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Den rechten Arm um Ludwig Farnys Schulter gelegt, den linken Arm um die des Gefreiten Reinhard, wankte der Notar Münch durchs Hoftor. Sein Mantel war zerrissen, auf der Stirne hatte er eine Beule und zwei blutige Taschentücher waren um seinen Hals geschlungen. Studer ging ihm entgegen.
»Salü, Münch«, sagte er ruhig.
»Salü, Studer«, kam es heiser zurück.
– Ob er nicht abliegen wolle, fragte der Wachtmeister. Der Notar schüttelte müde den Kopf: – Er sehe dort den Hauptmann der Kantonspolizei, das werde wohl der geeignete Mann sein, dem man eine Aussage machen könne…
»Aber nicht hier«, sagte Studer, »du mußt an die Wärme.« Münch nickte.
Hinter sich hörte Studer plötzlich eine bekannte Stimme rufen: »Halt!« Als er sich umwandte, mußte er lächeln. Das Bild, das er sah, ähnelte so sehr der Aufnahme eines amerikanischen Gangsterfilms, daß man es nicht ernst nehmen konnte. Fahnderkorporal Murmann hielt einen Revolver in der Hand und ließ den Vater Äbi nicht aus den Augen.
»Soll ich ihn fesseln, Wachtmeister?« fragte er.
Studer lachte. Es war ein befreites Lachen. Am meisten belustigten ihn die Gesichter der Herren, die gekommen waren, eine Armenanstalt zu inspizieren.
Hausvater Hungerlott sagte mit spitzer Stimme:
»Ich protestiere! Gerichtliche Untersuchungen werden nicht auf diese Art geführt. Ein Fahnderwachtmeister und der Polizeihauptmann sind nicht berechtigt, Aussagen aufzunehmen – ich meine Aussagen, die einen juristischen Wert hätten…«
Doch wer kam zum Tore herein? Elegant, in einem auf Taille geschnittenen Wintermantel? Herr Statthalter Ochsenbein, gefolgt von einem uniformierten Landjäger. Der Säbelgriff des Polizisten war auf Hochglanz poliert.
»Was… ist… das?«
»Ihr habt mir telephonieren lassen, Wachtmeister?« fragte Ochsenbein. Er hob den steifen Hut vom Kopfe und grüßte in die Runde.
»Ich wiederhole meinen Vorschlag«, sagte Studer, »wir begeben uns in das Arbeitszimmer des Herrn Hungerlott zurück. Die Herren werden mir dann erlauben, etwas zu erzählen. Ich verzichte auf jegliches Geständnis. – Murmann, du passest auf den Vater Äbi auf!«
Wieder ließ Studer die Herren vorausgehen, vor ihm schritt majestätisch Fahnderkorporal Murmann. Studer beschloß den Zug, Ludwig Farny wich nicht von seiner Seite.
Zuerst gab es ein Durcheinander: Stühle mußten herbeigeschafft werden, es dauerte eine Weile, bis alle Amtspersonen saßen. Für den Notar Münch hatte man den bequemsten Lehnstuhl ausgesucht, ein Hockerli davorgestellt, es mit Kissen bedeckt und die Beine des Verwundeten daraufgebettet. Es muß zugegeben werden, daß der Notar nicht ein übermäßig intelligentes Gesicht machte.
Studer sagte: »Erzähl jetzt bitte, Münch. Ich kenn die Geschichte, jetzt mußt du sie den anderen kund und zu wissen tun.«
Und der Notar begann zu sprechen. Sein Gesicht wachte auf. Er fing an von seiner Bekanntschaft mit jenem merkwürdigen Auslandschweizer zu erzählen, von dem Testament, das dieser aufgesetzt habe – und schon damals, bei der ersten Zusammenkunft, habe er den Eindruck gehabt, der ›Chinese‹ (dieser Übername stamme von seinem Freunde Studer) fürchte sich, ermordet zu werden. Fürchte… das sei übertrieben. Angst hat der Mann keine gehabt, im Gegenteil. Er war tapfer. Nur – er wollte nicht, daß sein Vermögen Leuten zufalle, die es nicht verdienten. Wäre er ohne Testament gestorben, so hätte seine Familie geerbt. Gegen seine Verwandten hatte der Farny nichts – aber seine Schwester sowohl als auch seine Nichte waren verheiratet. Die beiden Gatten gefielen ihm nicht.
