Der erste Mai ist der Robin Hoods day, und feierliche Spiele, Schützen- und Maifeste, zu Ehren seines Gedächtnisses eingeführt, wurden bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts regelmäßig abgehalten und zwar nicht von den unteren Volksklassen allein, sondern von Königen, Prinzen und ernsthaften Magistratspersonen, sowohl in England als Schottland; Feste, nach den Anschauungen der früheren Jahrhunderte so innig verflochten mit der bürgerlichen und religiösen Freiheit des Volkes, daß die Regierung sie zu unterdrücken nicht wagen durfte. Die Söhne der Sachsen und die Söhne der Normänner nahmen gemeinsam teil an diesen volkstümlichen Festvergnügungen, ohne sich entfernt daran zu erinnern, daß diese ein Denkmal sind der alten Feindschaft ihrer beiderseitigen Ahnen. König Heinrich VIII. pflegte regelmäßig seine Maifeier zu begehen; Beispiele davon aus verschiedenen Jahren hat der Chronist Hall sorgfältig aufgezeichnet. So bringt dieser aus dem Jahre 1516 folgenden hübschen Bericht über eine von Offizieren der königlichen Leibwache aufgeführte Festszene: »König und Königin im Kreise von Lords und Ladies machten einen Lustritt zu den Höhen von Shooters Hill: da erblickten sie am Wege eine Schar von etwa 90 tüchtigen Burschen in grünen Kleidern und Hüten, mit Bogen und Pfeilen bewehrt. Einer der Bursche, welcher sich selbst als Robin Hood dem König vorstellte, lud diesen ein, seine Leute schießen zu sehen; was der König zugestand. Nachdem dieser den Übungen zugesehen hatte, machte Robin Hood seine Einladung an König und Königin, ihnen in den grünen Wald zu folgen und das Leben der Geächteten anzusehen. Als die Königin und die Damen auf die Frage des Königs, ob sie dazu geneigt wären, zugestimmt hatten, begleitete Hörnerschall sie bis zu dem Walde, der am Fuße von Shooters Hill gelegen ist. Daselbst befand sich eine Laube aus frischen Zweigen aufgebaut und darin ein Saal, eine größere und eine kleinere Kammer mit Blumen und duftigen Kräutern ausgeschmückt, was dem König gar wohl gefiel. Darauf sagte Robin Hood: »Herr, der Geächteten, Frühstück ist Wildbret, und Ihr müßt Euch bescheiden mit dem Mahle, das wir haben.« König und Königin ließen sich nieder, und Robin Hood und seine Leute bedienten sie mit Wildbret und Wein. Als der König und sein Gefolge sich entfernten, gab Robin Hood mit seiner Schaar ihm noch das Geleite. Auf dem Rückwege begegneten sie zweien Jungfrauen in einem reichverzierten, von fünf Pferden gezogenen Wagen; jedes Pferd hatte seinen Namen am Haupte angeschrieben; auf jedem Pferde saß ein Fräulein mit der Aufschrift ihres Namens, und auf dem Wagensitze saß Lady May, begleitet von Lady Flora in reichstem Schmuck, und sie begrüßten den König mit mancherlei Gesängen und geleiteten ihn dann nach Greenwich.«Aus Halls Chronicle auszugsweise in: »Londiniana or Reminiscenses of the british Metropolis: including characteristic sketches antiquarian, topographical, descriptive and literary, by Edw. Wedlake Brayley etc.« London 1828. Bd. III. S. 231. Unter den mit den Maispielen zusammentreffenden Lustbarkeiten nimmt der sogenannte Morris-TanzNäheres über diesen in den Anmerkungen zu der Ballade: »Robin Hood und Maid Marian«., in welchem Robin Hood, Klein John, Bruder Tuck und Maid Marion stehende Charaktermasken sind, eine hervorragende Stelle ein. Im Kirchspiel von Halifax zeigt man noch einen ungeheuren Stein oder Felsen, der Robin Hoods Pennystone (Pfennigstein) heißt, mit welchem er zur Kurzweil nach einem Ziele geworfen habe. In einer andern Felsengruppe bei Birchover heißen ein paar der höchsten Spitzen Robin Hoods stride (Schritt, Fußstapfe). Sein Bogen nebst Pfeilen in Fountainsabbey, sein Stuhl in Sherwood (ein Felsensitz in den Kirkby Crags heißt Robin Hoods chair) wurden noch im vorigen Jahrhundert gezeigt. Auf diesem Stuhle fand mit gewissen Feierlichkeiten die Aufnahme in die dort zu seinen Ehren bestandene Brüderschaft statt. Eine Hügelreihe in der Nähe von Nottingham, sowie die Quelle, aus welcher er seinen Durst zu löschen pflegte (Robin Hoods well), ebenso auch eine Bucht und Ortschaft an der Küste von Yorkshire (Robin Hoods bay) tragen seinen Namen. Dieser bezeichnet wohl noch ein Dutzend Gäßchen, Höfe und öffentliche Plätze in London, und bis zur Abschaffung der aushängenden Schilde kam Robin Hoods Bild auch in der Hauptstadt fast so häufig als Aushängeschild vor, wie noch gegenwärtig auf dem Lande. Ein in England wohlbekannter, im Jahre 1613 in London gestifteter Klub für öffentliche Redeübungen nahm seit seiner Übersiedelung in ein Haus in Butcher Row, welches solch ein Schild führte, den Namen Robin Hoods Society an. Aber nicht in England allein, auch in Irland und insbesondere in Schottland, welches eine eigentümlich national gefärbte Reihe von Robin Hoods-Liedern aufzuweisen hat, war die Popularität unseres Helden eine tief eingewurzelte und weitverbreitete.Ein merkwürdiges Zeugnis für diese Popularität bleibt es, daß in Schottland schon im Jahre 1508, also bereits so bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst, eine Ausgabe von »The lytell geste« und zwar bei Chapman und Myllar in Edinburgh erschien. Auch in Schottland hatte er seine Jahresfeier in Volksspielen und Festen, und der oft wiederholte Versuch der Behörden, diese Festfeier, wenn sie auf einen Sonn- oder Feiertag fiel, zu unterdrücken, hatte im Jahre 1561 in Edinburgh einen sehr ernsthaften Volkstumult zur Folge. Noch im Jahre 1592 klagte die General-Assembly über die Entheiligung des Sabbats durch die Robin Hood-Spiele.Nach Arnots History of Edinburgh. Ch. II.

