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Zwölftes Kapitel.

Es stellte sich immer mehr als notwendig heraus, daß Klementine sich den weiten Weg von ihrer Wohnung bis ins Warenhaus ersparen mußte, es war ihr sonst unmöglich, die streng durchgeführte Geschäftszeit richtig einzuhalten. Anderseits war ihr Bruder bei der gegenwärtigen Hauswirtin vorzüglich aufgehoben.

Auch Kern riet Klementine dringend, ein Zimmer in der Nähe des Geschäftes zu suchen, und so benutzte sie die Mittagspause, um sämtliche Wohnungszettel, die in der Nachbarschaft des Warenhauses an den Haustoren hingen, durchzustudieren.

Eben stand sie wieder, solch einen Zettel prüfend, vor einem Haustor in der Lindengasse, da sagte eine klangvolle Stimme neben ihr: »Das ist nichts für Sie, Fräulein Teck. Sie brauchen etwas Gemütliches und Sicheres. In einer großen Stadt muß man vorsichtig sein in seinem Umgang.«

Klementine nickte der Sprechenden freundlich zu und reichte ihr die Hand. »Da haben Sie ganz recht, Fräulein Hartwig,« sagte sie. »Aber woher wissen Sie denn, daß dieses Zimmer nichts für mich ist? Woher wissen Sie denn überhaupt, daß ich ein Zimmer suche?«

Dora Hartwig lachte. »Freilich weiß ich das alles. Letzteres durch Fräulein Vogel und ersteres, weil ich selber einmal in diesem Hause wohnte. Dieses hübsche Zimmer im ersten Stock hat die Aussicht auf ein dunkles Höfchen, darin von etlichen zwanzig Parteien tagaus, tagein die Teppiche geklopft werden, und die Frau, die es vermietet, hat sieben lebendige Kinder, deren ältestes zehn Jahre alt ist. Von Licht und Luft und Ruhe ist also da nicht zu reden.«

»Also wieder nichts!« meinte Klementine.

»Nur nicht die Geduld verlieren!« mahnte Dora Hartwig. »Kommen Sie doch mit zu mir hinauf – ich wohne gleich hier nebenan.«

»Aber Sie werden jetzt speisen wollen.«

»Haben Sie schon gegessen?«

»Ja.«

»Nun, da ist also keine Gefahr, daß Sie mir etwas wegessen. Also kommen Sie nur. Ich bin so stolz auf mein niedliches Zimmer, daß ich mir gerne liebe Menschen einlade.«

»Ich bin leider so gedrückt und verstimmt –«

»Sie sind trotzdem lieb!« stellte Dora mit so großer Bestimmtheit fest, daß Klementine lachen mußte.

So legte sie denn ihren Arm in den der Kollegin und ließ sich von ihr führen.

Sie gingen noch zwei Häuser weit, stiegen zwei Stockwerke empor und hielten vor einer sehr sauber gehaltenen, weißlackierten Tür, auf deren Taster Dora drückte.

Eine ältliche Frau, welche Dora ihrem Besuch als ihre Tante vorstellte, öffnete.

»So – hier sehen Sie – das ist bis auf weiteres meine Heimat!« sagte Dora Hartwig, als sie in einem großen, hellen Zimmer angekommen waren, an dessen Fenstern seine Spitzenvorhänge hingen, und dessen Boden mit einem dicken cremefarbenen Teppich bedeckt war.

»Ah – wie hübsch Sie wohnen!« sagte Klementine, sich aufrichtig wundernd über den zarten Geschmack, der hier jedes einzelne Ding gewählt hatte. Die helle, moosgrüne Tapete mit dem breiten Fries, auf dem eine stille Herbstlandschaft dargestellt war, über welcher die Decke als lichter Himmel blaute – wie dies alles freundlich wirkte, und wie weit man zu schauen meinte! Und nirgends aufdringliche Bilder, welche die Ruhe der Wände gestört hätten, und nur ganz wenige, aber gediegene und bequeme Möbel aus rostrotem Holz, und vor dem Bette eine spanische Wand wieder mit einer meisterhaft ausgeführten Herbstlandschaft.