»Wart einen Moment, Münch!« unterbrach Studer. »Es wäre gut, wenn Reinhard den einen Gatten durchsuchen würde. Los!«
Vater Äbi wehrte sich, aber es nützte ihm nicht viel. Studer brauchte nicht einzugreifen. In der Hintertasche der Hose steckte eine kleine Pistole. Der Wachtmeister nahm sie in die Hand. »Sechs fünfunddreißig«, nickte er. Dann klappte er den Kolben auf – im Magazin fehlten zwei Kugeln. Als er die Waffe öffnete, fiel oben eine ungebrauchte Patrone heraus. »Eine Kugel ist also abgeschossen worden«, sagte Studer und blickte nicht auf. »Weiter, Münch!«
»Mit der Zeit gelang es dem einen Gatten, sich beliebt zu machen. Als seine Frau starb, konnte er meinen Klienten überzeugen, ihm den Anteil, der seiner Frau zufallen sollte, zuzusprechen – aber der Witwer mußte sich verpflichten, die Hälfte des Anteils einem Freunde des nun Verstorbenen zu übergeben. James Farny wollte dies geheim halten, aber er erzählte gerne. An einem Abend erzählte er diese Änderung des Testamentes dem Freunde – wahrscheinlich drüben im Gastzimmer der Wirtschaft, der Wirt hörte dies und gab die Neuigkeit weiter an den Witwer. Wir nehmen an, daß der Witwer Lärm geschlagen hat – wahrscheinlich war er wütend, daß er um das Geld kommen sollte, obwohl er zu diesem Zwecke ein Verbrechen begangen hatte. Und, so nehmen wir an, James Farny durchschaute den Mann. Wieder glaubte er, für sein Leben fürchten zu müssen. Darum schrieb er mir und bestellte mich auf den 18. November, um 10 Uhr früh. Als ich in Pfründisberg ankam, war Farny tot. Kurz nach meiner Ankunft tauchte ein Fahnder auf – ich ging ihm aus dem Wege, denn plötzlich schien es mir, als hänge der Tod meines Klienten mit dem Tode seiner Nichte zusammen. Darum besuchte ich den Witwer, ließ mich von ihm einladen – in der Nacht schon hatte ich den Beweis, daß ich auf dem richtigen Wege war. Jemand schlich in mein Zimmer, durchsuchte meine Kleider – zum Glück hatte ich vorsichtshalber meine Brieftasche unter meinem Kopfkissen versteckt. Den ganzen folgenden Tag ließ mich der Mann nicht aus den Augen – doch in der folgenden Nacht gelang es mir, meinen Freund Studer zu besuchen. Mit ihm sprach ich über die ganze Angelegenheit – und wir kamen zu einem Schluß. Doch ich gelangte nicht mehr in mein Zimmer zurück. Ich wollte mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen – aber ich hab' auf den Kopf bekommen… Als ich auf der Straße ging, wurde mir plötzlich ein Sack über den Kopf gestülpt, ein paar Männer packten mich, fesselten mich – dann traf mich ein Schlag… Ich bin erst um die Mittagszeit aufgewacht, auf dem Grunde des Steinbruches… Die zwei dort haben mich dann gefunden…«
»Das hat mit dem Fall nichts zu tun«, meinte Studer. »Dieser Überfall beweist nur eines: jemand wollte das Testament des James Farny an sich bringen. Nun komme ich an die Reihe. Als ich vor vier Monaten durch Zufall einen Abend in der Wirtschaft ›Zur Sonne‹ zubrachte, weil ich vergessen hatte zu tanken, und mein Töff nicht bis nach Gampligen stoßen wollte – denn es waren immerhin sechs Kilometer und die Sommernacht heiß und gewittrig – gelangte ich in den Privatraum des Wirtes Brönnimann, wo vier Männer um einen Tisch saßen und jaßten. Ich fühlte gleich, daß meine Anwesenheit unerwünscht war und erkundigte mich nach dem Weg zur Laube… Dort stützte ich mich auf die Brüstung, und sah vor mir einen Ahornbaum, dessen Blätter sich fast zählen ließen… Von irgendwoher mußte der Baum beschienen werden, und als ich nach der Lichtquelle fahndete, sah ich ein hellerleuchtetes Zimmer, in dem ein Mann eifrig in ein Wachstuchheft schrieb. Ein Stoß von fünf anderen Heften lag neben seinem rechten Ellbogen. Ich betrachtete den Fremden – und da passierte mir ein Mißgeschick: ich mußte nießen… Der Fremde sprang auf, sein Stuhl fiel um, mit drei seitlichen Sprüngen war er im Fenster und ich war überzeugt, daß seine Rechte, die in der Tasche seiner Hausjoppe aus Kamelhaar steckte, einen Revolver hielt, dessen Mündung auf meinen Bauch gerichtet war… Immerhin drei merkwürdige Tatsachen: Ein Fremder schreibt im Zimmer einer verlassenen Wirtschaft seine Memoiren, er ist bewaffnet, beim geringsten Geräusch ist er bereit, zu schießen… Ich lernte den Fremden kennen: sein Paß, der in allen Weltteilen erneuert worden war, in Asien, in Amerika, lautete auf den Namen Farny James, geboren am 13. März 1878, heimatberechtigt in Gampligen, Kanton Bern… Der Mann riß das Fenster auf, ich mußte mich legitimieren, und erst als dieser Farny sah, daß er es mit einem Polizeiwachtmeister zu tun hatte, versorgte er seinen Revolver, einen Colt, eine großkalibrige Waffe. Schon damals, vor vier Monaten, erzählte mir der Fremde, sein Leben sei bedroht; er hoffe, daß ich die Untersuchung über seinen Mord führen werde… Natürlich war mein erster Gedanke, daß ich es mit einem Verfolgungswahnsinnigen zu tun habe und ich überlegte mir, ob ich nicht die Sanitätspolizei alarmieren solle, um den Mann in die Anstalt überführen zu lassen… Außerdem fiel mir noch auf, daß der Fremde absolut Bruderschaft mit mir trinken wollte – was ich natürlich ablehnte… Ich ging dann mit ihm in die Gaststube, wurde Zeuge eines Streites: die Insassen der Armenanstalt, die in diesem Raume schnapsten, sowie einige Gartenbauschüler wollten sich an mir vergreifen, gaben das Projekt jedoch auf. Dieser Farny James schien eine gewisse Macht über die Anwesenden auszuüben. Schließlich mischte sich der Direktor der Gartenbauschule und auch der Hausvater der Armenanstalt (sie jaßten in dem Raum, den ich zuerst betreten hatte) in den Streit, beruhigten die Gemüter und schickten die Armenhäusler sowohl als auch die Gartenbauschüler schlafen. Der Wirt Brönnimann entdeckte zwei Fünfliterkannen Benzin, ich konnte mein Reservoir auffüllen und davonfahren. Hernach vergaß ich die merkwürdige Szene, bis ich vier Monate später, auf den Tag genau, am 18. November, vom Statthalter Ochsenbein aufgefordert wurde, einen geheimnisvollen Mord aufzuklären, der auf dem Friedhof von Pfründisberg passiert war…
Auf einem frischen Hügel, in dem Frau Hungerlott-Äbi begraben war, lag die Leiche des James Farny, den ich für mich wegen seiner geschlitzten Augen stets den ›Chinesen‹ nannte. Der Mann war durch einen Herzschuß getötet worden, jedoch waren weder sein Hemd noch seine Kleidungsstücke mit Blut besudelt. Ich schloß daraus, der Tote sei an einem anderen Orte ermordet, hernach umgekleidet und hierher transportiert worden… Wichtig war für mich, festzustellen, vor wem der Tote Angst gehabt hatte. Da ich aus seinem Paß ersehen hatte, daß er aus Gampligen stammte, kamen zuerst – ich überzeugte mich, daß er reich war – seine Verwandten in Betracht…
Der Tote hatte eine verheiratete Schwester in Bern. Bevor sie mit dem Maurer Äbi eine Ehe einging, hatte sie einen unehelichen Sohn zur Welt gebracht, der den Namen der Mutter trug: er sitzt hier neben mir… Ludwig Farny heißt er. Dem Äbi gebar die Frau zwei Kinder, ein Mädchen Anna, die später den Hausvater Hungerlott heiratete, einen Sohn Ernst, der den Jahreskurs der Gartenbauschule Pfründisberg besuchte…
Herr Notar Münch war von James Farny zu einer Besprechung bestellt worden, die am 18. November stattfinden sollte. An diesem Tag, zu dieser Stunde, war der ›Chinese‹ schon tot – Herzschuß… Die Kugel, die den Tod herbeigeführt hat, ist verloren – Ich besitze nur die Hülse, die ich vorgestern gefunden habe.
