Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXXI.

Die Liebe war für Elisa bisher kaum etwas anderes gewesen als eine Arbeit, eine Arbeit, die sich kaum unterschied von irgend einem anderen Broterwerb, der einem Weib Speise und Trank abwirft. Seit ein paar Jahren aber wurde ihr die Arbeit, an der ihre Sinne kaum beteiligt waren, unleidlicher und immer unleidlicher. Trotz verschiedener, gelegentlich auftretender Gesundheitsstörungen war Elisa keineswegs krank zu nennen. Aber ihr Körper wurde manchmal ganz unversehens von vorübergehenden Schwächen befallen, deren sie sich nicht zu erwehren vermochte. Plötzliche Schauer regten sich in ihr und warfen sie mit verkrampften Fingern für einige Augenblicke auf die Sessellehne zurück, und noch lange nachher fühlte sie ein Frösteln, eine Totenmüdigkeit und Nervenabspannung in sich, die sie mit quälender Unruhe hin und her warf. Manchmal waren diese Zustände, diese nervösen Störungen so heftig, daß man meinen konnte, ihr Lebensuhrwerk sei für Augenblicke stehen geblieben. Oft kam sie ganz grundlos die Lust zu weinen an, oder sie stieß bisweilen einen tiefen Seufzer aus, der mit einem kleinen Aufschrei endigte; manchmal fühlte sie ein schmerzhaftes Zusammenziehen der Kehle, wie ein krampfhaftes Erstarren in ihrem Hals. Auch von merkwürdigen Ekelempfindungen wurde sie bisweilen ergriffen. Wenn sie bei ihren seltenen Ausgängen am Laden eines Gewürzkrämers vorbei mußte, ging sie augenblicklich auf die andere Straßenseite, um dem Geruch auszuweichen. Als sie eines Tages eine mit Zimt zubereitete Mehlspeise aß, bekam sie Übligkeiten mit krampfartigen Erscheinungen. Fortgesetzt wurde sie von solchen kleinen Störungen und nervösen Zuständen geplagt, die sie nicht eben als körperliche Leiden empfand, sondern vielmehr als eine Art von Schwindelanfällen in ihrem gequälten Kopf. Diese seltsamen Erscheinungen aber waren geeignet, der primitiven Frau aus dem Volke gerade darum Angst einzujagen, weil sie solche Krankheitszustände früher weder bei sich noch bei anderen gefühlt oder gesehen hatte. Sie war stets ein wenig melancholisch gewesen und selbst, wenn sie bei guter Laune war, konnte sie sich nicht ganz einer gewissen allgemeinen Unzufriedenheit und einer unbestimmten Bangigkeit erwehren. Elisa sagte nicht, daß sie krank sei, sie sagte, sie fühle sich »lausig«. Sie bediente sich dieses merkwürdigen Ausdrucks, der im Volksmund nicht bloß Langweile ausdrückt, sondern einen unbestimmten Zustand des Leidens, eine geheime innere Störung, eine seelische Traurigkeit, in der das verwundete Gemüt die melancholische Neigung hat, das ganze Leben schwarz und düster zu sehen. Für das Freudenmädchen, das in ihrem Gewerbe, ohne daß es sich dessen bewußt war, fortgesetzt in den sexuellen Nervenzentren irritiert wurde, gab es Tage, in denen sich gegen ihren Willen und trotzdem sie dagegen ankämpfte, ein unüberwindlicher Ekel in ihrem Körper fühlbar machte, ein Abscheu und ein Grauen vor ihrer täglichen Beschäftigung in diesem Hause.

Es sind das Gefühle, die man bei einer Prostituierten relativ selten findet. In Elisa waren, namentlich seit ihrem Umgang mit Alexandrine, eine Reihe hysterischer Phänomene aufgetreten, die noch keinen Namen haben, die man aber als »physischen Abscheu vor dem Manne« bezeichnen könnte. In dem täglichen Martyrium des Kampfes um den Lebensunterhalt, aus dem immer stärker werdenden Ekelgefühl ihres geschändeten Körpers dämmerte in dem Kopf der Dirne Elisa manchmal leise der Gedanke auf, das Schandgewerbe aufzugeben; und sie hätte sich vielleicht dazu entschlossen, wenn nicht die leidige Schuldenlast gewesen wäre, jene Fessel, mit denen die Bordellwirtinnen die Mädchen, die ihnen abtrünnig werden möchten, für alle Zeiten gefangen halten.


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