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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Am Morgen des 28. März wehte ein rauher Wind. Hoch wirbelte der Staub auf, und die Leute hüllten sich eng in ihre Überkleider.

»Bitt' Sie, Herr Baron, sei'n S' doch recht vorsichtig!« sagte Frau Till zu Ernst, der etwas erkältet war und mit offenem Überrock weggehen wollte.

Er hatte seinen Geigenkasten bei sich, um zur Probe zu gehen – hoffentlich bald zur letzten, wie er bei sich dachte. Vorher wollte er jedoch zu Klementine, denn diese hatte ihm einen Brief geschrieben, in welchem sie ihm mitteilte, daß sie ihn sprechen müsse; er möge sie in ihrer Wohnung aufsuchen. Sie war also wahrscheinlich nicht ganz wohl. An etwas anderes dachte er nicht. Bei dieser Gelegenheit konnte er ihr gleich sagen, daß es ihm nun wohl schon bald möglich sein würde, für sie zu sorgen, daß er dem Schultz schon gekündigt habe und ihn in vierzehn Tagen zu verlassen gedenke.

Gestern abend hatte er es ihm gesagt, aber kein Wort der Erklärung hinzugefügt. Der Mann war ihm recht unsympathisch geworden, und er brauchte ja auch nicht zu wissen, daß ihm der Direktor Eichler einen Posten in seinem Hause angeboten hatte, der es ihm zugleich ermöglichen sollte, für Frau Römer tätig zu sein. Wie rötete sich stets deren liebes Gesicht, wie leuchteten ihre Augen, wenn er kam! Und sie wußte es einzurichten, daß er oft, sehr oft zu ihr kam. Tausend Einfälle hatte sie. Ihr Heim sollte schließlich vollständig umgestaltet werden.

Wie froh würde Klementine sein, wenn er ihr sein Glück mitteilte! Er hat es ja längst gemerkt, daß ihr das neue Leben gar nicht gut tat. Wenn sie auch nicht klagte, sah er es ihr doch an, wie müde und gedrückt sie war.

Nun – das sollte jetzt alles anders werden!

Ernst lief förmlich, um nur ja recht bald der geliebten Schwester die frohe Botschaft zu bringen. Bald hatte er das Ende der Alserstraße erreicht und bestieg den soeben angekommenen Stadtbahnzug.

Er hatte keine Ahnung davon, daß ein Mann ihm folgte. Es war ein Mensch von etwa vierzig Jahren, von schmächtiger Gestalt und nicht übermäßig vertrauenerweckendem Äußeren. Er hatte einen kleinen Buben bei sich.

Auch dieser Mann löste rasch zwei Fahrkarten und bestieg mit seinem kleinen Begleiter denselben Wagen, in welchem Teck Platz genommen hatte.

Auf der Station »Josephstädterstraße« füllte sich der Wagen bis auf den letzten Platz. Ein Herr, welcher sich neben Ernst niederlassen wollte, mußte ihn zu diesem Zweck ersuchen, seinen Geigenkasten von dem noch freien Sitz zu nehmen. Der Herr sprach kurz, aber höflich und in einem Deutsch, dem man es anmerkte, daß der Sprecher Engländer oder Amerikaner sei.

Natürlich entsprach Ernst sofort dem Ansuchen des Fremden. Sie fuhren dann, ohne ein Wort weiter miteinander zu wechseln, bis zur Station »Westbahnhof«, bei welcher sich fast der ganze Wagen leerte. Auch der Baron und sein Nachbar stiegen hier aus, und da kam ersterer in die Lage, sich bei dem Freunden zu entschuldigen, denn von einem anderen, nachdrängenden Passagier – es war der Mann, der ihm gefolgt war – dazu gezwungen, hatte er den Fremden gestoßen.

Dieser lächelte gutmütig. »Bitte – bitte!« entgegnete er und stieg vor dem Baron zum Bahnsteig ab. Dann gingen sie beide, keiner mehr des anderen achtend, die Treppe zur Stationshalle hinauf.