Meine Herren! Anna Hungerlott-Äbi, die Nichte des ›Chinesen‹, ist vor vierzehn Tagen an einer Darmgrippe gestorben. Dieser plötzliche Tod weckte den Verdacht ihres Onkels, und wegen dieses Todes bestellte er Herrn Notar Münch nach Pfründisberg zu einer Besprechung… James Farny verdächtigte offenbar den Hausvater Hungerlott, den Gatten der Anna, seine Frau mittels Arsen vergiftet zu haben. Münch hat dies fast bewiesen…
Durch einen Zufall gelang es mir, den Beweis für den Verdacht – ich kann ruhig sagen, meines Freundes – zu erbringen. Drei Taschentücher, die von Frau Hungerlott-Äbi gebraucht worden waren, enthielten deutliche Arsenspuren… Den Rapport über diese Angelegenheit wird der Assistent am Gerichtsmedizinischen Institut, Dr. Malapelle, der zuständigen Behörde überreichen.
Herr Hungerlott, Hausvater der Armenanstalt Pfründisberg, gab sich Mühe, das Dokument, das Herrn Notar Münch nach Pfründisberg rief, in seinen Besitz zu bekommen. Zu gleicher Zeit besaß mein Freund, der Notar, ein handgeschriebenes Testament des ermordeten James Farny. Es ist dem Zufall zuzuschreiben, daß es dem Hausvater nicht gelang, beide Dokumente in seine Hände zu bekommen. Er lud den Notar ein, bei ihm in der Armenanstalt zu wohnen. Notar Münch hat Ihnen erzählt, was in der ersten Nacht vorgefallen ist.
Es war jedoch ein Mitwisser vorhanden, ein Mitwisser an der Ermordung des James Farny. Sie werden zugeben müssen, meine Herren, daß es für einen einzigen Menschen unmöglich war, den ›Chinesen‹ zu erschießen, ihn anzuziehen, und seine Leiche an einen Ort zu bringen, der die Polizei auf eine falsche Spur führen sollte. Der Mitwisser, der Mithelfer, war Ernst Äbi, Schüler der Gartenbauschule. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, diesen Burschen zu verdächtigen. Doch wurde am ersten Tage meines Hierseins mittels einer Schleuder eine Bleikugel durch die Fensterscheibe meines Zimmers geschossen, an der eine Warnung angebracht war: ›Finger ab de Röschti!‹ Die Warnung, die getippt war, machte mich stutzig: Warnungen werden gewöhnlich nicht so familiär formuliert, werden besonders nicht im Dialekt geschrieben…
Die Warnung konnte nicht von Vater Äbi stammen, ich wußte, daß er in Bern war, daß er dort in einer Kohlenhandlung eine Aushilfsstelle gefunden hatte.
Schlußfolgerung?
Der Mann, der bei dem Transport der Leiche mitgeholfen hatte, mußte mir diese Warnung zugeschickt haben… Sie werden mich fragen, warum mein Verdacht nicht auf Ludwig Farny fiel… Im Augenblick, da ich die Warnung erhielt, lag Ludwig Farny im Zimmer der Serviertochter Hulda Nüesch. Als ich ihm später den Zettel zeigte, wurde er rot: also mußte er den Mann kennen, der mir die Warnung zugeschickt hatte… Wen kannte Ludwig außer den Armenhäuslern, die, wie alle Alkoholiker, schwatzhaft waren und daher als Komplizen ungeeignet? Seinen Stiefbruder, Ernst Äbi. Später erfuhr ich, daß Äbi Ernst dem Ludwig geholfen hatte, als dieser sich in Not befand. Nun war mir der Fall klar: Der Mann, der hinter den Morden steckte, konnte versuchen, sich seines Mitwissers zu entledigen. Ich gab deshalb Ludwig Farny den Auftrag, auf seinen Stiefbruder aufzupassen… Denn, meine Herren, Ernst Äbi würde sicher alles versuchen, um seinen Vater zu decken. Inzwischen war ich nach Bern gefahren und lernte dort – wenn auch indirekt – den Charakter des ehemaligen Maurers Äbi kennen. Der Mann besaß Geld, er trank, brutalisierte seine Frau – und, was das Merkwürdigste war, er war sehr eng befreundet mit dem Hausvater der Armenanstalt, Herrn Hungerlott.
