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Neben dem Verfahren wegen Taschendiebstahls lief noch ein weiteres wegen Heiratsschwindels und Herauslockung von Geldern gegen Ernst.
Ein Fräulein Josepha Hofmann war bei der Polizei erschienen und hatte da berichtet, daß Baron Ernst v. Teck seit Januar mit ihr im Briefwechsel stehe, ihr auch seine Photographie geschickt und ihr seine Hand angetragen habe. Persönlich habe sie ihn nur einmal gesehen. Es sei dies am 16. Januar beim Stiftungsfeste eines Touristenvereins gewesen. Der Baron habe da gespielt und großen Eindruck auf sie gemacht. Dieser Eindruck solle, so habe ihr der Leiter der kleinen Kapelle, Herr Schultz, ein oberflächlicher Bekannter von ihr, gesagt, ein gegenseitiger gewesen sein. Der Baron schwärme von ihr und wäre glücklich, wenn er Briefe mit ihr wechseln dürfe. Er müsse nämlich, der Erkrankung eines Verwandten wegen, nach Wiener-Neustadt fahren und vermutlich mehrere Wochen dort bleiben. Sie sei dann auf den Briefwechsel eingegangen, habe ihre Schreiben an den Baron unter der Adresse eines Herrn Theodor Golz in Wiener-Neustadt abgeschickt und habe dem Baron auf seine Bitten hin zweimal Geld gesandt, einmal vierhundert Kronen, die er zum Zwecke der Bezahlung einer Operation, und dann dreihundert Kronen, die er für das Leichenbegängnis seines Verwandten brauchte.
Das Mädchen wies die Scheine über die Ausgabe jenes Geldes und auch die zärtlichen Briefe, die Teck ihr geschrieben, vor. Es waren derer sieben, und schon im dritten hatte der Schreiber die Adressatin seine »geliebte, teure Braut« genannt.
Also auch des Heiratsschwindels war Teck infolgedessen angeklagt.
Er lachte nur grimmig, als es ihm mitgeteilt wurde, erklärte die Briefe für gefälscht und verlangte, daß Schultz sofort vernommen werde. »Lassen Sie doch nachsehen, Herr Kommissär,« bat er, »ob in meinem Album nicht ein Platz zwischen den verschiedenen Lichtbildern, die mich darstellen, leer ist. Schultz hat mich öfters besucht und auch in meinem Album geblättert.«
Der Beamte zuckte die Achseln. »Das beweist weder etwas für noch gegen Sie,« meinte er. »Übrigens habe ich Schultz bereits vorladen lassen.«
Ernst wurde, nachdem er diese sonderbare Mitteilung erhalten, wieder abgeführt.
Hätte er im Korridor des Polizeigebäudes, als er eben um die Ecke bog, sich umgewendet, hätte er zwei Personen sehen können, die der Tür des Verhörzimmers sich näherten. Es war ein alter Herr und eine junge, in Trauer gekleidete Dame.
»Herr Direktor – gnädige Frau, ich habe die Ehre!« sagte der Kommissär, sie empfangend, indem er auf zwei Stühle deutete, die der Diener zurechtgerückt hatte. »Was haben Sie mir zu sagen?« fragte er, während sich seine Besucher setzten.
»Daß ein Irrtum vorliegen muß.«
»Daß es geradezu Wahnsinn ist, diesen Mann solcher Handlungen für fähig zu halten.«
Beide Antworten waren gleichzeitig gefallen.
Über das Gesicht beider Herren huschte ein Lächeln. Der Kommissär hatte sofort erkannt, daß es das Herz der hübschen jungen Frau war, das so temperamentvoll geantwortet hatte.