Wenn wir, dem Ziele der gegenwärtigen Erörterungen näher rückend, das englische Volkslied genauer ins Auge fassen als einen jener Spiegel, welche uns von der volkstümlichen Geltung des Helden das treueste Abbild bieten, so finden wir das Andenken und die Taten Robin Hoods in einem Kreise zahlreicher Reime, Lieder und Balladen aus früherer und späterer Zeit, von höherem und geringerem dichterischen Werte gefeiert, welchen die geistreiche und gründliche Kennerin der Volkspoesie, Frau Robinson JakobTalvj, Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen. Leipzig 1840. »als den merkwürdigsten Teil der englischen Volksliteratur« betrachtet. Zur Blütezeit des englischen Volksgesanges wurden diese oft unmittelbar aus dem Volke selbst hervorgegangenen, dem gemeinen Manne bereits geläufigen Gesänge durch die Minstrels und Jongleurs (Glemen, fiddlers angelsächsisch) auch an den Höfen der Könige und Großen eingebürgert, bis sie durch die Erfindung der Buchdruckerkunst und durch das Emporblühen der Kunstpoesie in allmählichen Übergängen aus den höheren Schichten endlich ganz verdrängt, den entartenden Nachfolgern jener Minstrels, bettelhaften Musikanten und Bänkelsängern anheimfielen, von solchen Organen auch an Gehalt entwertet, wenn auch vom Volke um des Helden willen noch immer mit Interesse und Vorliebe aufgenommen. So läßt sich, nach dem Ausspruche eines sachkundigen GewährsmannesW. Dönniges, Allschottische und Altenglische Volksballaden. Nach den originalen bearbeitet. München 1852., »an den Robin Hoods-Liedern allein schon die Blüte und der Untergang des englischen Volksgesanges verfolgen«, welcher in dem Ministrelgesang des 14. Jahrhunderts sein eigentlich goldenes Zeitalter gefunden hatte, während die Regierungszeit Elisabeths als die seines entschiedenen Verfalls angenommen werden kann. Noch durch das ganze 17. Jahrhundert wurden die erhalten gebliebenen Robin Hoods-Balladen in Flugblättern durch Hausierer auf den Dörfern feilgeboten und nach einer Art Rezitativ abgesungen: eine große Anzahl der ältesten aber war nachweisbar bereits mit ihren Sängern verschollen oder, wenn je niedergeschrieben, sonst verloren gegangen. Der Buchdruckerkunst, welche der Flüchtigkeit mündlicher Überlieferungen zu Hilfe kam, und dem Sammlerfleiße einiger Freunde des Volkslieder blieb es vorbehalten, etwa ein halbes Hundert jener Balladen, deren älteste und wertvollste wohl noch dem 14. Jahrhundert angehören, für unsere Tage zu retten. Sehr richtig jedoch bemerkt TalvjVgl. Talvj a. a. O. S. 496., daß das Volkslied, bevor es niedergeschrieben wird, oft jahrhundertelang sich traditionell fortpflanzt und so, während es im ganzen dasselbe bleibt, in Einzelheiten und in der Ausdrucksweise sich verändert. So mögen einige dieser Balladen, welche der Sprache nach etwa dem 15. Jahrhundert, d. h. der Zeitperiode, in welcher sie zu Papier gebracht wurden, angehören, doch in ihrer Komposition wesentlich älter sein. Als Verfasser einiger der ältesten Robin Hood-Lieder wird Richard Grove, der in der Nähe von Doncaster wohnte, genannt; als Autor eines der späteren aus dem 17. Jahrhundert nennt sich Martin Parker selbst. Die ältesten, ursprünglich zum Volksgebrauche bestimmten Drucke solcher Lieder erschienen teils vereinzelt als fliegende Blätter in sogenannter gotischer Schrift (black letter) mit groben Holzschnitten, teils in mehr oder minder umfangreichen, oft neu aufgelegten Sammlungen unter dem für ähnliche Sammelwerke damals sehr beliebten Titel der »Garlands«Eine der ältesten Ausgaben soll die im Jahre 1670 bei T. Coles, W. Vere und J. Wright erschienene sein. Ritson scheint diese nicht gekannt zu haben und führt als die älteste ihm bekannte die bei J. Clark, W. Thackeray und Th. Passenger im Jahre 1686 gedruckte an; eine der letzten in London aufgelegten führt den Titel: »Robin Hoods garland being a complete history of all the notable and merry exploits performed by him and his men on many occasions. To which is added a preface giving a more full and particular account of his birth etc.: than any hitherto published.« (Kränze). Begreiflicherweise sind diese alten Drucke gegenwärtig typographische Seltenheiten und nur noch hie und da in namhafteren Bibliotheken vorfindig. Einzelne Stücke davon kamen in den mit kritischerem Geiste zusammengestellten Sammlungen von Percya. a. O., JamiesonJamieson, Popular Songs., HalliwellHallywell, Nursery Rhymes of England., Walter ScottW. Scott, Minstrelsy of the Scottish Border. u. a. in neuerer Zeit zum Wiederabdrucke für den modernen Leser. Das unbestreitbare Verdienst der ersten tunlichst vollständigen Gesamtausgabe aller über Robin Hood auffindbaren Volkslieder gebührt aber dem fleißigen Sonderling J. RitsonRobin Hood: a collection of all the ancient poems, songs and ballads, now extant relative to that celebrated English Outlaw. To which are prefixed historical anecdotes of his live. By Joseph Ritson, Esqu. Second Edition. London 1832. 2 Bde. Die erste Auflage erschien 1795., welcher es zugleich unternahm, jenes bereits mehrfach erwähnte historische Lebensbild zu zeichnen, dessen hier und da etwas allzu kühne Konturen eine spätere Kritik zwar auf die richtigerer Umrisse zurückführen darf, ohne des Dankes zu geschweigen, den sie ihm für die Reichhaltigkeit des zutage geförderter Materiales schuldet. Ritsons Sammlung bildet den wertvollen Grundstock der neuesten, begreiflicherweise noch vollständigeren Gesamtausgabe der Robin Hood-Poesien, welche J. W. GutchA lytell geste of Robin Hode with other ancient et modern ballads and songs relating to this celebrated yeoman to which is prefixed his history and character grounded upon other documents than those made use of by his former biographer Mister Ritson. Edited by J. M. Grutch, F. S. A. In two volumes. London 1847. im Jahre 1847 ans Licht treten ließ und mit gediegenen, auch in unserer Darstellung dankbar benützten historisch-kritischen Beigaben bereicherte.