»Wie schön, wie wunderschön!« sagte die Baronesse, das Bild betrachtend. »Man hat hier das angenehme Gefühl, im Freien zu sein.«

Dora nickte. »Dieses Gefühl habe ich mir verschaffen wollen, und es freut mich, daß auch Sie spüren, daß mir die Ausführung meiner Absicht nicht mißlungen ist. Ach, wie sehne ich mich immer nach dem Freien und nach Einsamkeit! Muß man doch ständig Zwischen engen Mauern und im Menschengewimmel leben! – Aber jetzt, Fräulein Teck, müssen Sie auch das Zimmer ansehen, das bis vor kurzem meine nun verheiratete Schwester bewohnt hat. Es ist freilich bescheidener als meines, aber eigentlich noch viel gemütlicher.«

»Ah – in der Tat!« rief Klementine aus, die jetzt auf der Schwelle eines kleinen, ebenfalls sehr hellen Zimmers stand, das mit seinen freilich altväterischen, aber sehr behaglichen Polstermöbeln und seinem grünen Teppich wie ein Nest aussah.

»Gefällt es Ihnen wirklich?« fragte Dora.

»Es erinnert mich so an mein Zimmer daheim,« erwiderte Klementine, deren Augen feucht geworden waren. »Wie sollte es mir nicht gefallen?«

»So könnten Sie sich hier wohl fühlen?«

»Wie sehr!«

»Fräulein Teck, ich wäre sehr glücklich, wenn Sie das Zimmer nehmen würden. Es ist, wie ich Ihnen sagte, schon eine Weile unbewohnt.«

Über Klementines Züge breitete sich der Ausdruck großer Verlegenheit.

»O, Fräulein Hartwig,« murmelte sie, »ein so hübsches Zimmer kann ich nicht mieten.«

»Können Sie wirklich nicht einmal fünfzehn Kronen an Wohnung, Heizung und Bedienung wenden?« meinte Dora geschäftsmäßig.

»Fünfzehn Kronen! Aber Fräulein Hartwig – Sie bekommen doch leicht das Doppelte dafür, und ich – ich würde Ihnen höchstens nur zwanzig Kronen bieten können.«

»Ich nehme aber nur fünfzehn. Dafür will ich allerdings nur jemand in so naher Nachbarschaft haben, der mir sympathisch ist. Sie zögern? Ach, schlagen Sie doch ein! Sonst steht mir das Zimmer, das ich auch von meiner Tante gemietet habe, noch länger leer.«

Tief errötend und doch so freudig schlug Klementine ein, und gleich darauf saß sie, einer großen Sorge ledig, im Wohnzimmer von Doras Tante, der verwitweten Feldwebelsgattin Antonie Hartwig, die schon lange mit ihrer verwaisten Nichte zusammenwohnte und wirtschaftete. –

Unter der Obhut der beiden Hausgenossinnen fühlte sich Klementine sehr wohl, zumal sie wußte, daß auch Ernst treu behütet wurde.

Den Grafen Plein, der ihr voll dringender Herzlichkeit geschrieben und sie noch einmal um ihre Hand gebeten, hatte sie abermals abgewiesen. Dadurch lag ein tiefer Schatten auf ihrem Wege. Sie hatte vor Eugen ein Geheimnis, und eine Lüge stand zwischen ihm und ihr. Sie ließ ihn glauben, daß Ernst so viel aus dem väterlichen Erbe gerettet habe, daß sie beide ruhig davon leben könnten, zumal Ernst schon eine Beschäftigung gefunden habe. Daß sein Verdienst mit Musik zu tun habe, hatte sie auch in dem einzigen Brief, in welchem sie dieses Thema berührte, erwähnt, allein welcher Art seine Beschäftigung sei, das hatte sie verschwiegen.

