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Direktor Hälby ging höflich einer angesehenen Kundin entgegen. Er ließ es sich nicht nehmen, die schon sehr alte Dame selbst in die Konfektionsabteilung und dann auch in die Seidenabteilung zu begleiten, wo er einen Verkäufer mit ihren Wünschen bekannt machte. Hälby beauftragte den jungen Mann, auch die Kartons mit den soeben erst angekommenen Lyoner Neuheiten, köstlichen breiten Seidenbändern, der Dame vorzulegen. Meißl, welcher sich zu diesem Dienst ebenfalls herangedrängt hatte, verschwand plötzlich und tauchte erst nach einer guten Weile mit recht befriedigtem Gesichte wieder auf.
Niemand hatte auf ihn geachtet. Die Käuferinnen waren mit ihrem Auswählen, die Verkäufer wieder mit dem Vorlegen des Verlangten so beschäftigt, daß es niemand einfiel, Meißls Tun zu beobachten.
Hälby war eben an eines der Fenster herangetreten, um einem der dort beschäftigten Laufburschen einen Auftrag zu erteilen, da kam Klementine hastig auf ihn zu. »Nun, Fräulein Teck, was gibt es denn?« fragte er, sie verwundert anschauend.
Sie war sichtlich erregt. »Herr Direktor wollten mir etwas sagen?« fragte sie.
»Ich?«
»Gewiß. Man schrieb mir –«
»Wer schrieb Ihnen?«
»Ich weiß es nicht. Ich war zu Fräulein Vogel gerufen worden, und als ich zurückkam, fand ich den Zettel auf meinem Tisch.«
»Sonderbar! Nun, fahren Sie nur wieder hinauf. Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Man hat sich offenbar einen schlechten Scherz mit Ihnen gemacht.«
Sie eilte wieder zum Aufzug. Jetzt war sie rot.
»Sie sind schon wieder da?« sagte ziemlich unverschämt der Liftbursche.
Sie gab ihm keine Antwort. Sie dachte an den Zettel, den sie auf ihrem Tische hatte liegen lassen, und auf welchem jemand mit Bleistift geschrieben hatte: »Gehen Sie sofort zu Herrn Hälby. Er ist in der Seidenabteilung. Es ist etwas Unangenehmes geschehen.«
Wer hatte den Zettel geschrieben? Was für einen Zweck hatte er damit verfolgt?
Mit dem unangenehmen Empfinden, daß man wieder etwas gegen sie im Schilde führe, kehrte sie zu ihrer Arbeit zurück.
Erst nach einer guten Weile kamen die beiden Fräulein, welche gleich ihr Musterbücher anfertigten, zurück. Sie wurden von einem Diener und von Gustl begleitet, welche ganze Stöße verschiedener Stoffe brachten, die mit der Maschine zerteilt und in die Bücher eingeklebt werden sollten.
Gustl und wohl auch den anderen fiel Klementines Aufgeregtheit sogleich auf.
»Darf ich's hierher legen?« fragte der Diener, an dem Tische stehen bleibend, an welchem Klementine soeben ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte. Er wartete übrigens eine Antwort nicht ab, sondern warf die Stoffe auf den Tisch. Dabei geschah es, daß andere Stoffe, welche auch da lagen, verschoben wurden.
»Wo kommen denn die Seidenbänder her?« fragte das eine Fräulein und zog eine Rolle Bänder, welche unter den Stoffen gelegen hatte und jetzt sichtbar geworden war, vollends hervor.
Das andere Fräulein sagte: »Das ist ja sehr, sehr merkwürdig!«
Klementine hatte blitzschnell begriffen. Einen leisen Schrei ausstoßend, starrte sie, bis in die Lippen erblaßt, auf das Band.
Die anderen vier Paar Augen aber waren jetzt fragend und mißtrauisch auf sie gerichtet.
