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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der »wunderschöne Monat Mai« rechtfertigte diesmal seinen Ehrennamen.

Selbst in Wien, das ja übrigens eine Gartenstadt ist, konnte man trotz seiner ungeheuren Häusermassen gewahren, daß es Mai war.

Und eine Dame, eine schon alte Dame, in deren Herzen es jedoch allzeit Mai zu sein scheint, die hatte, den Frühlingsjubel klüglich für ihren guten Zweck ausnutzend, eine ihrer famosen Ideen ihren Wienern zugeworfen. In allen Zeitungen konnte man es lesen, daß die Fürstin Pauline Metternich zu Gunsten verschiedener Vereine ein glänzendes Fest veranstalten wolle, ein glänzendes Trachtenfest.

Es sollte am 25. Mai stattfinden, und im Prater sollte es sein, im maigrünen Prater, diesem besonderen Liebling der Wiener.

Der Plan der Fürstin fand lebhaften Beifall, und alle Geschäfte hatten vollauf zu tun, denn alles, was irgendwie mit einem glänzenden Praterfeste zusammenhängt, wurde in den Schaufenstern ausgelegt, vom Publikum besichtigt und vielfach auch gekauft.

Bei den Wagenlieferanten und in den Automobilniederlagen, bei Pferdeverleihern und Fahrradhändlern herrschte eine lebhafte Nachfrage nach möglichst aparten oder möglichst ansehnlichen Beförderungsmitteln. Die Blumenhändler mußten ihre Hilfskräfte vermehren, um den Bestellungen, die ihnen wurden, gerecht werden zu können. Elektrikern und Feuerwerkern wurden alle möglichen Aufträge gegeben, und Lampions, sowie zu Gartenfesten und Umzügen passende Scherzartikel wurden zu vielen Tausenden bezogen.

Es gingen davon ganze Wagenladungen an die vielen Restaurants, Kaffeehäuser und Budenbesitzer im Prater ab, denn natürlich wollte auch da unten jeder etwas ganz Besonderes leisten. Allmorgendlich zogen ganze Karawanen von Bauarbeitern, Dekorateuren und Anstreichern nach diesem Riesengarten von Wien, in welchem der Wille der allbeliebten Fürstin wieder einmal ein fieberhaftes Leben hervorgerufen hatte.

Und nicht weniger fieberhaft ging es an den Arbeitsstätten der Gold- und Bronzearbeiter, der Modistinnen, der Schneider und Schneiderinnen her. Tausend und abertausend Schmuckstücke und Kostüme der verschiedensten Zeitalter und Trachten aller Länder waren bestellt worden.

Alle diese Bestellungen sollten in drei Wochen fertig sein. Es war eine kaum zu leistende Arbeit, aber trotzdem war jeder sicher, daß sie geleistet werden würde.

Natürlich herrschte auch im Warenhause Groß & Komp. ein ungeheures Leben. Da lagen in allen Abteilungen ganze Stöße von Kostüm- und Trachtenbildern auf, die vom Morgen bis zum Abend von den Kunden durchwühlt wurden, wonach die Damen, wenn sie gefunden hatten, was ihnen ganz besonders paßte oder was sie wenigstens für ganz besonders passend für sich hielten, mit dem gewählten Bilde in der Hand all das Material kauften, welches zu seiner Herstellung nötig war.

Da wurden denn vor allem Unmengen von Seidenstoffen in allen Farben verkauft. Brokate, steif und in starrem Glanz, lockten mit ihren köstlichen Blumen- oder Arabeskenmustern alle jene Damen zum Kaufe, die nicht auf den Gulden zu schauen hatten. Hier erstand eine schlanke Brünette maisgelben Moiré und erdbeerroten Samt zu einer Robe aus der Zeit der Renaissance, dort verlangte eine Blondine vergißmeinnichtblauen Atlas zu einem Rokokokostüm. Eine imposante Frau, längst jenseits der Dreißig, aber noch immer eine Schönheit mit ihrem klassischen Gesicht, ihrer weißen Haut, ihrem blauschwarzen Haar und ihren blitzenden Augen, wußte ganz genau, was sie tat, wenn sie sich das Bild einer alten Römerin ausgewählt hatte. Es war nur ein weites weißes Wollenkleid, das hier dargestellt war, aber die prachtvollen Arme waren unbedeckt, und um diese Arme und den herrlichen Hals wanden sich blitzende Bänder aus Gold und blutroten Steinen.