»Herr Direktor,« entgegnete er, sich an Eichler wendend, »es wäre mir selbst nur angenehm, wenn hier ein Irrtum vorläge, denn der junge Mann, von dem wir jetzt reden, macht trotz aller Verdachtsgründe, die gegen ihn vorliegen, einen sehr günstigen Eindruck.« Und sich nun Frau Römer zuwendend, fuhr er fein lächelnd fort: »Ihren Worten, gnädige Frau, habe ich entnommen, daß auch Sie fest an die Schuldlosigkeit des Herrn v. Teck glauben.«
»Vollkommen fest!« erwiderte mit aufleuchtenden Augen die junge Frau.
»Sie kennen den Baron so genau?«
Frau Römers Gesicht flammte. Eine deutliche Verlegenheit schaute aus ihren schönen dunklen Augen. »Nein,« sagte sie leise, »ich kenne ihn nicht genau, trotzdem aber weiß ich, daß er im eigentlichsten Sinne des Wortes ein Edelmann ist, und dieses Zeugnis wollte ich hier für ihn ablegen.«
Der Beamte verneigte sich. Er lächelte nicht mehr. Sehr warm in die Augen der jungen Frau schauend, entgegnete er: »Baron Teck ist ein sehr beneidenswerter Mann.«
»Das ist er!« fiel Eichler rasch ein. »Vor allem aber ist er bis in die Wurzeln seines Wesens hinein ein ehrenhafter Mann, den die Ungunst des Schicksals leider schon seit Jahren verfolgt, der tief hinuntersteigen mußte, der aber deswegen durchaus nicht gesunken ist.«
Der Beamte nickte ihm freundlich zu.
»Es wird gewiß noch einer kommen, um sein Zeugnis für den armen Teck hier abzugeben,« fuhr Eichler lebhaft fort. »Kaum hatte ich von dieser merkwürdigen Verhaftung Nachricht erhalten, habe ich dem Professor Stein an der Akademie Mitteilung davon gemacht. Ich meine, der wird sich auch Tecks annehmen.«
»Professor Stein?« fragte der Kommissär. »Der berühmte Maler?«
»Ja. Teck war sein Schüler, und Stein hat ihn mir sehr ans Herz gelegt.«
»Nun, es hat sich inzwischen auch schon anderes gefunden, das die Annahme, Baron Teck sei ein Gewohnheitstaschendieb, gewaltig erschüttert.«
»Ein Gewohnheitstaschendieb!« murmelte Frau Römer entsetzt.
»Wer behauptet denn das?« erkundigte sich Eichler, kaum weniger verwundert.
»Die Durchsuchung seiner Wohnung hatte diese Annahme zunächst gerechtfertigt. Man hat sieben leere Börsen in der Dachrinne gefunden, die sich dicht unter dem Fenster seines Zimmers hinzieht.«
»Merkwürdig!« sagte Eichler ganz ruhig.
»Die natürlich ein ganz anderer hingelegt hat!« fuhr Frau Römer entrüstet auf. »Der Baron hat eine Feindin. Nur diese Frau hat ihn durch Helfershelfer in diese Lage gebracht.«
»Er deutete auch selbst bereits an, daß er verfolgt werde,« warf der Kommissär ein.
»Planmäßig und niederträchtig verfolgt!« setzte die junge Frau zornig hinzu.
»Also – Sie sagten, Herr Kommissär?«
»Daß der Fund dieser Börsen wenigstens die Annahme, Teck sei ein Gewohnheitstaschendieb, erschütterte. Sehen Sie diese Börsen an!«
Er zog eine Schublade heraus und entnahm ihr die Börsen. Eine nach der anderen auf den Tisch legend, sagte er: »Drei davon sind zweifellos überhaupt noch nicht gebraucht. In einer liegt sogar noch der Zettel mit ihrem Preis. Aber auch die vier anderen konnten um die Zeit, in welcher der Baron sein Quartier verlassen hat, noch nicht in der Dachrinne gelegen haben, denn in diesem Falle hätten sie wenigstens eine Spur von Nässe aufweisen müssen. Zwischen zehn und elf Uhr hat es nämlich geregnet, und der Baron ist schon gegen neun Uhr verhaftet worden.«
»Natürlich – natürlich!« rief eifrig der Direktor. »Nun, das beweist also schon altein, daß Teck irrtümlich verhaftet wurde. Weshalb ist er dann noch nicht in Freiheit gesetzt?«
»Weil der Fall von heute früh noch nicht aufgeklärt ist, und weil noch eine andere Anzeige hinzukam.«
Der Beamte schilderte darauf, was heute an der Stadtbahnstation vorgegangen war, und danach den Besuch Fräulein Hofmanns.