Mit starkem Willen ihre Erstarrtheit abschüttelnd, richtete Klementine sich stolz auf und sagte: »Sie werden doch etwa nicht glauben, daß ich etwas mit dem Hiersein dieser Bänder zu tun habe?«
Ihre Augen blitzten, aber ihr Gesicht war totenblaß, und ihre Lippen zitterten.
Gustl stellte sich rasch an ihre Seite. »Das wär' doch zu dumm!« sagte er. Aber auch er war bleich, und seine Stimme war heiser.
»Nun, jedenfalls war das Band auf Ihrem Tisch versteckt,« bemerkte das eine Fräulein scharf.
Das andere setzte bissig hinzu: »Gott sei Dank, daß wir zu viert da sind, die das gesehen haben.«
Klementines Kraft war zu Ende. Aufschluchzend sank sie auf ihren Sessel.
»Also hab'n die Briefs doch recht gehabt,« sagte der Diener.
Da fuhr Gustl zornig auf und schrie: »Ein Schuft is, der s' geschrieben hat, und ein Lump, der's glaubt.«
»Oho, wir hab'n doch Aug'n im Kopf!« erwiderte der Diener.
»Aber kein Herz im Leib, sonst könnten S' net so daherreden und – jetzt gehe ich gleich zum Herrn Direktor.«
Draußen war er.
Als er nach zehn Minuten mit Hälby heraufkam, schluchzte Klementine noch immer leise vor sich hin.
Rasch ließ Hälby sich von dem Geschehenen unterrichten, dann ersuchte er die ganz Fassungslose, ihm in sein Bureau zu folgen.
Auch Fräulein Vogel und Fräulein Hartwig wurden herübergebeten, und Klementine durfte nach kurzer Besprechung das Geschäft verlassen.
Sie ging, die Gewißheit mit sich nehmend, daß sie es nie mehr betreten werde.
Aber Nachmittags saß sie doch wieder auf ihrem Platze. Die beiden Kolleginnen und der Diener hatten sie geradezu herzlich um Vergebung gebeten, und Hälby selber hatte sie an ihren Platz zurückgeführt. Dennoch war ihre Seele voll Pein, die Furcht vor dem sie so grimmig verfolgenden Haß lag wie eine Zentnerlast auf ihrer Seele, und sie fragte sich, wie lange ihre Beschützer wohl noch die große Unbequemlichkeit ihres Hierseins würden ertragen wollen.
Hälby hatte mit Hilfe Fräulein Hartwigs und der eigentlichen, vom Hause angestellten Privatdetektive festgestellt, daß Klementine um zehn Uhr bei Fräulein Vogel gewesen und daß sie acht Minuten nach zehn Uhr mit dem Direktor gesprochen hatte; des ferneren war auch als ganz sicher festgestellt worden, daß sie nicht einmal in die Nähe des Tisches gekommen war, auf welchem sich der Karton mit jenen Bändern befand, und festgestellt war es durch zwei Verkäuferinnen, die Punkt zehn Uhr den Aufzug betraten, um in die Kantine zu fahren, daß im Musterbureau damals keines der Fräulein, wohl aber ein Herr in einem dunklen Rock gewesen sei, der sich über Fräulein Tecks Tisch beugte.
Die beiden Mädchen hätten ihn erkennen können, wenn sie besser hingesehen hätten, allein sie waren eilig gewesen, und der Herr interessierte sie weiter nicht.
Auf diese Feststellungen hin war das ganze Haus davon überzeugt, daß der interessanten Kollegin wieder ein Streich gespielt worden war, und mancher interessierte sich jetzt noch mehr für diese Aristokratin, die so stolz und auch wieder so still, so gefällig und bescheiden mit ihnen arbeitete.
Als Klementine Abends zwischen Dora und Gustl das Haus verließ, sah sie viele teilnehmende Blicke auf sich gerichtet, und sie erwiderte sie voll des Dankes, den sie dafür empfand.