Über Wert und Bedeutung dieser Dichtungen in ihrem Heimatlande läßt sich die bewährte Stimme Allan CunninghamsSiehe diesen Aufsatz: »Robin Hoods Ballads in Knights Store of Knowledge. wie folgt vernehmen: »Diese Balladen in ihrer ungekünstelten Anschaulichkeit werden manchem vielleicht roh erscheinen. In der Tat müssen wir zugestehen, daß dieselben öfters wenig wohllautend sind und jenes Tonfalles entbehren, welchen der Kritiker heutzutage wünschen muß; aber in jener Zeit, als sie entstanden, war das Auge noch nicht, wie jetzt, auf den Richterstuhl berufen, und das Ohr begnügte sich, da Musik ohne störendes Übergewicht die Worte begleitete, mit einer gewissen Übereinstimmung der Töne. Der Balladensänger war demnach minder besorgt um den Fluß der Worte, die Richtigkeit des Silbenmaßes und den Reinklang der Reime. Seine Dichtungen, an denen sich unsere Vorfahren wahrhaft ergötzten, klingen rauh und herb für das verwöhnte Ohr der Neuzeit, denn unser Geschmack ist empfindlicher in Sachen der Reinheit und des Wohlklangs der Töne. Sie sind aber reich an Handlung und rein menschlichem Charakter; sie spiegeln die Sitten und Gefühle ferner Zeiten wieder; sie zeichnen manches, was der Maler nicht ausführte und der Geschichtschreiber übersah; ohne verletzende Bitterkeit spricht aus ihnen die Empfindlichkeit gegen Unbill und Unrecht im öffentlichen wie im Privatleben; ja, sie schwingen sich bisweilen in die höheren Regionen der Phantasie empor und liefern Gemälde im echten Geiste der Romantik. Ein unwiderstehlicher Drang zum Kampfe, der ihnen nur Spiel scheint; Verachtung gegen alles, was hinterlistig und feig, Liebe für alles, was frei, mannhaft und warmherzig ist; Haß gegen alle Unterdrücker, seien es Priester oder Laien, und Hinneigung zu allen jenen, welche die wahre Lustigkeit in Wort und Tat lieben: das sind die Eigenschaften, durch welche die Robin Hoods-Balladen sich auszeichnen. Der persönliche Charakter, so gut wie die Geschichte des kühnen Geächteten ist jedem Verse aufgeprägt.«

