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Neuntes Kapitel.

An einem trüben Nachmittag erhielt der Baron Ernst v. Teck Besuch. Doktor Keßler, der schon der Rechtsfreund seines Vaters gewesen war und jetzt ihm selbst nach Kräften in seiner schwierigen Lage beistand, trat mit allen Zeichen hoher Erregung bei ihm ein. Ganz rot war der alte Herr im Gesichte, und seine Augen blitzten.

»Eine beispiellose Niederträchtigkeit! Eine ganz unverständliche Niederträchtigkeit!« Mit diesen Worten warf er Schirm und Hut auf den neben der Tür stehenden Tisch und ging rasch auf den sich erhebenden Baron zu.

»Was gibt's denn, Doktor? Was regt Sie denn gar so sehr auf?« fragte dieser, seinen Besuch zu einem Sitz geleitend.

Der alte Herr lachte zornig. »Na, Sie werden schauen! – Wissen Sie, daß Wellhof schon nächste Woche zum zwangsweisen Verkauf kommen wird?«

Ernst wurde bleich. »Schon so rasch?« murmelte er. »Man bewilligte mir also keine Frist mehr?«

»Ich konnte leider gar nichts erreichen, aber erfahren habe ich etwas Merkwürdiges.«

»Was denn?«

»Ihre sämtlichen Schulden befinden sich jetzt in einer einzigen Hand.«

»Wer kann denn ein Interesse daran gehabt haben, sie aufzukaufen? Er hat sich damit ja kaum etwas Gutes getan. Wie es heute auf Wellhof steht, kann niemand sagen, daß er durch diesen Besitz Freude und Nutzen haben wird.«

»Nutzen nicht, aber Freude – Schadenfreude!«

Der Baron erhob den Kopf. »Lieber Doktor, ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, Sie werden sogleich verstehen. Frau v. Lassot ist jetzt reich.«

»Ja, aber –«

»Und sie ist Ihnen nicht gut gesinnt. Sie aber ist jetzt Ihr einziger Gläubiger.«

»Sie – sie hat meine Schulden aufgekauft?« schrie Ernst auf.

»Aber lieber Baron! So schwer trifft Sie die Sache?« Der alte Herr schaute erschrocken auf Teck, welcher sich jäh erhoben hatte.

»Sie also!« murmelte Ernst. »Wie diese Frau hassen kann!«

Keßler schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht –« sagte er.

Da sagte Ernst v. Teck, ihn mit einem herben Lächeln wiederholend: »Nun, Sie werden sogleich verstehen. Tante Leona ist uns nicht nur nicht gut gesinnt, sondern sie haßt uns. Durch ihr Handeln hat sie bewiesen, wie tief dieser Haß ist. Sie hat sich, wiewohl sie unsere Lage kennt, nicht nur nicht bewogen gefühlt, uns beizustehen, sie hat mir auch nicht einmal das Geld zurückerstattet, das ich ihrem Sohn geliehen habe, nicht eines Wortes hat sie mich gewürdigt, als ich sie letzthin schriftlich darum bat. Nun beweist sie klar und deutlich, daß sie uns ganz in ihre Gewalt bekommen, daß sie uns einfach vernichten will.«

»Warum denn aber nur solch ein entsetzlicher Haß?« rief der alte Herr erregt aus. »Was haben Sie ihr denn nur getan?«

»Sie gibt mir die Schuld am Tode ihres Sohnes.«

»Wie ist das möglich?«

»Das ist eine lange Geschichte,« entgegnete der Baron. »Hören Sie zu.«

Er schilderte eingehend, was geschehen war, und der alte Herr hörte aufmerksam zu.