Duchesse und Liberty, Taft und Loisine, Messaline und Surrah, Crepe de Chine und Foulard – alles, in allen Farben und Nüancen, allen Abarten und allen Mustern fand Käufer und Käuferinnen. Dazu wurden schimmernde Bänder oder Spitzen, frisch wie Schnee, zart wie Eisblumen, als Putz gewählt.

Ganz besondere Anziehungskraft übte jene Abteilung aus, in welcher, zauberhaft schnell herbeigeschafft, die unzähligen charakteristischen Kopfbedeckungen verschiedener Nationen und Zeiten zur Wahl ausgestellt waren. Da sah man den Reiherbusch auf einem edelsteingeschmückten Kalpak winken und daneben den perlenumwundenen Turban eines Alttürken. Dort sprühten in einem schleierhaltenden Goldreifen bunte Steine ihr farbiges Licht aus, und dabei hing ein duftiges Holländerinnenhäubchen mit den lustigen goldenen Schläfenschnecken.

In der nächsten Abteilung gab es Perücken und Haarputz und daneben Manschetten und Handschuharten aller Zeiten. Da funkelten Gürtel und zierliche Degen neben massigen Zweihändern, Malaiendolche neben Hirschfängern, Bambuspfeile neben Armbrüsten. Selbst allerlei seltsame Fußbekleidung konnte man sehen.

Es war, als sei die Jetztzeit ganz plötzlich Vergangenheit geworden. Es fragte fast niemand nach modernen Toiletten. Alles wollte Trachten und Kostüme sehen.

Es herrschte also ein ungeheures Leben im Warenhause, und die Verkäufer und Verkäuferinnen wußten kaum mehr, wo ihnen der Kopf stand.

Fräulein Stiegelmann, eine der früheren Kolleginnen Klementines, eilt soeben, einen reizenden rosenroten Kimono über dem Arm, auf die Kundin zu, welche sich ihn bestellt und die gewiß mit ihrer niedlichen Figur in dem japanischen Kostüm bei dem Feste sehr gefallen würde.

Plötzlich bleibt die Stiegelmann stehen. Sie hat in dem Menschengedränge ein bekanntes Gesicht entdeckt, eine junge Dame in einem einfachen, aber entzückenden schwarzseidenen Straßenkleid, ein schwarzes Hütchen auf dem hellbraunen Haar und einen ziemlich dichten Schleier vor dem Gesichte. Die junge Dame geht am Arm eines eleganten Herrn.

»Siehst du, Eugen, dort drüben hat die Verfolgung angefangen,« erklärte eben die junge Dame.

Da sagt die kleine Verkäuferin ganz atemlos: »Baroneß – ah, liebe Baroneß!« Sie ist ganz rot geworden und will an den zweien schon vorbeihuschen, aber Klementine lächelt freundlich und faßt rasch nach ihrer Hand.

»Aber das ist hübsch, daß ich Sie gefunden habe! Verraten Sie aber nicht, daß ich hier bin, liebes Fräulein Anna, ich möchte mit niemandem als mit Ihnen zu tun haben,« sagt sie heiter. »Also wenn Sie mit Ihrer Kundin fertig sind, so kommen Sie zum letzten Fenster. Dort warte ich auf Sie. Ich möchte, wenn es noch da ist, das weiße Spitzenkleid haben, das Sie mir kürzlich – nun, Sie wissen ja, wann es war – zeigten.«

Anna Stiegelmann geht ganz verwirrt weiter. Das Spitzenkleid kostet sechshundert Kronen. Und die, welche es heute kaufen will, war vor kurzem noch eine Angestellte des Warenhauses, und jetzt, da sie ihre Feindin, ihre Tante, beerbt hat, ist sie plötzlich reich, sehr reich geworden.