Bei solchen Eigenschaften ist die ungemeine und andauernde Beliebtheit und Verbreitung dieser Lieder durch alle Gesellschaftskreise Englands erklärbar. Jedes Handwerk wollte sein eigenes Robin Hood-Lied besitzen, und so finden wir den Helden im Zusammentreffen mit einem Gerber, einem Töpfer, einem Fleischer, einem Schäfer, einem Färber, einem Kesselflicker u. a. m. Manche dieser Balladen mag gelegenheitlich für ein anderes Handwerk zurecht gemodelt worden sein, wie denn auch im Deutschen beispielsweise das hübsche Lied vom »Zimmergesell« und »der jungen Markgräfin«Vgl. K. Simrocks deutsche Volkslieder in der von ihm herausgegebenen Sammlung der »deutschen Volksbücher«. anderweitig auch von einem Schuhmacher, einem Schmiede, einem Schneider, einem Bäcker, einem Büttner, einem Schlosser, einem Tischlergesellen, endlich auch von einem Schreiber gesungen wird; und wie hier die verschiedenen Handwerke um die genossene Gunst einer schönen und vornehmen Frau wetteifern, so geizen sie dort nach dem Ruhme, sich durch einen der Ihrigen mit Robin Hood im Kampf gemessen, diesen besiegt und allenfalls tüchtig durchgebleut zu haben.