Als der Baron seine Mitteilung beendet hatte, herrschte längere Zeit Schweigen, dann sagte Keßler: »Wer diese Frau kennt, der versteht ihr Tun, das Uneingeweihten einfach verrückt vorkommen müßte. Jetzt, da Sie offen sagten, was zwischen Ihnen und ihr liegt, wundere ich mich nicht mehr über diese Verfolgungswut. Exzentrisch und brutal war sie ja immer – im kleinen wie im großen. Und in diesem Falle macht sie die Leidenschaft einfach ganz sinnlos. – Lieber Baron, Sie und Ihre Schwester tun mir leid, denn dieses Weib wird kein Mitleid haben. Ist es denn eine bedeutende Summe, die Sie Robert v. Lassot geliehen haben?«

»Eine für mich immerhin bedeutende Summe – fünftausend Kronen.«

»Sie haben natürlich einen Schuldschein darüber?«

»Leider nicht. Damals wußte ich noch nicht, was für ein Schurke Robert war.«

»Und Sie haben auch keinen Zeugen in dieser Sache?«

»Nein.«

»Das ist schlimm.«

»Nun, Tante Leona weiß ganz genau, daß ich ihrem Sohne das Geld gab, und daß ich es noch nicht zurückbekommen habe.«

»Ist es sicher, daß sie das weiß?«

»Ganz sicher! Hier, an dieser Stelle, redeten sie und ich von dieser Schuld, die sie anerkannte und die sie zurückzuzahlen versprach, falls Robert etwa nicht in die Lage käme, sie zu tilgen. Ihr Ehrenwort hat sie mir gegeben, daß sie diese Schuld übernimmt, und nun –«

»Wir brauchen ihr Ehrenwort nicht!« fiel der alte Herr lebhaft ein. »Sie wird nicht leugnen können und muß einfach zahlen. Wir werden diese Schuld einklagen.«

»Sie selbst ist mir aber doch das Geld nicht schuldig!«

»Ihr Sohn war es Ihnen schuldig, und sie ist seine Erbin. Sie hat diese, freilich etwas zweifelhafte Erbschaft angetreten und hat damit auch seinen negativen Besitz, nämlich seine Schulden, übernommen. Also wir werden diese Schuld einklagen.«

»Ich ersuche Sie darum, wiewohl es mir recht peinlich ist. Aber da wir in ein paar Wochen obdachlos sein werden, muß ich dafür sorgen, daß wenigstens für Klemi so viel Geld da ist, daß sie nicht –«

Der junge Mann konnte nicht weiterreden. Er trat an das Fenster und preßte seine heiße Stirn an das kühle Glas. Am Endpunkt seines Kämpfens angekommen, fühlte er sich gänzlich entmutigt.

»Nun gibt es also wieder ein paar vollständig heruntergekommene Adelige mehr.« Mit diesen bitteren. Worten wandte er sich endlich Keßler wieder zu.

Der alte Herr war aufgestanden und sagte: »Reden Sie in der Einzahl. Nur Frau v. Lassot ist vollständig heruntergekommen. Sie, lieber Baron, und Ihre Schwester sind nur verarmt – und so wird es ja nicht bleiben!«

Ernst lachte herb auf. »Nach ein paar Wochen schon werden wir ein Leben der bittersten Dürftigkeit führen, aus dem wir kaum wieder herausfinden werden. Ganze Stiefel und Sattwerden – das werden von nun an unsere Ideale sein, und froh werden wir sein müssen, wenn wir wenigstens dies erreichen. Ach, lieber Doktor, das Leben liegt recht dunkel vor mir, werde ich doch nicht einmal meine Schwester vor den gemeinsten Lebenssorgen schützen können!«

»Nicht alles so schwarz sehen, Baron!« tröstete der alte Herr. »Wie ich die Baronesse kenne, wird sie mutig dem neuen Leben entgegentreten und – wenn wirklich die Not kommen sollte, dann, Baron, haben Sie und Ihre Schwester immer noch einen wirklichen Freund, den Doktor Keßler, dessen Herz, wiewohl es das eines alten Junggesellen ist, noch nicht gänzlich vertrocknet ist. – Nun aber wollen wir sogleich die Klageschrift aufsetzen, fünftausend Kronen sind immerhin etwas, das man sich retten muß.«

*

Noch vor dem Zwangsverkauf von Wellhof kam die Klagesache gegen Frau v. Lassot zur gerichtlichen Austragung.