Es dauert beinahe eine halbe Stunde, bis der rosenrote Kimono probiert, bezahlt und der Kundin ausgefolgt ist. Endlich aber kann die kleine Stiegelmann doch zum letzten Fenster gehen.

Sie tut es sehr eilig, wird aber aufgehalten. Gustl ist es, der ihr in den Weg tritt. Er ist sehr gut gelaunt, das liest sie ohne Mühe von seinem nichtsnutzigen Gesicht herunter, das sagen ihr auch seine lachenden Augen.

»Wissen Sie's schon, daß die Baroneß da ist?« fragte er hastig. »Sie hat gesagt, ich soll Sie suchen und zu ihr schicken. Sie will beim letzten Fenster auf Sie warten.«

»Ich weiß schon.«

»Warum lass'n S' mich denn dann so lang reden? – übrigens, die Neuber, das Schlittenpferd, hab' ich eben auch zum letzten Fenster geschickt. Ich hab' ihr g'sagt, daß die Metternich dort mit ihr red'n will.«

»O, Sie Schlankl! Wann werden denn Sie einmal gescheit werden?«

Gustl tauchte schon in der Menge unter. Er konnte wohl über das Datum seines Gescheitwerdens noch keine genaue Auskunft geben.

Fräulein Stiegelmann traf unterwegs noch auf die Neuber, die, hochrot im Gesichte, krampfhaft nach der fürstlichen Frau suchte, welche derzeit so viele Wiener in Atem hielt und die durchaus mit Fräulein Neuber reden wollte.

»Hab'n Sie Ihre Durchlaucht gesehen?« fragte sie sehr laut und sehr erhitzt die kleine Verkäuferin.

In dieser erstand blitzschnell ein Gedanke. »Von einer Durchlaucht weiß ich nichts,« antwortete sie, »aber dort beim letzten Fenster ist eine Dame, die das Sechshundertkronenspitzenkleid kaufen will. Vielleicht –«

Mehr hörte die Neuber nicht, wand sich klingelnd zwischen den Leuten durch und stand vor – Klementine.

»Sie, Sie wollen –« stammelte die Überraschte.

Klementine warf der hinter der Neuber stehenden und vergnügt lächelnden Stiegelmann einen vorwurfsvollen Blick zu, sagte jedoch sehr ruhig: »Unlängst zeigte mir Fräulein Stiegelmann ein Spitzenkleid, das mir außerordentlich gefiel, das ich jedoch damals« – sie lächelte ein wenig – »noch nicht kaufen konnte.«

»O bitte, bitte!« dienerte die Neuber. »Es wird mir eine Ehre sein –«

»Bemühen Sie sich nicht. Ich will Sie nicht aufhalten. Fräulein Stiegelmanns Liebenswürdigkeit genügt mir vollständig.«

Sie sagte das auch ganz liebenswürdig, aber es war doch ein Stachel darin, den die Neuber sehr wohl empfand. Mit festgeschlossenen Lippen und einer tiefen Verbeugung zog sie sich zurück.

»Ich brauche das Kleid jetzt nicht zu sehen,« sagte die Baronesse. »Schicken Sie es mir nach Wellhof oder bringen Sie es mir nächsten Sonntagvormittag selbst, falls Sie nichts anderes vorhaben. Und wenn Sie kommen, dann bringen Sie mir den Gustl mit. Ja? Ist Ihnen das recht?«

»Aber Baroneß, wie können Sie denn noch fragen!«

Ein paar Minuten später fuhren Braun und seine Braut im Aufzug in das Erdgeschoß hinunter. Natürlich stand da schon wieder Gustl auf der Lauer. Er begleitete sein Ideal bis zum Ausgang.