Es bleibt ein schöner Zug im Volksgemüte, daß es in Lied und Überlieferung seine Helden möglichst emporzuheben, auszuschmücken und zu veredeln bestrebt ist. Indem es hierbei nicht ansteht, Taten und Erlebnisse anderer Berühmtheiten auf seine Lieblinge zu übertragen, diese in die Umgebung edlerer Personen, auf den Boden einer interessanteren Zeit zu stellen, ihr Andenken in seine Feste und Gebräuche zu verweben usw., gerät es treulich mit der historischen Gewissenhaftigkeit hie und da in arge Konflikte. Daß solche auch bei den Volkstraditionen über Robin Hood mannigfach obwalten, wurde bereits nachgewiesen. In solchen Fällen wird es dann wieder die Aufgabe späterer Kritiker, in ihren Forschungen auf die Urgestalten zurückzugehen und den echten historischen Kern aus dem poetischen und traditionellen Schmuck und Beiwerk zu lösen. In dieser Richtung sei auf A. KuhnsSiehe dessen Aufsatz »Wodan« im V. Bd. der Zeitschrift für deutsches Altertum, herausg. von Moritz Haupt. 1845. interessanten Versuch hingewiesen, die mythische Gestalt Robin Hoods aus der Rolle, die ihm bei den Weihnachts- (Christmas) und Frühlingsfesten und anderen Volksgebräuchen zugewiesen ist, zurückzuführen auf Wodan als »Gott des Frühlings, der den Sommer bringt«, dem aber auch die Zeit der Wintersonnenwende geheiligt gewesen.

Mag immerhin rücksichtlich einzelner Daten über Robin Hood einiger Widerspruch zwischen Historie und Poesie bestehen, so stimmt doch mit dessen Charakterbilde im großen Ganzen, wie es die Geschichte aufstellt, die Zeichnung des Helden in der Volksdichtung wesentlich überein; diese ergänzt jenes und führt es in einzelnen Zügen noch sorgsamer aus. Ein Beschützer der Armen und Schwachen, ein Feind der Unterdrücker ist er auch hier; seinem König ergeben in Treuen, schwingt er doch die Waffe gegen dessen Beamte und Höflinge als Feinde seines Volkes; bis zum Übermaße fromm und gottesfürchtig, läßt er sich doch nicht aus Respekt vor dem geistlichen Talare abhalten von Angriffen auf hochmütige Bischöfe und geldgierige Prälaten des Eindringlingstammes. Zäh und fest im Unglück, an Entbehrungen gewohnt und diese mit guter Laune ertragend, zeigt er sich als echter Lebemann und großmütiger Spender im Glück und Überfluß, immer munter und schlagfertig, gutherzig und voll des frischesten aber mitunter sehr derben englischen Humors. Ein trefflicher Bogenschütze weiß er jedoch auch das Schwert und die Stange, den Langstab (quarterstaff), ja im Notfalle auch die Faust trefflich zu führen. In seiner Hand wird der Stock geadelt und zur ritterlichen Waffe erhoben. Im Walde widerhallt es von Schlägen, die der Held reichlich austeilt, aber fast noch reichlicher empfängt; denn ungleich andern immer siegreichen Helden der Kunst- und Volkspoesie, vor deren bloßem Anblicke schon die Feinde bewältigt niederstürzen, läßt ihn das englische Volkslied sehr oft als Besiegten und jämmerlich Durchgeprügelten erscheinen, sei es, daß die Volksdichtung, diesen Zug von Naturwahrheit festhaltend, ihren Liebling der allgemeinen menschlichen Hinfälligkeit nicht entkleiden und ihn dadurch dem Auditorium näher rücken wollte, sei es daß sie ihn absichtlich den Schwächern spielen läßt, um seine Gegner zu Anhängern zu werben und sie in die Herrlichkeiten des Waldlebens einzuführen. Dieses Wald- und Jagdleben, von dessen Reizen uns die Balladen mit wenigen aber kräftigen Pinselstrichen ein so naturwahres Gemälde entwerfen, hat nichts gemein mit der weichlichen Kunstblumenpoesie modernster Waldseligkeit. Hier trägt der Wald noch seinen alten großartig einfachen Charakter; in seinem ehrwürdigen, noch ungelichteten Dunkel, in seiner knorrigen Urwüchsigkeit und erhabenen Wildheit ist er das Asyl der Verfolgten, die Schule freiwilliger Entbehrung und Kraftübung, aber auch die Heimat der wettergehärteten Gesundheit und Mannesfreiheit. Das Leben des Helden schließt in Geschichte und Dichtung mit tragisch erschütternder Wirkung ab; der andächtige Verehrer der heiligen Jungfrau, der Mann, welcher nie einer Frau ein Leides tat oder antun ließ, findet in einem Frauenkloster seinen Untergang und verblutet unter den Händen eines Weibes, dessen christlicher Beruf es war, ihm Hilfe zu leisten, die er vertrauensvoll gesucht hatte.