Die kurze Verhandlung nahm einen für Doktor Keßler ganz unerwarteten Verlauf. Er hatte mit Sicherheit angenommen, daß Frau v. Lassot verurteilt werden müsse. Aber es kam nicht so.

Sie stellte entschieden in Abrede, etwas von dieser Schuld zu wissen, behauptete, daß weder ihr Sohn ihr davon Mitteilung gemacht, noch daß sie in seinem Nachlasse irgend etwas darauf Hinweisendes gefunden habe. Auch daß sie mit Baron Teck ausführlich darüber geredet oder gar die Bezahlung dieser Schuld auf sich genommen, leugnete sie.

Keßler bewahrte nur mühsam seine Fassung, denn er war vollständig davon überzeugt, daß die Frau frech log, und er beantragte, sie zu vereidigen. Er tat dies nicht, um sie zu einem Meineid zu treiben, sondern in der festen Voraussetzung, vor diesem Letzten würde die Verblendete denn doch zurückschrecken.

Allein der alte Herr täuschte sich in Bezug auf den Grad der moralischen Heruntergekommenheit seiner Gegnerin. Sie leistete den Eid, den Meineid, mit einer Ruhe, die auf den Richter einen sehr guten Eindruck machte, und die ihn selbst, den Wissenden, verblüffte.

Um eine häßliche Erfahrung reicher verließ Doktor Keßler als Unterlegener den Gerichtssaal.

»Diese Mutter ist dieses Sohnes wert!« murmelte er, als er draußen war. »Er ein Fälscher, sie eine Meineidige!«

So dachte, geradezu erschüttert von dem soeben Erlebten, der alte Herr, während er heimfuhr, und so dachten, nicht weniger erschüttert, die Geschwister, als er ihnen das kaum Glaubliche mitgeteilt hatte.

»Jetzt erst fürchte ich mich vor ihr,« sagte Klementine und rückte ihrem Bruder unwillkürlich näher.

Er antwortete, sie umschlingend: »Diese Frau haben wir zur unversöhnlichen Feindin. Aber was kann sie uns denn noch nehmen? In wenigen Tagen wird sie uns ja schon alles genommen haben!«

Der gute Baron irrte. Wenn man einem Menschen auch schon alles genommen hat, man kann ihn immer noch ärmer machen, als er schon ist.

Einige Tage nach der Gerichtsverhandlung, nachdem Klementine sich ein wenig gefaßt hatte, teilte sie brieflich ihrem Bräutigam mit, was sich neuerdings zugetragen. Ihr Brief kreuzte sich mit einem von ihm, in welchem Eugen ihr in trüber Stimmung schrieb, daß sein Regiment nach Bosnien kommandiert sei, und daß er am nächsten Donnerstag kommen werde, um für den Rest seiner Militärlaufbahn Abschied von ihr zu nehmen.

Klementine erschrak. Er würde also in dieser schweren Zeit nicht bei ihr sein! Ihr Herz zitterte, aber ihr Stolz richtete sie wieder auf. War es denn nicht besser, wenn er in diesen Tagen unvermeidlicher Demütigungen weit, recht weit fort war?

Sie wußte nicht, was das weniger Schmerzliche sei. Jedenfalls aber blieb ihm und ihr keine Wahl, und es war vielleicht gut so. –

Am Donnerstag, an dem Eugen in Wellhof eintreffen wollte, war Klementine allein zu Hause. Ihr Bruder hatte nach Wien fahren müssen. Doktor Keßler wollte ihn einem Freund im Ministerium vorstellen, da er hoffte, Ernst früher oder später dort unterbringen zu können.

Nach Tisch ging sie mit einer Näherei in den Garten hinunter. Es war ein stiller, warmer Tag, der trotz seiner Sonnigkeit bereits von der Melancholie des Herbstes erfüllt war.