Ob diese Freundschaft aus der Zeit stammt, da Hungerlott Äbis Tochter heiratete – ob umgekehrt Hungerlott den Vater Äbi von früher her kannte, wird die Untersuchung zeigen. Kurz, Herr Hungerlott nahm seinen Freund, den Hilfsarbeiter Äbi, nach Pfründisberg mit. Auch die zweite Frage: ob Hungerlott oder Vater Äbi den Gartenbauschüler in das mit Blausäuredämpfen gefüllte Gewächshaus gelockt hat, wird ebenfalls bei der Untersuchung zutage kommen. Genug…
Dem Schüler Äbi Ernst gelang es, aus dem Krankenzimmer zu fliehen, während Ludwig Farny schlief, er ging zur vorausbestimmten Zusammenkunft, die wohl im Gange vor den Gewächshäusern stattfand… Schnell wird eine Türe geöffnet, der Bursche in das Glashaus gestoßen, der Schlüssel von außen mit einer Zange umgedreht – et le tour est joué: wie der welsche Nachbar sagt. Wahrscheinlich hat Hungerlott von einigen Insassen der Armenanstalt, in der Gaststube der Wirtschaft ›zur Sonne‹, einen Krach inszenieren lassen, der die Schüler vor die Fenster der Wirtschaft lockte und somit eine frühzeitige Entdeckung des Ernst Äbi verhinderte.
Leider wachte Ludwig Farny zu spät auf, er kam mich holen, der Lehrer Wottli gab mir seinen Schlüssel (vorher lüfteten wir das Glashaus) und wir öffneten die von innen verschlossene Türe…
Hier hat der Mörder einen Fehler begangen… Aber eigentlich blieb ihm keine andere Wahl: Entweder mußte er den Schlüssel mit den Kratzspuren am Metallteil hinter dem Bart finden lassen, oder er mußte einen neuen Schlüssel ins Schloß stecken… Wahrscheinlich war ihm nicht genug Zeit geblieben, um den glänzenden Schlüssel zu oxydieren und ihn somit dem anderen gleich zu machen… Hätte er dies getan, so wäre es mir unmöglich gewesen, dem Mörder auf die Spur zu kommen. So aber hat er ein Versehen begangen – und durch dies Versehen ist es mir gelungen, den Fall aufzudröseln. Hier ist der fragliche Schlüssel…
Nicht durch diesen Schnitzer allein – im Testament, das James Farny hinterlassen hatte, war ausdrücklich festgelegt worden, daß die Männer, die Gatten seiner Verwandten (seiner Schwester und seiner Nichte) nicht erbberechtigt seien. Ein Kodizill änderte etwas – doch nicht viel. Verschwand dieses Testament, so blieb Herr Hungerlott –wohl durch ein Testament seiner Frau – erbberechtigt.
So, wie ich jetzt die Sache überblicke, scheint es mir, als sei meinem Freunde Münch eine Falle gestellt worden: Vater Äbi wurde nur deshalb nach Pfründisberg geführt, ihm wurde ein Gastzimmer nur deshalb angeboten, um den Notar dazuzubringen, das Haus zu verlassen, mich zu besuchen… Wahrscheinlich wollte man ihn schon vor seiner Zusammenkunft mit mir niederschlagen und ihm das Testament und James Farnys Brief entwenden…«
»Ich möchte den Herrn Statthalter fragen, wie lange er noch seinem Untergebenen zu erlauben gedenkt, Märli zu erzählen?« warf in diesem Moment Hungerlott dazwischen.
»In Bern ist die Phantasie des Wachtmeisters Studer sprichwörtlich; vom Gefreiten bis hinauf zum Polizeihauptmann wird der Spruch gebraucht–. ›Dr. Köbu spinnt!‹ Oder stimmt's etwa nicht?« Massig und breitbeinig und ruhig stand Studer vor dem Kamin, er zuckte die Achseln…
Schweigen… Verlegenes Schweigen… Des Hauptmanns Gesicht war rot geworden und auch die Gesichter der übrigen erinnerten in der Farbe an reife Tomaten.
Studer wandte sich an Vater Äbi:
»Auf der Polizei ist auf Euren Namen ein Motorrad, Marke Harley Davidson, eingetragen. Könnt Ihr mir sagen, mit welchem Geld Ihr das teure Töff gekauft habt? Wer Euch die Steuer gezahlt hat?«
»Mit… myne… Ersparnisse…«, stotterte der ehemalige Maurer.
»Reinhard«, sagte Studer, »hol die Frau!«