Daß Kerns Teilnahme ihr dann Tränen in die Augen trieb, war auch wieder natürlich, denn bei seinem Trösten fragte sie sich, wie lange er wohl noch Ursache haben werde, sie zu trösten, und es dünkte ihr schon eine Ewigkeit, daß sie so sehr arm und so sehr elend war.
Daheim fand sie einen Brief Eugens. Seine herzliche, fröhliche Liebe, die ihr aus jeder Zeile entgegenleuchtete, tat ihr unsäglich wohl.
Dora hatte ihr den Brief überreicht und dabei gesagt: »Wenn es Ihnen recht ist, Baroneß, komm' ich später zu Ihnen herüber. Jetzt ist mein Erich da, der Ihnen die Händ' küssen läßt. Wir rechnen grad' z'samm', was wir noch brauchen. Jetzt sind wir bei dem Küch'ng'schirr, und davon versteht so ein Mann halt gar nix. Auf nachher also, meine liebe Baroneß!«
So hatte sie, angeregt, wie sie jetzt immer war, gesagt, und bald darauf – es war gerade zehn Uhr – war sie wieder da.
Man wußte bis jetzt noch nicht, wer den Zettel geschrieben hatte, wußte nur, daß es ein Mann gewesen sei, vermutlich derselbe, welchen die zwei Mädchen an Klementines Tisch gesehen hatten. Darüber berichtete Dora ihrer Freundin und dann wendete sich das Gespräch naturgemäß einem schon oft besprochenen Thema zu: Frau v. Lassot, ihrem Hasse, dessen Betätigung und dessen Ursache.
»Wenn Robert, für dessen Untergang sie uns verantwortlich macht, wenigstens ihre unsinnige Liebe verdient hätte,« äußerte Klementine. »Aber er war ein Nichtsnutz durch und durch.«
»Und hat, wie Sie mir erzählten, seiner Mutter Zärtlichkeit durchaus nicht erwidert?«
»Nein, das hat er nicht getan. Wohl hat er ihr in seinen Briefen Zärtlichkeit vorgeheuchelt, aber sie hätte nur die Briefe sehen sollen, die er an uns geschrieben hat. Sie liegen noch in Wellhof, in Ernsts Schreibtisch. Es tut ihm geradezu leid, daß er vergessen hat, sie zu vernichten, denn wenn Tante Leona sie zufällig einmal finden sollte, würde die Wirkung auf sie eine schreckliche sein.«
»Warum haben Sie ihr diese Briefe nicht gegeben?« fragte Dora verwundert.
»Das tut man doch nicht!«
»Ich hätte es schon getan.«
»Jetzt, da Robert tot ist? O nein, Sie hätten es da auch nicht getan.«
Dora Zuckte die Achseln. »Es ist bald elf,« sagte sie aufstehend. »Ich bin schläfrig. Gute Nacht, liebe Baronesse.«
Auch Klementine legte sich bald nieder, allein schläfrig war sie nicht. Noch lange blieb sie munter und dachte lebhaft darüber nach, welch schweres Unheil so drohend über ihr hing, und wie dieses sie eines Tages doch noch zermalmen werde.
Endlich erlöste sie der barmherzige Schlummer von ihren trüben Gedanken.
*
Die Stimmung ihrer Kollegen und Kolleginnen war, wie sie am anderen Morgen deutlich merkte, auffallend zu ihren Gunsten umgeschlagen. Man begegnete ihr allerseits mit Achtung und Sympathie, und gern ging sie darauf ein, in die Spitzenabteilung versetzt zu werden, deren Chef, ein schon älterer Herr namens Born, ihr sehr gewogen war und ihr versicherte, daß sie hier, unter seinem und Fräulein Hartwigs Schutz, wohl geborgen sein werde.