Klementine ließ sich unter einer schon halbentlaubten Esche nieder und versuchte zu arbeiten, aber immer wieder sank die Hand der jungen Dame müßig in den Schoß, und ihre Augen wanderten wieder und wieder über ihre Umgebung dahin. Achtete sie wohl darauf, daß jeder ihrer tränenverschleierten Blicke Abschied nahm von einem Teil der so heiß geliebten Heimat? Sicherlich war ihr Herz voll Leid und voll Furcht vor der Zukunft.

In bangerer Stimmung hatte sie noch nie an diesem lieben, stillen Platz gesessen.

Und ganz plötzlich verließ die Fassung sie vollständig. Laut aufweinend legte sie die Arme auf den Tisch und preßte ihr Gesicht darauf.

Eine Weile gab sie sich so ihrem hilflosen Schmerz hin, dann erhob sie jäh den Kopf.

Ganz nahe, auf dem Wege unten, nur durch eine lebendige Hecke von ihr getrennt, sagte eine rauhe Männerstimme: »Jedenfalls, meine Gnädige, müssen die Schäden noch in diesem Jahre ausgebessert werden. Wir haben dazu auch vollauf Zeit, denn in einer Woche sind Sie ja hier schon die Gebietende.«

»Da ich im nächsten Sommer hier wohnen werde, muß tatsächlich heuer noch manches ausgebessert werden. Aber Änderungen werde ich nicht anbringen lassen. Es soll kein Schrank anders gestellt werden, denn so, wie es jetzt ist, hat mein armer Robert Wellhof gekannt, und es wird mir sein, als ob ich mit seinen eigenen Augen schaute, wenn ich die meinigen über all das werde hinwandern lassen, was damals diesen Tecks gehört hat. Jedes Ding hier wird mich daran erinnern, daß ich es war, die es ihnen nahm, und daß sie es entbehren, die doch mit jedem Gedanken und jeder Faser an ihrem Vaterhause hängen. Lieber Doktor, ich habe bis jetzt nicht geahnt, wie süß die Rache ist!«

Die harte Stimme der Frau v. Lassot verklang. Klementine, die sich unwillkürlich aufgerichtet hatte, sank wieder in sich zusammen. Sie war sehr bleich, und ihre Augen hatten den Ausdruck des Grauens.

Lange saß sie so. »Wie sie uns haßt!« dachte sie, und immer wieder: »Wie sie uns haßt!«

Jetzt fuhr unten ein Wagen vorbei. Klementine erhob sich und trat an die Hecke heran. Die dichten Zweige eines Strauches auseinanderbiegend, schaute sie auf die Straße. Es war Frau v. Laurens eleganter Wagen, der, vom Kutscher Peter gelenkt, jetzt hinter Leona herfuhr.

Die Baronesse lächelte bitter. Vor Jahren, als ihre Mutter noch lebte, war Frau v. Lauren zuweilen herübergefahren, um der kränklichen Verwandten ein paar Stunden zu kürzen. Dann hatten diese Besuche aufgehört. Robert v. Lassot selber hatte spottend erzählt, daß seine Mutter die reiche Erbtante isolieren wolle, was ihr denn auch gelungen war. Jetzt, nach Jahren, fuhr wieder der Laurensche Wagen hier vorüber, nur daß er diesmal keine liebe Freundin, sondern eine grimmige Feindin hergebracht hatte.

Die Zweige schlugen wieder zusammen. Der aufblickende Peter konnte gerade noch eine Sekunde lang ein blasses Gesicht zwischen ihnen wahrnehmen.

Auch Klementine hatte noch etwas gesehen. Der Begleiter ihrer Tante schritt jetzt allein der Station zu, Leona aber schlug den Fußweg zu den Weinbergen ein.

Die Baronesse legte ihre Arbeit zusammen und ging ins Haus. Mit Bitterkeit der vorhin gehörten Worte sich erinnernd, ließ sie ihre Augen durch die Räume wandern, welche sie durchschritt. Wie lieb, wie gar so lieb ihr jedes Ding darin war, ganz klar war ihr das erst soeben jetzt geworden.