Da drängte sich der Verfolger Ernsts an den Ausländer und fragte leise: »Vermissen Sie nichts?«

Einen Augenblick lang schaute der Angeredete ihn verwundert an, dann griff er nach seiner Uhr und darauf, als er deren Vorhandensein festgestellt hatte, in die Innentasche seines offen gebliebenen Überrockes. »Meine Brieftasche ist fort!« rief er plötzlich laut und zornig.

Etliche Leute blieben stehen. Die, welche seinen Ausruf nicht vernommen hatten, gingen weiter. Der Baron war unter diesen. Der kleine Begleiter seines Verfolgers befand sich dicht neben ihm. Er selbst gab soeben seine Fahrkarte ab.

Da sagte der Mann, welcher den Fremden angesprochen hatte: »Sie ist noch nicht weit, Ihre Brieftasche. Der Herr mit dem Geigenkasten, der gerade seine Karte abgibt, hat sie Ihnen genommen.«

Im nächsten Moment rannte der Fremde weiter. Er erreichte Teck, als dieser gerade auf die Straße trat.

»Mein Herr – ein Wort!« rief er ihm zu und faßte ihn hart am Arm.

Ernst schüttelte ihn ohne weiteres ab. »Was wollen Sie?« fragte er verwundert und ärgerlich. Dabei fühlte er sich plötzlich eng umdrängt und von einem peinlichen Gefühl beschlichen. »Was gibt es denn nur?« fragte er weiter. »Warum hält man mich auf?«

Da sagte dicht neben ihm jemand: »Der Herr will seine Brieftasche wieder haben. Geben Sie sie nur wieder her!«

Ganz unwillkürlich erhob Teck die geballte Hand, und ganz sicher wäre sie im nächsten Augenblick auf den Sprecher niedergesaust, wenn nicht der Wachmann, der soeben den Kreis der Gaffer durchbrach, sie festgehalten hätte.

Eine Minute später befand sich der ganz verwirrte Baron in dem Amtszimmer der Station.

Der Bestohlene war natürlich auch da. »Es tut mir leid –« sagte er.

Aber der Wachmann ließ ihn nicht weiterreden. »Es wird sich ja sogleich erweisen, ob Sie sich entschuldigen müssen oder nicht,« meinte er seelenruhig und musterte dabei mit den Augen den Eingebrachten. »Bekannt ist mir der Herr allerdings nicht, aber –«

»Was denn nur?« fuhr Ernst auf. »Ich verbitte mir jeden Verdacht. Ich kann mich legitimieren, ich –«

Er griff in seine Brusttasche.

Ernst stand totenblaß da und starrte auf die Brieftasche, welche er in die Hand bekommen hatte, als er in seine Tasche griff. Sie war ihm gänzlich fremd.

Plötzlich warf er sie, als ob sie ihn brenne, auf den neben ihm stehenden Tisch.

»Jetzt auf einmal paßt sie Ihnen nimmer!« sagte der Wachmann kurz. Dann wendete er sich zu dem Bestohlenen: »Ist das Ihre Brieftasche?«

»Es ist die meinige. Es befinden sich darin zweitausend –«

»Das können Sie später dem Herrn Kommissär sagen!« unterbrach ihn der Wachmann. »Sie aber,« wendete er sich an Ernst, »gehen natürlich mit. Die Sache ist also doch richtig!« –

Eine Viertelstunde später machte Ernst mit bleichen, bebenden Lippen vor einem Polizeikommissär seine Angaben. Es schoß ihm für einen Moment lang das Blut zu Kopfe, als er seinen Adelstitel nennen mußte, und zum zweiten Male wurde er rot, als er angab, wodurch er sich derzeit seinen Lebensunterhalt erwarb.

