Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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III.

Im Laufe von kaum sechs Jahren, zwischen ihrem siebenten und dreizehnten Lebensjahr, hatte Elisa zweimal den Typhus. Es war ein wahres Wunder, daß sie am Leben blieb! Längst betrachteten die Nachbarn voll Mitleid ihr schmales Gesichtchen, wie man junge Mädchen ansieht die einem frühen Tod geweiht schienen. Dennoch erholte sie sich wieder, aber die heimtückische Krankheit, die die Ärzte aus dem geheilten Körper nicht ganz zu bannen vermögen und die nach der Genesung dem einen die Zähne raubt, dem andern die Haare und beim dritten eine gewisse Stumpfheit des Geistes zurückläßt, sie verlief auch bei Elisa nicht spurlos. Sie nahm zwar keinen Körperschaden, aber ihre seelische Erregung bekam etwas von einer trotzigen Heftigkeit, einem störrischen Eigensinn, einer reizbaren Nervosität, so daß die Mutter von ihrer Tochter sagte, sie sei ein bißchen »verrückt«. Mit diesem Ausdruck meinte die Hebamme ihre phantastischen Launen, die den normalen Menschen, wie sie einer war, in Staunen setzen mußten, Ausbrüche von fast unerklärlichem Zorn, deren Wildheit ihr manchmal beinahe Angst einjagte. Als kleines Kind verbiß sie sich einmal, wie ein junger Bulldogg, derart in die Hand ihrer Mutter, die sie prügelte, daß man Mühe hatte, ihre Zähne auseinanderzubringen. Später, als sie schon halb erwachsen war, mußte sie sich mit aller Mühe zurückhalten, um der Mutter nicht Schlag für Schlag zurückzugeben, und geriet dabei in eine solche verhaltene Wut, daß sie gegen die Wand schlug, als wollte sie sich den Schädel einrennen; aber diese Zornausbrüche waren nichts gegen ihren Starrsinn, ihren stumpfen Eigensinn und ihre ironische Widerspenstigkeit, die ihre Mutter nicht zu brechen vermochte und die mit keinem Mittel zu unterwerfen waren. Die Hebamme, die von ihrer Tochter wußte, daß sie eine richtige Vorstadtpflanze sei, bei jedem Tanz dabei, eine Bummlerin, die allen jungen Burschen der Straße schöne Augen machte und der man der Reihe nach die Liebhaber nachzählte, sie sagte ihr immer wieder, sie solle sich ja nicht unterstehen, mit einem Kinde nach Hause zu kommen. »Ich weiß schon«, antwortete das Mädchen geringschätzig und mit so herausforderndem Ton, daß die Mutter Lust gehabt hätte, sie zu erwürgen.

Sie besaß einen unlenkbaren Charakter, ein zügelloses Wesen, mit dem nichts anzufangen war, bei dem nichts verfing. Dabei war sie unerhört launenhaft und veränderlich, so daß sie plötzlich, trotz des Abscheus, den sie vor ihrer Mutter empfand, in zärtliche Schmeichelei verfiel und ihre Mutter, die immer noch eine schöne Frau zu nennen war, zu küssen begann, wie jene kleinen Mädchen, die den Busen ihrer zum Ball geschmückten Mutter mit Küssen bedecken. – Diese plötzliche Zuneigung veränderte sich aber im Handumdrehen in gehässiges und freches Benehmen, das sich dann in Worten Luft machte, wie sie sie auf den Tanzböden auffing, Worte, die verrieten, daß die Zusammenkünfte mit ihren Tänzern oft in Zank und Streit ausarteten und daß ihre Liebeshändel mit Ohrfeigen und Prügel gewürzt waren. Der Wechsel in Elisas Launen schien mit den Schwankungen ihrer physischen Kräfte in irgend einem Zusammenhang zu sein. Einmal überkam sie die Arbeitswut, dann wusch, rieb und fegte sie, daß die ganze Wohnung widerhallte. Dann wieder befiel sie eine wochenlange Schlappheit, Müdigkeit und Faulheit, aus der sie keine Macht der Welt herauszurütteln vermochte.

Unter den zahlreichen Auseinandersetzungen, bei denen die Hebamme und ihre Tochter sich in die Haare gerieten, war besonders eines, das täglich Auftritte herbeiführte und in deren Verlauf die stumme und ironische Widersetzlichkeit der Tochter, wie die Mutter zu sagen pflegte, einen Heiligen zur Tobsucht gebracht hätte. Trotz aller Mühen und aller beständigen Aufregungen war die Mutter nämlich in gewissem Sinn stolz auf ihren Beruf.

Sie war stolz, ihren Namen im Bezirksamt in die Geburtsanzeigen eingetragen zu sehen. Sie war stolz auf den Ehrenplatz, den man ihr, wie es im armen Volk üblich ist, beim Taufschmaus einräumte, sie war stolz auf ihre Popularität der Straße, wo die Kaufmannsfrauen, die sie entbunden, und die Töchter jener Kaufmannsfrauen, die sie in die Welt beförderte und denen sie dann bei ihrer eigenen Niederkunft beigestanden hatte, wo die Kinder, die Mütter und die Großmütter, wo drei Generationen ihr vertraulich und ehrerbietig »Guten Tag, Frau Alexander!« zuriefen. Ihr Traum war, ihre Tochter als ihre Nachfolgerin, ihre Stellvertreterin, ihre Erbin zu sehen, aber ihre Tochter sagte, wenn sie sich überhaupt die Mühe nahm zu antworten, ihr Kopf sei nicht für blödsinnige Bücher geschaffen. Auch fand sie es durchaus nicht lustig, Tag für Tag die in die Kissen verkrampften Finger der Wöchnerinnen, die sich in Geburtswehen wanden, vor sich zu sehen.

Kurz, Elisa betonte jedesmal ihren festen Entschluß, sich lieber erschlagen zu lassen, als den Beruf ihrer Mutter zu ergreifen.


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