Und ganz klar auch noch etwas anderes. Sie würden von all dem, was bis jetzt ihr Eigentum war, wohl nur sehr wenig, vielleicht auch gar nichts mitnehmen dürfen. Sie fühlte einen großen Schrecken und eine große Versuchung. Konnte man denn nicht wenigstens das Liebste in Sicherheit bringen?

Wieder erschrak sie. Diesmal vor sich selber, vor ihrem Denken, ihrem Wunsch.

Sie hielt es im Hause nicht mehr aus. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß ihr Bräutigam bald kommen müsse. So ging sie ihm entgegen.

Stromaufwärts führte sie ihr Weg. Den Kopf gesenkt, das Herz müde, als trüge es eine schwere Last, so schritt sie dahin. Zuweilen taumelte ein abgestorbenes Blatt von einem der Bäume oder der Sträucher, welche die Straße säumten, und weiße Fäden schwammen in der leichtbewegten Luft.

Gerade legte sich solch ein Wanderspinnenfaden über Klementines Gesicht. Unwillkürlich erhob sie die Hand, um das Gespinst abzustreifen, da sah sie die vor sich stehen, an welche sie soeben mit solchem Widerwillen gedacht hatte.

Dieser Widerwille drückte sich sehr deutlich in ihren Zügen und in ihren Augen aus, und er wurde noch deutlicher erkennbar, als sie unwillkürlich mit beiden Händen ihr Kleid zusammenraffte.

Leona verstand diese Bewegung vollkommen. Grimm und Hohn wogten in ihr auf. »Fürchtest du dich davor, an mich zu streifen?« höhnte sie und ahmte in grotesker Weise Klementines Haltung nach.

Da erst wurde diese auf ihr Tun aufmerksam. Ihre Finger streckten sich. Ihr Kleid streifte wieder den Boden. Wie auf etwas Fremdem, Unheimlichem hafteten ihre Augen auf dem Gesichte der Verwandten.

»Was schaust du mich so an?« schrie diese sie an.

Klementine sagte darauf etwas, das gar nicht darauf paßte. Wie aus weiter Ferne her kam ihre Stimme, als sie träumerisch sagte: »Wie leid du mir tust, Tante!«

Leona lachte rauh auf. »Behalte dein Mitleid – du, mit deren Hochmut sein und mein Unglück angefangen hat!«

Sich hoch aufrichtend entgegnete Klementine ruhig: »Ich weiß, daß wir in deiner Hand sind. Ich habe auch vorhin deine Absicht gehört. Du wirst uns aus der Heimat treiben –«

»Wie ihr Robert aus dem Leben getrieben habt!« warf Leona ein.

Klementine lächelte wehmütig. »So nimmst du's an. Aber du irrst dich, wie du dich auch in deinem Sohne geirrt hast, denn du meinst, daß er dich –«

Sie stockte.

»Warum redest du nicht weiter? Du hast ihn doch sicher verleumden wollen. Tote können sich ja nimmer wehren. Also rede, so rede doch!«

Wer der Baronesse Wangen hat sich ein leichtes Rot gebreitet, und ihre Stimme klang wieder sanft, als sie sagte: »Gut, daß du mich daran erinnerst, daß er tot ist. Aber du, Tante, du lebst und in dir glüht die Rache. Sieh, deshalb tust du mir so leid, denn –«

»Schon wieder fehlt dir das Wort!« höhnte Leona.

Klementine schüttelte den Kopf. »Denn du erniedrigst dich nur selbst dadurch,« vollendete sie ihren Satz.

»Findest du?«

»Bis zum Meineid hat sie dich schon getrieben.«

Frau v. Lassot zuckte zusammen. Dann verzerrte sich ihr Mund zu einem widerwärtigen Lächeln und sie wollte etwas sagen, aber rasch schloß sie die Lippen wieder.