»Sie sind also des Taschendiebstahls überwiesen,« sagte der Beamte, als er mit den Formalitäten fertig war, und setzte rasch hinzu: »Waren Sie denn in solch bitterer Not, daß Sie so ganz den Kopf verloren haben? Ich nehme nämlich an, daß Sie heute zum ersten Male sich gegen das Gesetz vergangen haben.«

Ernst fühlte wohl, daß auch hier ein guter Mensch ihm gegenüberstand, einer, der ihn wenigstens nicht für ganz verworfen hielt, aber er empfand deshalb keinen Dank, nur ein ungeheurer Grimm war in ihn:. Mit funkelnden Augen maß er den Beamten und sagte: »Nehmen Sie das lieber nicht an. Ich gebe Ihnen nämlich mein Wort, hören Sie wohl, das Ehrenwort eines Edelmannes, daß ich mich überhaupt noch niemals gegen irgend ein Gesetz vergangen habe.«

»Wirklich nicht?« Der Beamte war plötzlich kühl geworden.

»Nein – nein und tausendmal nein!« schrie Teck ihn wütend an.

»Machen Sie hier keinen Skandal! Sie selber haben doch in einem Moment der Verwirrung diese Brieftasche vor den Augen ihres Eigentümers und des Wachmannes aus Ihrer Tasche heraus zum Vorschein gebracht. Wollen Sie das etwa leugnen?«

Teck griff sich an die Stirn. »Bin ich denn wahnsinnig geworden!« murmelte er.

Da lächelte der Beamte ironisch und sagte: »So müssen Sie mir nicht kommen. Simulieren heißt auch gegen die Ehrlichkeit sündigen. Es hilft Ihnen auch gar nichts. Tatsachen beweisen. Diese Brieftasche welche diesem Herrn hier gehört, hat sich bei Ihnen gefunden. Das stimmt doch? – Nun also! Übrigens« – der Kommissär nahm die Visitenkarte zur Hand, mittels welcher der Bestohlene sich ihm vorgestellt hat – »Herr Smith, Sie müssen uns noch sagen, was sich in dieser von Ihnen als Ihr Eigentum bezeichneten Brieftasche befindet.«

Smith verneigte sich zustimmend. »Der Hauptsache nach kann ich es angeben,« sagte er. »Es befindet sich darin eine Photographie, eine ältere Frau, eine junge Dame und einen Bernhardiner darstellend. Auf der Rückseite des Bildes steht die Jahreszahl 1903. Ferner ist da ein Brief mit der Unterschrift ›Mathilde‹. An Geld sind zwei Tausendkronennoten, vier Noten zu hundert Kronen und etliche Zwanzig- und Zehnkronenscheine darin.«

Der Beamte hatte die Brieftasche schon geöffnet. Er hielt sie so, daß nur er selbst Einblick in dieselbe gewinnen konnte. Er sah die Photographie und den Brief. Er konnte auch lesen, was auf der Rückseite der Photographie stand. Als er aber die Geldscheine zählte, bemerkte er, daß da nicht alles stimmte.

»Haben Sie sich in Bezug auf die Anzahl der Tausendkronennoten nicht geirrt?« fragte er, Herrn Smith die Brieftasche hinreichend.

»Nein!« sagte dieser mit Bestimmtheit.

»Ich sehe darin nur einen einzigen Tausender.«

»Es waren bestimmt zwei darin.«

»Wachmann, sehen Sie nach – in den Taschen des Verhafteten!«

Ernst stieß einen nur schlecht unterdrückten Wutschrei aus und taumelte totenbleich gegen die Wand. Diese Schmach schien ihm unerträglich. Nur mühsam beherrschte er sich.

Der Wachmann tat rasch, was man ihm befohlen hatte. Tecks Taschen waren gleich darauf entleert. Und wieder meinte der Unglückliche, irrsinnig zu sein, denn nebst seiner eigenen Börse legte der Wachmann noch eine zweite vor den Kommissär hin.

Dieser lächelte spöttisch. »Pflegen der Herr Baron immer mehrere Börsen bei sich zu haben?« fragte er.

Ernst fand keine andere Antwort als ein Stöhnen.

»Diese hier haben Sie einer Dame genommen,« fuhr der Beamte fort, »einer Dame, welche ein unangenehm duftendes Parfüm benützt, und die vielleicht Valentine oder Veronika heißt.«

Er legte die kleine graulederne Börse, die er geöffnet und dann wieder geschlossen hatte, auf den Tisch. Auf der Mitte des eleganten Geldtäschchens befand sich ein silbernes Plättchen, auf dem ein »V« eingraviert war.