Es vergingen tatsächlich drei Wochen, ohne daß Klementine wieder beunruhigt worden wäre. Allein eines Vormittags meldete sich doch das Unheil wieder. Born wurde davon verständigt, daß ein Agent da sei, welcher neue Artikel vorlegen wolle.
Born ließ sich in das Sprechzimmer befördern, wo der Mann seiner wartete.
Er öffnete umständlich seinen ganz kleinen Karton, indem er sagte: »Damit mache ich gewiß ein Geschäft! Die Krawatte ist reizend, eine Neuheit, über welche die Damen einfach herfallen werden. In ganz Wien hat man so etwas noch nicht gesehen! Aber freilich, teuer ist sie, feinstes Material, feinste Ausführung.«
»Na, beruhigen Sie sich nur,« erwiderte Born gemütlich, »ein bisserl was haben wir schon auch im Geschäft. Gerade vorgestern ist ein wunderbarer Artikel in diesem Genre – Ah! – Was ist denn das? Von diesen Krawatten rede ich ja gerade!«
Der Agent schien ungeheuer verwundert zu sein, Born war ganz bestimmt ungeheuer verwundert.
»Woher haben Sie dieses Modell?« fragte er scharf.
Der Mann wurde empfindlich. »Ich bitte – ich bitte sehr!« begann er gereizt. »Nicht diesen Ton! Gestohlen habe ich die Krawatte nicht. Sechs bare Gulden habe ich dafür hergegeben. Das ist übrigens diese echte Spitze allein schon wert.«
»Von wem haben Sie die Krawatte gekauft?«
»Von einer Putzmacherin habe ich sie gekauft.«
»Im Restaurant Hopfner – gestern mittag. Da sitz' ich zufällig mit einem Fräulein an demselben Tisch, und wir reden ein paar Worte miteinander. Sie hört, daß ich Agent in Putzartikeln bin, sagt, daß sie eine neue Krawatte komponiert habe, und ob ich sie sehen wolle. Ich sag' natürlich ja. Da steht sie auf und sagt, sie würde sofort wiederkommen. Es hat auch keine Viertelstunde gedauert, kommt sie und stellt mir die Schachtel hin. Nun – und da ist das Geschäft perfekt geworden. Sechzehn Kronen hat sie haben wollen, zwölf habe ich ihr gegeben, und jetzt sitze ich, wie mir scheint, mit der Krawatte in der Tinte.«
»Wieso denn Sie?«
»Nun, ich werde doch Scherereien haben.«
»Sehr wenig. Weit mehr Scherereien wird die Betreffende haben. Sie werden sie wohl wieder erkennen?«
»Natürlich. Sie hat mir sogar sehr gut gefallen.«
»Wie sieht sie denn aus?«
»Gar nicht wie eine Putzmacherin, sondern sehr fein. Hoch und schlank gewachsen ist sie, blaue Augen, lichtbraune Haare hat sie, und gestern hat sie ein dunkelgraues Kleid angehabt. Am Ringfinger der linken Hand trägt sie einen Amethystring, der sehr wertvoll sein muß.«
Born wurde nachdenklich. »Kommen Sie,« sagte er kurz.
Die beiden Männer begaben sich nach der Spitzenabteilung.
»Wenn Sie die Betreffende sehen, grüßen Sie sie,« wies Born den Agenten an.
Und der Mann grüßte gleich darauf. Er grüßte Fräulein Teck. Sie wurde rot und erwiderte kurz seinen Gruß. Born war augenscheinlich peinlich berührt. Einen Moment lang haftete sein Blick auf ihrer schöngeformten Hand, an welcher ein Amethyst glänzte. »Bitte, Fräulein Teck!« sagte er. »Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
Beklommen folgte sie ihm.
»Was gibt's denn schon wieder?« erkundigte sich Dora, welche in ihrer Nähe eine Kundin bediente, während Klementine an ihr vorüberging.
Diese zuckte die Achseln und ging weiter.