»Auf Meineid steht schwere Strafe,« fuhr die Baronesse ruhig fort.

Im nächsten Augenblick wich sie jäh zurück. Leona stand mit geballten Fäusten dicht vor ihr, und ihr Gesicht war verzerrt vor Zorn und Wut.

»Willst du auch noch zur Mörderin werden?« fragte Klementine.

Frau v. Lassot ließ die Arme sinken. Mit funkelnden Augen und bebenden Lippen schrie sie: »Das sollst du mir büßen!«

Dann ging sie an Klementine vorüber. Immer schneller ging sie, immer schneller, und dabei fuchtelte sie wild mit den Armen. Der Baronesse lief, als sie ihr nachblickte, ein Schauer über den Rücken.

Einem edlen Feinde darf man gerechte Erbitterung wohl zeigen, aber der Niedertracht gegenüber muß man vorsichtig sein, denn der Haß eines Niederträchtigen kennt keine Grenzen.

Das fiel dem jungen Mädchen leider zu spät ein, und große Angst kam über sie. Sie setzte sich auf den Straßenrain und fing bitterlich zu weinen an.

So fand sie Eugen Braun, als er von der Station kam. Er war sehr erschrocken, als sie ihm das soeben Geschehene mitgeteilt hatte, aber er ließ Klementine davon nichts merken, sondern tröstete sie so herzlich, wie eben nur echte Liebe trösten kann.

»Warum bist du denn mit dem Zuge gekommen?« erkundigte sie sich, als sie mit ihm ins Haus zurückging.

»Ich hatte große Eile, denn unser Abmarsch wird schon morgen früh erfolgen.«

»Schon morgen früh!« Der Baronesse traten neuerdings die Tränen in die Augen.

»Aber, Liebling,« sagte er innig, »sei nicht traurig. Denke nicht an mein Weggehen, denke lieber an mein Wiederkommen. Im nächsten Frühling schon werde ich mein Werk vollendet haben und hoffentlich auch schon irgendwo untergekommen sein. Dann wirst du meine liebe Frau, falls du nicht etwa« – er lächelte schelmisch – »bis dahin schon Gräfin Plein bist.«

»Aber Eugen!«

»Nun, ich weiß doch, daß der Graf euch erst unlängst in großer Gala einen Besuch machte.«

»Er hat damals in der Tat um mich angehalten.«

»Wovon du mir nichts mitteiltest.«

»So etwas schreibt man doch nicht. Plein ist ja ein so guter Mensch, und ich wollte ihm gegenüber nicht unzart handeln.«

»So hättest du mir wohl gar nichts davon gesagt, wenn ich nicht gefragt hätte?«

»O freilich. Du mußt doch alles wissen, was in meinem Leben vorgeht. Aber eben nur gesagt hätte ich es dir, nicht geschrieben.«

Er drückte sie an sich. »Du Feine, du Zarte!« flüsterte er bewegt und fügte dann herzlich hinzu: »Und du – du wirst mein sein!«

Aber dann wurde auch er wieder trübe gestimmt, denn Klementine schilderte ihm ihre Lage. Sie machte ihm kein Geheimnis daraus, daß ihre Tage auf Wellhof gezählt seien und daß Tante Leona wie eine Furie sie verfolge.

»Aber da kommt Ernst,« setzte sie nach einem Blick aus dem Fenster hinzu, »und er sieht nicht aus, als ob seine schwache Hoffnung sich erfüllt hätte.«

Sie hatte sich in der Tat nicht erfüllt. Der Gönner, zu welchem Keßler seinen jungen Freund hatte führen wollen, weilte als hoffnungslos Erkrankter an der Riviera.

»Mir schlägt eben alles fehl!« seufzte Ernst bitter.

»Verliere nur den Mut nicht!« tröstete Braun. »Es muß ja auch wieder besser werden.«

Der Baron lachte rauh. »Oder schlimmer,« sagte er.

Braun schied mit schwerem Herzen, und er ließ das Geschwisterpaar mit schwerem Herzen zurück.


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