Dieses Heimlichtun Eugen gegenüber bedrückte sie sehr. Dennoch gab sie es nicht auf, konnte es nicht aufgeben. Er mußte Ruhe haben. Schrieb er ihr doch immer wieder, daß er bei der schwierigsten Partie seines Werkes angekommen sei, daß er jede freie Stunde, welche der Dienst ihm ließ, am Schreibtische zubringe und jede Zerstreuung meide, um seinen Kopf und seine Nerven ruhig zu erhalten. Gerade jetzt, da er austreten werde, hoffe er durch sein Buch sich eine neue Laufbahn in der Technik zu eröffnen.

Es sprach nicht etwa Resignation aus seinen Briefen, sondern nur Ruhe und die Festigkeit eines Mannes, der genau weiß, was er will. Daneben ging immer das innige, treue Empfinden her, das er Klementine widmete. Das hartgeprüfte Mädchen war also wenigstens in seiner Liebe sehr, sehr glücklich.

*

Weihnachten war vor der Tür. Das stille Frostwetter, welches endlich eingetreten, war der Kauflust des Publikums sehr günstig. Im Warenhause herrschte ein bewegtes Leben. Vom frühen Morgen bis zur Sperrstunde war es geradezu belagert von einer schau- und kauffreudigen Menschenmenge. Ununterbrochen waren die Aufzüge und die originelle Rolltreppe, welche aus dem Parterre in den Halbstock hinaufführte, in Bewegung.

Mit glühenden Wangen, oft schon recht müde und dennoch recht berufsfreudig, widmeten sich die Verkäufer und ihre Kolleginnen mit Eifer ihrer Obliegenheit, zeigten die größte Geduld, wenn sie schwer zu befriedigende Kunden bedienten, und machten selbst diese gern auf weitere besonders kaufenswerte Artikel aufmerksam. Überall mußten sie ihre Augen, Ohren und Hände und ihre Aufmerksamkeit haben – keine geringe Anforderung, da sie jetzt für fast zwölf Stunden täglich an sie gestellt wurde.

Natürlich ging es auch in der im Halbstock befindlichen Konfektionsabteilung überaus lebhaft zu. Da kamen jetzt namentlich Frauen, die bescheiden nach einfachen Kleidern fragten und die jetzt erst dazu kamen, sich eine warme Hülle zu kaufen.

Schon schwieriger und langwieriger gestaltete sich die Bedienung jener Kundinnen, welche nicht so genau zu rechnen brauchten. Da hatten die Verkäuferinnen alle Hände voll zu tun, da mußten die Diener immer wieder andere Toiletten herbeischaffen, denn Farbe oder Fasson, Stoff oder Aufputz wurden von jeder der Käuferinnen, die meist selber nicht wußten, was sie wollten, wieder anders gewünscht.

Da hieß es ebenfalls geduldig und findig sein, nicht ermüden, von Nervosität nichts spüren lassen, immer lächeln, immer sich liebenswürdig verhalten und unmerkbar, durch geschickte Komplimente die Geduld und Kauflust der Kundinnen wach erhalten.

Es ist nicht leicht, die Eitelkeit zu bedienen, und zumeist ist es doch diese, welche die Damen bei der Wahl ihrer Toiletteartikel beeinflußt. –

Eine ältere Dame fuhr gegen Abend, zu der Zeit, da das große Warenhaus am meisten besucht war, in einem der Fahrstühle zur Konfektionsabteilung hinauf. Sie hatte eine blasse junge Person bei sich, wohl ihre Gesellschafterin, denn für eine Magd sah sie zu fein aus, schien aber sehr niedergedrückt zu sein, denn sie wagte es nicht, sich auch auf einen der drei Samtsitze niederzulassen, die sich in dem von dickem Spiegelglas umgrenzten Aufzug befanden.

»Daß Sie diesmal die Augen ordentlich aufmachen!« sagte die ältere Dame beim Aussteigen und wendete sich nach der Pelzabteilung. Ihre blasse Begleiterin verneigte sich demütig.

