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Ich habe Feder, Papier und Tinte, warum sollte ich kein Buch über Wien schreiben?
Zu meinen früheren Arbeiten nahm ich auch mein bißchen Geist zur Hand; diese unruhige Eigenschaft ist aber jetzt in Deutschland verpönt, und ein verständiger Autor muß ihn so viel wie möglich zu verstecken suchen, damit man ihn selber nicht versteckt. Die deutsche Zensur läßt die besten Gedanken zwischen den Zeilen liegen, und die edelsten Geister gehen unter, weil sie ihre glühende und zündende Wahrheit nicht mit schmutzigen, servilen Lumpen bedecken wollen; weil der Geist des Jahrhunderts ihre Feder leitet, und die Zensur die Werke jenes Geistes zerstückelt und vernichtet.
Auf diese Weise wird es immer schwerer, den guten vom schlechten Schriftsteller zu unterscheiden, und deshalb bin ich mit Liebe und Vertrauen an das vorliegende Werk gegangen, habe für die herrlichsten Gedanken Striche gemacht, dem Zensor Mühe zu sparen; habe in jeder Charakteristik und Darstellung Lücken gelassen, und bin nun fest überzeugt, daß meine Leser dies Buch unendlich geistreich finden werden, weil sie ihren eigenen Geist hineinlegen müssen. Wie es die Kunst der Konversation ist, weniger selbst zu sprechen, als andere sprechen zu machen, ist es in Deutschland die Aufgabe des Autors, weniger selbst zu denken, als andere denken zu machen; man darf der Lesewelt nur Skizzen hinwerfen, und sie selbst muß tausend Bücher daraus schreiben.
Wer aber könnte über den Mittelpunkt des schönen, gesegneten Österreichs schreiben, ohne die Interessen der Gegenwart zu berücksichtigen? Wer, dessen Herz für das Wohl seiner Mitmenschen schlägt und höher schlägt, betrachtet er das Emporblühen der geistigen Freiheit, wer könnte die Träne ungeschildert lassen, die ihm Österreich entlockte? Ein blühendes Land voll liebevoller, geistig kräftiger Menschen, und eine Regierung, die sich mächtig dem Gottesgeiste entgegenstemmt, der über die Völker gekommen, und sich selbst durch die drohendsten Beispiele der Geschichte nicht bewegen läßt, einen Schritt vorwärts zu gehen!
Die schönen Tage, welche ich unter den Wienern verlebte, werden mir unvergeßlich bleiben und hatten mich bestimmt, meine Bilder nur mit lichten, lustigen Farben zu malen, d. h. schwarz und gelb daraus zu verbannen; als ich aber die Feder zur Hand nahm und die Zeichnung begann, sah ich ein, daß ohne jene Farben den Gemälden jede tiefere Auffassung und Wahrheit fehlen würde. Und so mußte ich oft härter sein, als mein Herz es wollte; ich mußte viele, die ich als Menschen liebe und achte, empfindlich berühren. Mögen sie bedenken, daß es die Tendenz unserer Zeit ist, alles Scheinwesen zu unterdrücken, und daß es eines redlichen Verurteilers und Darstellers würdiger ist, seine heiligsten Empfindungen dem weltgeschichtlichen Zwecke zu opfern, als zu schmeicheln und sich auf Kosten der Wahrheit beliebt zu machen! –
Freilich bin ich nur ein unbedeutender Mitarbeiter an dem Riesenwerke der Gegenwart, allein das gewaltige Meer besteht aus Tropfen, und oft verstehen wir Kleinen es besser, die Herzen unserer Mitmenschen für alles wahrhaft Schöne und Heilige zu entzünden, als jene Großen, die, wie Schiller sagt, an der Börse ihre Millionen austauschen, während die Bettler unbeschenkt vorüberwandern müssen. Mit diesem Troste habe ich mein Werk vollendet und sende es in die Welt; viele meiner Leser und namentlich die Kritiker werden mir das »Tant de bruit pour une omelette!« zurufen, allein sie mögen bedenken, daß man oft die unscheinbarste Hülle wählen muß, um den Gott zu verstecken; und wollen sie das nicht bedenken, so mögen sie's bleiben lassen! Ich bin schon ärgerlich über mich selbst, daß ich so viele Vorkehrungen treffe, gelobt zu werden.
Über Wien und Österreich sind bereits eine Menge Bücher geschrieben worden. Ein bescheidener Schriftsteller hätte wohl nichts Wichtigeres zu tun, als demütigst um Entschuldigung zu bitten, daß er die Masse noch vermehrt und einen Gegenstand behandelt, den schon vor ihm weit größere und geistreichere Männer behandelt haben. Das ist ein Punkt, den ich durchaus berühren muß. Ich bin nicht bescheiden, noch weniger demütig. Glaubte ich nicht, in diesem Buche manches neue mitzuteilen und vieles richtiger als andere dargestellt zu haben, so wäre es ja eine Narrheit, die Welt damit zu belästigen, namentlich unsere jetzige Welt, die so viel zu lesen hat, daß Not wäre, eine Dampf-Lesemaschine zu erfinden. Die Wiener sind nicht zufrieden mit dem, was bis heute über Wien in die Literatur gekommen, und haben auch Grund dazu. Die meisten Beschreiber sahen die Kaiserstadt nur von der Bastei aus und zogen dann mit Vorurteilen gegen ihr »deutsches China« weiter; anderen fehlte es an lebendiger Auffassung, an Beobachtungs-Geist; noch andere gingen schon mit der Absicht hin, auf die österreichische Regierung zu schimpfen oder sie zu verteidigen; die Wiener Literaten endlich dürfen nichts schreiben, was der Gegenwart angehört, und so ist es denn erklärlich, daß man in Deutschland noch so viele falsche Ansichten über Wien und den österreichischen Staat hört. Und darum schien es mir nicht unnütz, daß ein unparteiischer Maler Bilder aus der Kaiserstadt brächte. Und hier hast du sie, mein liebes, hoffendes Deutschland!
Warum ich aber auch meine Träume mitteile, die mir während meines Aufenthaltes in Wien durch die Seele zitterten? Ich weiß es nicht, weiß auch nicht, ob sie irgendeine Bedeutung haben; ob sie nur meine Träume, oder vielleicht die Träume eines ganzen Volkes sind; denn ich habe sie ohne meinen Willen geschrieben. Ein unsichtbares Wesen leitete mir die Hand und tauchte die Feder in Tränen; so sind sie entstanden und so müssen sie aufgenommen werden: ich habe keinen Teil an ihnen.
Meinen Namen habe ich verschwiegen, weil ich durchaus nicht berühmt werden will. –