Dora blickte scharf nach dem Herrn, welcher mit dem Abteilungschef gekommen war. Es war ein schmächtiger, mittelgroßer Mann von etwa vierzig Jahren und peinlich eleganter Kleidung. Fräulein Hartwig schien es, als wenn er noch nicht recht zu Hause wäre in dem sichtlich neuen Winterüberzieher und den engen Glacéhandschuhen, die eine auffallend schmale Hand bekleideten. Sein Gesicht hatte sie nur einen Moment lang sehen können. Es war das sehr gewöhnlich geformte Gesicht eines alternden Stutzers.
Dora schaute, unruhig geworden, ihnen nach.
Eine halbe Stunde später wurde sie geholt. Sie fand Klementine in Tränen in Hälbys Bureau. Der Fremde war bereits entlassen worden. Er hatte sich mittels seiner Karte und einer Stadtbahnfahrkarte, die seine Photographie trug, legitimiert, hieß Hans Mautner und wohnte, wie er angab und wie auch auf seiner Visitenkarte gedruckt war, in der Nachbarstadt Mödling.
Er hielt, trotz heftigen Protestes seitens Klementines, seine Angaben aufrecht, hatte selber darauf aufmerksam gemacht, daß man sich auf telephonischem Wege von der Wahrheit seiner Angaben überzeugen könne, was auch geschehen war, und war dann mit der Bemerkung gegangen, daß er der Firma behufs Zeugenschaft immer Zur Verfügung stehe, nur müsse er jetzt auf etwa acht Tage in einer unaufschieblichen Sache verreisen.
So hatte er mit der Miene eines tiefgekränkten Mannes gesagt und war dann gegangen. Die Krawatte hatte er natürlich zurückgelassen.
Klementine war schluchzend auf einen Stuhl gesunken. Born betrachtete sie mitleidig, aber auch er wußte nicht, so wenig wie Hälby, dem die Geduld auszugehen begann, wie man den Fall günstig für die Beschuldigte drehen könne. Sie hatte es nicht geleugnet, daß sie am Tage zuvor bei Hopfner gespeist, den Agenten zum Tischnachbarn gehabt und auch einige Worte mit ihm gesprochen hatte. Daß es sich dabei um neue Krawatten gehandelt habe, daß sie weggegangen und wiedergekommen sei, stellte sie entschieden in Abrede, behauptete vielmehr, daß der Fremde den kleinen Karton selbst mitgebracht hatte.
Man glaubte ihr gern, aber wie sollte sie ihre Behauptungen für jene, die nicht ohne weiteres würden glauben wollen, beweisen können?
Die Sache war sehr, sehr peinlich. Die Herren wußten es, daß man eine Schuldlose vor sich habe, aber sie mußten die arme Verfolgte nun doch entlassen – für so lange wenigstens, als sich ihre Schuldlosigkeit nicht herausgestellt hatte. Die Disziplin, ohne welche man nirgends, am wenigsten aber in solch einem Riesengeschäfte, auszukommen vermag, zwang einfach dazu. Es ging einfach nicht an, gegen sie, für welche man ohnehin schon so viele Rücksicht gehabt, noch weiterhin diese Rücksicht zu üben.
Die Sache war nämlich schon im Hause bekannt geworden, auf welche Art und durch wen, das hatte man noch nicht feststellen können.
Als Fräulein Hartwig hinaufgerufen wurde, sagte eine Verkäuferin zu ihr: »Diesmal wird sich Ihre vornehme Freundin wohl kaum sauberwaschen können.«
»Ist also schon wieder etwas gegen Fräulein Teck inszeniert worden,« entgegnete Dora kühl. Innerlich aber war sie sehr erschrocken. Wußte sie es doch in erster Linie, die hier neben ihrer offiziellen Verkäuferinnenrolle auch noch eine heimliche Beobachterrolle spielen mußte, wie leicht es war, jemand zu verderben. Jedenfalls aber merkte sie es sich genau, wer es war, die da vom vergeblichen Sauberwaschen geredet hatte.