»Gnädige Frau sind in Trauer? Es soll also etwas Schwarzes sein?« bemerkte halb fragend die Verkäuferin, welche ihnen entgegenkam.

»Wie können Sie so albern fragen?« tönte da eine harte Stimme hinter ihr. »Selbstverständlich werden Sie schwarzes Pelzwerk bringen. Ermüden Sie doch die Dame nicht mit Ihrer Fragerei!«

Paula Neuber, die Vorstandsdame dieser Abteilung, war es, die sich mit Rauschen und Klingeln nun zu der Kundin wendete.

Einige Damen, welche sich ebenfalls Pelzsachen vorlegen ließen, schauten verwundert auf die geräuschvolle und wenig Takt beweisende große Person, welche mit ihrem roten Haar und dem merkwürdigen violetten Samtkleid, an dem alles glänzte und klirrte, sehr auffiel.

Frau v. Lassot, die eben angekommene Kundin, hatte sich breit in einem der mattgrünen Sessel niedergelassen und blickte mit einer ganz unnötigen Strenge, welche sie für Würde hielt, um sich.

»Wie elend Sie heute wieder aussehen, Lotti!« sagte sie laut und im Tone hoher Mißbilligung zu ihrer Begleiterin, deren Gesicht ihre kalten Augen soeben gestreift hatten.

»Ich bin nur ein bißchen müde, gnädige Frau,« entgegnete die junge Person schüchtern und versuchte es, sich stramm aufzurichten.

Da schob ihr ein soeben vorübergehendes Fräulein freundlich lächelnd einen Stuhl hin.

»Da setzen Sie sich halt!« herrschte ihre Herrin sie an, und mehr einem physischen Zwang als der ungnädigen Erlaubnis nachkommend, fiel das Mädchen fast auf den Sessel.

»Als ob Sie sich bei mir so anstrengen müßten!« höhnte Frau v. Lassot, die sich, seit Nächten schlaflos, bis in den Morgen hinein von der Armen hatte vorlesen lassen.

Die Verkäuferin, welcher sie zugewiesen worden war, brachte einen recht hübschen Kragen von glänzendem schwarzen Fell herbei und legte ihn, seine Vorzüge hervorhebend, vor der Kundin auf den Tisch.

Eine Weile schaute diese auf den Kragen, dann lachte sie spöttisch. »Das soll ich tragen?« fragte sie. »Das ist ja Kaninchen.«

Die Verkäuferin wurde rot. Sollte sie die Frau so schlecht taxiert haben? Sie sah doch sehr gewöhnlich aus und war nichts weniger als elegant gekleidet.

»Gnädige Frau!« stotterte sie. »Es ist in der Tat französisches Kaninchen. Es ist sehr beliebt, und ich dachte –«

»Was Sie denken, ist mir gleichgültig. Bringen Sie jetzt anständiges Pelzwerk. Krimer kann es sein, oder Sealskin, auch Astrachan. Jedenfalls kein solcher Fetzen.«

Die Neuber hatte für solche Kunden ein besonderes Interesse. »Natürlich, meine Gnädigste,« rief sie, »das Fräulein hat sich vergriffen. Sie ist Anfängerin, hat noch keinen Blick für die Kunden. Es war schon ein Fehler, daß man sie der Gnädigsten zugewiesen hat. Aber das läßt sich gutmachen. Es wird mir eine Ehre sein, die Dame selbst bedienen zu dürfen.«

Leona war schon besänftigt, und die niedergedonnerte Verkäuferin lief nach anderen Pelzen.

»Krimer, Sealskin, Astrachan!« murmelte sie, hochrot im Gesichte, denn sie wußte, das war ein ganz außergewöhnlicher Nutzen für sie. Hatte sie doch Prozente von jeder Verkaufssumme. Die Neuber würde sich doch nicht etwa selber diese Prozente zuschreiben? Das war allerdings schon öfters dagewesen.