Als Eichler in der Heiratsgeschichte den Namen Schultz erwähnen hörte, fuhr er auf. »Der also hat die Sache arrangiert!« rief er.
Der Kommissär fragte: »Sie kennen ihn?«
»Persönlich und vom Hörensagen.«
»Was für ein Mensch ist er?«
»Ein äußerlich einigermaßen und innerlich vollständig verbummeltes Subjekt. Ersteres zeigt einem ein einziger Blick auf den Mann, letzteres erfuhr ich durch den Leiter der Musikschule, in welcher Schultz sich seinerzeit unmöglich gemacht hat.«
»Nun – den Mann habe ich rufen lassen.«
»Wenn er nur auch kommt!«
»Sehr möglich, daß er uns nicht die Ehre gibt.«
Da pochte es. Ein Detektiv trat ein und berichtete, daß der Musiker Schultz gegen Mittag seine Wohnung verlassen habe. Er habe eine ziemlich große, vollgepackte Reisetasche mitgenommen, worüber seine Quartierfrau sich wunderte, denn Schultz hatte angegeben, daß er nur nach Baden fahren wolle.
Mit dem Auftrage, sich nach den Personalnotizen des Musikers zu erkundigen, fuhr der Detektiv zur Polizeidirektion.
Als er das Bureau verließ, hielt draußen ein Automobil.
»Da ist er ja!« sagte Eichler, der ans Fenster getreten war, im Tone der Befriedigung.
»Wer ist da?« erkundigte sich der Beamte.
»Stein.«
»Professor Stein!« wiederholte der Kommissär, und der Ton, in welchem er es sagte, verriet deutlich die Bewunderung, die er für den berühmten Maler hegte.
»Führ'n S' mich schnell hinein! Ich hab' nicht viel Zeit. Muß heut noch auf dem Semmering sein,« hörte man eine laute Stimme sagen, und eine nervige Hand pochte kräftig an die Tür.
»Herein!« rief der Kommissär.
Da tat sich die Tür auf, und ein mächtiger Mann, noch massiger aussehend in dem Kautschukmantel und der Kapuze, die er nur halb zurückgeschoben hatte, kam rasch herein.
»Aber hör'n S', Herr! Das war ein gewaltiger Schnitzer, daß ihr den Teck eing'fangt habt wie einen Spitzbub'n!« fing er an, sah Eichler, schüttelte ihm energisch die Hand, nahm dann vorsichtig Frau Römers Hand zwischen seine beiden umfangreichen Hände und fuhr fort: »Ich weiß schon, liebe gnädige Frau, weiß schon, daß Sie den Teck gern hab'n. Verdient's auch, daß er so einen Herzensschatz kriegt, wie Sie einer sind. Der Eichler da hat mir's wohl g'sagt, wie's um euch zwei steht, und tapfer ist's, daß Sie dahergekommen sind. Ja – ja, die richtige Lieb', die zeigt sich in solchen Zeiten. Aber ich muß mich tummeln. Hab' ohnehin lang gebraucht, bis ich mich bis daher durchg'fragt hab'. – Also, Herr Kommissär, was ist's denn? Wann lassen S' denn den armen Teck wieder heraus? Ich sag' Ihnen, Sie blamier'n sich nur, wenn S' ihn noch länger behalten.«
»Herr Professor!« entgegnete lächelnd der Beamte.
