Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXXVI.

Elisa folgte mechanisch der Schwester, ohne daß diese ihr den Eintritt verbot.

Sie gelangte in einen kleinen Raum, das »Magazin« genannt. Rund um die vier Wände waren großen Regale aus weißen Brettern angebracht, auf denen zahllose Bündel, eng aneinander gehäuft, lagen, gleich dem, das die beiden Frauen aus ihren Kleidungsstücken gemacht hatten.

Die Bündel waren in gelben und schwarzen Strohkörben untergebracht.

An einem der Bretter hing ein neues braunes Wollkleid an einem Nagel.

»Ah! Schon«, sagte die Schwester.

»Ja, Schwester«, antwortete die diensthabende Gefangene, die auf einen Stuhl gestiegen war und sich anschickte, Elisas Bündel in einer Fensternische unterzubringen. »Das ist das Kleid für sechsundzwanzig Francs für die von der Besserungsanstalt ...; die ins Kloster geht.«

Und die Gefangene zwängte mit Gewalt Elisas Bündel zwischen die aufgestapelten Körbe.

Zerschlagen, gebrochen, müde von den Anstrengungen des Tages, den Körper von zeitweiligen krampfhaften Zuckungen durchbebt, wie sie noch lange in den Gliedern eines Bergmannes stecken, der lebendig aus einer Verschüttung herauskommt, starrte Elisa dumpf und stumpfsinnig auf die angehäuften Bündel.

Aus einem der Bündel, das ein wenig aufgerissen war, hing ein Stück Stoff hervor, von einem Kleid, das nach der Mode von vor dreißig Jahren zugeschnitten sein mochte.

Elisa erinnerte sich, ein ähnliches Kleid als ganz kleines Mädchen bei ihrer Mutter gesehen zu haben, und sie sah für einen Augenblick visionär gleichsam das Bild einer Frau, die ganz jung in dieses Haus gekommen war mit diesem Kleide am Leibe, das ein Vierteljahrhundert alt war, und die es ganz alt wieder verlassen hatte.

Die Leinwandhüllen einiger Bündel waren schon ganz vergilbt und an der Stelle, wo der Knoten geknüpft war, mit Staub bedeckt, auf welchem dort und da die Flügel toter Motten klebten.

Es war seltsam! Elisa sah alle diese Dinge nur verschwommen, sie hatte keinen rechten Gesamteindruck und doch gruben sich diese kleinen Einzelheiten unwillkürlich in ihr Gehirn.

Dann bemerkte Elisa, daß alle diese Bündel auf einem kleinen Stück Pergament eine Aufschrift trugen; sie trat näher und las:

»Nr. 3093,
Eintritt 7. März 1849,
Abgang 7. März 1867.«

»Diese beiden Daten ..., das waren viele, viele Jahre ..., aber wie viele waren es wohl genau gerechnet?« Und da sie es bei der Leere in ihrem Gehirn, bei der Schwäche und Ohnmacht ihres ganzen Wesens nicht gleich auszurechnen vermochte, begann Elisa an ihren Fingern abzuzählen: 1850, 1851, 1852, 1853, 1854, 1855 ..., aber mitten in ihrer Rechnung ließ sie ihre Hände sinken. Was gingen sie die Jahre an? ... Für sie gab es keine Jahre ... für sie gab es nur ein immer, immer, immer.


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