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12. Kapitel

Das Auto flog wie ein Geschoß geradewegs bis zum Triumphbogen, umkreiste diesen in grandiosem Bogen dreimal, als wollte es einen Stützpunkt für die weitere Fahrt befestigen: Paris mit seinen Türmen, Wolken und Bäumen drehte sich um die Insassen wie eine Berg- und Talbahn. Dann aber kletterte der Wagen in plötzlich verlangsamtem Tempo die Avenue du Bois entlang, vor deren Palästen die frühen Pförtner die Nacht wegfegten, und drang dann vorsichtig in den grünen Tunnel des Waldes. Lola warf ein Lachen in die klare Luft und scheuchte damit die erste Amsel des Tages aus einem Haselnußstrauch. Bis dahin hatten alle vier geschwiegen. Sie hatten sich natürlicherweise so gesetzt, wie es ihrem äußeren Aussehen zukam: Edgar, zu Lolas Linken, tief ins weißseidene Polster gerekelt, die Beine mit den funkelnden Pumps übereinandergeschlagen, und gegenüber auf den zwei unbequemeren Sitzen, Ewersejeff und Edmund, dieser mit krampfhaft angezogenen Beinen, damit man seine schmutzigen, seit zwei Tagen nicht geputzten Schuhe nicht bemerke, der Russe nachlässig und scheinbar uninteressiert, mit seiner lottrigen Anmut herausfordernd.

Nur der Franzose verstand die Situation auszunutzen. Er schaltete seine Gefühle um und bedachte die wie eine Orange sich aus Nebeln schälende Sonne und die Schwäne auf den polierten Seen mit seinem Humor: scherzend warf er auf alle Natur seines Esprits beizendes Vitriol. Edmund wurde sentimental. Er benutzte die Gelegenheit, um den Bois, den er nicht kannte, genau zu studieren, gab historische Aufschlüsse, die er aus Büchern wußte, und bedauerte, daß die vom Morgentau glitzernden, dem Bade der Nacht mit jungfräulicher Frische entsteigenden Partes Pré Catelan und Ermenonville am Tage wieder von einer bürgerlichen und übelriechenden Menge entstellt werden würden. Oder er versuchte die dichten Gebüsche herauszufinden, in denen sich jene berüchtigten Orgien des Sommers 1923 abgespielt haben mochten, die die dekadenten Snobs veranstalteten. Er klagte darüber, daß die Hirsche und die Nymphen auf immer aus diesen Dickichten vertrieben seien. Schließlich, in einer schattigen Allee, entdeckte er ein Liebespaar: ein Arbeiter führte mit der linken Hand sein Fahrrad und mit der rechten eine Frau in einem roten Mantel, an dem noch welkes Blattwerk hing. Diese Idylle brachte ihn zum Schweigen.

Ewersejeff schlief in seiner Ecke.

Lola aber beobachtete genau die drei Jünglinge, die Anspruch auf ihr Herz machten, und beschloß, am Abend zu dem Amerikaner zu gehen.

Sie schrie dem Chauffeur zu, so schnell wie möglich aus dieser grün und goldenen Waldeshölle zu fliehen, in der das Echo die Armut der menschlichen Seele so laut wiedergibt.

Als das Auto sie kurz darauf vor dem Hotel des Grand Hommes absetzte, bildeten die neugierigen Passanten Spalier vor dieser sonderbaren Gesellschaft, die aus dem Jenseits der Nacht herüberverschlagen schien.


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