Die erklärbare Anziehungskraft, welche von einer solchen Heldengestalt ausgeht, rechtfertigt wohl auch den Wunsch, diese in treuem Spiegelbilde der deutschen Lesewelt vorzuführen; ja, so mächtig war diese Anziehungskraft, daß der Übersetzer selbst durch die warnende Stimme Talvjs, welche die Robin Hoods-Balladen bei ihrem vorwiegend »lokalen Gepräge, so durchwirkt mit Orts- und Gewerbsnamen« für »ganz unübersetzbar« erklärt, von dem Unternehmen sich nicht abschrecken ließ. Bei dessen Ausführung aber mußte es als die geeignetste Form erscheinen, die getroffene Auswahl der dichterisch anziehendsten Stücke wo möglich in ein auch innerlich zusammenhängendes Ganzes zu vereinigen und diese sprachlich und zeiträumlich so geschiedenen, nur in der Verherrlichung ihres Helden übereinstimmenden Produkte des dichtenden Volksgeistes zu einem abgeschlossenen, einheitlichen Lebensbilde zusammenzufassen. Diese Aufgabe fest im Auge behalten, war auch die Art der Behandlung des verfügbaren Materiales von selbst vorgezeichnet. Bei aller gewissenhaft beobachteten Treue gegen Geist und Wort der Originale, war doch in der Zusammenstellung der Einzelteile des Gemäldes ein gewisses Maß von Freiheit unentbehrlich. Schon in der Reihenfolge der einzelnen Stücke mußte der Übersetzer von den Herausgebern des englischen Urtextes abweichen, da diese die Aneinanderreihung nach deren sprachlichem Alter durchführten, während in der deutschen Auswahl die geschilderten Momente am rechten Orte an den Lebensfaden des Haupthelden anzuknüpfen waren; dort war die philologische, hier die historische Chronologie maßgebend. Manche dieser Lieder aus der späteren Zeit beginnen, dem gewerbsmäßigen Charakter der vortragenden Volkssänger entsprechend, mit einer einladenden Ansprache an das PublikumZ. B.