»Ich bin schon zweimal mit unserem Automobil aus gewesen – ganz allein. Der Schwertner hat sich die Hand verstaucht.«

Das war das Wichtige, das er Klementine mit leuchtenden Augen mitteilte. – –

An diesem Tage brachten die Zeitungen die Notiz, daß ein gewisser Leopold Schultz, Musiker aus Wien, wegen Zechprellerei in Hamburg verhaftet und als einer erkannt worden sei, den die Wiener Polizei schon längst suchte. Der Mann habe, so endete die Notiz, in der Hoffnung, seine Lage damit zu verbessern, verschiedene Angaben gemacht, die ihm zu einer raschen Rückbeförderung in seine Heimat verhalfen.

Welcher Art diese Angaben seien, das wurde nur wenigen Menschen bekannt. Unter diesen befanden sich die Geschwister Teck und die Chefs des Warenhauses Groß & Komp. Auch Fräulein Vogel und Dora Hartwig, sowie Kern wurden davon durch Direktor Hälby verständigt. Wer von diesen dafür sorgte, daß bald alle Angehörigen des Warenhauses Kenntnis davon erhielten, daß Meißl der Dieb jenes Bandes war, welches man auf Klementines Tisch gefunden, danach fragte niemand. Jedenfalls aber wurde weidlich auf Meißl und auch auf alle anderen geschimpft, die sich der Baronesse feindlich gezeigt hatten. Dafür wurde diese in den Himmel gehoben, seit es im ganzen Hause bekannt geworden war, daß sie als ehemalige Angestellte der Firma in die Unterstützungskasse ihrer einstigen Kollegen und Kolleginnen fünfzehntausend Kronen gespendet hatte.

Ernst v. Teck und die Seinigen aber erfuhren aus den Geständnissen des verhafteten Musikers, mit welch teuflischer Planmäßigkeit ihre Tante an ihrem Untergange gearbeitet und wie viele Helfershelfer sie sich zu ihrem Werk des unversöhnlichsten Hasses gesichert hatte.

*

Zu derselben Zeit, als die Fürstin Metternich, in der düsteren Gewandung einer Nonne, von den Wienern umjubelt, ihren Einzug in den Prater hielt, versammelte sich in dem festlich geschmückten Gartensaale zu Wellhof eine dreifache Hochzeitsgesellschaft.

Baronesse Klementine war an diesem Tage Frau Braun geworden. Ernst hatte mit Anna Römer die Ringe gewechselt, und es gab auch kein Fräulein Hartwig mehr, sondern eine sehr glückliche Frau Link. Die Trauungen hatten in der Klosterneuburger Stiftskirche stattgefunden. Klementine und ihr Gatte waren von dort im Automobil nach Wellhof gefahren. Das prächtig geschmückte Fahrzeug aber hatten die Chefs des Warenhauses Groß & Komp., von Gustl gelenkt, zur Verfügung gestellt. Klementine hatte die bedeutungsvolle Aufmerksamkeit gern angenommen.

Es ist so schön, wenn man die Erinnerungen nicht zu scheuen hat, so schön, wenn man die Zeugen einer trüben Vergangenheit, die sich in den Zeiten der Not als unsere Freunde bewährten, auch in den Stunden des Glückes um sich hat.

*

Abend ist es geworden. Ein stiller Abend voll Schönheit und Frieden. Ernst und Klementine sind allein in dem traulichen Zimmer, das einst ihr Vater bewohnte und darin er gestorben ist.

Sie nehmen Abschied voneinander.

Die beiden schönen Menschen stehen, eng aneinandergelehnt, am Fenster und schauen auf den Strom hinüber, den das Abendrot zu einer Feuerflut macht.

»Weißt du noch, in welcher Stimmung wir im Herbst hier standen?« fragt sie leise.

Er nickt. Dann drückt er seine Lippen auf ihre Stirne. »Du Gute, du Tapfere!« sagt er. »Daß wir nun so – so glücklich sind!«

 

Ende.


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