Sie nahm zwei prachtvolle Kragen aus einem der Schränke und eilte mit ihnen und einer hocheleganten Nerzstola an ihren Verkaufstisch zurück.

Allein da war für sie schon alles aus. Die Neuber riß ihr die Kragen aus der Hand und sagte: »Da drüben ist eine Frau – die können Sie bedienen. Sie will eine Boa in der Preislage von etwa zehn Kronen.« Dienernd und lächelnd wandte sie sich dann zu Frau v. Lassot. »So, meine Gnädigste, das hier ist allenfalls etwas für Sie. Ein Modell. Gestern erst aus Petersburg gekommen. Die Zarin trägt diese Fasson aus Klondikefuchs. Oder wünschen Sie eine andere Form? – Fräulein Teck,« rief sie laut nach dem Hintergrund des Saales hin, »kommen Sie! Aber ein bißchen schnell! Was tun Sie denn noch? Ich werde hoffentlich kein Bittgesuch einreichen müssen, wenn ich eine Probiermamsell brauche.«

Frau v. Lassot hob den Kopf. Also hier hieß eine Probiermamsell Teck!

Die Gerufene kam schon. Rasch lief sie herbei und sah mit ihrem hübschen, ernsten Gesichte und der schönen, kräftigen Gestalt sehr anziehend aus.

Leona, ziemlich kurzsichtig und ihre an einer Schnur hängende Lorgnette nicht sogleich findend, sah die Herangekommene erst deutlich, als diese schon vor der Neuber stand und sich den Pelzkragen umlegen ließ. Da ging ein merklicher Ruck durch ihre Glieder. Sie öffnete die Lippen, aber sie schloß sie gleich wieder. Kein Laut war hervorgekommen, aber ein Lächeln voll wilden Triumphes krümmte sie, und dieses Lächeln, dieses stille, teuflische Lächeln, war auch in ihren Augen.

Klementine, welche von der Neuber schon einige Male in dieser Weise verletzt worden und doch ihr zu gehorchen gezwungen war, stand mit gesenkten Augen da. Sie wußte nicht, was ihr in der nächsten Minute bevorstand, allein auch ohne dies war ihre Seele augenblicklich voll Bitterkeit. Seit Tagen schon überanstrengt und infolgedessen übermüdet, kam ihr gerade in diesem Augenblick ihre Tätigkeit noch widerwärtiger vor als sonst, und wie so oft, wenn sie der Neuber gegenüberstand, erinnerte sie sich der ersten flüchtigen Begegnung mit ihr, wie sie ihr gleich damals widerwärtig gewesen, und wie unverhohlen sie der Neuber damals ihren Widerwillen gezeigt hatte. Wie bitter sie dies jetzt büßen mußte, denn auch die Neuber hatte jenen Augenblick nicht vergessen!

»Sie ist ja so gemein,« dachte Klementine und drehte sich dabei auf Geheiß der Vorgesetzten langsam um sich selber, ganz wie eine mechanische Puppe.

Leona heftete ihren Blick mit einem Genuß ohnegleichen auf die herrliche Gestalt, mittels welcher man ihr vortäuschte, wie tadellos der Pelzkragen sie selbst kleiden würde.

»Gnädigste bemerken, wie wunderbar das Stück steht! Jede Linie elegant! Und der diskrete Glanz des Pelzes! Der Kragen ist einfach entzückend!« redete, ihre Augen verdrehend, die Neuber auf sie ein. Ein vielköpfiges Publikum stand um die Gruppe herum, denn wenigstens ein Dutzend Kundinnen interessierten sich für das in der Tat schöne Stück. Man hörte verschiedene beifällige Bemerkungen und etliche Ausrufe des Entzückens.

Die Neuber redete immer weiter, denn sie hatte eine nie versagende Zunge.

Aber plötzlich versagte sie doch.

»Du hast es ja herrlich weit gebracht!« sagte laut und hart die Kundin.

Worauf das ging, wußte niemand der Umstehenden sogleich.