»Na, nix für ungut! Aber um eins möcht' ich wohl bitten. Kann man denn den Delinquenten nicht seh'n?«
Wieder pochte es. Diesmal kam die telegraphische Antwort aus Wiener-Neustadt, daß es dort richtig einen Theodor Golz gäbe. Er sei ein Bahnarbeiter und schon ein paarmal nicht ohne Grund durch die Hände der Polizei gegangen. Auch diesmal sei er vorgeladen worden und habe gestanden, daß er für Schultz jene zwei Geldbriefe übernommen habe. Golz sei ehemals Diener in der Musikschule gewesen, in welcher Schultz als Lehrer gewirkt hatte. Dieser habe sich das Geld in Wiener-Neustadt persönlich abgeholt.
»Gott sei Dank!« rief Frau Römer aus, nachdem der Kommissär die Depesche vorgelesen hatte.
Der Professor aber setzte mit seiner mächtigen Stimme hinzu: »Jetzt aber rufen S' unseren Ernst her! Mir scheint, unsere liebe Gnädige hätt' ein paar Wort' mit ihm zu red'n!«
Der Kommissär klingelte einen Wachmann herbei und gab ihm den Auftrag, Teck wieder herüberzuführen.
Während man auf sein Erscheinen wartete, herrschte ein paar Augenblicke lang tiefes Schweigen in dem eigentlich recht gemütlichen Bureau, welches dazu bestimmt war, so viel Ungemütliches, Trauriges, ja auch wohl Schreckliches zu sehen. Bald aber wurden Schritte hörbar, und jetzt ging die Tür auf.
Teck stand auf der Schwelle. Müde und auch wieder voll Grimm schauten seine glanzlosen Augen auf den Kommissär, der ihm entgegenging.
Doch Anna Römer kam ihm zuvor. Mit wenigen Schritten stand sie neben Teck, und ihm die Hände auf die Schultern legend sagte sie innig: »Ernst, mein lieber, lieber Ernst!«
Nur das sagte sie, aber es war das volle Eingestehen einer tiefinnigen Liebe, einer Liebe ohne Vorbehalt und ohne Schwanken.
Teck, erst jetzt bemerkend, daß er mit dem Kommissär nicht allein sei, und erkennend, wer außer diesem noch da war, stieß einen leisen Ruf des Schreckens und der Qual aus. Da spürte er einen Kuß auf seiner Rechten und sah in Annas tränenfeuchte Augen. »Du glaubst an mich?« stammelte er. »Du hast dich nicht irremachen lassen? Du bekennst dich zu mir, dessen Ehre ein Teufel vernichtet hat?«
»Fest glaube ich an dich!« erwiderte sie einfach.
Da zog er sie an sich und küßte sie.
»Also, da hätt'n wir ja eine regelrechte Verlobung!« sagte seelenvergnügt Professor Stein. »Lass'n Sie sich gratulieren, mein lieber Teck. Und jetzt bin ich ganz und gar beruhigt und kann geh'n. Ich bin nämlich vom Erzherzog zur Auerhahnjagd eingeladen und die möcht' ich nicht gern versäumen.«
Eine Reihe kraftvoller Händedrücke, die die Betroffenen noch lange spürten, und er war draußen.
Die Wachleute und Detektive, welche im Vorzimmer saßen, wunderten sich nicht wenig, daß die vier anderen noch über eine Stunde beisammen blieben. Noch viel mehr wunderten sie sich darüber, daß Teck, als er wieder weggeführt wurde, gar nicht mehr so grimmig aussah, ja sogar still vor sich hin lächelte.
»Na ja, wenn halt der Herr Kommissär seinen guten Tag hat, da haben's die Häftlinge fein!« spöttelte ein Detektiv, der als besonders gallig bekannt war. »Nächstens werden wir's noch erleb'n, daß er da drinnen Kaffeegesellschaften gibt.«
»Beruhigen Sie sich,« antwortete ihm ein gemütlicherer Kollege. »Es ist ganz gut, daß es auch in unserem Beruf Leute gibt, die außer einer feinen Nase auch ein Herz haben. Wenn jeder Mensch so giftig wäre wie Sie – das wär' doch gar zu traurig.«