»Wollt ihr gedulden, edle Herrn,
So sing' ich euch zum Lohn
Ein gutes Lied von Robin Hood
Und seinem wackern Klein John.«
  Robin Hood's birth, breeding, valour and marriage.

oder:

»Ihr edlen Herrn und freien Leut',
Rückt näher zu mir her,
Von Robin Hood, dem tapfern Mann,
Erzähl' ich euch eine Mär'.«
                        Robin Hood and the Shepherd.

oder:

»Kommt, edle Herrn, und gebt eine Weil'
Auf meine Erzählung acht,
Wie Robin Hood den Bischof bedient
Und um sein Gold gebracht.«
                          Robin Hood and the bishop.
oder mit einer kurzen Inhaltsangabe des zum Vortrag kommenden Liedes, das in der Regel als ein abgeschlossenes Stück selbständig für sich gelten mochte. Die Festhaltung der Einheit und des Zusammenschlusses der verschiedenen Balladen erforderte es, in unserer Sammlung derlei störende Eingänge ebenso zu beseitigen, wie die in einigen Liedern vorkommenden, meist auch unübersetzbaren Kehrreime (Refrains)Z. B.
»Derry derry down
Hey down, derry down.«

oder:

»With a hey dawn, down, a down, down.«
, welche doch nur für den Gesangsvortrag erheblich, hier aber nicht minder störend wären. Kenner des Volksliedes wissen aus Erfahrung, und die so häufigen Varianten, namentlich in beliebteren Volksliedern, beurkunden es, wie mannigfaltigen Änderungen, Zusätzen, Erweiterungen und Weglassungen das Volkslied im mündlichen Vortrage unterworfen ist. Einem geübten Blick und Gefühl sind derlei Stellen leicht erkennbar und teilweise Kürzungen, Ergänzungen und Abrundungen, wenn mit Takt und Maß, mit Gewissenhaftigkeit und am rechten Orte vorgenommen, gewiß ein nicht unerlaubter Versuch zur Wiederherstellung des Ursprünglichen. Dabei ist der Übersetzer jedoch sich bewußt geblieben, auch hier jene gewissenhafte Achtung und Treue vor dem echten Volksliede bewahrt zu haben, welche ihm bereits bei einer früheren Arbeit ähnlicher RichtungVolkslieder aus Krain. Übersetzt von A. Grün. Leipzig 1850. als strenge Richtschnur diente.

Die Gegenwart kennt nicht Acht und Bann, wenigstens nicht in den schroffen Formen und Wirkungen der Vorzeit; sie hat keine Geächteten und Friedlosen, und die etwa als solche sich Fühlenden sind es doch nicht in dem Sinne jener früheren Tage. Aber auch die Neuzeit kennt inmitten ihrer kämpfenden Gegensätze noch immer jenes unwiderstehliche Verlangen, jene tiefe Sehnsucht des Menschenherzens, welches aus der Atmosphäre gärender Neugestaltungen, aus den Walstätten ringender Ideen und Parteien, aus dem verwirrenden Durcheinander ihrer Feldrufe, aus dem Unbestand der Tagesmeinungen unbefriedigt hinausdrängt nach einem Momente der Selbstsammlung und Erfrischung, nach einem, wenn auch nur augenblicklichen Ruhepunkt und Halt, welchen ihm das nach ewig unveränderlichen Gesetzen sich bewegende Leben der Natur in seiner Ruhe, Klarheit und Stetigkeit zu bieten vermag. In solchen Stunden und in solcher Stimmung war es, daß der Herausgeber dieser Blätter im Geiste an der Hand des alten Geächteten und Friedlosen, Robin Hoods, in die Wälder Altenglands wanderte und im Schatten ihrer stämmigen Eichen das Mosaikbild zusammenstellte, welches in diesem Büchlein der deutschen Lesewelt vorliegt. Möchte es gelungen sein, in der aus mitunter sprödem Gestein zusammengefügten Arbeit die ragende Gestalt des Helden und den frischen Schmelz des grünen Waldgrundes dem Urbilde ähnlich hier wiedergegeben zu haben. Dann wird auch durch diese Blätter ein Ton ziehen, als ob von ferne der nie ganz erfolglose Waldhornruf Robin Hoods erklänge und den deutschen Leser, nicht ohne auf dessen nachträgliche Zustimmung zu hoffen, freundlich einlüde zu einem Gange in die erfrischenden Schatten, zu einem Stündchen Aufenthalt

»im lustigen grünen Wald«.



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