Klementine erhob den Kopf, und ihre Blicke fielen auf Frau v. Lassot. Da wich der letzte Blutstropfen aus ihrem Gesichte, und wie erstarrt blieb sie stehen.

»Dreh dich doch wieder! Vorwärts! Dreh dich! Ich will doch sehen, wie das Ding aussieht, das ich kaufen will.«

Wie viel Hohn in ein paar Worten enthalten sein kann!

Klementine hatte die peinvolle Überraschung überwunden, und während ihr dunkle Röte ins Gesicht stieg, sagte sie verächtlich: »Du hast es auch noch nötig, mich zu verhöhnen – du, die du bis in den letzten Winkel deiner gemeinen Seele hinein verdorben bist!«

Hoch den Kopf erhebend, legte sie den Pelzkragen ab und ging davon.

»Fräulein Teck!« rief ihr die Neuber wütend nach. »Sofort kommen Sie hierher und bitten die Dame um Entschuldigung!«

Klementine ging ruhig weiter.

»Rufen Sie doch nach der Baronesse Teck! Das wird sie lieber hören!« riet Leona giftig. Dann erhob sie sich. »Kommen Sie!« sagte sie zu ihrer Gesellschafterin. »Anderswo werde ich wenigstens nicht Beleidigungen ausgesetzt sein.«

»Aber, meine Gnädigste,« jammerte die Neuber, »lassen Sie es doch mich und unser Haus nicht entgelten, daß eine Wahnsinnige Sie hier beleidigt hat! Ich gebe Ihnen mein Wort, diese Unverschämte ist morgen entlassen! Gestatten Sie, meine verehrte Dame, daß ich Sie hinaufgeleite. Im Palmengarten werden Sie sich erholen von der leider hier gehabten Aufregung. – August, öffnen Sie den Aufzug! Die Dame will in den Palmengarten!«

»Nichts will sie!« rief die Lassot dem hübschen Jungen zu, den die Neuber angerufen hatte. »Ich betrete dieses Haus erst wieder, wenn diese freche Person, die Baronesse Teck, mit Schimpf und Schande fortgejagt worden ist.«

Gustl machte große Augen, und während er nun ging, dachte er: »Baronesse Teck? Ist Fräulein Teck also eine Baronesse? Und warum soll sie denn fortgejagt werden?«

Er verschwand hinter einer Tür. Die Verkäuferin hatte ihm einen Wink gegeben. »Holen Sie Fräulein Vogel!« raunte sie ihm zu und huschte dann weiter.

In einem Winkel hielt sie an. Da saß, ganz kraftlos geworden, Klementine auf der untersten Stufe einer Leiter und starrte geistesabwesend vor sich hin.

Anna Riegelmann strich mit sanfter Gebärde über ihr Haar. »Das war ja schrecklich!« sagte sie dabei voll Teilnahme. Dann aber fragte sie neugierig: »Wer war denn die alte Frau?«

»Eine Verwandte von mir.«

»Und die kann sich einen solchen Kragen kaufen? Er kostet wenigstens sechshundert Kronen!«

»Sie kann sich ihn kaufen.«

»Und Sie – Sie sind –«

»Probiermamsell.«

»Und Baronesse. Sind Sie das wirklich?«

»Ich bin es wirklich.«

»Das ist aber merkwürdig!«

»Ja – es ist ein bißchen merkwürdig!«

Wie mechanisch antwortete Klementine.

Anna Riegelmanns Augen glänzten vor Aufregung. Das war ja wie ein Kapitel aus den Romanen, die sie so leidenschaftlich gern las.

Sie schickte sich soeben an, weiterzufragen, als Gustl am Ende des langen Ganges auftauchte. Dicht hinter ihm kam Fräulein Vogel und schritt rasch auf die Mädchen zu. Klementine erhob sich mühsam. »Ich bin wohl entlassen?« fragte sie heiser.

Dann fiel sie laut weinend dem kleinen Fräulein um den Hals.


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