»Ich habe Sie günstiger beurteilt, als Sie es verdienen,« fuhr er fort, »Herrn Smiths Brieftasche war also nicht die erste, die Sie gestohlen haben.«

Darauf untersuchte er jene Börse, welche nach seiner Erklärung Ernst wirklich gehörte. Es befand sich nichts darin, was ihn darüber aufklärte, ob auch sie nicht etwa erst unlängst in eines anderen Menschen Besitz gewesen war.

Des Barons Zähne schoben sich hörbar übereinander. Er zitterte unter den tastenden Berührungen, mittels welcher der Wachmann sich nun an allen Stellen seiner Kleidung zu überzeugen suchte, ob der vermißte Tausender nicht irgendwo da verborgen war.

Endlich ließ er von dem Unglücklichen ab. »Ich kann nichts mehr finden, Herr Kommissär,« berichtete er.

Der Beamte nickte. »Führen Sie den Mann ab!« befahl er.

Teck verließ ohne Widerstand das Zimmer. Ein mitleidiger Blick Herrn Smiths begleitete ihn.

»Ich kann es fast nicht glauben, daß dieser Mann wirklich so tief gesunken ist,« sagte der Amerikaner.

Der Kommissär schaute trüb lächelnd zu ihm auf. »Wie ich aus Ihrer Karte ersehe, Herr Smith, kommen Sie aus Nordamerika,« sagte er. »Sie bringen die kühle Überlegung nicht mit, die man Ihren Landsleuten zuschreibt.«

»Nein – ich habe mein deutsches Gemüt noch behalten, und darum tut es mir weh, in meinem alten Vaterlande so etwas erleben zu müssen. Dieser unglückliche Mensch –«

»Sein vornehmes und tatsächlich sympathisches Äußere hat Sie augenscheinlich bestochen. Mich läßt das ganz kalt, und wenn Sie, wie ich, über zwanzig Jahre solch ein Amt versehen hätten, würden Sie auch wissen, daß dem Äußeren nicht zu trauen ist; daß die geriebensten Gauner eben von ihrer Biedermannserscheinung leben, und daß die gefährlichsten Gaunerinnen oft Madonnen gleichen.«

»So glauben Sie wirklich, daß der Mann ein Gauner ist?«

»Glauben? Nein, ich weiß es. Die fremden Börsen in seiner Tasche beweisen es genügend. Nun, die Untersuchung wird ja alles ausklären.«

*

Zu derselben Zeit traten der Mann und der kleine Junge, welche dein Baron gefolgt waren, aus einem Trödlerladen in einer alten Gasse des achten Bezirks. Sein Inhaber, ein guter Bekannter des Mannes, hatte ihm eine Tausendkronennote gewechselt.

»Das war gescheit, daß du die noch schnell herausgenommen hast!« sagte der Mann zu dem achtjährigen Buben, der mit seinen blonden Locken und den strahlenden blauen Augen so recht das Bild eines lieblichen Kindes war.

Dessen zartes Gesicht hatte jetzt einen verschmitzten Ausdruck angenommen. »Es war nur schade,« entgegnete er, »daß ich nur die eine Banknote erwischt hab', denn weißt du, Papa, es waren noch mehr drin. Aber in der Eile hab' ich halt nur nehmen können, was mir zwischen die Finger gekommen ist. Dann hab' ich ihm die Brieftaschen gerade noch in die Tasche stecken können.«

»Sehr gescheit hast du's gemacht, Felix!« lobte der Vater, der sichtlich mit seinem Sprößling sehr zufrieden war.

Nicht so der Bube, denn der meinte spöttisch: »Aber du selber hast es nicht gescheit gemacht. Eine hat's ganz sicher bemerkt, daß du mir die Brieftasche zugesteckt hast. Zum Glück war's nur ein altes Weib, das vielleicht auch schon nimmer gut gesehen hat.«

Daraufhin lenkte der Kleine zu einem Zuckerbäckerladen hinüber und betrat ihn, ohne seinen Vater auch nur zu fragen, ob ihm das erlaubt sei.