Es war ein Fräulein Risa Lonsky, eine nähere Bekannte der – Neuber, welcher Umstand Dora zu denken gab.
Als sie Klementine völlig niedergedrückt von der neuerlich gegen sie erhobenen Anklage bei Hälby fand, zog sich ihr das Herz vor Mitleid zusammen. Äußerlich aber spielte sie die völlig Ruhige.
Nachdem abermals eine kurze Konferenz zwischen Hälby, Kern, Fräulein Vogel und Dora stattgefunden, verließ Klementine noch vor Geschäftsschluß das Warenhaus.
Als sie allein in ihrem Zimmer war, brach noch einmal ihr ganzer Jammer los. Nachdem sie sich ein wenig gefaßt hatte, schrieb sie an Eugen und trug ohne Zögern den Brief selber zur Post. Dann brachte sie den ganzen Nachmittag in trübem Brüten hin. Es störte sie niemand darin, denn Doras Tante war seit drei Tagen verreist, und dies war eben der Grund gewesen, weshalb sie am Tage zuvor bei Hopfner gespeist hatte.
Es wurde neun und halb zehn Uhr, ohne daß Dora heimkam. Oder war sie vielleicht schon zu Hause, kam aber nicht zu ihr herüber? War es ihr denn zu verdenken, wenn auch sie diesmal irre geworden war, und vielleicht gar nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? –
Dora Hartwig aber saß inzwischen in Gesellschaft Gustls beim Hopfner. Sie waren erst gegen neun Uhr in das Lokal gekommen, denn sie waren nach Geschäftsschluß miteinander auf dem Meldungsamte der Polizei gewesen, wo man ihnen auf ihren Wunsch die Wohnung der Frau Leona v. Lassot bekannt gab.
Bei Hopfner hatten sie mit verschiedenen Kellnern und schließlich auch mit einem Dienstmann Besprechungen, und so wurde es fast zehn Uhr, als Dora das Haus betrat, in welchem sie wohnte. Schon in der Haustür stehend, drückte sie kameradschaftlich des Laufburschen Hand und sagte: »Also, Gustl, den vormittägigen Urlaub für morgen schlag' ich Ihnen schon heraus. Und die vier Kronen, die Sie zu Ihrem Ausflug brauchen, geb' ich Ihnen gleich. So! – Und jetzt gute Nacht.«
»Aber, Fräul'n Hartwig, das Geld druckt mich.«
»Behalten Sie's nur, Gustl. Wenn Sie am Fünfundzwanzigsten des Monats keine Reichtümer mehr haben, so ist das ganz natürlich. Und zurückzuzahlen brauchen Sie mir's erst, wenn Sie einmal Chauffeur beim Rothschild sind.«
Sie nickte ihm zu und verschwand. Gleich darauf fragte eine leise Stimme an der Tür Klementines: »Baroneß, schlaf'n Sie schon?«
Im nächsten Augenblick lag das gequälte Mädchen schluchzend an Doras Hals.
»Also haben Sie mich doch noch lieb?« stammelte die Baronesse.
»Ja freilich. Ein ganz klein's bisserl hab' ich Sie gern – das meld' ich gehorsamst, und außerdem hab' ich noch etwas zu melden. Der Herr Hans Mautner kriegt Briefe, die an einen Herrn Klein gerichtet sind. Ein Dienstmann hat ihm einen solchen zu Hopfner gebracht. Das ist das eine, das der Gustl und ich miteinander bis jetzt erfahren haben. Allein hat der Gustl aber außerdem herausbekommen, daß Ihre Tante mit unserem Herrn Meißl bekannt ist, und daß dieser Edle seit einiger Zeit viel mit der Neuber verkehrt. – So – und jetzt geh'n wir schlafen. Gute Nacht, Herzl – gute Nacht!«