Diese Erlaubnis war auch gar nicht nötig. Der kleine Gauner wußte, daß sein Vater vom Gehorsam überhaupt nicht viel hielt, und daß er sich, wenn er sich besonders geschickt gezeigt hatte, stets zu gut tun konnte, was ihm beliebte.

Eben als Ernst v. Teck, erdrückt von der Schmach, die ihm widerfahren war, auf die Pritsche seiner Zelle sank und die Hände vors Gesicht schlug, steckte Felix das Ende einer Schaumrolle in den Mund.

*

Gegen Mittag läutete es an Frau Tills Wohnungstür.

Als sie öffnete, stand die Wäscherin draußen. Nicht ihre eigene Wäscherin, denn die alte Frau besorgte sich ihre Wäsche selber; aber auch ihren Mieter in dieser Hinsicht zu bedienen, so viel Kraft besaß sie nicht mehr. So mußte also Ernst seine Wäsche außer Haus geben. Seit ein paar Wochen besorgte sie ihm eine Frau, welche Schultz ihm empfohlen hatte, der auch sehr viel auf sein Weißzeug hielt.

Teck war denn auch mit der Frau recht zufrieden. Sie war nicht teuer, wusch und bügelte ausgezeichnet und war überaus pünktlich.

Die zwei Frauen begrüßten sich, und dann sagte die Wirtin: »Aber diesmal sind Sie schnell fertig geworden. Na, legen Sie nur die Sachen hinein. Ich kann jetzt nichts Sauberes anrühren. Meine Hände sind fettig, weil ich grad' einen Strudelteig ausgezogen hab'.«

Die Wäscherin ging also allein in Tecks Zimmer, in dieses kleine Dachstube mit der abgeschrägten Vorderwand, deren breites Fenster allerdings blitzblank war wie alles andere, dessen sich der alten Frau hausmütterliche Hände annahmen.

Auch sonst war Ernsts Stübchen sehr anheimelnd, denn auf dem hübschen Biedermeierkasten standen neben einer wunderschönen alten Säulenuhr Vasen aus der besten Zeit der berühmten Wiener Porzellanfabrik, und an dem Fenster blühten Tulpen und Hyazinthen. Frau Till hatte, als der Baron, ihr liebster Zimmerherr, zu ihr übersiedelte, alles Schöne, das sie selber noch von alter Zeit her besaß, in dieses Zimmer gestellt, damit dem lieben Menschen das Wohnen in einer Dachkammer nicht gar zu peinlich sei.

Und alle Blumenzwiebeln, die ihr Neffe, ein Gärtner, ihr, der leidenschaftlichen Liebhaberin, brachte, hatte sie diesmal für »ihren Baron« gepflegt. Sein Dank und seine Freude über ihre Aufmerksamkeit waren ihr reicher Lohn.

Frau Till wurde jetzt seinethalben fast eifersüchtig, denn die Wäscherin blieb eigentlich merkwürdig lange.

Endlich kam sie heraus. Es war eine recht hübsche Frau, die eigentlich viel feiner aussah, als Wäscherinnen gewöhnlich auszusehen pflegen. Auch ihre Hände waren nicht die einer Wäscherin. Nun, sie selber machte sicherlich nur die leichteren Arbeiten. Sie hatte das Frau Till schon bei ihrem ersten Kommen angedeutet.

So machte sich also die gute alte Frau keine weiteren Gedanken über die neue Wäscherin.

»Na, wie geht es Ihrem Mäderl?« fragte sie freundlich.

Die Frau seufzte. »Nicht gut. Sie hustet halt immer noch, und ich fürcht', es wird ihr so gehen, wie's meinem ersten Kind gegangen ist. Das Polderl hat gerade so angefangen, und nach ein paar Wochen war's aus.«

»Armes Hascherl!« sagte Frau Till.

Es blieb offen, ob sie das tote Polderl oder die noch lebende Gretl meinte.

Jedenfalls waren ihr, gerade so wie der angstvollen Mutter, die Augen übergegangen.

»Wenn S' in ein paar Tagen wiederkommen möchten, könnt' ich Ihnen ein Mittel geben, auf das ich sehr viel halt', weil's schon vielen Leut'n g'holf'n hat,« meinte Frau Till.

»O freilich komm' ich gern. Wie gern komm' ich! Man darf doch nichts unversucht lassen.«

»Also heut noch schreib' ich einer Bekannten nach Znaim. Sie selber setzt den Tee aus allerhand Kräutern zusammen, und er hat schon vielen geholfen. Ich hoff', übermorg'n um diese Zeit kann er schon da sein.«

»So schau' ich also übermorgen her.«

»Auch so um Mittag herum. Da bin ich schon wieder zu Haus. Ich muß nämlich grad' übermorgen einen Weg machen. Also – behüt' Sie Gott! – Aber nein, warten Sie noch, vielleicht hat meine Nichte noch einen solchen Tee. Ich schick' auf die Nacht hin. Vielleicht können Sie schon morgen Ihrem Mäderl einen geben.«

»Das wär' mir recht. Ich werd' also morgen vormittag herschauen,« sagte die Wäscherin und ging.

Frau Till kehrte wieder in die Küche zurück, wo auf einem über den Tisch gespannten weißen Tuche eine häutchendünne Teigschichte auf das Gefülltwerden wartete.

Als sie den Strudel in die Röhre geschoben und sich die Hände gewaschen hatte, ging sie in die Stube, um Tecks Wäsche in den Kasten zu legen.

»Das muß man sagen, hübscher wäscht und bügelt nicht bald wer,« dachte sie, während sie die einzelnen Stücke unterbrachte. Dann schaute sie zum Fenster hin, an welchem der Wind rüttelte.

Nähertretend gewahrte sie, daß der obere Riegel des äußeren Fensters offen stand.

»Merkwürdig! Hab' ich denn das Fenster nicht ordentlich zugemacht?« sagte sie zu sich selber. »Ah – so was! Das passiert mir doch sonst nicht!«

Sie hatte nämlich gewahrt, daß sie einen der Tulpentöpfe verkehrt hingestellt hatte. Die langgestielte Blüte nickte in das Zimmer hinein, statt sich, wie die anderen, dem Lichte zuzuneigen. Sie nahm nun die drei Blumengeschirre, welche vor der rechten Fensterseite standen, weg, öffnete das innere Fenster und schloß den Riegel des äußeren. Dann schloß sie auch das innere Fenster wieder und stellte die Blumen auf die breite Fensterbank zurück. Dann ging sie, über ihre Vergeßlichkeit den Kopf schüttelnd, hinaus. –

Einige Stunden später brachten die Abendblätter einen kurzen Bericht über den ertappten Taschendieb Ernst v. Teck.

An demselben Nachmittag fand in seinem Quartier eine Haussuchung statt. Sie lieferte ein den Verhafteten schwer belastendes Resultat.

In der Dachstube selber fand man allerdings nichts, das darauf hingewiesen hätte, daß man sich im Quartier eines Taschendiebes befinde. Aber der Detektiv, welcher die Untersuchung sehr gründlich vornahm, interessierte sich, anderer ähnlicher Fälle gedenkend, auch für die Umgebung des Dachzimmers, und das brachte ihn zu einer wichtigen Entdeckung.

In der Dachrinne an der linken Seite des Fensters lagen sieben Börsen. Natürlich nahm er sie an sich, sperrte die Stube ab und ging.

Franz Till war einfach niedergeschmettert von der ihr in amtlicher Kürze beigebrachten Nachricht, daß Baron Ernst v. Teck, des Taschendiebstahls überwiesen, in Haft gewonnnen worden sei.

Vom Funde der Börsen machte der Detektiv ihr auch Mitteilung. Sie faßte diese Mitteilung kaum noch auf, so verstört war die brave alte Frau von der ersten schrecklichen Kunde.

Es wurde ihr erst wieder etwas leichter ums Herz, als sie am Nachmittage einen Besuch empfangen hatte.

Dieser Besuch aber war Dora Hartwig.


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